RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE
VORTRAGE
OFFENTLICHE VORTRAGE
RUDOLF STEINER
Uber Philosophic,
Geschichte und Literatur
Darstellungen an der Arbeiterbildungsschule
und der Freien Hochschule in Berlin
Autoreferate und Referate
von vierunddreifiig Vortrdgen,
gehalten in den Jahren 1901 bis 1905.
MitBerichten uber Rudolf Steiners Wirken
im «Giordano Bruno-Bund» 1902
1983
RUDOLF STEINER VERLAG
DORNACH/SCHWEIZ
Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriften und Notizen
herausgegeben von der Rudolf Steiner-NachlafSverwaltung
Die Herausgabe besorgten H. Knobel und B. Gloor
1. Auflage in dieser Zusammenstellung
Gesamtausgabe Dornach 1983
Einzelausgaben und Veroffentlichungen in Zeitschriften
siehe zu Beginn der Hinweise
Bibliographie-Nr. 51
Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung, Dornach/Schweiz
© 1983 by Rudolf Steiner-Nachlafiverwaltung, Dornach/Schweiz
Printed in Germany by Konkordia GmbH, Buhl/Baden
ISBN 3-7274-0510-4
2« den Veroffentlichungen
aus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner
Die Grundlage der anthroposophisch orientierten Geistes-
wissenschaft bilden die von Rudolf Steiner (1861-1925) ge-
schriebenen und veroffentlichten Werke. Daneben hielt er
in den Jahren 1900 bis 1924 zahlreiche Vortrage und Kurse,
sowohl offentlich wie auch fiir die Mitglieder der Theoso-
phischen, spater Anthroposophischen Gesellschaft. Er selbst
wollte urspriinglich, dafi seine durchwegs frei gehaltenen
Vortrage nicht schriftlich festgehalten wiirden, da sie als
«muridliche, nicht zum Druck bestimmte Mitteilungen» ge-
dacht waren. Nachdem aber zunehmend unvollstandige
und fehlerhafte Horernachschriften angefertigt und verbrei-
tet wurden, sah er sich veranlafit, das Nachschreiben zu re-
geln. Mit dieser Aufgabe betraute er Marie Steiner-von
Sivers. Ihr oblag die Bestimmung der Stenographierenden,
die Verwaltung der Nachschriften und die fiir die Heraus-
gabe notwendige Durchsicht der Texte. Da Rudolf Steiner
aus Zeitmangel nur in ganz wenigen Fallen die Nachschrif-
ten selbst korrigieren konnte, mufi gegeniiber alien Vor-
tragsveroffentlichungen sein Vorbehalt beriicksichtigt wer-
den: «Es wird eben nur hingenommen werden mussen, dafi
in den von mir nicht nachgesehenen Vorlagen sich Fehler-
haftes findet.»
Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde
gemafi ihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf
Steiner Gesamtausgabe begonnen. Der vorliegende Band
bildet einen Bestandteil dieser Gesamtausgabe. Soweit erfor-
derlich, finden sich nahere Angaben zu den Textunterlagen
am Beginn der Hinweise.
INHALT
I
VORTRAGE
AN DER ARBEITERBILDUNGSSCHULE
IN BERLIN
Welt- und Lebensanschauungen von den altesten Zeiten
bis zur Gegenwart
Autoreferat. Zusammenfassung von zehn Vortragen,
gehalten in Berlin am 7., 14., 21., 28. Januar, 4., 11.,
18.,25.Febraar,4.undll.Marzl901 17
1 . Die griechischen Weltanschauungen 17
2 . Die Weltanschauungen des Mittelalters und der Neuzeit . . 46
3. Die neuen Weltanschauungen 57
William Shakespeare
Vortrag, Berlin, 6. Mai 1902 (Notizen) 66
Die Frage der Autorschaft von Shakespeares Werken. Shake-
speares Dramen als Charakterdarstellungen. Die Werke des
Mittelalters, auch Dantes, als Ausdruck der christlichen
Ideen. Die Entwickelung der Einzelpersonlichkeit im Zeit-
alter der Renaissance. Shakespeares Lebenslauf . Die Wirkung
der Shakespeareschen Dramen und ihrer unerreicht gebliebe-
nen Charakterschilderung in fruheren Zeiten und heute.
Uber romische Geschichte
Vortrag, Berlin, 19. Juli 1904 73
Vorletzter Vortrag aus einer Reihe von 10 Vortragen mit dem Thema
«Geschichte der Urvolker und des Altertums bis zum Untergang der
R6merherrschaft».
Die Entwickelung des Romischen Staates. Das Amt des Pon-
tifex Maximus und der Papst. Gegensatz von rdmischem
Rechtsstaat und provinzial-kaiserlicher Macht. Entstehen des
Beamtentums und des romischen Rechts als abstraktes Dog-
menrecht. Das diesseksgerichtete neue religiose Gefuhl des
aufkommenden Christentums durch Konstantin, und die
Durchdringung der Kirche mit romischem Dogmenrecht.
Das Konzil von Nicaa. Arianisches und athanasisches Chri-
stentum. Der Untergang des Romischen Reiches durch die
Germanen. Das romische Machtprinzip der Kirche. Kaiser
und Papst. Das Monchstum als Reaktion auf das kirchliche
Machtprinzip. Das Wesen des Christentums als Bewahrer
von Freiheit und Wurde des Menschen.
Geschichte des Mittelalters bis zu den grofien Erfindungen
und Entdeckungen
Vorwort von Marie Steiner zur 1 . Auflage 1936 94
Erster Vortrag, Berlin, 1 8 . Oktober 1 904 96
Das Mittelalter als wichtiger Zeitabschnitt in der Geschichte
von der Volkerwanderung bis zur Erfindung der Buchdruk-
kerkunst. Die Schilderung der Germanen durch Tacitus.
Griechische Kunst, romisches Recht und germanisches Per-
sonlichkeitserleben. Der allgemeine germanische Charakter.
Das Faustrecht und der Kampf um die freie Personlichkeit.
Der Ursprung der Stadtekultur. Palacky und der Sinn fur das
Tragische bei den Germanen. Wiclif, Heinrich der Heilige,
die Brudergemeinden. Die Erringung des Freiheitsbewulk-
seins.
Z.WEITER Vortrag, 25. Oktober 1904 105
Die Umschichtungen der germanischen Stamme in Mitteleu-
ropa vom Jahre 1 bis 600 n.Chr. Verwandtschaft der indo-
germanischen Stamme. Tuisto und Manus. Eine dem Odys-
seus geweihte Kultstatte am Rhein. Die gemeinsamen mythi-
schen Vorstellungen. Asen und Asuras. Die siidliche und
nordliche germanische Stromung. Germanen und Griechen.
Die Volkerwanderung. Die Goten. Arianisches und athanasi-
sches Christentum. Die Sefihaftigkeit ab dem 6. Jahrhundert.
Ubergang von der Stammes- zur Dorfgemeinschaft. Entste-
hung des Privateigentums.
DritterVortrag, 1. November 1904 114
Die Volkerverschiebungen im 5. Jahrhundert. Riickblick auf
die ersten drei Jahrhunderte. Vordringen der germanischen
Stamme gegen das romische Reich durch den Einfall der
Hunnen 375 n.Chr. Ost- und Westgoten. Die Vandalen. Die
Entstehung und Konsolidierung des Frankenreiches aus dem
Grofigrundbesitz. Seine Durchdringung durch das iro-schot-
tische Christentum. Die Unabhangigkeit von Rom. Aristote-
les, Plato, Scotus Erigena. Das Waltharilied. Ende der Hun-
nenherrschaft nach Attilas Tod, 453. Das allmahliche Mift-
verhaltnis zwischen dem wahren Christentum und seiner po-
litischen Verwendung durch die Frankenkdnige. Das Entste-
hen der freien Stadte.
VierterVortrag, 8. November 1904 124
Sprunghafte Entwickelung im Mittelalter durch Stadtegriin-
dungen, Erfindungen und Entdeckungen. Die Macht des
Frankenvolkes und das Christentum als die zwei bestimmen-
den Faktoren der Entwickelung. Das merowingische Konig-
reich. Der Grundbesitz als Machtprinzip, als Gestalter des
Reiches, verbunden mit Gerichtsbarkeit usw. Der sich daraus
entwickelnde Beamtenadel als Rivale des Konigs. Gegensatz
von Kirche als Grundbesitzer und dem freien Christentum
der britischen Missionare Columban, Gallus, Bonifazius. An-
lehnung der weltlichen Kirche und des Frankenreiches an
den Papst. Das Einstromen von aufierer Wissenschaftlichkeit
in die europaische Kultur durch die Araber. Die Stadtekul-
tur. Walther von der Vogelweide.
FunfterVortrag, 15. November 1904 135
Die Germanen nach der Volkerwanderung. Die Dorfgemein-
de. Gemein- und Privateigentum. Entstehung des Konigtums
aus dem (Grofi)grundbesitz. Ubergang von den Merowin-
gern zu den Karolingern. Eroberungsziige Karls des Grofien.
Die Rolle der Kirche als Grofigrundbesitzer. Unterwerfung
Bayerns und der Langobarden. Die Gau- oder Pfalzgrafen als
weltliche Richter. Gegensatz von Adel und Bauerntum (Freie
und Horige). Die Kloster als alleinige Kulturstatten. Schola-
stik und Mystik. Gegensatz von Klostern und verweltlichter
Kirche. Scotus Erigena. Die Stadtegriindung als Reaktion auf
die Unterdriickung durch Adel und weltliche Kirche.
SECHSTERVoRTRAG,6.Dezemberl904 145
Die germanischen Volkerschaften nach der Volkerwande-
rung. Der Grofigrundbesitz als Gestalter des Reichs Karls des
Grofien. Kriege und Fehden als privatrechtliche Auseinan-
dersetzungen. Die ungebildete Masse des Yolkes und die reli-
gios-ethische Haltung des Klerus. Die drei niederen Wissen-
schaften des Mittelalters: Grammatik, Logik, Dialektik. Die
vier hoheren Wissenschaften: Geometrie, Arithmetik, Astro-
nomic und Musik. Gegensatz von westlicher (Frankreich)
und ostlicher (Mitteleuropa) Herrschaft. Einfall der Hunnen
und Arnulf von Karnten. Heranbildung des Gegensatzes von
weltlicher und kirchlicher Macht in Mitteleuropa. Die freien
Stadte.
SiebenterVortrag, 13.Dezember 1904 154
Unterschied zwischen West- und Ostreich: Absolutes Konig-
tum und Kriege zwischen Konigen und unbotmafiigen Her-
zogen. Einfall der Magyaren. Anlehnung des Kaisers an die
immer mehr politisierte Kirche. Eliminierung des freien Bau-
ernstandes. Anfange von Handwerk und Handel. Besiegung
der Magyaren, ihr Sefihaftwerden und ihre Christianisierung.
Das Verhaltnis des Volkes zur Kirche. Der Einflufl der Ara-
ber. Der Marienkultus. Weltuntergangsstimmung um das
Jahr 1000. Die Clunyazenser-Reformbewegung. Das Faust-
recht. Papst und Kaiser als Sonne und Mond. Die Entfaltung
der Macht der Kirche. Canossa. Vorblick auf die Kreuzziige
und deren Einflusse.
AcHTERVoRTRAG,20.Dezemberl904 163
Entstehung des «Reiches». Verschwinden des freien Bauern-
tums. Der Ritterstand. Weltlicher Klerus und gebildeter Klo-
sterklerus. Die Zerriittung des Wohlstandes. Der tiefreligiose
Zug der Zeit. Die Kreuzzuge und ihre Auswirkungen. Das
Hereinkommen der maurischen Wissenschaft. Mittelalterli-
che Wissenschaft, Realismus und Nominalismus. Freiheit der
Lehre. Albertus Magnus. Die Inquisition. Konrad von Mar-
burg. Gegensatz von Stadt und Land. Die Kultur der Stadte.
Die ersten Universitaten in Deutschland. Die Mystik von
Eckhart, Tauler, Suso. Bibelubersetzungen bis Luther. Die
Griindung grofierer Staaten unter Verlust der Freiheit an den
Universitaten. Ausspruch Hegels iiber Geschichte.
NEUNTERVoRTRAG,28.Dezemberl904 173
Demokratisierung der Stadte. Die Ziinfte. Stadtepolkik ge-
geniiber Fiirsten und Raubrittern. Begriindung einer mate-
riellen Stadtekultur. Die Stadtebiinde. Vineta. Hanse. Erfin-
dung des Schiefipulvers. Die Briider des gemeinsamen Le-
bens. Katharer und Waldenser. Die Mystik. Gotik und
Stadtebau. Die Totentanze. Bader und Spitaler. Die fahren-
den Leute. Die Stellung der Juden. Das Ketzertum als Ursa-
che der Kreuzzuge. Gottfried von Bouillon. Die Entstehung
der Ghibellinenpartei. Friedrich Barbarossa und die Kyffhau-
sersage. Die Monchsorden. Der Templerorden. Der Deutsch-
ritterorden. Entstehung des Habsburgerreiches.
Zehnter Vortrag, 29. Dezember 1904 185
Das Schwinden der kaiserlichen Macht. Die moderne Staa-
tenbildung im ausgehenden Mittelalter. Die Habsburgische
Hausmacht. Die schweizerische Eidgenossenschaft. Papst
und Frankreich gegen deutsche Fiirstenmacht. Unterdriik-
kung der Bauern. Die Ketzerstromungen. Johannes Hus und
das Konstanzer Konzil. Die Briider vom gemeinsamen Le-
ben. Die Schreibinstitute als Vorstufe der Buchdruckerkunst.
Die Bauernbiindmsse. Ubergang der Kultur an die Stadte.
Einfall der Turken in Griechenland. Die Renaissance und der
Humanismus. Reuchlin und Erasmus. Die Eroberung der
Seewege nach Indien durch Diaz und Vasco da Gama. Ent-
deckung Amerikas. Die Weltanschauung des Kopernikus.
Notwendigkeit der Wissenschaft der Weltgeschichte.
II
VORTRAGE AN DER
BERLINER «FREIEN HOCHSCHULE»
Platonische Mystik und Docta ignorantia
Kurze Zusammenfassung von drei Vortragen aus einem Kurs von sieben
Vortragen iiber «Die deutsche Mystik und ihre Voraussetzungen».
Erster Vortrag, 29. Oktober 1904 199
«Mathesis», die mystische Welterkenntnis der Gnostiker. Die
Entwickelung der mystischen Vorstellungen von Dionysius
Areopagita bis Meister Eckhart. Die Denkweise des Mysti-
kers.
Zweiter Vortrag, 5. November 1 904 204
Der Einflufi des r Platonismus auf die mittelalterliche Mystik.
Das Erleben des Geistes durch den Mystiker; das Sich-
Versenken in die Seele — die Katharsis des Mystikers; das
Aufleben des Christus-Prinzips.
Dritter Vortrag, 12. November 1904 210
Leben und Personlichkeit des Nikolaus Cusanus. Sein Werk
«Docta ignorantia». Drei Stufen der Erkenntnis bei Nikolaus
Cusanus: Wissen, Beseligung oder Uberwissen, Vergottung.
Die entsprechenden Stufen bei den Pythagoraern und in der
Vedantaphilosophie. Vorlaufer des Cusanus.
Schiller und unser Zeitalter
Vorwort Rudolf Steiners zur 1. Auflage 1905 217
ErsterVortrag,21. Januar 1905 218
Schillers Leben und Eigenart
Zweiter Vortrag, 28. Januar 1905 226
Schillers Schaffen und seine Wandlungen
Dritter Vortrag, 4. Februar 1905 234
Schiller und Goethe
Vierter Vortrag, 1 1 . Februar 1905 240
Schillers Weltanschauung und sein Wallenstein
Funfter Vortrag, 18. Februar 1905 247
Schiller, das griechische Drama und Nietzsche
Sechster Vortrag, 25. Februar 1905 254
Schillers spatere Dramen
Siebenter Vortrag, 4. Marz 1905 262
Schillers Wirkungen im 19. Jahrhundert
Achter Vortrag, 5. Marz 1905 269
Was kann die Gegenwart von Schiller lernen?
Neunter Vortrag, 25 . Marz 1905 276
Schiller und der Idealismus (Asthetik und Moral)
ANHANG
Diskussionen und Vortrage Rudolf Steiners
im «Giordano Bruno-Bund fur einheitliche Weltanschauung*
in Berlin im Jahre 1902
Die Einheit der Welt
Berlin, imMarz 1902 287
Diskussion im «Giordano Bruno-Bund fur einheitliche Welt-
anschauung* mit Votum Rudolf Steiners zur Frage «Was
bedeutet einheitliche Weltanschauung ihrem Begriffe und
Werte nach?»
Referiert in «Der Freidenker» 10. Jahrgang Nr. 8 und Nr. 9 vom
15. April und 1. Mai 1902
Wahrheit und Wissenschaft
Berlin, 7. Mai 1902 298
Diskussionsveranstaltung des Giordano Bruno-Bundes mit
einleitendem Referat Rudolf Steiners «Vor welchem Forum
kann iiber <einheitliche Weltanschauung> entschieden wer-
den? - Versuch einer Antwort auf die Frage nach <Wahrheit
und Wissenschaft>».
Referiert in «Der Freidenker» 10. Jahrgang Nr. 15 und Nr. 16 vom
1. und 15. August 1902
Monismus und Theosophie
Berlin, 8. Oktober 1902 311
Diskussionsabend Berlin, 15. Oktober 1902 . . . .316
Referiert von Otto Lehmann-Rufibiildt in «Der Freidenker»
10. Jahrgang Nr. 21 vom 1. November 1902
Hinweise 321
Sachwort- und Namenregister 343
Ubersicht iiber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe .... 359
I
VORTRAGE AN DER ARBEITER-
BILDUNGSSCHULE IN BERLIN
WELT- UND LEBENSANSCHAUUNGEN
VON DEN ALTESTEN ZEITEN
BIS ZUR GEGENWART
Autoreferat
Zusammenfassung von zehn Vortragen,
gehalten in Berlin vom Januar bis Marz 1901
L Die griechischen Weltanschauungen
Dafi der Mensch nicht dabei stehenbleiben kann, was ihm
seine Sinne iiber die Natur und iiber sich selbst sagen, dar-
iiber hat Aristoteles, den der grofie mittelalterliche Dichter
Dante den Meister derer nennt, die da wissen, folgende
schonen Worte gesprochen: «AUe Menschen verlangen von
Natur nach dem Wissen; ein Zeichen dessen ist ihre Liebe
zu den Sinneswahrnehmungen, die sie, auch abgesehen von
dem Nutzen, urn ihrer selbst willen lieben; insbesondere
die des Gesichts. Nicht blo£ des Handelns willen, sondern
auch ohne solche Absicht, zieht man das Sehen sozusagen
allem andern vor, weil dieser Sinn am meisten von alien
uns Kenntnisse bringt und viele Eigenschaften der Dinge
offenbart. Alle Tiere leben in ihren bildlichen Vorstellun-
gen und haben nur wenig Erfahrung; das menschliche Ge-
schlecht lebt dagegen auch in der Kunst und in dem ver-
niinftigen Denken.» Und Hegel hat den scheinbar selbstver-
standlichen, aber doch hochst wichtigen Satz besonders be-
tont: «Das Denken macht die Seele, womit auch das Tier
begabt ist, erst zum Geiste.» Der Mensch kann nicht an-
ders, als sich iiber die Welt und iiber sich selbst zahlreiche
Fragen vorlegen. Die Antworten, die er sich selbst, durch
sein Denken, auf diese Fragen gibt, machen die «Welt- und
Lebensanschauungen» aus. Trefflich hat Angelas Silesius,
ein deutscher Denker des 17, Jahrhunderts, gesagt, dafi die
Rose einfach blunt, weil sie bliiht; sie fragt nicht darnach,
warum sie bliiht. Der Mensch kann nicht so dahinleben. Er
mufi sich fragen, welchen Grund die Welt und er selbst ha-
ben. In erster Linie stellt natur gemafi der Mensch sein Den-
ken in den Dienst des praktischen Lebens. Er macht sich
Werkzeuge, Maschinen und Einrichtungen mit Hilfe des
Denkens, durch die er seine Bedurfnisse in vollkommene-
rer Weise befriedigen kann, als dem Tiere dies mit den sei-
nigen moglich ist. Aber in zweiter Linie will er durch sein
Denken etwas erreichen, was mit dem praktischen Nutzen
nichts zu tun hat; er will sich liber die Dinge aufklaren, er
will erkennen, wie die Tatsachen zusammenhangen, die
ihm im Leben begegnen. Die ersten Vorstellungen, die sich
der Mensch iiber den Zusammenhang der Dinge macht,
sind die religidsen. Er denkt sich, dafi die Ereignisse in der
Natur von ahnlichen Wesen gemacht werden, wie er selbst
eines ist. Nur stellt er sich diese Wesen machtiger vor, als er
selbst ist. Der Mensch schafft sich Gotter nach seinem Bil-
de. Wie er selbst seine Arbeit verrichtet, so stellt er sich
auch die Welt als eine Arbeit der Gotter vor. Aus den reli-
giosen Anschauungen heraus erwachsen aber allmahlich die
wissenschaftlichen. Der Mensch lernt die Natur und ihre
Krafte beobachten. Er kann sich dann nicht mehr damit be-
gniigen, sich diese Krafte so vorzustellen, als wenn sie ahn-
lich den menschlichen Kraften waren. Er schafft sich nicht
mehr einen Gott nach seinem Bilde, sondern er bildet sich
Gedanken iiber den Zusammenhang der Welterscheinun-
gen nach dem Bilde, das ihm die Beobachtung, die Wissen-
schaft liefert.
Daher entsteht eine denkende Weltbetrachtung inner-
halb der abendlandischen Kultur in der Zeit, in der die Na-
turwissenschaft zu einer gewissen Hohe gekommen ist. Die
ersten Manner der griechischen Kulturwelt, von denen uns
erne Weltanschauung iiberliefert ist, die nicht mehr in reli-
giosen Vorstellungen besteht, waren Naturforscher. Thales,
der erste grofie Denker, von dem uns Aristoteles erzahlt,
war ein fur seine Zeit bedeutender Naturforscher. Er hat
die Sonnenfinsternis, die am 28. Mai 585 v.Chr. eintrat,
wahrend sich das medische und lydische Heer am Halys-
flusse gegeniiberstanden, bereits vorausberechnen konnen.
Und auch sein Zeitgenosse Anaximander war ein grofier
Astronom.
Wenn in unserer Zeit die Pflege der «Welt- und Lebens-
anschauung», die als Philosophic an unseren Hochschulen
gelehrt wird, sich keines besonderen Ansehens erfreut, viel-
mehr als eine einseitige und fur das Leben entbehrliche
Schulgelehrsamkeit gehalten wird, so riihrt das davon her,
dafi die Philosophen der Gegenwart meistens den rechten
Zusammenhang mit den einzelnen Wissenschaften verlo-
ren haben. Wer eine «Welt- und Lebensanschauung» auf-
bauen will, kann nicht bei einer einzelnen Wissenschaft ste-
hen bleiben. Er mufi alle Erkenntnisse seiner Zeit, alles,
was wir uber die Natur- und Kulturentwickelung wissen,
in sich verarbeken. Alle anderen Wissenschaften sind fur
den Philosophen Handwerkszeug. Bei der groBen Menge,
zu der allmahlich die Erkenntnisse geworden sind, ist es
heute allerdings schwierig, eine umfassende «Welt- und Le-
bensanschauung» auszubilden. So kommt es, dafi die Leh-
rer der Welt- und Lebensanschauung oft sich mit Fragen
befassen, die nicht einem wahren Bediirfnisse des Men-
schen entspringen, sondern die ihnen ihr einseitiges, an ge-
wissen Uberlieferungen haftendes Denken vorlegt.
Eine wahrhafte «Welt- und Lebensanschauung» mufi sich
mit den Fragen beschaftigen, die sich in keiner einzelnen
Wissenschaft beantworten lassen. Denn jede einzelne Wis-
senschaft hat es mit einem bestimmten Gebiete der Natur
oder des Menschenlebens zu tun. Die «Welt- und Lebens-
auffassung» mufi einen Gedankenzusammenhang suchen in
dem, was alle einzelnen Wissenschaften uns an Erkenntnis-
sen darbieten. Die einzelne Wissenschaft kann auch nicht
jedermanns Sache sein. Dagegen hat die «Welt- und Lebens-
anschauung» fur alle Menschen Interesse. Nicht jeder kann
sie ausbauen, weil nicht jeder sich in alien Wissenschaften
umschauen kann. Aber wie es unzahliger Kenntnisse be-
darf, um einen Tisch zustande zu bringen, die sich nicht je-
der aneigenen kann, der einen Tisch braucht, so bedarf es
auch zum Ausbau einer «Weltanschauung» eines umfassen-
den Riistzeuges, das nicht jedermann zur Verfugung stehen
kann. Einen Tisch gebrauchen kann jeder, einen machen
kann nur, wer es gelernt hat. Welt- und Lebensanschauung
interessiert jeden; aufbauen und lehren kann und soli sie
nur der, welcher sich das Riistzeug dazu aus alien einzelnen
Wissenschaften holen kann. Die Wissenschaften sind nur
die Werkzeuge der Welt- und Lebensanschauungen.
Kant hat die Grundfragen, die in dem Menschen das Be-
diirfnis nach einer Weltanschauung erzeugen, folgenderma-
fien gestellt: «Was kann ich wissen? Was soli ich tun? Was
darf ich hoffen?» Goethe hat die Sache kiirzer und bedeuten-
der zum Ausdrucke gebracht, indem er sagte: «Kenne ich
mein Verhaltnis zu mir selbst und zur Aufienwelt, so heifi
ich's Wahrheit.» In der Tat will der Mensch durch eine
Welt- und Lebensanschauung nichts anderes erreichen, als
einen Aufschlufi dariiber, welchen Sinn sein eigenes Dasein
hat, und wie er mit der Natur, die aufier ihm ist, zusam-
menhangt.
Die altesten griechischen Denker, so erzahlt uns Aristote-
les, hielten die stofflichen Anfange fiir die alleinigen von al-
ien. Das, woraus alle Dinge bestehen, aus dem alles entsteht
und in das alles schliefilich wieder vergeht: dariiber dachten
sie nach. In der feuchten Erde entwickeln sich die Samen
der Lebewesen. Thales war Inselbewohner. Er sah, wie sich
im Meere unendliches Leben entwickelt. Der Gedanke lag
nahe, dafi das Wasser der Urstoff sei, aus dem sich alle Din-
ge entwickeln. So kam es, dafi der erste griechische Denker
das Wasser fiir den Grund aller Dinge erklarte. Aus Wasser,
sagt er, entstehe alles, und in Wasser verwandle sich alles.
Anaximander kam einen Schritt weiter. Er vertraute den
Sinnen nicht mehr so viel wie Thales. Das Wasser kann
man sehen. Aber alles, was man sehen kann, verwandelt
sich in anderes. So dachte Anaximander. Das Wasser kann
durch Gefrieren fest werden; es kann durch Verdunsten
dampfformig werden. Unter Dampf und Luft dachten sich
die Alten dasselbe. Ebenso nannten sie alles Feste Erde. Das
feste Wasser, die Erde, kann sich in Flussiges, dieses in Luft
verwandeln, sagte sich demnach Anaximander. Kein be-
stimmter Stoff ist daher etwas Bleibendes. Er suchte des-
halb den Urgrund auch nicht in einem bestimmten Stoff,
sondern in dem unbestimmten. Anaximenes nahm dann
wieder einen bestimmten Urstoff, namlich die Luft, an. Er
sagt: «Wie unsere Seele, die Luft ist, uns zusammenhalt, so
umfafk Hauch und Luft die ganze Welt.»
Eine viel hohere Stufe der Weltanschauung beschritt
Heraklit. Ihm drangte sich vor allem der ewige Wechsel
aller Dinge auf. Nichts bleibt, alles verwandelt sich. Nur
unsere Sinne tauschen uns, wenn sie uns sagen, dafi etwas
bleibt. Ich kann^nicht zweimal in denselben Flufi steigen.
Denn nur scheinbar ist es derselbe Flufi, in den ich das
zweite Mai steige. Das Wasser, aus dem doch der Flufi be-
steht, ist ein ganz anderes geworden. Und so ist es mit alien
Dingen. Der Baum von heute ist nicht der von gestern. An-
dere Safte sind in ihn eingezogen; vieles, was noch gestern
in ihm war, hat er mittlerweile ausgeschieden. In den Aus-
spruch: «Alles fliefk», faftt daher Heraklit seine Uberzeu-
gung zusammen. Deshalb wird ihm das unruhigste Ele-
ment, das Feuer, zum Bild alles Entstehens und Vergehens.
Von ganz anderen Gesichtspunkten ging Empedokles von
Agrigent aus. Seine Vorganger hatten nach einem einzelnen
Urstoffe gesucht. Er liefi vier Urstoffe als gleichbedeutend
nebeneinander gelten. Erde, Wasser, Luft, Feuer bestehen
von Anfang an nebeneinander. Keiner dieser Stoffe kann
sich in den andern verwandeln. Sie konnen sich nur in der
verschiedenartigsten Weise mischen. Und durch ihre
Mischung entstehen alle die verschiedenen Dinge in der
Natur. Empedokles glaubt also nicht mehr daran, daft ein
Ding wirklich entstehe und vergehe. Er glaubt, daft etwas
scheinbar entstehe, wenn zum Beispiel Wasser und Feuer
sich vermischen; und er glaubt, daft dasselbe Ding schein-
bar wieder vergehe, wenn Wasser und Feuer wieder ausein-
andertreten. Aristoteles erzahlt uns von Empedokles: «Sei-
ne vier Anfange sollen nach ihm immer beharren, ohne
Entstehen sein und sich in verschiedenen Verhaltnissen zu
einem Gegenstande verbinden oder daraus sondern.» Em-
pedokles nimmt Krafte an, die zwischen seinen vier Stoffen
herrschen. Zwei oder mehrere Stoffe verbinden sich, wenn
zwischen ihnen eine anziehende Kraft herrscht; sie trennen
sich, wenn eine abstoftende Kraft zwischen ihnen wirkt.
Diese anziehenden und abstoftenden Krafte konnen, nach
der Uberzeugung des Empedokles, nicht bloft die leblose
Natur aus den vier Stoffen aufbauen, sondern auch das gan-
ze Reich des Lebendigen. Er stellt sich vor, daft naturge-
maft, durch die Krafte, tierische und pflanzliche Korper
entstehen. Und weil keine verstandige Intelligenz dieses
Entstehen leitet, so entstehen, bunt durcheinander, zweck-
mafiige und unzweckmafiige lebendige Gestalten. Nur die
zweckmafiigen konnen aber bestehen; die unzweckmafii-
gen miissen von selbst zugrunde gehen. Dieser Gedanke
des Empedokles ist bereits demjenigen Darwins von dem
«Kampf urns Dasein» ahnlich. Darwin stellt sich audi vor,
dafi in der Natur Zweckmaftiges und Unzweckmafiiges
entstehen und die Welt nur deshalb als eine zweckmaftige
erscheine, weil im «Kampf urns Dasein» das Unzweckmafii-
ge fortwahrend unterliege, also zugrunde gehen mufi.
Anaxagoras, der Zeitgenosse des Empedokles, glaubte
nicht, wie dieser, die zweckmafiige Ordnung der Welt aus
dem blofien Wirken mechanischer Naturkrafte erklaren zu
konnen. Er nahm an, da£ eine geistige Wesenheit, ein allge-
meiner Weltverstand den Dingen ihr Dasein und ihre Ord-
nung gibt. Er stellte sich vor, dafi alles aus kleinsten Teilen,
den sogenannten Homoomerien, bestehe, die alle unterein-
ander verschiedene Eigenschaften haben. Der allgemeine
Weltverstand fiigt diese Ur-Teile zusammen, da£ sie zweck-
volle Dinge und, im Ganzen, ein harmonisch angeordnetes
Weltgebaude ergeben. Weil er an die Stelle der alten Volks-
gotter einen allgemeinen Weltverstand setzte, wurde Ana-
xagoras in Athen der Gottesleugnung angeklagt und mufite
nach Lampsakus fliehen. In Athen, wohin er sich von Kla-
zomena aus begeben hatte, stand er in Beziehungen zu
Perikles, Euripides und Themistokles.
Die kleinsten Teile, die Homoomerien, oder Samen aller
Dinge, welche Anaxagoras annahm, stellte er sich ganz ver-
schieden voneinander vor. An die Stelle dieser kleinsten
Teile setzte Demokrit solche, die sich durch nichts anderes
mehr unterschieden als durch Grofie, Gestalt, Lage und
Anordnung im Raume. In alien iibrigen Eigenschaften sol-
len die kleinsten Bestandteile der Dinge, die Atome, einan-
der gleich sein. Was in der Natur wirklich vorgeht, kann
nach dieser atomistischen Uberzeugung nichts anderes
sein, als dafi die Lage und Anordnung der kleinsten Korper-
teile sich andern. Wenn ein Korper seine Farbe andert, so
hat sich in Wirklichkeit die Anordnung seiner Atome gean-
dert. Aufier dem leeren Raum und den ihn erfullenden
Atomen gibt es nichts in der Welt. Es gibt keine Macht,
welche den Atomen ihre Ordnung verleiht. Diese sind in
fortwahrender Bewegung. Die einen bewegen sich langsa-
mer, die anderen schneller. Die schnelleren miissen mit den
langsameren in Beriihrung kommen. Dadurch ballen sich
Korper zusammen. Es entsteht also nichts durch einen Ver-
stand in der Welt oder durch eine allgemeine Vernunft,
sondern durch blinde Naturnotwendigkeit, die man auch
Zufall nennen kann. Es ist aus diesen Uberzeugungen her-
aus erklarlich, dafi die Anhanger Demokrits einen heftigen
Kampf gegen die alten Volksgotter fiihrten. Sie waren ent-
schiedene Gottesleugner oder Atheisten. Man mufi in
ihnen die Vorlaufer der materialistischen Weltanschau-
ungen spaterer Jahrhunderte sehen.
Von einer ganz anderen Seite als die bisher genannten
Denker suchten Parmenides und seine Anhanger den Welt-
erscheinungen beizukommen. Sie gingen davon aus, dafi
uns unsere Sinne kein treues, wahrhaftes Bild der Welt lie-
fern konnen. Heraklit hat aus dem Umstande, dafi sich al-
les ewig verwandelt, gerade den Schlufi gezogen, da£ es
nichts Bleibendes gibt, sondern dafi der ewige Flufi aller
Dinge dem wahren Sein entspricht. Parmenides sagte genau
umgekehrt: weil sich in der Aufienwelt alles verwandelt,
weil hier ewig alles entsteht und vergeht, deswegen konnen
wir das Wahre, das Bleibende nicht durch Beobachtung der
Aufienwelt gewinnen. Wir miissen das, was diese Auften-
welt uns darbietet, als Schein auffassen und konnen das
Ewige, das Bleibende nur durch das Denken selbst gewin-
nen. Die Aufienwelt ist ein Sinnentrug, ein Traum, der
ganz etwas anderes ist, als was uns die Sinne vorgaukeln.
Was dieser Traum wirklich ist, was sich ewig gleich bleibt,
das konnen wir merit durch Beobachtung der Auftenwelt
gewinnen, das offenbart sich uns durch das Denken. In der
Aufienwelt ist Vielfaltigkeit und Verschiedenheit; im Den-
ken enthullt sich uns das Ewig-Eine, das sich nicht andert,
das sich immer gleich bleibt. So spricht sich Parmenides in
seinem Lehrgedicht «Uber die Natur» aus. Wir haben es da
also mit einer Weltanschauung zu tun, welche die Wahr-
heit nicht aus den Dingen selbst holen will, sondern welche
den Urgrund der Welt aus dem Denken heraus zu spinnen
sucht. Wenn man sich klarmachen will, aus welcher
Grundempfindung eine solche Weltanschauung stammt, so
mu& man sich vor Augen halten, dafi oftmals das Denken
in der Tat die Wahrnehmungen der Sinne in der richtigen
Weise auslegen, erklaren mufi, um zu einem befriedigenden
Gedanken zu kommen. Wenn wir einen Stock ins Wasser
halten, so erscheint er dem Auge gebrochen. Das Denken
mufi nach den Griinden suchen, warum der Stab gebro-
chen erscheint. Wir bekommen also eine befriedigende
Vorstellung dieser Erscheinung nur dadurch, dafi unser
Denken die Wahrnehmung erklart. Wenn wir den Sternen-
himmel bloft mit den Sinnen betrachten, so konnen wir
uns keine andere Vorstellung machen, als diejenige, dafi die
Erde im Mittelpunkt der Welt stehe, und dafi sich Sonne,
Mond und alle Sterne um dieselbe bewegen. Erst durch das
Denken gewinnen wir eine andere Vorstellung. In diesem
Falle gibt uns sogar das Denken ein ganz anderes Bild als
die sinnliche Wahrnehmung. Man kann also wohl sagen,
dafi die Sinne uns in gewisser Beziehung tauschen. Aber die
Weltanschauung des Parmenides und seiner Anhanger ist
eine einseitige Ubertreibung dieser Tatsache. Denn wie uns
die Wahrnehmung gewisse Erscheinungen liefert, die uns
tauschen, so liefert sie uns auch wieder andere Tatsachen,
durch die wir die Tauschung richtigstellen konnen. Koper-
nikus ist nicht dadurch zu seiner Anschauung von der Be-
wegung der Himmelskorper gekommen, dafi er dieselbe
aus dem blofien Denken heraus gesponnen hat, sondern da-
durch, dafi er die eine Wahrnehmung mit anderen in Ein-
klang gebracht hat.
Im Gegensatz zu der Anschauung des Parmenides steht
eine andere altere Weltansicht. Sie geht nicht darauf aus, die
Zusammenhange in der Aufienwelt fur eine Tauschung an-
zusehen, sondern sie will gerade durch eine tiefere Beob-
achtung dieser Aufienwelt zu der Erkenntnis fiihren, dafi in
der Welt alles auf einer grofien Harmonie beruht, dafi in al-
ien Dingen Mafi und Zahl vorhanden ist. Diese Anschau-
ung ist die der Pythagoraer. Pythagoras lebte im 6. Jahrhun-
dert v.Chr. Aristoteles erzahlt von den Pythagoraer n, dafi
sie sich gleichzeitig mit den oben genannten Denkern und
auch noch vor ihnen der Mathematik zuwandten. «Sie
fuhrten zuerst diese fort und, indem sie ganz darin aufgin-
gen, hielten sie die Anfange in ihr auch fur die Anfange al-
ler Dinge. Da nun in dem Mathematischen die Zahlen von
Natur das erste sind, und sie in den Zahlen viel Ahnliches
mit den Dingen und dem Werdenden zu sehen glaubten,
und zwar in den Zahlen mehr als in dem Feuer, der Erde
und dem Wasser, so gait ihnen eine Eigenschaft der Zahlen
als die Gerechtigkeit, eine andere als die Seele und der
Geist, wieder eine andere als die Zeit, und so fort fur alles
ubrige. Sie fanden ferner in den Zahlen die Eigenschaften
und die Verhaltnisse der Harmonie, und so schien alles an-
dere seiner ganzen Natur nach Abbild der Zahlen und die
Zahlen das erste in der Natur zu sein.» Wer die Bedeutung
richtig zu wiirdigen weifi, welche Mafi und Zahl in der Na-
tur haben, wird es nicht verwunderlich finden, dafi eine
solche Weltanschauung, wie die pythagoraische, entstehen
konnte. Wenn eine Saite von bestimmter Lange angeschla-
gen wird, so entsteht ein gewisser Ton. Wird die Saite in
bestimmten Zahlenverhaltnissen verkiirzt, so entstehen
immer andere Tone. Man kann die Tonhohe durch Zahlen-
verhaltnisse ausdriicken. Die Physik driickt auch die
Farben in Zahlenverhaltnissen aus. Wenn sich zwei Korper
zu einem Stoffe verbinden, so geschieht das immer so, da£
sich durch Zahlen ausdruckbare Gewichtsmengen des
einen Korpers mit solchen des anderen Korpers verbinden.
Solche Beispiele davon, welche Rolle Zahl und Mafi in der
Natur spielen, lassen sich unzahlige anfuhren. Die pythago-
raische Weltanschauung bringt diese Tatsache in einer ein-
seitigen Weise zum Ausdruck, indem sie sagt: Mafi und
Zahl sind der Urgrund aller Dinge.
In alien bisher besprochenen Weltanschauungen schlum-
mert eine Frage. Sie kommt in ihnen nirgends zu einem
deutlichen Ausdrucke, weil die Denker offenbar der An-
sicht waren, dafi sie sich mit den anderen Fragen, die sie ge-
stellt haben, von selbst beantwortet. Es ist die Frage nach
dem Verhaltnis des Menschen zur Welt. Wenn Thales alle
Dinge aus dem Wasser entstanden glaubt, so denkt er sich
auch den Menschen aus demselben Quell entsprungen. He-
raklit war der Meinung, dafi der Mensch in dem ewigen
Flufi der Dinge mit alien anderen mitschwimme; und Ana-
xagoras dachte sich den Menschen durch seinen allgemei-
nen Weltverstand aus seinen Ur-Teilchen aufgebaut, wie
die Atomisten sich vorstellten, dafi der Zufall auch den
Menschen aus den Atomen zusammengefiigt habe. Bei Em-
pedokles taucht zuerst etwas von der Frage auf : In welchem
Verhaltnis steht der Mensch zu der librigen Natur? Wie
kann er die Dinge erkennen? Wie ist es ihm moglich, Vor-
stellungen von dem zu machen, was doch aufter ihm ist?
Empedokles gab die Antwort: Gleiches kann nur durch
Gleiches erkannt werden. - Weil der Mensch aus densel-
ben Stoffen und Kraften besteht wie die iibrige Natur, des-
halb kann er diese auch erkennen.
In ganz anderer Weise nahm eine Anzahl von Denkern
diese Frage in Angriff, die gewohnlich verkannt werden. Es
sind die Sophisten, deren bedeutendste Personlichkeit Pro-
tagoras von Abdera ist. Sie werden gewohnlich wie Men-
schen hingestellt, die mit dem Denken ein oberflachliches
Spiel, eine eitle Disputiersucht getrieben haben, und denen
aller Ernst zur Erforschung der Wahrheit gefehlt haben
soil. Viel hat zu der Meinung, die sich iiber die Sophisten
herausgebildet hat, die Art beigetragen, wie sie der reaktio-
nare Lustspieldichter Aristophanes in seinen Dramen ver-
spottet hat. Es mag sein, daft einzelne Sophisten die Kunst
des Disputierens ubertrieben haben, es mag auch sein, daft
unter ihnen manche waren, denen es nur um Haarspalterei-
en und um ein geckenhaftes Auftreten zu tun war: bei den
bedeutendsten von ihnen trifft das aber nicht zu, denn es
waren Manner unter ihnen, die sich durch ein umfassendes
Wissen auf den verschiedensten Gebieten auszeichneten.
Von Protagoras mufi das besonders betont werden, aber
auch von Gorgias wissen wir, daft er ein hervorragender Po-
litiker war, und von Prodicus riihmt dessen Schiller Sokrates
selbst, daft er ein ausgezeichneter Gelehrter war, der sich
die Veredlung der Sprache bei seinen Zoglingen besonders
angelegen sein lieft.
Seine Grundanschauung spricht Protagoras in dem Satze
aus: «Der Mensch ist das Maft aller Dinge, der seienden, daft
sie sind, der nicht seienden, daft sie nicht sind.» Was kann
dieser Satz bedeuten? Man kann sagen wie Parmenides: un-
sere Sinne tauschen uns. Und man konnte noch weiter ge-
hen als dieser und sagen: vielleicht tauscht uns auch unser
Denken, Protagoras wiirde antworten: was geht es den
Menschen an, ob die Welt aufter ihm anders ist, als er sie
wahrnimmt und denkt. Stellt er denn die Welt fur jemand
anderen und nicht fiir sich vor? Mag sie fur ein anderes We-
sen sein wie immer: er hat sich darum nicht zu sorgen. Sei-
ne Vorstellungen sollen ja nur ihm dienen; er soli sich mit
ihrer Hilfe in der Welt zurechtfinden. Der Mensch kann
gar keine anderen Vorstellungen iiber die Welt wollen, als
diejenigen, die ihm dienen. Was auch noch immer in der
Welt ist: wenn der Mensch es nicht wahrnimmt, kann es
ihn nicht kiimmern. Fiir ihn ist da, was er wahrnimmt; und
es ist fur ihn nicht da, was er nicht wahrnimmt. Das heiftt
aber eben: der Mensch milk die Dinge mit dem Mafte, das
ihm seine Sinne und seine Vernunft an die Hand geben.
Protagoras gibt durch seine Anschauung dem Menschen
eine feste Stellung und Sicherheit in der Welt. Er befreit ihn
von unzahligen bangen Fragen, die er nur aufwirft, weil er
sich nicht getraut, die Dinge nach sich zu beurteilen.
Man darf sagen, daft durch die Sophistik der Mensch in
den Mittelpunkt der Weltbetrachtung geriickt wird. Daft
dies zur Zeit des Protagoras geschah, das hangt mit der Ent-
wickelung der offenthchen Zustande in Griechenland zu-
sammen. Das soziale Gefuge der griechischen Staatsverban-
de hatte sich gelockert. Das hat ja seinen bedeutsamsten
Ausdruck in den Peloponnesischen Kriegen, 431-404
v.Chr., gefunden. Vorher war der einzelne fest in die sozia-
len Zusammenhange eingeschlossen; die Gemeinwesen und
die Tradition gaben ihm den Maftstab fur all sein Handeln
und Denken ab. Die einzelne Personlichkeit hatte nur als
Glied eines Ganzen Wert und Bedeutung. Unter solchen
Verhaltnissen hatte unmoglich die Frage gestellt werden
konnen: Was ist der einzelne Mensch wert? Die Sophistik
ist ein ungeheurer Fortschritt nach der griechischen Auf-
klarung zu. Der Mensch konnte nunmehr daran denken,
sein Leben nach seiner Vernunft einzurichten. Die Sophi-
sten zogen als Tugendlehrer im Lande herum. Wenn man
die Tugend lehren will, so mu£ man der Uberzeugung sein,
daft nicht die hergebrachten sittlichen Anschauungen maft-
gebend seien, sondern daft der Mensch durch eigenes Nach-
denken die Tugend erkennen konne.
In solchen Vorstelhingen von der Tugend lebte auch So-
krates. Man mufi ihn durchaus als einen Schiiler der Sophi-
stik ansehen. Man weift wenig uber ihn. Die Berichte iiber
das, was er gelehrt hat, sind zweifelhaft. Klar aber ist, daft
er in erster Linie Tugendlehrer war, wie die Sophisten.
Und sicher ist auch, daft er durch die Art, wie er gelehrt
hat, hinreiftend gewirkt hat. Sein Lehren bestand darin, daft
er im Gesprach das aus dem Zuhorer selbst herauszulocken
suchte, was er als das Richtige anerkannte. Der Ausdruck
«geistige Hebammenkunst» ist in bezug auf seine Lehren
bekannt. Er wollte in den Geist des Schiilers nichts von au-
ften hineinbringen. Er war der Ansicht, daft die Wahrheit
in jedem Menschen gelegen sei, und daft man nur Hilfe zu
leisten brauche, damit diese Wahrheit zutage trete. Faftt
man das ins Auge, so zeigt sich, daft Sokrates der Vernunft
in jedem einzelnen Menschen zu ihrem hochsten Rechte
verhalf. Er brachte den Schiiler immer dahin, daft dieser
sich von einer Sache den rechten Begriff machen konne. Er
ging von den Erfahrungen des alltaglichen Lebens aus. Man
kann betrachten, was zum Beispiel Tugend bei dem Hand-
werker, was Tugend bei dem Kaufmann, was Tugend bei
dem Gelehrten ist. Man wird finden, daft alle diese ver-
schiedenen Arten des tugendhaften Lebens etwas Gemein-
sames haben. Dieses Gemeinsame ist eben der Begriff der
Tugend. Wenn man mit seinem Denken so vorgeht, so be-
folgt man das sogenannte induktive Verfahren. Man sam-
melt die einzelnen Erfahrungen, um einen Begriff von einer
Sache zu erhalten. Wenn man diesen Begriff hat, so kann
man die Sache definieren. Man hat die Definition der
Sache. Ein Saugetier ist ein lebendiges Wesen mit einer
Wirbelsaule, das lebendige Junge zur Welt bringt. Dies ist
die Definition des Saugetieres. Sie gibt das Merkmal — Ge-
baren von lebendigen Jungen - an, welches alien Saugetie-
ren gemeinsam ist. So wirkte Sokrates als Lehrer eines
scharfen, klaren Denkens. Das ist sein grofies Verdienst. -
Der romische Redner Cicero hat von Sokrates gesagt, dafi
er die Philosophic vom Himmel auf die Erde herabgeholt
habe. Damit ist gemeint, dafi dieser seine Betrachtungen
vorzuglich iiber den Menschen selbst angestellt habe. Wie
der Mensch leben solle, das lag ihm vor alien Dingen am
Herzen. Deshalb sehen wir nun in Griechenland, dafi dieje-
nigen, die sich um eine Weltanschauung bemiihen, immer
auch darnach fragen, welche sittlichen Ziele sich der
Mensch stellen solle.
Das tritt uns gleich bei den nachsten Nachfolgern des So-
krates entgegen. Die Kyniker, deren hauptsachlichste Per-
sonlichkeit Diogenes von Sinope ist, beschaftigen sich mit
der Frage nach einem naturgemafien Leben. Wie soil der
Mensch leben, damit sein Leben dem nicht widerspricht,
was die Natur an Anlagen und Fahigkeiten in ihn gelegt
hat? Die Kyniker wollten alles Verkiinstelte, Unnatiirliche
aus dem Leben entfernen. DafS ihnen vor allem die grofite
Einfachheit als das Beste erschien, ist erklarlich. Natiirlich
ist, was alien Menschen ein gemeinsames Bedurfnis ist. Der
Proletarier kam in dieser Lebensauffassung zu seinem
Recht. Man kann sich daher denken, dafi den sogenannten
hoheren Standen diese Philosophic wenig gefiel. Was die
Kyniker forderten, stimmte ja mit den kiinstiich geschaffe-
nen Bediirfnissen nicht iiberein. Wahrend urspriinglich der
Name Kyniker nur von der Lehranstalt - Kynosarges -
herriihrte, wo die Kyniker Unterricht gaben, bekam er spa-
ter einen verachtlichen Beigeschmack. Neben den Kyni-
kern wirkten die Kyrenaiker und die Megariker. Auch sie
waren vor allem auf das praktische Leben bedacht. Die Ky-
renaiker suchten der Lust zu ihrem Rechte zu verhelfen.
Die Lust entspricht der Natur des Menschen. Die Tugend
kann nicht darin bestehen, daft man die Lust in sich ausrot-
tet, sondern darin, daft man sich nicht zum Sklaven der
Lust macht. Wer nach Lust strebt, aber immer so, daft er
Herr seiner Liiste bleibt, der ist tugendhaft. Nur wer zum
Sklaven seiner Leidenschaften wird, ist tugendlos.
Die Megariker hielten fest an dem Satze des Sokrates, daft
die Tugend lehrbar sei, daft also die Vervollkommmmg des
Denkens auch tugendhafter machen muft. Der wichtigste
Vertreter der megarischen Lehre ist Euklides, Ihm war das
Gute ein Ausfluft der hochsten Weisheit. Deshalb war es
ihm in erster Linie um Erlangung der Weisheit zu tun.
Und aus dieser seiner Schatzung der Weisheit wird ihm
wohl der Gedanke erwachsen sein, daft die Weisheit selbst
der Urquell der Welt sei. Wenn - so dachte er - der
Mensch sich durch sein Denken zu Begriffen erhebt, so er-
hebt er sich zugleich zu den Urspriingen der Dinge. Mit
Euklid nimmt die Weltanschauung eine entschieden ideali-
stische Farbung an. Man muft sich den Gedankengang des
Euklid etwa so vorstellen: Es gibt viele Lowen. Die Stoffe,
aus denen diese bestehen, bleiben nicht zusammen. Der
einzelne Lowe entsteht und vergeht. Er nimmt Stoffe aus
der Auftenwelt auf und gibt sie wieder an diese ab. Das, was
ich mit den Sinnen wahrnehme, das ist das Stoffliche. Was
an den Dingen sinnlich wahrnehmbar ist, entsteht also und
vergeht. Dennoch hat ein Lowe, der vor hundert Jahren ge-
lebt hat, mit einem Lowen, der heute lebt, etwas Gemeinsa-
mes. Die Stoffe konnen es nicht sein. Es kann nur der Be-
griff, die Idee des Lowen sein, die ich durch mein Denken
erfasse. Der Lowe von heute und der Lowe vor hundert
Jahren sind nach derselben Idee aufgebaut. Das Sinnliche
vergeht; die Idee bleibt. Die Ideen verkorpern sich in der
Sinnenwelt immer aufs neue.
Ein Schiiler des Euklides war Plato. Er hat die Vorstel-
lung seines Lehrers von der Ewigkeit der Ideen zu seiner
Grunduberzeugung gemacht. Die Sinnenwelt hat nur einen
untergeordneten Wert fur ihn. Das Wahre sind die Ideen.
Wer blofi auf die Dinge der Sinnenwelt sieht, hat nur ein
Scheinbild, ein Trugbild der wahren Welt. Platos Uberzeu-
gung ist scharf in folgenden Worten zum Ausdruck ge-
bracht: Die Dinge dieser Welt, die wir mit den Sinnen
wahrnehmen, haben kein wahres Sein; sie bleiben nicht.
Man kann ihr ganzes Sein ebensogut ein Nichtsein nennen.
Wer nach dem Wahren strebt, kann sich folglich mit den
Dingen der Sinnenwelt nicht begniigen. Denn das Wahre
kann nur daher kommen, wo das Bleibende ist. Wenn man
sich blofi auf die sinnliche Wahrnehmung beschrankt,
gleicht man einem Menschen, der in einer finsteren Hohle
festgebunden sitzt, so dafi er nicht einmal den Kopf drehen
kann, und der nichts sieht, als beim Lichte einer hinter ihm
brennenden Lampe die Schattenbilder der Dinge hinter
ihm und auch seinen eigenen Schatten. Die Ideen sind zu
vergleichen mit den wirklichen, wahren Dingen, und die
Schatten mit den Dingen der Sinnenwelt. Auch von sich
selbst erkennt derjenige, der sich auf die Sinnenwelt be-
schrankt, nur einen Schatten. Der Baum, den ich sehe, der
Blutenduft, den ich atme: sie sind nur Schattenbilder. Erst,
wenn ich mich durch mein Denken zu der Idee des Baumes
erhebe, habe ich das, was wahrhaft bleibend und nicht ein
vergangliches Trugbild von dem Baume ist.
Man mufS nun die Frage aufwerfen: wie denkt sich Plato
das Verhaltnis seiner Ideenwelt zu den Gottesvorstellungen
der Griechen? Dieses Verhaltnis ist aus Platos Schriften kei-
neswegs mit vollkommener Klarheit festzustellen. Er
spricht wiederholt von aufierweltlichen Gottern. Doch
kann man der Meinung sein, dafi er sich mit solchen Aus-
spriichen blofi an die griechische Volksreligion anlehnen
wollte; und man wird nicht fehlgehen, wenn man seine
Gotterbezeichnungen nur als bildliche Verdeutlichungen
auffafk. Was Plato selbst als Gottheit auffafit, das ist eine
erste bewegende Ursache der Welt. Man mufi sich, im Sin-
ne Platos, vorstellen, dafi die Welt aus den Ideen und der
Urmaterie besteht. Die Ideen verkorpern sich in der Urma-
terie fortwahrend. Und den Anstofi zu dieser Verkorpe-
rung gibt Gott, als der Urgrund aller Bewegung. Gott ist
fur Plato zugleich das Gute. Dadurch erhalt die Welt einen
grofien einheitHchen Zweck. Das Gute bewegt alles Sein
und Geschehen. Die hochsten Weltgesetze stellen also eine
moralische Weltordnung dar.
Plato hat seine Weltanschauung in Gesprachsform nie-
dergeschrieben. Seine Darstellungsform bildete in der gan-
zen Folgezeit einen Gegenstand der Bewunderung inner-
halb der abendlandischen Kulturentwickelung. - Plato
stammt aus einem altadeligen Geschlecht in Athen. Aus Be-
richten wissen wir, dafi er ein zur Schwarmerei geneigter
Kopf war. Er wurde der treueste und verstandnisvollste
Schiiler des Sokrates, der an dem Meister mit unbedingter
Verehrung hing. Nach der Hinrichtung seines Lehrers be-
gab er sich nach Megara zu Euklides. Spater unternimmt er
grofie Reisen nach Cyrene, Agypten, Grofigriechenland -
d. i. Siiditalien - und Sizilien. Im Jahre 389 v.Chr. kehrte
er nach Athen zuriick. Doch unternahm er noch eine
zweite und dritte Reise nach Sizilien. Nach der Riickkehr
von seiner ersten sizilischen Reise griindete er in Athen sei-
ne Schule, aus der viele der bedeutenden Manner jener Zeit
hervorgingen. In Platos Schriften kann man eine allmahli-
che Wandlung der Anschauungen beobachten. Er nimmt
Vorstellungen an, die er bei anderen findet. In seinen er-
sten Schriften steht er ganz auf dem Standpunkte, den er
sich als Schiiler des Sokrates ausgebildet hat. Spater erlangt
Euklides starken Einflufi auf ihn, und bei seinem Aufent-
halte in Sizilien lernt er die Pythagoraer kennen. In Agyp-
ten eignet er sich verschiedene morgenlandische Gedanken
an. So kommt es, dafi seine Weltanschauung in seinen
Schriften nicht so erscheint, daft sie wie aus einem Gusse
ist. Er verleibt spater Vorstellungen, die er findet, seinen
urspriinglichen Anschauungen ein. Wir diirfen zu diesen
seine Seelenwanderungslehre rechnen. Die Seele ist schon
vor dem Korper vorhanden. Ja, ihre Verkorperung, das
heifit ihre Verbindung mit der Materie, wird als eine Art
Strafe angesehen, die sie fur eine im vorweltlichen Sein zu-
gezogene Schuld zu erleiden hat. Aber die Seele verkorpert
sich nicht nur einmal, sondern wiederholt. Plato bringt
diese Ansicht mit der allgemeinen Gerechtigkeit der Welt
zusammen. Ware mit einem Leben alles zu Ende, so ware
der Gute im Nachteil gegeniiber dem Schlechten. Es mufi
vielmehr das Bose, das die Seele in dem einen Leben veriibt
hat, in einem anderen gebufk werden. Erst wenn alle
Schuld in den verschiedenen Leben ihre Suhne gefunden
hat, kehrt die Seele in das Ideenreich zuriick, aus dem sie
stammt.
In ihrer Verbindung mit dem Korper bildet die Seele des
Menschen keine Einheit. Sie zerfallt in drei Teilseelen. Die
unterste Seele ist die des sinnlichen Lebens; sie hat den Er-
nahrungs- und Fortpflanzungstrieb zu besorgen. Die mitt-
lere Seele bezeichnet Plato als die Willenskraft im Men-
schen. Auf ihr beruht der personliche Mut, die Tapferkeit.
Und die hochste Seele ist die rein geistige. Sie hat die hoch-
ste Erkenntnis zu besorgen. Sie ist im Ideenreich heimisch.
Sie ist der eigentliche unsterbliche Teil der Menschenseele.
Seine Unsterblichkeitsgedanken bringt Plato in Zusam-
menhang mit der Vorstellung des Sokrates, dafi das Lehren
nur in einer Art Hebammenkunst bestehe. Wenn das so ist,
dann miissen alle Gedanken, die in dem Menschen erweckt
werden, schon in ihm liegen. Sie liegen in ihm, weil er sie
auch schon vor seiner Geburt, da ja auch schon die Seele
vorhanden war, gehabt hat. Er erinnert sich also im Leben
nur an die Gedanken, die ihm vor seiner Geburt schon ei-
gen waren.
Mit Platos Seelenlehre hangt wieder seine Ansicht von
dem Staate zusammen. Auch der Staat ist die Verkorperung
einer Idee. Und er ist eine solche Verkorperung nach dem
Bilde der menschlichen Natur, wenn er vollkommen ist.
Die einzelnen Seelenkrafte sind im Staate durch die ver-
schiedenen Stande dargestellt. Die oberste Seele stellen die
Regierenden dar, die mittlere Seele findet in den Wachtern,
welche fur die Verteidigung da sind, und die unterste Seele
in den Handwerkern ihr Ebenbild. Der platonische Staat
ist ein kommunistischer Staat, aber mit einer streng aristo-
kratischen Standegliederung. Fur die beiden oberen Stande
empfiehlt Plato die Ehe- und Besitzlosigkeit. Es soli kloster-
liche Gemeinschaft und Guterkommunismus herrschen.
Die gesamte Jugenderziehung, mit Ausnahme der von der
Familie zu besorgenden ersten leiblichen Kinderpflege, soli
Aufgabe des Staates sein.
Platos bedeutendster Schuler ist Aristoteles von Stagira in
Thrakien. Er wurde mit achtzehn Jahren Platos Zogling.
Aber er war ein Schuler, der bald seine eigenen Wege ging.
Im Jahre 343 wurde Aristoteles Erzieher Alexanders, des
Sohnes Konig Philipps von Mazedonien. Als Alexander sei-
ne asiatischen Eroberungsziige unternahm, ging Aristoteles
wieder nach Athen und eroffnete dort eine Schule.
Das Verhaltnis der Weltanschauung des Aristoteles zu
derjenigen Platos kann man durch folgenden Vergleich ver-
anschaulichen. Platos Ideen sind der Materie, in der sie sich
verkorpern, ganz fremd. Sie sind wie die Idee zu dem
Kunstwerk, die im Kopfe des Kiinstlers lebt, und die er in
seinen Stoff hineinbildet. Dieser Stoff, der Marmor einer
Statue, ist etwas ganz Fremdes zur Idee des Kiinstlers. So
denkt sich nun Aristoteles das Verhaltnis der Ideen zur Ma-
terie nicht. Fur ihn liegt die Idee in der Materie selbst. Es
ist, wie wenn ein Kunstwerk nicht vom Kiinstler seine Idee
eingepragt erhielte, sondern wie wenn es von selbst sich sei-
ne Gestalt durch eine dem Stoff innewohnende Kraft gabe.
Aristoteles nennt die dem Stoff eingeborenen Ideen die
Formen der Dinge. Es gibt also, im Sinne des Aristoteles,
keine vom Stoffe getrennte Idee des Lowen zum Beispiel.
Diese Idee liegt im Stoffe selbst. Es gibt, nach Aristoteles,
keine Materie ohne Form und keine Form ohne Materie.
Ein Lebewesen entwickelt sich vom Keim im Mutterleibe
bis zu seiner ausgebildeten Gestalt, weil die Form in dem
Lebensstoffe tatig ist und wie eine ihm eingeborene Kraft
wirkt. In der ersten Anlage eines Lebewesens ist diese Kraft
oder Form schon vorhanden; nur ist sie da noch aufierlich
nicht sichtbar; sie schlummert gleichsam noch. Aber sie ar-
beitet sich heraus, so daft der Stoff die Gestalt annimmt, die
als schlummernde Kraft schon anfangs in ihm liegt. Im An-
fange der Dinge gab es nur aufierliche formlose Materie.
Die Kraft oder der Stoff schlummerte noch ganz in dersel-
ben. Es war ein Chaos vorhanden mit einer unermefilichen
in ihm schlafenden Kraft. Um diese Kraft zu erwecken, da-
mit sich das Chaos zu der mannigfaltigen Welt der Dinge
bilde, war ein erster Anstofi notwendig. Deshalb nimmt
Aristoteles einen ersten Beweger der Welt, eine gottliche
Weltursache an.
Wenn die Idee oder, wie Aristoteles sich ausdriickt, die
Form in jedem Dinge selbst liegt, so kann man nicht, wie
Plato meint, die Dinge als blofie Trugbilder und Schatten
ansehen und sich mit seinem Denken in eine ganz andere
Welt erheben, falls man das Wahre erlangen will, sondern
man mufi sich vielmehr gerade an die sinnlichen Dinge
selbst wenden und das in ihnen liegende Wesen an den Tag
bringen. Die denkende Beobachtung selbst gibt also Auf-
klarung iiber die Welt. Weil Aristoteles davon uberzeugt
war, deshalb wandte er seine Aufmerksamkeit vor allem
der Beobachtung zu. Er ist dadurch ein Bahnbrecher der
Wissenschaften geworden. Er hat die einzelnen Naturwis-
senschaften gepflegt in einer so umfassenden Weise, wie es
fur seine Zek nur irgend moglich war. Er ist der anerkann-
te «Vater der Naturgeschichte». Von ihm liegen zum Bei-
spiel feine und geistvolle Untersuchungen iiber die Ent-
wickelung der Lebewesen von dem Keimzustande an vor.
Solche Untersuchungen hingen mit seinen Weltanschau-
ungsgedanken auf das naturlichste zusammen. Er mufite ja
der Ansicht sein, daft zum Beispiel im Ei schon das ganze
Lebewesen vorhanden sei, nur noch nicht auf aufierlich
sichtbare Art. Er sagt sich: wenn aus dem Ei ein Lebewe-
sen entsteht, dann mufi es dieses Lebewesen selbst sein, das
sich in dem Ei zum Dasein herausarbeitet. Sehen wir ein
Ei an, so hat es im Grunde eine doppelte Wesenheit. Es ist
erstens so, wie es unseren Augen erscheint. Aber es hat
noch eine unsichtbare Wesenheit, die erst spater zum Vor-
schein kommen wird, wenn es ein ausgebildeter Vogel sein
wird.
Diese Anschauung fiihrt Aristoteles fur die ganze Natur
durch. Nur vor dem Menschen macht er halt. Im menschli-
chen Ei ist auch schon der ganze Mensch, sogar auch die
Seele, insofern diese niedrige Verrichtungen vollzieht, die
auch das Tier ausfiihren kann. Anders soli es aber mit dem
Geiste des Menschen sein, der die hoheren Tatigkeiten des
Denkens ausfiihrt. Dieser Geist ist noch nicht in dem
menschlichen Keime. Wenn der Keim sich selbst iiberlas-
sen bliebe, so konnte er es bloft bis zu einem tierischen We-
sen bringen. Ein denkender Geist entstande nicht. Damit
ein solcher werden kann, mufi in dem Augenblicke, wo die
rein tierische Entwickelung des Menschen weit genug vor-
geschritten ist, eine hohere Schopferkraft eintreten und den
Geist in den Leib hineinschaffen. In der menschlichen Ent-
wickelung geschieht alles auf naturliche Weise bis zu einem
bestimmten Augenblicke, namlich bis dahin, wo der Leib
so weit ist, dafi er den Geist beherbergen kann. Dann,
wenn das eingetreten ist, wenn durch naturliche Entwicke-
lung der Leib so weit gediehen ist, dafi er alle notwendigen
Organe hat, die der Geist zu seinen Zwecken braucht, dann
wird der Geist in seine leibliche Wohnstatte hineingeschaf-
fen. So denkt sich Aristoteles, dafi die Geistseele des Men-
schen in der Zeit entstanden ist; aber er lafit sie nicht durch
dieselben Krafte entstehen, durch die der Leib entsteht,
sondern durch einen hoheren Einflufi. Zu betonen ist je-
doch, dafi die Organe, deren sich der Geist bedient, durch
die Entwickelung des Leibes entstanden sind. Wenn also
sich der Geist des Auges bedient, um sich iiber das Gesehe-
ne Gedanken zu machen, so kann er das nur innerhalb des
Leibes, der ihm ein Auge zuerst entwickelt hat. Deshalb
kann Aristoteles auch nicht in dem Sinne von einer Un-
sterblichkeit sprechen, dafi nach dem Tode der Geist in
demselben Sinne fortbestehe, wie er vor dem Tode ist.
Denn durch den Tod gehen seine Organe zugrunde. Er
kann nicht mehr wahrnehmen. Er steht mit der Welt in
keinem Zusammenhange mehr. Man darf also nicht be-
haupten, dafi sich Aristoteles die Unsterblichkeit so vor-
stelle, als wenn der Geist seinen Leib wie ein irdisches Ge-
fangnis verlasse und mit den Eigenschaften weiter existiere,
die man an ihm kennt, Es werden ihm vielmehr alle die Ei-
genschaften entzogen, die er in seinem irdischen Dasein
hat. Er fuhrt also dann in der Tat eine Art Schattendasein
wie etwa die griechischen Helden in der Unterwelt. Und
von diesem Leben in der Unterwelt tut ja Achilleus den be-
riihmten Ausspruch: «Lieber ein Tagelohner im Lichte der
Sonne, als ein Konig iiber die Schatten.»
Bei einer solchen Ansicht von dem Geiste mufke Aristo-
teles auch das sittliche Handeln als ein solches ansehen, das
dieser Geist mit Hilfe der tierischen Seele ausiibt. Der tieri-
sche Teil der Seele ist ja auf natiirlichem Wege entstanden.
Wenn dieser Teil allein handelt, wenn also der Mensch sei-
nen tierischen Trieben und Leidenschaften allein folgt,
dann kann er kein tugendhafter Mensch sein. Er wird es
erst, wenn der Geist sich der tierischen Triebe und Leiden-
schaften bemachtigt und ihnen das rechte Maft gibt. Die tie-
rische Wesenheit des Menschen wiirde in alien Dingen ent-
weder zuviel oder zuwenig tun. Der bloft seinen Leiden-
schaften folgende Mensch ist entweder tollkuhn oder feige.
Der Geist allein findet die rechte Mitte zwischen Tollkiihn-
heit und Feigheit, namlich die besonnene Tapferkeit.
In bezug auf den Staat bekennt sich Aristoteles zu der
Ansicht, dafi das Gemeinwesen den Bedurfnissen aller sei-
ner Angehorigen Rechnung tragen miisse. Es gehort zum
Wesen des Menschen, in einem Gemeinwesen zu leben.
Einer der Ausspriiche des Aristoteles ist: «Wer fiir sich al-
lein leben will, raufi entweder ein Gott oder ein Tier sein...
Der Mensch aber ist ein politisches Tier.» Eine fiir alle
Menschen richtige Staatsform nimmt Aristoteles nicht an,
sondern er findet in jedem einzelnen Falle diejenige Staats-
form fur die beste, die den Bedurfnissen des in Frage kom-
menden Volkes am besten entspricht. Jedenfalls aber legt er
dem Staate die Pflicht auf, fur das heranwachsende Ge-
schlecht zu sorgen. Die Erziehung ist ihm somit Staatssa-
che; und als Zweck der Erziehung erscheint ihm die Heran-
bildung zur Tugend.
Wer die griechische Kultur in ihrer Eigenart ganz verste-
hen will, der darf nicht vergessen, dafi sich diese Kultur auf
der Grundlage der Sklaverei aufbaute. Die Gebildeten in-
nerhalb des Griechentums konnten zu ihrer Bildungsform
nur dadurch gelangen, dafi ihnen die Moglichkeit dazu
durch das grofte Heer der Sklaven geboten wurde. Ohne
Sklaverei konnte sich auch der fortgeschrittenste Grieche
keine Kultur denken. Deshalb sieht selbst Aristoteles die
Sklaverei als eine Naturnotwendigkeit an. Er halt sie ein-
fach fiir selbstverstandlich, denn er glaubt, dafi viele Men-
schen durch ihr ganzes Wesen so beschaffen seien, dafi sie
zur vollen Freiheit gar nicht taugen. Nicht ubersehen darf
aber werden, dafi sich der Grieche das Wohl seiner Sklaven
angelegen sein liefi; und auch Aristoteles spricht von der
Verpflichtung des Herrn, fiir seine Sklaven gewissenhaft zu
sorgen und in ihnen die Menschenwiirde zu achten.
Aristoteles hat durch mehr als ein Jahrtausend die abend-
landische Bildung beherrscht. Viele Jahrhunderte hindurch
beschaftigte man sich nicht mit den Dingen der Natur
selbst, sondern mit den Meinungen des Aristoteles iiber
diese Dinge. Seinen Schriften wurde vollkommene Autori-
tat zugemessen. Alle Gelehrsamkeit bestand darin, die
Schriften des alten Weisen zu erklaren. Dazu kommt, daft
man lange Zeit hindurch diese Schriften nur in einer sehr
unvollkommenen und unzuverlassigen Gestalt hatte. Des-
halb galten die verschiedensten Meinungen als solche, wel-
che von Aristoteles herruhren sollten. Erst durch den
christlichen Philosophen Thomas von Aquino wurden die
Schriften des «Meisters derer, die da wissen» in einer Weise
hergestellt, daft man sagen konnte, man habe es mit einem
einigermaften zuverlaftlichen Text zu tun. Bis zum 12. Jahr-
hundert beschaftigte man sich aufterdem fast einzig und al-
lein mit einem Teil des aristotelischen Denkens, mit seinen
logischen Untersuchungen. Man mufi allerdings sagen, daft
Aristoteles auf diesem Gebiete ganz besonders bahnbre-
chend geworden ist. Er hat die Kunst, richtig zu denken,
das heiftt die Logik, in einer Weise begriindet, daft noch
Kant am Ende des 18. Jahrhunderts der Ansicht sein konn-
te, die Logik sei seit Aristoteles um keinen wesentlichen
Schritt vorwartsgekommen. Die Kunst, in der richtigen
Weise durch entsprechende Schliisse des Denkens aus einer
Wahrheit die andere abzuleiten, zu be weisen, hat Aristote-
les meisterhaft in ein System gebracht. Und da die Gelehr-
samkeit im Mittelalter weniger Interesse daran hatte, den
menschlichen Geist durch Naturbeobachtung zu erwei-
tern, sondern die Offenbarungswahrheiten durch logische
Beweise zu stiitzen, so muftte ihr an der Handhabung der
Denklehre besonders gelegen sein.
Was Aristoteles wirklich gelehrt hatte, das wurde bald
nach seinem Tode getriibt durch die Auslegungen, die seine
Nachfolger seinen Anschauungen gaben, und auch durch
andere Meinungen, die sich an die seinigen anschlossen.
Wir sehen in den nachsten Jahrhunderten nach Aristoteles
zunachst drei Weltanschauungen auftauchen, den Stoizis-
mus, den Epikureismus und den Skeptizismus.
Die stoische Schule stiftete Zeno von Kition auf Zypern,
der von 342-270 v.Chr. lebte. Die Schule hat ihren Namen
von der bunten Saulenhalle (Stoa) in Athen, wo ihre Lehrer
den Unterricht erteilten. Das offentliche Leben in Grie-
chenland war seit den Tagen der Sophisten einer noch star-
keren Lockerung verfallen. Der einzelne stand immer mehr
fur sich da. Die Privattugend trat immer mehr an die Stelle
der offentlichen in den Mittelpunkt des Denkens. Die Stoi-
ker sehen als das Hochste, was der Mensch erreichen kon-
ne, den vollkommenen Gleichmut im Leben an. Wer durch
seine Begierden, durch seine Leidenschaften in seelischen
Aufruhr versetzt werden kann, dem kann ein solcher
Gleichmut nicht zuteil werden. Er wird durch Lust und Be-
gierde dahin und dorthin getrieben, ohne daft er sich befrie-
digt fuhlen kann. Man soli es daher so weit bringen, daft
man von Lust und Begierde unabhangig ist und allein ein
solches Leben fuhrt, das durch weise Einsicht geregelt ist.
Die Welt dachten sich die Stoiker aus einer Art Urfeuer
entstanden. Sie waren der Ansicht, daft aus dem Feuer alles
hervorgegangen sei, und daft auch in das Feuer alles zuriick-
kehre. Dann erneuert sich wieder aus dem Feuer genau die-
selbe Welt, die schon da war. Die Welt besteht also nicht
einmal, sondern unzahlige Male in der ganz gleichen Weise.
Jeder einzelne Vorgang ist schon unendlich oft dagewesen
und wird unendlich oft wiederkehren. Es ist das die Lehre
von der ewigen Wiederkunft aller Dinge und Vorgange, die
in unseren Tagen Friedrich Nietzsche in genau derselben
Weise erneuert hat. Mit der Sittenlehre der Stoiker stimmt
eine solche Welterklarung in der besten Weise uberein.
Denn wenn alles schon dagewesen ist, dann kann der
Mensch nicht s Neues schaffen. Es ist daher naturlich, daft
er in dem Gleichmut gegeniiber allem, das auf jeden Fall
kommen muft, die hochste sittliche Weisheit sieht.
Die Epikureer sahen das Lebensziel in der Befriedigung,
die das Dasein dem Menschen gewahrt, wenn er die Lust
und das Gliick in einer vernunftgemafien Weise anstrebt.
Es ist unverniinftig, kleinlichen Geniissen nachzujagen,
denn diese miissen in den meisten Fallen zu Enttauschun-
gen, ja zum Ungliicke fiihren; aber es ist ebenso unvernunf-
tig, die edlen, hohen Geniisse zu verschmahen, denn sie
fiihren zu der dauernden Befriedigung, die das Lebensgliick
des Menschen bildet. Die ganze Naturanschauung Epikurs
tragt ein Geprage, dem man es ansieht, daft es sich ihr um
dauernde Befriedigung im Leben handelt. Es wird vor al-
lem auf eine richtige Ansieht von der Urteilskraft gesehen,
damit der Mensch sich durch sein Denken im Leben zu-
rechtfindet. Denn die Sinne tauschen uns nicht, nur unser
Denken kann uns tauschen. Wenn das Auge einen ins Was-
ser getauchten Stab gebrochen sieht, so tauscht uns das
Auge nicht. Die wirklichen Tatsachen sind so, daft der Stab
uns gebrochen erscheinen mufi. Die Tauschung entsteht
erst, wenn sich unser Denken ein falsches Urteil dariiber
bildet, wie es kommt, daft der Stab gebrochen erscheint.
Epikurs Ansieht fand am Ende des Altertums zahlreiche
Anhanger, namentlich die nach Bildung strebenden Romer
suchten in ihr Befriedigung. Der romische Dichter T. Lu-
cretius Cams hat ihr in seinem genialen Lehrgedicht «Uber
die Natur» einen formvollendeten Ausdruck gegeben.
Der Skeptizismus ist die Weltanschauung des Zweifels
und des Mifitrauens. Ihr erster bedeutsamster Bekenner ist
Pyrrho, der schon ein Zeitgenosse des Aristoteles war, da-
mals aber noch wenig Eindruck gemacht hat. Erst seine
Nachfolger fanden Anhanger fur ihre Meinung, dafi die Er-
kenntniskrafte des Menschen nicht ausreichen, um eine
Vorstellung von der wahren Wirklichkeit zu gewinnen. Sie
glaubten, man konne nur menschliche Meinungen iiber die
Dinge aufiern; ob sich die Dinge wirklich so verhielten, wie
uns unser Denken das mitteilt, dariiber liefie sich nichts
entscheiden.
Die mannigfaltigen Versuche, durch das Denken zu emer
Weltanschauung zu kommen, hatten zu so verschiedenarti-
gen, zum Teil einander widersprechenden Vorstellungen
gefuhrt, dafi man am Ende des Altertums zu einem Mifi-
trauen gegeniiber aller Sinneswahrnehmung und allem
Denken kam. Dazu kamen Vorstellungen, wie diejenigen
Platons, dafi die sinnliche Welt nur ein Traum- und Trug-
bild sei. Solche Vorstellungen verkmipften sich nun mit ge-
wissen morgenlandischen Gedanken, welche die Nichtig-
keit und Wertlosigkeit des Lebens predigten. Aus diesen
Einzelheiten baute sich in Alexandrien in den Jahrhunder-
ten des zu Ende gehenden Altertums der Neuplatonismus
auf. Als die wichtigsten Bekenner dieser Lehre sind Philo,
der zur Zeit Christi lebte und Plotin zu nennen. Philo zieht
aus der Lehre Platos die Konsequenzen fur das sittliche
Leben. 1st die Wirklichkeit ein Trugbild, dann kann die
Tugend nur in der Abkehr von dieser Wirklichkeit beste-
hen und in der Hinlenkung aller Gedanken und Empfin-
dungen zu der einzigen wahren Wirklichkeit liegen, die er
bei Gott suchte. Was Plato in der Ideenwelt gesucht hatte,
das glaubte Philo in dem Gott des Judentums zu finden.
Plotin sucht dann diesen Gott nicht durch das vernunftige
Erkennen zu erreichen, denn dieses kann sich nur auf das
Endliche, Vergangliche beziehen: er sucht zu dem ewigen
Urwesen durch innere Erleuchtung, durch ekstatisches
Versenken in die Tiefen der Seele zu kommen. Durch ein
solches Versenken kommt der Mensch zu dem Urwesen,
das sich in die Welt ausgegossen hat. Diese Welt ist nur ein
unvollkommener Ausflufi, ein Abfall von dem Urwesen.
2. Die Weltanschauungen des Mittelalters und der Neuzeit
Etwas ganz Neues tritt mit dem Christentum in der Welt-
anschauungs-Entwickelung des Abendlandes auf. Das ver-
niinftige Denken wird von einer ganz anderen Autoritat,
von der Offenbarung, in den Schatten gedrangt. Die Wahr-
heit kommt nicht aus dem Denken, sondern stammt von
einer hoheren Macht, die sie dem Menschen enthiillt hat:
das wird nunmehr die Uberzeugung. Es ist der Glaube an
Tatsachen von iiberirdischer Bedeutung und der Unglaube
gegeniiber der Vernunft, der das Wesen des Christentums
ausmacht. Die Bekenner der christlichen Lehre wollen
nicht an ihr Denken glauben, sondern an sinnenfallige Er-
eignisse, durch welche sich die Wahrheit kundgegeben
habe. «Was von Anfang her geschehen ist, was wir gehort,
was wir mit Augen gesehen haben, was wir selbst ge-
schauet, was unsere Hande beriihrt haben von dem Worte
des Lebens . . . was wir sahen und horten, melden wir Euch,
damit Ihr Gemeinschaft mit uns habt.» So heifk es in der
1. Epistel Johannis. Und Augustinus sagt: «Ich wiirde dem
Evangelium nicht glauben, wenn mich die Autoritat der
katholischen Kirche nicht dazu bewegte.» Was die Zeitge-
nossen Christi gesehen und gehort und was die Kirche als
solch Gehortes und Gesehenes durch Uberlieferung aufbe-
wahrt, das wird nun Wahrheit; nicht mehr das gilt als sol-
che, was der Mensch durch sein Denken erreicht.
Im Christentum treten uns einerseits die religiose Gedan-
kenwelt des Judentums, andererseits die Vorstellungen der
griechischen Weltanschauung entgegen. Die Religion des
Judentums war ursprunglich eine national-egoistische.
Gott hat sein Volk auserwahlt zur irdischen Macht und
Herrlichkeit. Aber dieses Volk hatte die bittersten Enttau-
schungen erleben mussen. Es war in die Gefangenschaft
und Untertanigkeit anderer Volker gekommen. Seine Mes-
siashoffnungen gingen daraus hervor, dafi es Erlosung aus
seiner Schmach und Erniedrigung von seinem Gotte erwar-
tete. Diese Erniedrigung schrieb man der eigenen Sundhaf-
tigkeit zu. Hier dringen Vorstellungen ein von einer Ab-
kehr vom Leben, das zur Siindhaftigkeit gefiihrt hat. Man
solle sich nicht an dieses Leben hangen, das ja zur Siinde
fuhrt; man solle vielmehr zu Gott sich wenden, der bald
sein Reich auf diese Erde bringen und die Menschen aus der
Schmach befreien wird. Von solchen Vorstellungen war Je-
sus ganz erfiillt. Zu den Armen und Bedriickten wollte er
sprechen, nicht zu denen, welche an den Schatzen dieses
Lebens hangen. Das Himmelreich, das bald kommt, wird
denen gehoren, die vorher im Elend gelebt haben. Und Je-
sus stellte sich das Himmelreich in zeitlicher Nahe vor.
Nicht auf ein geistiges Jenseits verwies er die Menschen,
sondern darauf, dafi in der Zeit, und zwar bald, der Herr
kommen und den Menschen die Herrlichkeit bringen wer-
de. Schon durch Paulus, noch mehr durch die Glaubensleh-
rer der ersten christlichen Jahrhunderte trat an die Stelle
des naiven Glaubens eine Verbindung der Lehren Christi
mit den Vorstellungen der spateren griechischen Philoso-
phen. Das zeitlich nahe Himmelreich wurde so zum Jen-
seits. Der Christenglaube wurde mit Hilfe griechischer
Weltanschauungsgedanken umgedeutet. Aus dieser Um-
deutung, aus dieser Zusammenarbeitung von ursprunglich
naiven Vorstellungen mit den iiberlieferten Anschauungen
entwickelte sich im Laufe der Zeken der dogmatische In-
halt der christlichen Lehre. Das Denken trat ganz in den
Dienst des Glaubens, es wurde der Diener der Offenba-
rung. Das ganze Mittelalter arbeitet daran, mit Hilfe des
Denkens die Offenbarung zu stiitzen. Wie in den ersten
Jahrhunderten Denken und Offenbarung ineinanderarbei-
ten, davon gibt der Kirchenvater Augustinus ein Zeugnis;
wie das in der spateren Zeit in der Kirche geschah, Thomas
von Aquino. Augustinus sagt sich: Wenn wir auch zweifeln:
die eine Tatsache bleibt doch bestehen, dafi das Denken,
der denkende Mensch selbst da sein mufi; sonst konnte er ja
nicht zweifeln. Wenn ich zweifle, so denke ich; also bin
ich, ist meine Vernunft da. Und in der Vernunft offenbaren
sich mir gewisse Wahrheiten. Aber meine Vernunft er-
kennt niemals alle Wahrheit, sondern immer nur einzelne
Wahrheiten. Diese einzelnen Wahrheiten konnen nur von
dem Wesen herstammen, bei dem alle Wahrheit ist, von
Gott. Es mufi also eine gottliche Wesenheit geben. Meine
Vernunft beweist mir das. Meine Vernunft gibt mir aber
nur Teile der Wahrheit; in der Offenbarung liegt die hoch-
ste Wahrheit. Thomas von Aquino ist ein umfassender
Denker, welcher das ganze Wissen seiner Zeit in erstaun-
lich scharfsinniger Weise verarbeitet. Man darf sich durch-
aus nicht vorstellen, daft sich dieser christliche Philosoph
der Naturerkenntnis und der Vernunft feindlich gegen-
uberstellte. Die Natur war fur ihn die eine Quelle der
Wahrheit; die Offenbarung aber die andere. Von Gott
ruhrt, nach seiner Meinung, alles in der Welt her. Auch die
Naturerscheinungen sind ein Ausflufi der gottlichen We-
senheit. Wenn wir iiber die Natur forschen, so forschen
wir mit unserem Denken iiber die Taten Gottes. Bis zu den
hochsten Taten Gottes konnen wir aber mit unserem
menschlich schwachen Denken nicht dringen. Wir kon-
nen, nach Thomas von Aquino, wohl noch aus unserer
Vernunft beweisen, dafi es einen Gott gibt; aber von dem
Wesen Gottes, von seiner Dreieinigkeit, von der Erlosung
der Menschen durch Christus, von der Macht der Sakra-
mente und so weiter, konnen wir aus der Vernunft nichts
erfahren; dariiber unterrichtet uns die Offenbarung durch
die Autoritat der Kirche. Nicht weil diese Dinge iiberhaupt
nichts mit der Vernunft zu tun haben, meint Thomas,
kann der Mensch sie durch sein Denken nicht erreichen,
sondern nur, weil die menschliche Vernunft zu schwach
ist. Eine starkere Vernunft konnte also auch die geoffenbar-
ten Wahrheiten begreifen. Diese Anschauung stellt sich in
der Scholastik des Mittelalters dar.
Einen anderen Weg als die Scholastik schlug die deutsche
Mystik zur Erreichung der Wahrheit ein. Die wichtigsten
Mystiker sind: Meister Eckhart, Johannes Tauler, Heinrich
Suso y Paracelsus, Jakob Bohme und Angelas Silesius. Sie bil-
den insofern die Vorlaufer der neueren Weltanschauungen,
als sie nicht von einer aufieren Autoritat ausgingen, son-
dern die Wahrheit in der Seele des Menschen und in den Er-
scheinungen der Natur suchen wollten. Nicht ein aufterer
Christus kann, nach ihrer Meinung, dem Menschen den
Weg zu seinem Ziele zeigen, sondern allein die Geisteskraf-
te im menschlichen Innern weisen diesen Weg. «Der Arzt
mufi durch der Natur Examen gehen», sagt Paracelsus, um
darauf hinzuweisen, dafi in der Natur selbst die Quelle der
Wahrheit ist. Und Angelus Silesius betont, daft nicht aufter
den Dingen der Natur eine gottliche Wesenheit sei, son-
dern daft Gott in der Natur sei. Wie die Natur selbst das
Gottliche ist und als Gottliches schafft, das driickt er in
schonen Satzen aus, wie zum Beispiel: «Ich weift, dafi ohne
mich Gott nicht ein Nu kann leben; werd' ich zu nicht, er
mull vor Not den Geist aufgeben.» Gott hat kein Leben
aufier den Dingen, sondern nur in den Dingen. Von einer
solchen Vorstellung ist auch die Weltanschauung Jakob
Bohmes ganz beherrscht.
An der Scholastik ist ersichtlich, dafi sie immerfort be-
strebt war, einen Einklang zwischen Vernunft und Offen-
barung herzustellen. Das ging nicht ohne verkiinstelte Lo-
gik, ohne die spitzfindigsten Schlufifolgerungen ab. Von
solchen Schluftfolgerungen wollten sich die Mystiker frei
machen. Das Hochste, was der Mensch erkennen kann,
scheint ihnen unmoglich auf logische Spitzfindigkeiten auf-
zubauen zu sein, es mufi sich klar und unmittelbar in der
Natur und im menschlichen Gemiite offenbaren.
Von ahnlichen Empfindungen ging auch Luther aus. Ihm
war es weniger darum zu tun, auf was es dem Mystiker an-
kam: er wollte die gottliche Offenbarung vor allem vor
dem Widerspruche der Vernunft retten. Er suchte das, im
Gegensatze zu den Scholastikern, dadurch zu erreichen,
daft er sagte: Der Vernunft steht in Glaubenssachen uber-
haupt keine Entscheidung zu. Die Vernunft solle sich mit
der Erklarung der Welterscheinungen zu tun machen; mit
den Glaubenswahrheiten habe sie nichts zu tun. Das ge-
offenbarte Wort ist die Quelle des Glaubens. Mit diesem
Glauben hat die Vernunft gar nichts gemein; er geht sie
nichts an. Sie kann ihn nicht widerlegen und auch nicht
beweisen. Er steht fest fur sich da. Wenn sich die Vernunft
an die religiosen Wahrheiten heranmacht, dann gibt es nur
eitel Gezank und Geschwatz. Deshalb schmahte Luther
den Aristoteles, auf dessen Lehre sich die Scholastiker ge-
stiitzt hatten, wenn sie dem Glauben durch die Vernunft
eine Grundlage geben wolllten. Er sagt: «Dieser gottver-
fluchte Aristoteles ist ein wahrhafter Teufel, ein graulicher
Verleumder, ein verruchter Sycophant (Verleumder), ein
Fiirst der Finsternis, eine Bestie, ein hafilicher Betriiger der
Menschheit, fast aller Philosophie bar, ein offener und an-
erkannter Liigner, ein geiler Bock.» Man sieht, um was es
sich handelt. Aristoteles hatte durch menschliches Denken
die hochsten Wahrheiten erreichen wollen; Luther wollte
diese hochsten Wahrheiten vor der Bearbeitung durch die
Vernunft ein fur allemal sicherstellen. Deshalb nennt er
auch die Vernunft «des Teufels Hure, die nichts kann, denn
lastern und schanden, was Gott redet und tut». Wir sehen
die Vorstellungen Luthers auch heute noch in der gleichen
Gestalt fortwirken, wenn auch die moderne Theologie ein
fortschrittliches Mantelchen um sie breitet. In dem viel-
gepriesenen «Wesen des Christ entums» von Adolf Harnack
lesen wir: «Die Wissenschaft vermag nicht, dem Leben
einen Sinn zu geben... Die Religion, namlich die Gottes-
und Nachstenliebe, ist es, die dem Leben Sinn gibt... Jesu
eigentliche Grofie ist, dafi er die Menschen zu Gott gefuhrt
hat... Die christliche Religion ist ewiges Leben mitten in
der Zeit.»
Kurze Zeit nach Luthers Auftreten gelang der von ihm
geschmahten Vernunft ein Sieg nach dem andern. Koperni-
kus stellte seine neue Anschauung von der Bewegung der
Himmelskorper auf. Kepler stellte die Gesetze fest, nach
denen sich die Planeten um die Sonne bewegen; Galilei
richtete das Fernrohr hinaus in ungemessene Himmelsrau-
me und gab der Natur dadurch Gelegenheit, aus sich heraus
eine Fiille von Tatsachen zu enthullen. Durch solche Fort-
schritte mufke die Naturforschung zu sich selbst und zur
Vernunft Vertrauen gewinnen. Galilei gibt die Empfindun-
gen wieder, die sich in einem Denker der damaligen Zeit
festsetzten. Man glaubte jetzt nicht mehr im Sinne des Ari-
stoteles zu wirken, wenn man an dem festhielt, was er mit
seinen beschrankten Kenntnissen behauptet hat. Dies hat
das Mittelalter get an. Jetzt war man der Meinung, man
schaffe im Geiste des Aristoteles, wenn man, wie er, den
Blick in die Natur richte. Es sind goldene Worte, die in die-
ser Hinsicht Galilei gesprochen hat. «Ihr habt es immer» -
sagt er - «mit eurem Aristoteles, der nicht sprechen kann.
Ich aber sage euch, dafi, wenn Aristoteles hier ware, er ent-
weder von uns iiberzeugt wiirde, oder unsere Griinde wi-
derlegte und uns eines Besseren belehrte. . . Die Philosophic
ist in diesem groiken Buche geschrieben, das fortwahrend
offen vor unseren Augen liegt, ich meine das Universum,
das man aber nicht verstehen kann, wenn man nicht vorher
die Sprache verstehen und die Zeichen kennengelernt hat,
in denen es geschrieben ist.» Giordano Bruno ist einer derje-
nigen Geister dieses aufbluhenden Denkens, der zwar im-
stande war, eine Welterklarung im Sinne der Naturan-
schauung aufzubauen, der aber daneben vollig an den her-
gebrachten Dogmen festhielt, ohne sich Rechenschaft zu
geben, wie eines mit dem anderen sich vereinigen lafk.
Wollte das menschliche Denken nicht sich selbst verleug-
nen, wollte es sich nicht in eine vollig untergeordnete Stel-
lung drangen lassen, so konnte es nur in neuer Weise den
Weg wieder betreten, den schon die griechischen Weltan-
schauungen gesucht haben. Es mulke aus sich selbst heraus
zu den hochsten Wahrheiten vorzudringen suchen.
Rene Descartes (Cartesius) war einer der ersten, der einen
Versuch machte. Sein Weg hat viel Ahnlichkeit mit dem
des Augustinus. Auch Descartes ging von dem Zweifel an
aller Wahrheit aus. Und auch er sagte sich: Wenn ich auch
an allem zweifeln kann, daran kann ich nicht zweifeln, dafi
ich bin. Ich denke, wenn ich zweifle; dachte ich nicht, so
konnte ich nicht zweifeln. Wenn ich aber denke, so bin ich.
«Ich denke, also bin ich» (cogito, ergo sum), das ist der be-
ruhmte Grundsatz des Descartes. Und von dieser Grund-
wahrhek sucht Descartes zu den hoheren Erkenntnissen
aufzusteigen. Er sagt sich: Was ich so klar und deutlich ein-
sehe, wie, dafi ich selbst bin, das muE auch ebenso wahr
sein. - Und nun tritt bei ihm eine eigentiimliche Erschei-
nung ein. Die christlichen Vorstellungen von Gott, Seele
und Unsterblichkeit, die eine jahrhundertelange Erziehung
der abenlandischen Menschheit eingeimpft hat, glaubt er in
seiner Vernunft als ebenso sichere Wahrheiten zu finden,
wie die Erkenntnis, daft er selbst ist. Diese wesentlichen Be-
standteile der alten Theologie kommen da wieder als an-
gebliche Vernunftswahrheiten zum Vorschein. Wir finden
bei Descartes sogar die alte Seelenvorstellung wieder. Er
denkt sich diese Seele als ein selbstandiges geistiges Wesen,
das sich des Korpers nur bedient. Wir sind einer solchen
Idee bei Aristoteles begegnet. Die Tiere haben, nach Des-
cartes, nichts von einer Seele. Sie sind Automaten. Der
Mensch hat eine Seele, die im Gehirn ihren Sitz hat und
durch die Zirbeldriise mit dem seelenlosen Korper in
Wechselwirkung tritt. Wir sehen bei Descartes ein Bestre-
ben, das auch bei den Scholastikern vorhanden ist, namlich
die von der alten Uberlieferung hergebrachten «hochsten
Wahrheiten» durch die Vernunft beweisen zu wollen. Nur
gestehen die Scholastiker offen zu, dafi sie dies wollen, wah-
rend Descartes glaubt, alle Beweise rein aus der Vernunft
selbst zu schopfen. Descartes bewies also scheinbar aus der
Vernunft, was nur aus der Religion stammte. Diese ver-
kappte Scholastik herrschte nunmehr lange noch; und in
Deutschland haben wir in Leibniz und in Wolff ihre haupt-
sachlichsten Vertreter. Leibniz rettet die alte Seelenvorstel-
lung dadurch, daft er alles zu einer Art selbstandiger beleb-
ter Wesen macht. Diese entstehen nicht und vergehen
nicht. Und er rettet die Gottesvorstellung dadurch, daft er
ihr zuschreibt, sie bringe alle Wesen in eine harmonische
Wechselwirkung. Es kommen immer wieder die alten reli-
giosen Vorstellungen als angebliche Wahrheiten der Ver-
nunft zum Vorschein. Das ist auch bei Wolff der Fall. Er
unterscheidet sinnliche Wahrheiten, die durch Beobach-
tung gewonnen werden, und hohere Erkenntnisse, welche
die Vernunft aus sich selbst schopft. Diese hoheren Wahr-
heiten sind aber, bei Lichte besehen, nichts anderes als die
alten, durch Verstiimmelung und Durchsiebung gewonne-
nen Of fenbarungswahr heiten. Kein Wunder, dafi die Ver-
nunft bei den Beweisen solcher Wahrheiten sich auf hochst
fragwiirdige Begriffe stiitzte, die bei naherer kritischer Prii-
fung nicht standhalten konnten.
Eine solche kritische Priifung des Beweisverfahrens der
menschlichen Vernunft nahmen die englischen Denker
Locke, David Hume y und der deutsche Philosoph Immanuel
Kant vor. Locke priifte das menschliche Erkenntnisvermo-
gen und glaubte zu finden, dafi wir nur durch die Beobach-
tung der Naturvorgange selbst zu Erkenntnissen kommen
konnen. Hume fragte nun, welcher Art diese Erkenntnisse
seien. Er sagte sich: Wenn ich heute beobachte, dafi die
Sonnenwarme die Ursache der Erwarmung des Steines ist:
habe ich ein Recht zu sagen, daft das immer so sein wird?
Wenn ich eine Ursache wahrnehme und dann eine Wir-
kung: darf ich sagen, jene Ursache werde immer und not-
wendig diese Wirkung haben? Nein, das darf ich nicht. Ich
sehe den Stein zur Erde fallen und nehme wahr, dafi er in
der Erde eine Hohlung macht. Dafi das so sein mufi, dafi es
nicht auch anders sein konnte, davon kann ich nichts be-
haupten. Ich sehe gewisse Vorgange und gewdhne mich
auch daran, sie in einem bestimmten Zusammenhange zu
sehen. Ob aber ein solcher Zusammenhang wirkKch be-
steht, ob es Naturgesetze gibt, welche mir etwas Wirkliches
liber den Zusammenhang der Dinge sagen konnen, davon
weifi ich nichts. Kant, der in den Vorstellungen der Wolff-
schen Weltanschauung gelebt hatte bis in sein Mannesalter,
wurde in alien seinen Uberzeugungen erschiittert, als er die
Schriften Humes kennenlernte. Die ewigen Wahrheiten
konne die Vernunft beweisen, daran hatte er vorher nicht
gezweifelt; Hume hatte gezeigt, dafi selbst bei den einfa-
chen Wahrheiten von einem Beweis nicht die Rede sein
konne, sondern daft wir alles, was wir glauben, nur aus Ge-
wohnheit annehmen. Soil es wirklich keine ewigen Wahr-
heiten geben, fragte sich Kant. Es mufi solche geben. Daft
die Wahrheiten zum Beispiel der Mathematik immer und
notwendig wahr sein miissen, daran mochte er nicht zwei-
feln. Ebensowenig daran, daft so etwas ewig giiltig sein mufi
wie: jede Wirkung hat eine Ursache. Davon hat ihn aber
Hume iiberzeugt, daft diese Erkenntnisse nicht ewig wahr
sein konnten, wenn wir sie aus der Beobachtung von auften
gewonnen hatten. Denn die Beobachtung kann uns nur sa-
gen, was immer gewesen ist; nicht aber, ob dieses auch im-
mer so sein mu£. Kant fand einen Ausweg. Er sagte: es
hangt gar nicht von den Dingen in der Natur ab, wie sie
uns erscheinen. Das hangt einzig und allein von uns selbst
ab. Ich bin so eingerichtet, daft fur mich «zweimal zwei
vier» sein muft; ich bin so eingerichtet, daft fur mich jede
Wirkung eine Ursache haben miisse. Mag es also drauften,
im «Ding an sich», zugehen, wie es immer mag, mogen da
einmal die Dinge so sein, daft «zweimal zwei drei» ist, ein
andermal, daft «zweimal zwei funf» ist; das kann alles nicht
an mich herankommen. Ich kann nur wahrnehmen, daft
«zweimal zwei vier» ist, folglich erscheint mir alles so, daft
«zweimal zwei vier» ist. Ich kann nur eine Wirkung an eine
Ursache kniipfen; folglich erscheint mir alles so, als wenn
immer Wirkungen mit Ursachen verknupft seien. Ob auch
im «Ding an sich» Ursachen mit Wirkungen zusammen-
hangen, das weift ich nicht. Ich bin wie mit einer blauen
Brille behaftet. Mogen die Dinge drauften was immer fur
Farben haben, ich weift im voraus, daft mir alles in einem
blauen Farbentone erscheinen wird. Wie die «Dinge an
sich» sind, weift ich also nicht; ich weift nur, wie sie mir er-
scheinen. Da nun Gott, Unsterblichkeit und Freiheit des
menschlichen Willens iiberhaupt nicht beobachtet werden
konnen, nicht erscheinen, so kann das menschliche Den-
ken, die Vernunft uber diese Dinge nichts ausmachen. Sie
gehen die Vernunft nichts an. Gehen sie aber deswegen den
Menschen iiberhaupt nichts an? So fragt sich Kant. Sie ge-
hen den Menschen sehr viel an, gibt er zur Antwort. Nur
kann man ihr Dasein nicht begreifen; man mufi es glauben.
Ich weift, dafi ich meine Pflicht tun soil. Ein kategorischer
Imperativ spricht in mir: Du sollst. Also mufi ich auch
konnen. Wenigstens mufi ich daran glauben, dafi ich kann.
Und zu diesem Glauben brauche ich einen andern. Ich
selbst kann den Yerrichtungen meiner Pflicht nicht den
notwendigen Nachdruck geben. Ich kann die Welt nicht so
einrichten, dafi sie dem entspricht, was ich als sittliche
Weltordnung ansehen mufi. Also mufi es einen Gott geben,
der diese sittliche Weltordnung bestimmt. Er gibt meiner
Seele auch die Unsterblichkeit, damit sie im ewigen Leben
die Friichte ihrer Pflichten geniefien konne, die ihr in die-
sem verganglichen, unvollkommenen Leben nimmer be-
schieden sein konnen. Man sieht, bei Kant taucht als Glau-
be alles wieder auf, was das Wissen niemals erreichen kann.
Kant hat auf anderem Wege ein ahnliches erreicht, was Lu-
ther auf seinem Wege angestrebt hat. Luther wollte die Er-
kenntnis von den Gegenstanden des Glaubens ausschlie-
fien. Kant wollte das gleiche. Sein Glaube ist nicht mehr
der Bibelglaube; er spricht von einer «Religion innerhalb
der Grenzen der blofien Vernunft». Aber die Erkenntnis,
das Wissen, sollten nur auf die Erscheinungen beschrankt
sein; liber die Glaubensgegenstande sollten sie nicht mitzu-
reden haben. Kant ist mit Recht der Philosoph des Prote-
st antismus genannt worden. Er hat, was er erreicht zu haben
glaubt, selbst am besten mit den Worten bezeichnet: «Ich
mufke also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu
bekommen.» Die Erkenntnis soil es also, im Sinne Kants,
nur mit der untergeordneten Welt zu tun haben, die dem
Leben keinen Sinn gibt; was dem Leben Sinn gibt, das sind
Gegenstande des Glaubens, an die kein Wissen heran kann.
Wer immer den Glauben retten will, der kann es mit den
Waffen der Kantschen Weltanschauung tun; denn das Wis-
sen hat keine Macht - im Sinne dieser Ansicht -, uber die
hochsten Wahrheiten etwas auszumachen. Die Philosophic
des 19. Jahrhunderts steht in vielen ihrer Stromungen unter
dem Einflufi der Kantschen Gedanken. Man kann mit
ihnen so bequem dem Wissen die Fliigel beschneiden; man
kann dem Denken das Recht bestreiten, uber die hochsten
Dinge mitzureden. Man kann zum Beispiel sagen: Was will
denn die Naturwissenschaft? Sie kann ja nur untergeordne-
te Weisheit zum besten geben. Durch Kant, den man so
gern den grofien Reformator der Philosophie nennt, ist ein
fur allemal bewiesen, dafi das Wissen beschrankt, unterge-
ordnet ist, dafi es dem Leben keinen Sinn geben kann. Die
Weltanschauungen der Gegenwart, die sich auf solche
Selbstverstummelung der Erkenntnis berufen, sind noch
nicht einmal bis zum Standpunkt der Scholastik vorge-
drungen, die sich wenigstens verpflichtet fuhlte, einen Ein-
klang zwischen Wissen und Glauben herbeizufuhren. Du
Bois-Reymond hat sogar diesem Standpunkte in seinem be-
riihmten Vortrag: «Uber die Grenzen des Naturerkennens»
ein naturwissenschaftliches Mantelchen umgehangt.
3. Die neuen Weltanschauungen
Eine andere Weltanschauungsstromung, die bis in die Ge-
genwart heraufreicht, nimmt ihren Ausgangspunkt von
Spinoza. Er ist ein Denker, der ein unbedingtes Vertrauen
in die menschliche Vernunft hat. Was so erkannt werden
kann, wie die mathematischen Wahrheiten, das nimmt die
Vernunft als ihre Erkenntnisse an. Und die Dinge der Welt
stehen in einem ebensolchen notwendigen Zusammenhan-
ge, wie die Glieder einer Rechnung oder wie die mathema-
tischen Figuren. Alles Geistige ist ebenso wie alles Korper-
liche von solchen notwendigen Naturgesetzen beherrscht.
Es ist eine kindliche Vorstellung, zu glauben, daft eine
menschenahnliche allweise Vorsehung die Dinge einrich-
tet. Die Verrichtungen der Lebewesen, die Handlungen des
menschlichen Geistes unterliegen ebenso den Naturgeset-
zen, wie der Stein, der gemafi den Gesetzen der Schwere
zur Erde fallt. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dafi eine schop-
ferische Macht nach bestimmten Zwecken irgendwelche
Wesen geschaffen habe. Man tauscht sich, wenn man zum
Beispiel glaubt, ein Schopfer habe dem Stier Horner gege-
ben, damit er stofien konne. Nein, der Stier hat seine Hor-
ner nach ebenso notwendigen Gesetzen bekommen, wie
eine Billardkugel nach Gesetzen weiterrollt, wenn sie gesto-
fien wird. Er hat naturnotwendig die Horner und deshalb
stofit er. Man kann auch sagen: der Stier hat nicht Horner,
damit er stofien konne, sondern er stofit, weil er Horner
hat. Gott ist im Sinne Spinozas nichts als die alien korperli-
chen und geistigen Erscheinungen innewohnende natiirli-
che Notwendigkeit. Wenn der Mensch hinaussieht in die
Welt, dann erblickt er Gott; wenn er liber die Dinge und
Vorgange nachdenkt, dann stellt sich ihm die gottliche
Weltordnung dar, die aber nichts ist als die naturliche Ord-
nung der Dinge. Im Sinne Spinozas kann man von einem
Zwiespalt zwischen Glauben und Wissen nicht sprechen.
Denn es gibt nichts aufier der Natur. Der Mensch gehort
selbst zu dieser Natur. Wenn er also sich und die Natur be-
trachtet, so gibt sich ihm alles kund, wovon uberhaupt ge-
sprochen werden kann.
Von dieser Weltanschauung war auch Goethe durchdrun-
gen. Auch er suchte, was friihere Anschauungen in einer
jenseitigen Welt gesucht haben, in der Natur selbst. Die
Natur wurde sein Gott. Von keiner anderen gottlichen We-
senheit wollte er etwas wissen.
Was war* ein Gott, der nur von aufien stiefie,
Im Kreis das All am Finger laufen liefie!
Ihm ziehmt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So dafi, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermifit.
So sagt Goethe. Die Natur ist ihm Gott, und die Natur
offenbart auch Gott. Es gibt keine andere Offenbarung.
Und es kann neben den Wesenheiten der Natur keine ande-
ren mehr geben, die nur durch den Glauben erreicht wer-
den sollen. Deshalb hat Goethe mit der Kantschen Unter-
scheidung von Glauben und Wissen niemals etwas zu tun
haben wollen.
Und daft alles, was der Mensch an Wahrheit wiinschen
kann, auch durch die Betrachtung der Natur und des Men-
schen selbst erreicht werden kann, das ist auch die Uber-
zeugung der Denker, die im Beginne des 19. Jahrhunderts
sich um Weltanschauungen beimihen. Das ist auch die
Uberzeugung der Denker, die in der zweiten Halfte des 19.
Jahrhunderts aus den Erkenntnissen der Naturwissenschaft
heraus sich eine Weltanschauung erbauen wollen. Diese
letzteren Denker, wie zum Beispiel Haeckel, sind der Mei-
nung, dafi die Naturgesetze, die sie erforschen, nicht blofi
untergeordnete Dinge sind, sondern dafi sie dasjenige wahr-
haft darstellen, was dem Leben einen Sinn gibt.
Johann Gottlieb Fichte stellt das eigene «Ich» des Men-
schen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Was haben
friihere Weltanschauungen mit diesem «Ich» alles gemacht?
Sie haben es aus dem Menschen herausgehoben und zum
Gott gemacht. Dadurch entstand der menschenahnliche
Schopfer der Welt. Fichte lafit alle solchen Gottesvorstel-
lungen auf sich beruhen. Er sucht das Bewulksein da auf,
wo es allein wirklich zu finden ist, im Menschen. Etwas,
was man friiher als Gott verehrt hat, ein solches geistiges
Wesen, fmdet Fichte nur im Menschen. Der Mensch hat es
also, wenn er das Verhaltnis sucht zwischen dem Geiste
und der Welt, nicht mit einem Zusammenhang von «Gott
und Welt» zu tun, sondern nur mit einer Wechselwirkung
des Geistes, der in ihm ist, mit der Natur. Dies ist der Sinn
der Fichteschen Weltanschauung; und alles, was man Fich-
te angedichtet hat: als ob er zum Beispiel hatte behaupten
wollen, der einzelne Mensch schaffe sich aus sich heraus die
Natur, beruht nur auf einer ganz kurzsichtigen Auslegung
seiner Gedanken. Schelling hat dann auf Fichtes Vorstellun-
gen weitergebaut. Fichte hat nichts anderes gewollt, als den
menschlichen Geist belauschen, wenn dieser sich seine
Vorstellungen uber die Natur bildet. Denn kein Gott gibt
ihm ja diese Vorstellungen; er bildet sich dieselben allein.
Nicht wie Gott es macht, das war fur Fichte die Frage, son-
dern wie der Mensch es macht, wenn er sich in der Welt zu-
rechtfindet. Schelling baute darauf die Anschauung, daft
wir die Welt von zwei Seiten betrachten konnen, von der
aufieren Seite, wenn wir die korperlichen Vorgange be-
trachten, und von der inneren Seite, wenn wir den Geist
betrachten, der ja auch nichts anderes ist als die Natur.
Hegel ging dann noch einen Schritt weiter. Er fragte sich:
Was ist denn das eigentlich, was uns unser Denken uber die
Natur offenbart? Wenn ich durch mein Denken die Geset-
ze der Himmelskorper erforsche, enthullt sich in diesen
Gesetzen nicht die ewige Notwendigkeit, die in der Natur
herrscht? Was geben mir also alle meine Begriffe und Ideen?
Doch nichts anderes, als was draufien in der Natur selbst
ist. In mir sind dieselben Wesenheiten als Begriffe, als Ideen
vorhanden, die in der Welt als ewige, eherne Gesetze alles
Dasein beherrschen. Sehe ich in mich, so nehme ich Begrif-
fe und Ideen wahr; sehe ich aufier mich, so sind diese Be-
griffe und Ideen Naturgesetze. Im einzelnen Menschen
spiegelt sich als Gedanke, was die ganze Welt als Gesetz be-
herrscht. Man mifiversteht Hegel, wenn man behauptet, er
hatte die ganze Welt aus der Idee, aus dem menschlichen
Kopfe, herausspinnen wollen. Es wird einst als eine ewige
Schande der deutschen Philosophic angerechnet werden
miissen, dafi sie Hegel so mifiverstanden hat. Wer Hegel
versteht, dem fallt es gar nicht ein, irgend etwas aus der Idee
herausspinnen zu wollen. Wirklich verstanden, im frucht-
baren Sinne des Wortes, hat Marx Hegel. Deshalb hat Marx
die Gesetze der okonomischen Entwickelung gesucht da,
wo sie allein zu finden sind. Wo sind die Gesetze zu finden?
Auf diese Frage antwortete Hegel: Dort, wo die Tatsachen
sind, sind auch die Gesetze. Es gibt sonst nirgends eine
Idee, als wo die Tatsachen sind, die man durch diese Idee
begreifen will. Wer die Tatsachen des wirklichen Lebens er-
forscht, der denkt hegelisch. Denn Hegel war der Ansicht,
dafi nicht abstrakte Gedanken, sondern die Dinge selbst zu
ihren Wesenheiten fiihren.
Ebenso verfahrt die neuere Naturwissenschaft im Geiste
Hegels. Diese neue Naturwissenschaft, deren grofier Be-
griinder Charles Darwin durch sein Werk «Die Entstehung
der Arten» (1859) geworden ist, sucht die Naturgesetze im
Reiche der Lebewesen ebenso auf, wie man dies auch in der
leblosen Natur tut. Ernst Haeckel fafit das Glaubensbe-
kenntnis dieser Naturwissenschaft in die Worte zusammen:
«Der Magnet, der Eisenspane anzieht, das Pulver, das ex-
plodiert, der Wasserdampf, der die Lokomotive treibt ...
sie wirken ebenso durch lebendige Kraft, wie der Mensch,
der denkt.» Diese Naturwissenschaft ist davon uberzeugt,
dafi sie mit den Gesetzen, welche die Vernunft aus den Din-
gen herausholt, zugleich das Wesen dieser Dinge enthullt.
Fur einen Glauben, der erst dem Leben seinen Sinn geben
soil, bleibt da nichts mehr iibrig. In den fiinfziger Jahren
haben mutige Kopfe, wie Carl Vogt, Jacob Moleschott und
Ludwig Buchner, die Anschauung wieder zur Geltung zu
bringen versucht, dafi in den Dingen dieser Welt sich auch
deren Wesen durch die Erkenntnis ganz und restlos ent-
hullt. Es ist heute Mode geworden, iiber diese Manner wie
iiber die borniertesten Kopfe herzufallen und von ihnen zu
sagen, dafi sie die eigentlichen Ratsel der Welt gar nicht ge-
sehen hatten. Das tun nur Menschen, die selbst keine Ah-
nung davon haben, welche Fragen man uberhaupt aufwer-
fen kann. Was wollten diese Manner anderes, als die Natur
erforschen, um aus der Natur selbst durch Erkenntnis den
Sinn des Lebens zu gewinnen? Tiefere Geister werden der
Natur gewifi noch tiefere Wahrheiten ablauschen konnen
als Vogt und Buchner. Aber auch diese tieferen Geister
werden es auf denselben Erkenntniswegen tun miissen wie
sie. Denn man sagt immer: Ihr miifit den Geist suchen,
nicht den rohen Stoff! Wohlan, die Antwort kann nur mit
Goethe gegeben werden: Der Geist ist in der Natur.
Was jeder Gott auffer der Natur ist, darauf hat Ludwig
Feuerbach die Antwort gegeben, indem er zeigte, wie eine
solche Gottesvorstellung von dem Menschen, nach dessen
Bilde, geschaffen ist. «Gott ist das offenbare Innere, das aus-
gesprochene Selbst des Menschen, die Religion ist die feier-
liche Enthullung der verborgenen Schatze des Menschen,
das Eingestandnis seiner innersten Gedanken, das offentli-
che Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse.» Was der Mensch
in sich selbst hat, das setzt er in die Welt hinaus und verehrt
es als Gott. So macht der Mensch es auch mit der sittlichen
Weltordnung. Diese kann nur er selbst, aus sich im Zusam-
menhang mit seinesgleichen, schaffen. Er stellt sich aber
dann vor, sie sei von einem anderen, hoheren Wesen iiber
ihn gesetzt. In radikaler Weise ist Max Stirner solchen We-
senheiten zu Leibe gegangen, die der Mensch sich selbst
schafft und dann wie hohere Gewalten, als Spuk oder Ge-
spenst, iiber sich setzt. Stirner fordert die Befreiung des
Menschen von solchen Gespenstern.
Der Weg, der von ihnen befreit, wurde einzig und allein
von den auf naturwissenschaftlicher Grundlage aufgebau-
ten Weltanschauungen in der zweiten Halfte des 19. Jahr-
hunderts betreten. Andere Weltanschauungen, wie zum
Beispiel die Arthur Schopenhauers und Eduard v. Hartmanns
sind wieder nur Riickfalle in veraltete Vorstellungen.
Schopenhauer hat statt des ganzen menschlichen «Ich» nur
einen Teil, den Willen, zum gottlichen Wesen gemacht;
und Hartmann hat mit dem «Ich» dasselbe gemacht, nach-
dem er zuerst das Bewufitsein aus diesem «Ich» hinausbe-
fordert hat. Dadurch ist er zum «Unbewufiten» als Ur-
grund der Welt gekommen. Es ist begreiflich, dafi diese bei-
den Denker, von solchen Voraussetzungen aus, zur Uber-
zeugung kommen mufiten, dafi die Welt die denkbar
schlechteste sei. Denn sie haben das «Ich» zum Urgrunde
der Welt gemacht, nachdem sie aus demselben die Vernunft
entweder ganz oder teilweise hinausbefordert haben. Die
friiheren Denker dieses Charakters haben das «Ich» zuerst
idealisiert, das heifit mit noch mehr Vernunft ausgestaltet,
als es im Menschen hat. Dadurch wurde die Welt zu einer
Einrichtung von unendlicher Weisheit.
Die wahrhaft moderne Weltanschauung kann nichts
mehr von alten religiosen Vorstellungen in sich aufneh-
men. Ihre Grundlage hat schon Schiller ausgesprochen, als
er Goethes Naturanschauung in seinem Briefe an diesen
kennzeichnete: «Von der einfachen Organisation steigen
Sie, Schritt vor Schritt, zu der mehr verwickelten hinauf,
um endlich die verwickeltste von alien, den Menschen, na-
turgemafi aus den Materialien des ganzen Naturgebaudes
zu erbauen.» Wenn der Mensch sein Dasein aus etwas her-
vorgehen lassen will, so kann er es nur aus der Natur selbst
hervorgehen lassen. Der Mensch ist aus der Natur nach
ewigen, ehernen Gesetzen gebildet; aber er ist noch in kei-
ner Weise, weder als Gott noch als anderes Geistwesen, in
der Natur schon gelegen. Alle Vorstellungen, welche sich
die Natur beseelt oder vergeistigt vorstellen (z.B. Paulsens
u.a.), sind Riickfalle in alte theologische Ideen. Der Geist
ist entstanden, nicht aus der Natur herausentwickelt. Dies
mufi erst begriffen sein, dann kann das Denken sich iiber
diesen innerhalb der Naturordnung entstandenen Geist
eine Anschauung bilden. Eine solche Weltanschauung
kann erst von einer wirklichen Freiheit sprechen. Das habe
ich in meiner «Philosophie der Freiheit», und in meinem
Buche «Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhun-
dert» eingehend gezeigt. Ein Geist, der aus einem anderen
Geiste herausentwickelt ware, miifite von dem letzteren,
von dem Gottes- oder Weltgeiste, auch seine sittlichen Zie-
le und Zwecke erhalten; ein Geist, der aus der Natur ent-
standen ist, setzt sich Zweck und Ziel seines Daseins selbst,
gibt sich selbst seine Bestimmung. Eine wahre Freiheits-
philosophie kann nicht mehr mit Adolf Harnack davon
sprechen, dafi das Wissen dem Leben keinen Sinn zu geben
vermag; sie zeigt vielmehr, dafi der Mensch durch Natur-
notwendigkeit entstanden ist, dafi er allerdings keinen vor-
herbestimmten Sinn mitbekommen hat, dafi es aber an ihm
selbst liegt, sich einen Sinn zu geben. Die alten Weltan-
schauungen stehen mit den alten okonomischen Ordnun-
gen, aber sie werden auch mit diesen fallen. Der okono-
misch befreite Mensch wird auch als wissender und sittli-
cher ein freier sein; und wenn die okonomische Ordnung
alien Menschen ein menschenwurdiges Dasein bringen
wird, dann werden sie auch eine Weltanschauung zu der ih-
rigen machen, die den Geist ganz befreit.
WILLIAM SHAKESPEARE
Berlin, 6. Mai 1902
Einem Ausspruch des beruhmten Schriftstellers Georg
Brandes gemafi mufi man Shakespeare den deutschen Klassi-
kern hinzurechnen. Und wenn man den aufierordentlichen
Einflufi bedenkt, den Shakespeare, nachdem er in der Mitte
des 18. Jahrhunderts in Deutschland, besonders durch Les-
sing wieder bekanntgeworden war, auf Goethe, Schiller,
auf die ganze Entwickelung der deutschen Literatur ge-
nommen hat — besonders nach der ausgezeichneten Uber-
tragung seiner Werke durch Schlegel und Tieck - , mufi man
diesem Ausspruche zustimmen.
Es hat sich iiber Shakespeare eine ganze Legende gebildet;
iiber jedes einzelne seiner Werke sind ganze Bibliotheken
geschrieben worden. Die Gelehrten haben alles mogliche in
seine Werke hineingelegt und herausgelesen. Schliefilich ist
eine Anzahl von Schriftstellern, die den nicht gelehrt gebil-
deten Schauspieler fur unfahig hielten, alle die Gedanken
zu erzeugen, die sie in den Werken Shakespeares fanden,
auf die Hypothese verfallen, dafi nicht der Schauspieler
vom Globe-Theater, William Shakespeare, die Werke ge-
schrieben habe, die seinen Namen tragen, sondern irgend-
ein bedeutender hochgelehrter Mann, etwa Lord Francis
Bacon von Vemlam, sei der Dichter, der - bei der niedri-
gen Schatzung der literarischen Tatigkeit in damaliger Zeit
- den Namen des Schauspielers geborgt habe. Diese An-
nahmen stiitzen sich darauf, dafi man keine Manuskripte
von Shakespeares Hand gefunden habe; dann auf ein in
einer Londoner Bibliothek entdecktes Notizheft, in dem
man einzelne Stellen finden wollte, die gewissen Stellen in
Shakespeares Werken entsprechen und so weiter.
Ein Zeugnis aber fiir die Autorschaft Shakespeares sind
seine Werke selbst. Seine Dramen sprechen davon, dafi sie
von einem Manne geschrieben sind, der das Theater auf das
genaueste kannte, fur die schauspielerische Wirkung das
feinste Verstandnis hatte.
Es entsprach nur einer allgemeinen Sitte der damaligen
Zeit, wenn Shakespeare selbst keine Ausgabe seiner Werke
veranstaltete. Kein einziges seiner Dramen ist bei seinen
Lebzeiten gedruckt. Die Stucke wurden angstlich gehiitet
vor dem Bekanntwerden durch den Druck; die Leute soil-
ten ins Theater kommen, um dort die Stucke zu sehen,
nicht sie zu Hause lesen. Alles, was etwa damals entstehen
konnte, waren Raubdrucke, die mit Hilfe der damals auf-
kommenden Stenographic wahrend der Vorstellung nach-
geschrieben wurden, und so nicht den authentischen Text,
sondern mannigfache Verstiimmelungen und Fehler ent-
hielten.
Diese teilweisen Liicken und Fehler haben einzelne For-
scher dazu gefuhrt, zu behaupten, dafi die Werke Shake-
speares, so wie sie vorlagen, gar keine besonderen Kunst-
werke seien, sondern daft sie urspriinglich ganz anders zu-
sammengestellt gewesen seien. Ein Vertreter dieser Ansicht
ist Eugen ReicheU der in dem Dichter der Shakespeare-Dra-
men den Vertreter einer bestimmten Weltanschauung
glaubt sehen zu durfen. Demgegenuber bleibt aber doch be-
stehen, dafi diese Dramen, so wie sie sind, solch aufieror-
dentlichen Eindruck machen. Bei Werken, von denen wir
bestimmt wissen, dafi sie verstiimmelt sind, wie zum Bei-
spiel bei «Macbeth», sehen wir diese hinreifiende Wirkung.
Einen Beweis dafiir bot die Auffiihrung von «Heinrich V.»
bei der Eroffnung des Lessing-Theaters unter der Direktion
Neumann-Hofer, die trotz spottschlechter Ubersetzung
und nicht guter Auffiihrung einen gewaltigen Eindruck
hervorrief.
Die Dramen Shakespeares sind in erster Linie Charakter-
dramen. Nicht hauptsachlich in der Handlung, sondern in
der grofiartigen Entwickelung der einzelnen Charaktere
liegt das gewaltig Interessierende dieser Dichtungen. Gera-
de darin, da£ der Dichter einen menschlichen Charakter
vor uns hinstellt, ihn sich vor uns ausleben lafit, ihn schil-
dert in all seinem Denken, seinem Empfinden, in dem Dar-
stellen einer einzelnen Personlichkeit.
Diese Kunstentwickelung, die in Shakespeare ihre Voll-
endung erreichte, war erst mogiich durch die vorhergegan-
gene Kulturentwickelung der Renaissanceperiode. Erst
durch die aus dieser Renaissancekultur sich ergebende ho-
here Bewertung der Einzelpersonlichkeit, war das Charak-
terdrama Shakespeares mogiich. Im friiheren Mittelalter se-
hen wir selbst bei Dante, trotz all seiner starken Personlich-
keit, doch im Grunde den Ausdruck der christlichen Ideen,
wie sie sich damals darstellten. Der christliche Typus seiner
Zeit trat in den Vordergrund gegenuber dem Einzelperson-
lichen. Es lag dies eben in der allgemeinen Auffassung. Das
christliche Prinzip hatte kein Interesse an der einzelnen
Personlichkeit. Erst allmahlich bildete sich unter der neuen
Anschauungsweise das Interesse am einzelnen Menschen
heraus.
Der Umstand, dafi Shakespeares Ruhm sich so bald ver-
breitete, beweist, dafi er eine Zuhorerschaft fand, die ein
grofies Theaterinteresse besafi, also Sinn und Verstandnis
in reichem Mafie mitbrachte fiir die Darstellung der Per-
sonlichkeit, wie sie Shakespeare ihnen bot. Es ist Shake-
speare eben auf diese Charakterdarstellung angekommen;
ihm lag es fern, seinen Zuhorern eine ethische oder morali-
sche Idee zu entwickeln. Die Idee einer tragischen Schuld
beispielsweise, mit der Schiller glaubte seinen Helden bela-
sten zu mixssen, um seinen Untergang zu rechtfertigen, lag
Shakespeare vollstandig fern. Er lafit die Ereignisse sich ent-
wickeln, so wie sich Naturvorgange abspielen, folgerichtig
eines aus dem anderen hervorgehend, doch nicht von dem
Gedanken an Schuld und Suhne beeinflufit. Es wiirde
schwer sein, einen Schuldbegriff in diesem Sinne bei einem
der Shakespeare-Dramen nachzuweisen.
Auch nicht um die Darstellung einer Idee war es Shake-
speare zu tun, nicht die Eifersucht im «Othello», nicht den
Ehrgeiz im «Macbeth», nein, den bestimmten Charakter
des Othello, des Hamlet, des Macbeth wollte er darstellen.
Dadurch gerade konnte er so grofie Charaktere schaffen,
weil er seine Gestalten nicht mit einer Theorie beschwerte.
Er kannte die Biihne von Grund aus, er wufite, wie ein
Vorgang sich wirksam darstellte, und gerade er als Prakti-
ker konnte den Vorgang so entwickeln, dafi er die Horer
mit sich fortrifi. - Es gibt keine Dramen in der ganzen
Weltliteratur, die so sehr vom schauspielerischen Stand-
punkt aus gedacht sind. Das sichert dem Schauspieler
Shakespeare den Ruhm, diese Dramen gedichtet zu haben.
Shakespeare wurde im Jahre 1564 in Stratford geboren,
sein Vater war ein wohlhabender Burger, und er besuchte
die Lateinschule seiner Heimatstadt. Um sein Jugendleben
haben sich vielfach Legenden gebildet; man behauptet, er
sei ein Wilddieb gewesen und habe ein Abenteurerleben ge-
fiihrt. All das ist auch gegen die Autorschaft Shakespeares
geltend gemacht worden, und doch ist all das gerade seiner
Dichtung zugute gekommen. Schon der Umstand, dafi er,
zwar mit einer guten Bildung ausgeriistet, doch von dem ei-
gentlichen Studium verschont geblieben war, sicherte ihm
die Moglichkeit, den Dingen viel freier und unbefangener
gegeniiberzustehen, sie unbeschwert von dem Wust der Bii-
chergelehrsamkeit zu sehen. Und gerade aus der Abenteu-
rernatur des Dichters erklaren sich einige der grofiten Vor-
ziige seiner Werke. Der kiihne Flug der Phantasie, der jahe
Wechsel der Begebenheiten, die Leidenschaft und Ktihn-
heit, all das spricht fur einen Menschen, der auch im Leben
viel herumgeworfen worden war, der selbst ein bewegtes
Leben gefuhrt haben mufke.
Nachdem die Vermogensverhaltnisse von Shakespeares
Vater sich verschlechtert hatten, kam Shakespeare im Jahre
1585 nach London. In der denkbar untergeordnetsten Ta-
tigkeit begann er seine Laufbahn beim Theater; er hielt die
Pferde der Theaterbesucher, wahrend diese der Vorstellung
beiwohnten. Spater riickte er zum Aufseher einer Anzahl
solcher Pferdejungen auf, bis er endlich auf der Biihne
selbst Verwendung fand und im Jahre 1592 seine erste
grofiere Rolle spielen durfte.
Nun breitete sich sein Ruhm bald aus: als Schauspieler,
als Theaterdichter; mit ihm wuchs sein Wohlstand, so dafi
er im Jahre 1597 schon ein Haus in Stratford kaufen konn-
te. Besonders, nachdem er Mitbesitzer des Globe-Theaters
geworden war, wurde er zu einem sehr wohlhabenden
Mann.
Die Dramen der ersten Periode Shakespeares «Verlorene
Liebesmiih», «Wie es euch gefallt», einige der Konigsdra-
men sind noch nicht so wesentlich verschieden von ande-
ren Dramen der gleichen Zeit, wie sie von Marlowe und an-
deren geschaffen wurden; auch wurde noch die Kraft des
Ausdrucks, die Reinheit und Natiirlichkeit durch eine der
damaligen Mode entsprechende gewisse Kiinstlichkeit der
Sprache beeintrachtigt. Erst allmahlich folgten dann die
grofien Charakterdramen: «Othello», «Hamlet», «Mac-
beth», «K6nig Lear», «Julius Casar», «Coriolan», die fur alle
Zeiten den Ruhm Shakespeares begriinden sollten. Aus
einer Anzahl seiner letzten Werke wollen dann einige sei-
ner Biographen und Schilderer auf triibe Erfahrungen und
Erlebnisse schliefien, die der Dichter in jener Zeit gehabt,
und die ihn zu einer bitteren Lebensauffassung gefiihrt hat-
ten. Doch ist eine solche Folgerung bei Shakespeare gerade
sehr schwer zu begriinden, da er wie kein anderer Dichter
hinter seinen Figuren zuriicktritt. Nicht was er iiber eine
Sache denkt, bringt er durch den Murtd seiner Gestalten
zum Ausdruck, sondern er lafit jede einzelne ihrem Cha-
rakter gemafi denken und handeln.
Miifiig erscheint daher auch die Frage, welchen Stand-
punkt Shakespeare selbst den verschiedenen Fragen gegen-
iiber einnahm. Nicht Shakespeare... Hamlet griibelt iiber
Sein oder Nichtsein; er erschrickt vor dem Geiste des Va-
ters, wie Macbeth vor den Hexen auf der Heide. Ob Shake-
speare an Hexen, an Geister geglaubt, ob er ein Glaubiger,
ein Freigeist gewesen, es kommt hierbei gar nicht in Be-
tracht. Er stellte sich die Frage: Wie mufi ein Geist, eine
Hexe auf der Buhne sich darstellen, um die Wirkung auf
den Zuhorer auszuiiben, die er beabsichtigte. Und dafi die
Wirkung der Shakespeareschen Gestalten bis heute die
gleich grofie geblieben ist, beweist eben, wie er sich diese
Frage beantwortete.
Dabei darf nicht vergessen werden, dafi eigentlich die
Verhaltnisse unserer heutigen Buhne der Wirkung der
Shakespeareschen Dramen nicht besonders giinstig sind.
Der Wert, der heute auf die Ausstattung, auf allerlei Bei-
werk gelegt wird, der haufige Szenenwechsel, all das beein-
trachtigt die Wirkung der Charakterschilderung, die eben
die Hauptsache bleibt. Zu Shakespeares Zeiten, als man
eine Anderung der Szene einfach durch eine ausgehangte
Tafel andeutete, als ein Stuhl und Tisch fur die Ausstattung
eines koniglichen Palastes geniigten, mufke in dieser Hin-
sicht die Wirkung eine noch bedeutend groftere sein.
Wahrend aber bei einem heutigen Dichter so unendlich
vieles in der Auffuhrung von all dem Beiwerk abhangt -
wie ja auch heute die Dichter meist ganz genau die Ausstat-
tung der Raume und so weiter bis in alle Details vorschrei-
ben, so dafi bei einer schlechten Auffuhrung die Wirkung
vollstandig versagt wirken Shakespeares Dramen gewal-
tig auch in der mangelhaftesten Auffuhrung.
Und wenn eine Zeit kommt, in der wir wieder mehr auf
das Wesentliche sehen, als es heute der Fall ist, dann wird
die Wirkung von Shakespeares Kunst eine immer gewalti-
gere werden: durch die Kraft der Charakterschilderung, in
der sie durch die Jahrhunderte lebendig und unerreicht
geblieben ist.
UBER ROMISCHE GESCHICHTE
Berlin, 19. Juli 1904
Wir haben gesehen, dafi etwa achthundert Jahre vor dem
Beginn unserer Zeitrechnung von Rom aus ein Reich sich
ausbreitete, das urspriinglich seinen Ausgang genommen
hat von einer Art von Priesterkonigtum; wie dieses Prie-
sterkonigtum dann iibergegangen ist durch etwa zweiein-
halb Jahrhunderte in eine Republik. Dann sehen wir den
romischen Staat durch fiinf Jahrhunderte hindurch sich
ausbreiten liber die ganze damals in Betracht kommende
Welt. Wir sehen also etwa siebenhundert Jahre vor Christi
Geburt in Rom einen Konig herrschen, welcher bekleidet
ist zu gleicher Zeit mit der hochsten damaligen priesterli-
chen Wiirde. Dieses Amt hat sich erhalten. Der Trager des-
selben, dem damals die Konigswiirde mit zukam in den *al-
teren Zeiten, bevor es weltliche Konige in Rom gab, hiefi
Pontifex Maximus. Einen Pontifex Maximus sehen wir also
an der Spitze des romischen Staates stehen, im Aufgange
dieses Staates. Wir sehen dann, wie die Wiirde des Pontifex
Maximus allmahlich herabgedriickt wird, so dafi ihm nur
noch die priesterlichen Formen verbleiben. Wir sehen, daft
der Rex, der Konig noch besteht, der aber eigentlich nur
noch ein Schatten der urspriinglichen Personlichkeit ist.
Nun sehen wir die Republik immer mehr und mehr sich
ausdehnen und in der Zeit, in der im Osten das Christen-
tum gestiftet wird, sehen wir in Rom wieder eine Person-
lichkeit alle Gewalt, alle Macht in Handen haben in dem
Kaiser Augustus. Er findet es angemessen, notwendig da-
mals, sich ubertragen zu lassen, neben anderen Amtern der
Republik, die Wiirde des Pontifex Maximus. So haben wir
im Anfange unserer Zeitrechnung in Rom wieder den Pon-
tifex Maximus mit der hochsten Gewalt. Aber das ist ein
Pontifex Maximus, ein Oberpriester, dessen Gewalt nicht
auf dem Priesteramt, sondern dessen Gewalt einzig und
allein auf seiner weltlichen Macht beruht.
Und wir sehen wenige Jahrhunderte, etwa fiinfhundert
Jahre darnach, diese weltliche Macht des romischen Ge-
walthabers vollstandig vernichtet. Dafur aber sehen wir
wieder einen Pontifex Maximus, einen Oberpriester, einen
romischen Bischof, den spateren Papst, der wieder die
Wiirde des Pontifex Maximus tragt. Und etwa im Jahre 800
n. Chr. empfing derjenige Fiirst, der am meisten genannt
wird, der herrschte iiber diejenigen, die den weltlichen
Pontifex Maximus in Rom gestiirzt haben, die weltliche
Konigskrone von diesem Pontifex Maximus. Er unterwarf
die weltliche Herrschaft vollstandig der priesterlichen
Herrschaft, der priesterlichen Gewalt. Und nun beginnt
das romische Reich, das Heilige Romische Reich.
So sehen wir eine Wandlung in der Geschichte sich voll-
ziehen. Wir sehen, das einzige was geblieben ist, was sich
fortgepflanzt hat, "das ist die Wiirde des Oberpriesters in
Rom. Ringsherum haben sich Wandlungen von einer welt-
geschichtlich einschneidenden Bedeutung vollzogen, die
man auch einmal von einem hoheren Gesichtspunkt aus
iiberblicken mufi, um sie vollstandig zu verstehen.
Wir werden uns vor alien Dingen fragen mussen: wie hat
sich diese Wandlung vollzogen in dem Zeitpunkt, in dem
wir jetzt stehen, in dem das Christentum seinen Anfang ge-
nommen hat, also im Anfange unserer Zeitrechnung? Wie
ist es gekommen, auf der einen Seite, dafi ein weltlicher
Machthaber die ganze Herrschaft iiber die damalige Welt
hatte, und dafi diese ungeheure Macht vollstandig zerstort
war wenige Zeit hernach; dafi das Volk, auf dem diese
Macht beruht hat, aufgehort hat eine Rolle zu spielen, eine
Macht zu sein? Wie kommt es, dafi fiinfhundert Jahre nach
dem Beginn unserer Zeitrechnung das romische Kaisertum
zerstort war, und dafi in Rom der romische Priester als ein
Fiirst safi, mit ebensolcher Macht iiber die Seelen, wie sie
einstmals der romische Kaiser, der Casar, in weltlicher
Beziehung hatte?
Zwei grofte Stromungen sind es, die das bewirken, zwei
Stromungen von einer Wichtigkeit und einer Bedeutung,
wie sie wenige in der Geschichte haben. Es ist auf der einen
Seite die Ausbreitung des Christentums von Osten her,
und auf der anderen Seite sind es die wandernden Kriegs-
ziige der Germanen. Das romische Reich wird von zwei
Seiten bedroht: in geistiger Beziehung von Osten und in
weltlicher Beziehung von Norden. Alles das, was fruher die
Grofie des Romerreiches ausgemacht hat, war nicht mehr
da in einer gewissen Beziehung. Aber etwas anderes war da.
Es waren die aufieren Formen dieses romischen Reiches ge-
blieben. Es war dasjenige geblieben, was die eigentliche Be-
deutung dieses romischen Reiches ausmachte, das was ur-
sprunglich die Grofte des romischen Weltreiches bedingte.
Es war das romische Denken, die romische Weltanschau-
ung in bezug auf die aufteren Einrichtungen geblieben. Wir
werden sehen, bis zu welchem Grade diese erhalten geblie-
ben sind. Zwar war aller friihere Inhalt aus diesem Reiche
ausgetrieben. Aber die blofie Form, das aufiere Kleid war
geblieben. Und hineingegossen in diese Form war etwas an-
deres, namlich das Christentum, das jetzt in denselben For-
men auftritt wie das romische Kaisertum. Das, worauf die
Herrschaft der Romer beruhte, das hatten die nordischen
Volkerschaften zerstort. Es ist das eine eigentumliche Ge-
schichte, denn es ist vom romischen Reiche mindestens so-
viel geblieben als zugrunde gegangen ist. Und was davon
geblieben ist, davon erzahlt die Geschichte der katholi-
schen Kirche, was davon ferner geblieben ist, das erzahlt
das, was wir taglich erleben konnen. Gehen Sie in einen
Gerichtssaal und sehen Sie, wie da angeklagt, verteidigt und
Recht gesprochen wird. Das ist das romische Recht. Dieses
Recht ist in Rom geschaffen worden und heute noch vor-
handen. Wir leben in Einrichtungen, welche ganz durch-
setzt sind von Anschauungen dieses romischen Reiches. Al-
les, was wir noch denken von Rechts-, Eigentums- und Be-
sitzverhaltnissen, was wir denken uber Familienverhaltnis-
se und so weiter, das fuhrt seinem Ursprung nach, wenn
wir es entwickelungsgeschichtlich verfolgen, auf das alte ro-
mische Reich zuriick, trotzdem das Volk, aus dem das alles
hervorgegangen ist, funfhundert Jahre nach Christi Geburt
seine aufiere Macht und Bedeutung in der Weltgeschichte
verloren hat.
Wir haben die Ausbreitung Roms iiber den Erdkreis be-
schrieben, wir haben gesehen, wie von diesem damaligen
Weltmittelpunkt aus Rom in alle bekannten, damals in Be-
tracht kommenden Lander seine Herrschaft ausdehnte.
Wir haben aber auch gesehen, worauf eigentlich die Mog-
lichkeit beruhte, dafi Rom so machtig wurde. Wir haben
das romische Volk nach und nach in seiner ganzen Entwik-
kelung betrachtet, und wir haben gesehen, dafi mit einer ge-
wissen Notwendigkeit aus der ganzen Anlage und dem gan-
zen Charakter dieses Volkes, sich die Art entwickelte, wie
dieses Volk seine Weltherrschaft begriindete. Wir haben zu
gleicher Zeit gesehen, wie gerade aus dieser Art zuletzt der
Verfall der romischen Weltherrschaft hervorgehen mufite,
und dieser hangt so innig zusammen mit der Entstehung,
dafi wir dieselben Gedanken gebrauchen miissen, die wir
gebrauchten, als wir von der Entstehung sprachen. Wir ha-
ben gesehen, daft der romische Grundbesitz, in unermeftli-
cher Gier erworben, den Reichtum ins Unermeftliche stei-
gern und dagegen auf der anderen Seite eine Armut, ebenso
ins Unermeftliche gesteigert, hervorbringen mufite, so daft
wir auf der einen Seite Luxus und Reichtum und auf der
anderen Seite Unzufriedenheit sehen.
Wir haben auch gesehen, worauf alles das beruhte, wo-
durch Rom groft geworden ist. Wir haben gesehen, was es
hieft, ein romischer Burger zu sein. In diese Denkweise
miissen wir uns hineinversetzen. Wir haben gesehen, wie
die Cives, die romischen Burger, ihr Interesse am Staate
hatten, wie jeder romische Burger sich berufen fiih.lt mitzu-
reden, mitzuraten, wie also die Stimme des einzelnen in Be-
tracht kam. Das driickt sich darin aus, wie in Rom regiert
wurde, wie die samtlichen Amter so aufgefaftt wurden, daft
die Regierungsgewalt in den Handen der gesamten Biirger-
schaft lag. Diejenigen, welche wahrend der republikani-
schen Zeit der Romer das Reich verwalteten, waren nichts
anderes als Verweser der burgerlichen Gewalt. Ubertragen
war ihnen fur Jahresfrist, aber auch fur andere Fristen, das,
was die Bedeutung ihres Amtes ausmachte. Niemals dachte
ein romischer Burger anders als daft das, was der Prator tat,
eigentlich ihm zugut kommt und daft jener es nur in seiner
Vertretung tat. Als Stellvertreter sah der Romer den Kon-
sul, den Quastor, den Prator an. Und worauf beruhte die-
ses? Es beruhte darauf, daft die denkbar kiirzesten Wahlpe-
rioden eingefuhrt waren, so daft im Grunde genommen
niemals einer ein Amt langere Zeit inne hatte. Etwas ande-
res als Vertrauen zwischen denjenigen, die gewahlt waren,
und denjenigen, die wahlten, war nicht vorhanden. Es
konnte ein Mifttrauen zwischen einer regierenden Person-
lichkeit und dem Volke nicht geben. Es konnten Zwischen-
falle vorkommen wahrend der kurzen Regierungszeit eines
Tribuns, aber im grofien und ganzen war diese Regierung
ganz auf das Vertrauen aufgebaut. Es war eine iibertragene
Gewalt, und der Romer verstand das. Er verstand, was das
heifk, dafi er der Herr ist und der andere, dem die Regie-
rungsgewalt iibertragen war, diese nur in Vertretung fuhr-
te. Das geht daraus hervor, wie der Romer das Glied eines
Rechtsvolkes war. Erst in spaterer Zeit wurde es etwas an-
ders. Versuchen Sie heute einmal einen Gebildeten - er
kann sogar sehr gebildet sein - zu fragen, welches der juri-
stische Unterschied ist zwischen dem Begriff «Eigentum»
und dem Begriff «Besitz». Das sind zwei Begriff e, die aus
dem romischen Recht stammen. Ich bin iiberzeugt, Sie
konnen weit herumgehen, selbst bei Leuten, die viel gelernt
haben, und man wird Ihnen den Unterschied kaum sagen
konnen. Hatten Sie einen romischen Bauern gefragt, der
hatte ganz gewift gewuik den Unterschied zwischen Besitz
und Eigentum. So wie man im Mittelalter die Zehn Ge-
bote gelernt hat, so hat jeder romische Knabe die zwolf
Gesetzestafeln schon in der Schule gelernt. Die Romer wa-
ren ein Rechtsvolk, und in Fleisch und Blut ging ihnen
das Recht iiber.
Nun dehnte sich aber die romische Herrschaft iiber uner-
mefiliche Gebiete und viele Provinzen aus. Sie konnen sich
denken, dafi ein solches Staatsgefiige nur so lange zusam-
menhalten kann in der Weise, wie wir es kennengelernt ha-
ben, als es eine bestimmte Grofie nicht ubersteigt. In dem
Augenblicke aber, wo die vielen Provinzen erobert worden
waren, konnte das nicht mehr so sein. Es tauchte der Un-
terschied zwischen dem romischen Urstaat und den Pro-
vinzen auf. Das romische Biirgerrecht wird den Provinzen
versagt. Die Provinzen haben keine Rechte, sie sind Unter-
jochte. Das geht Hand in Hand mit den iibrigen Entwicke-
lungsstadien, mit der Ausdehnung des Grofigrundbesitzes
und den damit verkniipften Problemen der Vererbung. Es
geht Hand in Hand mit dem Heraufkommen eines unge-
heuren Proletariats. Das Uberhandnehmen des Proletariats
hangt damit zusammen, dafi das alte Biirgerheer sich all-
mahlich verwandelte in ein Heer von Soldnertruppen, wel-
che einzelne fuhrende Personlichkeiten wie Marius und so
weiter anwarben. So sehen wir, dafi neben dem alten romi-
schen Burger sich entwickelte eine Art von Militarmacht,
die demjenigen gefiigig ist, der gerade die Gunst dieser Mili-
tarmacht erringen kann. Wir sehen ferner, dafi Menschen
wie Gracchus bemiiht sind, den Untergang des romischen
Reiches dadurch aufzuhalten, daft sie eine Art von Mittel-
partei schaffen wollen. Ich habe Ihnen die Gracchen-Bewe-
gung ja geschildert. Jetzt hat noch das Bedeutung, dafi der
jiingere Gracchus eine Mittelpartei hat schaffen wollen. -
Diese sollte aus solchen Leuten bestehen, die Senatoren wa-
ren und ausgetreten sind. Es war also eine Art von Ritter-
schaft. Diese Ritterschaft war es, die von den Proletariern
befeindet worden war.
Nun hatte sich etwas ganz Besonderes in Rom zugetragen
in der Zeit, in der die Casarenmacht heraufkam. Diese Rit-
terschaft sollte eine Macht bilden gegen die groften Grund-
besitzer, gegen die sogenannten Optimaten. Es sollten die
alten Ackergesetze erneuert werden. Niemand sollte mehr
als funfhundert Morgen Land haben, hochstens noch fiir
erwachsene Sonne zweihundertfiinfzig Morgen dazu, je-
denfalls hochstens tausend Morgen. Der andere Boden soll-
te als kleinere Besitzungen diesem Mittelstande iibergeben
werden. Dadurch glaubte man eine Mittelschicht zu schaf-
fen zwischen den Grofigrundbesitzern und dem Proleta-
riat. Das ist aber mifigluckt, weil das Proletariat mifkrau-
isch geworden war und weil es eine Partei zwischen sich
selbst und den eigentlichen Besitzern nicht dulden wollte.
Die Mittelpartei schlug sich zuletzt auch zu den Optima-
ten. Dadurch haben wir also jetzt das Proletariat auf der
einen Seite und auf der anderen Seite eine Art von Ord-
nungspartei. Das hat sich herausgebildet in der letzten Zeit.
Die republikanische Gewalt ist ganz allmahlich, fast unbe-
merkt in die casarische Gewalt iibergegangen. Octavius, der
romische Kaiser, war selbst eine Art von republikanischem
Machthaber, und er hat sich nach und nach zu der - man
kann nicht sagen - Wiirde aufgeschwungen, denn ganz mit
Notwendigkeit ging aus den romischen Verhaltnissen diese
eigentumliche Machtfulle des Octavius-Augustus hervor.
Er hat einfach die alten romischen Verhaltnisse fortgesetzt,
hat sich alle die Amter nach und nach ubertragen lassen.
Und daft er imstande war als eine Art von Alleinherrscher
diese Amter auszufullen, kam davon her, daft der Unter-
schied zwischen den romischen Verhaltnissen und denen in
der Provinz drauften ein so grofter geworden war. In der
Provinz hatte man langst in einer Art edelmannischer Wei-
se regiert. Das hatte den romischen Burgern gar nicht wi-
derstrebt. Sie fiihlten sich als romische Burger, und es war
ihnen gar nicht darum zu tun, daft die drauften in der Pro-
vinz dasselbe Recht hatten wie sie. So war man damit zu-
frieden, daft sich von Rom aus eine Art absoluter Regie-
rungsgewalt gegeniiber der Provinz entwickelte. Nament-
lich lieften die romischen Alleinherrscher sich alle die soge-
nannten prokonsularischen Gewalten in den Provinzen
ubertragen. So ist es gekommen, daft die ersten Konsuln
Herrscher ganz eigener Art und Kraft waren. In Rom wuft-
ten sie aufrechtzuerhalten die Gewalt, die ihnen ubertragen
war wie in friiherer Zeit, und drauften im Sinne eines zum
Staate Halten der Provinzen. So entwickelte sich, man
kann sagen mit Ubereinstimmung der romischen Burger-
schaft, die romische Gewalt.
Und dann kam wahrend der Casarenzeit das Foigende.
Es war tatsachlich so, dafi durch die absolute Gewalt in den
Provinzen die Casaren sich die gesamte Steuereinrichtung
angeeignet hatten und die gesamte Militargewalt. Daher
kam es, dafi sie ungeheure Einkiinfte aus den Provinzen zu
ziehen vermochten. So entwickelte sich neben dem romi-
schen Staatsfiskus eine Art von kaiserlichem Fiskus. Und
mit der oktavianischen Gewalt entwickelte sich dann die
romisch-casarische Alleinherrschaft in der folgenden Art:
Es waren die romischen piirger, welche iibereinkamen, al-
les das, was in der Provinz zu tun war, nicht mehr zu
leisten mit der romischen Staatskasse. Es waren oft Dinge,
die notwendig geworden waren. Aber auch diese waren
nicht mehr aus der Staatskasse zu bezahlen. Die Einkiinfte
flossen namlich nicht in die Staatskasse, sondern in die Kas-
se der Casaren. Und so kam es, daft sich die Casaren zu
einer Art von Wohltatern aufwerfen konnten. Dadurch
entwickelte sich die casarische Gewalt und Macht, und alle
ubrigen Amter mufiten zu einer Art von Schattenamtern
zusammensinken. Von innen heraus eroberte die romische
Casarenmacht die Macht im Staat. Und so begreifen wir es
auch, dafi im Grunde genommen nur die ersten Kaiser ech-
te Romer waren. Wir begreifen, daft spater im Grunde ge-
nommen nicht mehr wirkliche Romer auf dem Stuhle der
Casaren safkn, sondern Leute, die in den Provinzen ge-
wahlt worden waren, und die so wie Hadrian und Cara-
calla die Herrschaft an sich reifien konnten. Vom Umkreis
aus wurde Rom dem Absolutismus zugefiihrt. So ging
durch eine Art innerer Notwendigkeit der Entwickelung
das, was auf die romischen Burger verteilt war, in die Han-
de eines Alleinherrschers iiber. Es wird nun ganz selbstver-
standlich, dafi das ganze romische Rechts- und Begriffssy-
stem sich iibertragt auf den einen inneren Mittelpunkt.
Was friiher die romischen Burger besorgt haben, besorgen
jetzt einzelne Beamte, und nicht bloft in den Provinzen,
sondern auch in Rom selbst.
Da geht etwas vor, was man verstehen mufi, wenn man
die Zeit richtig verstehen will. Blicken wir einen Augen-
blick zuriick nach Griechenland und nach Rom in der Zeit
des alten Konigtums, da werden wir sehen, daft uberall mit-
spricht ein unmittelbares Verhaltnis der Regierenden zu
den Regierten. Sei nun dieses Vertrauensverhaltnis in dieser
oder jener Art gebildet, es war von den alteren Zeiten an,
von denen wir bei der letzten Geschichtsbetrachtung ausge-
gangen sind, ein natiirliches Verhaltnis, weil sie in dieser
oder jener Weise von den Regierten anerkannt waren, so
daft man an sie glaubte. Im Prinzip war es so. Derjenige,
welcher regierte, muftte gewisse Eigenschaften sich erwer-
ben, namentlich in den alteren Priesterstaaten. Da glaubte
niemand an jenseits der Welt schwebende gottliche Machte.
Aber man glaubte an eine Art Vergottlichung des Men-
schen, weil man in dem Menschen das Entwickelungsprin-
zip suchte. Man erkannte den Priesterkonig in Rom nur
dann an, wenn er sich geistige und moralische Eigenschaf-
ten der Gotter erworben hatte, wenn er sich innerlich da-
hin entwickelt hatte. Man konnte sich das erwerben, man
konnte es dahin bringen, eine Art vergottlichter Person zu
sein, die Verehrung verdiente. Es war kein Unterwurfig-
keitsverhaltnis, es war Vertrauen. Das mull jeder sagen, der
die Dinge kennt. Das beruhte auf etwas, das immer da
war im Herzen und es pflanzte sich auch noch fort in der
Republik.
Aber bei der Art und Weise, wie sich das romische Recht
entwickelt hat, war es geeignet dieses personliche, lebendi-
ge Verhaltnis von Regierenden und Regierten vollstandig
auszuloschen. Es war geeignet anstelle des personlichen ein
abstraktes, gedachtes Verhaltnis zu setzen. Wenn Sie in die-
se Zeiten Roms zuriickgehen konnten, so wiirden Sie se-
hen, daft der, welcher als Prator zu Rom zu Gericht safi,
wenn er auch die zwolf Tafelgesetze vor sich hatte, er doch
durch die personliche Einsicht etwas tun konnte, was auf
Vertrauen beruhte, Es hing da von der Personlichkeit noch
etwas ab. Das wurde spater ganz anders. Spater wurde das
ganze Rechtssystem allmahlich zu dem rein abstrakten Ge-
dankensystem. Es kam lediglich darauf an, das Gesetz sei-
nen Paragraphen nach durch logische Scharfe auszulegen.
Der Jurist sollte ein blofier Denker sein, ein bloft logisch
geschulter Mann. Allein auf das Denken kam es an. Nichts
vom unmittelbaren Leben sollte da einfliefien, nichts vom
Gemiit und nichts von personlichem Einfluft. Nur an den
Buchstaben sollte man sich halten. Und nach dem Buchsta-
ben wurde immer mehr und mehr das Gesetz ausgelegt.
Nur Beamte waren es, die den Buchstaben draufien in den
Provinzen und spater auch in Rom zu handhaben hatten.
Da handelte es sich darum, die Paragraphen zu studieren
und abgesehen von jedem unmittelbaren Leben lediglich
durch Gedanken - und das ging heriiber bis in die sophisti-
schen Gedanken - zu entscheiden. Die ganze Denkweise,
die sich in der Verwaltung und Regierung ausdruckte, hatte
etwas angenommen, das die ganzen Einrichtungen wie ein
Rechenexempel behandelte. Das mussen Sie festhalten,
dann werden Sie verstehen, was es heifk, wenn man sagt,
dafi das ganze romische Leben sich verwandelt hatte in ein
Dogmensystem. Der romische Staat, der ein Recht geschaf-
fen hatte aus dem freien Entschluft, aus der Seele der Burger
heraus, der hatte es allmahlich verwandelt in Dogmen.
Zur Zeit der Entstehung des Christentums kam keine
personliche Regierung mehr in Betracht, sondern nur ge-
schriebenes Gesetz. Es war ein richtiges Dogmenrecht. Die
Casaren konnten da und dort her genommen werden, alles
das, worauf es fur sie ankam, war, den ganzen Staat in ein
Rechtssystem einzuzwangen, das von einem Mittelpunkt
aus straff gespannt werden konnte. Der ganze romische
Staat wurde allmahlich dogmatisiert. Wir sehen ihn einge-
teilt in kleinere Gebiete, an deren Spitze Verwaltungsbeam-
te juristischer Art standen. Diese Gebiete wurden wieder
zusammengefafit zu Diozesen. So sehen wir den romischen
Staat allmahlich eine Form annehmen, die wir spater wie-
der erblicken in der Einteilung, die die katholische Kirche
angenommen hat. Nicht das Christentum hat diese For-
men geschaffen; das ist ganz nach der Schablone des ro-
misch-dogmatisierten Staates geschehen.
In diesen Staat hinein, mit dem ganzen Aussehen, das Sie
jetzt kennen, verpflanzte sich das Christentum von Osten
heriiber. Da miissen wir freilich auf Personlichkeiten einge-
hen. Wir konnen aber nicht auf einzelne romische Kaiser
eingehen. Im Grunde genommen ist diese Geschichte auch
ziemlich langweilig. Es geniigt vielleicht, wenn wir Cali-
gula - KommiEstiefelchen - erwahnen. Aber eines ist
wichtig. Wir miissen uns klarmachen, was mit oder aus der
romischen Kultur geworden ist. Diese romische Kultur
hatte etwas, was Sie an die Kultur einer anderen Zeit erin-
nern wird. Ich mochte Ihnen eine Personlichkeit schildern,
die typisch, reprasentativ ist und die sich hier zum Ver-
gleich anfiihren lafit, das ist Lucian. Er stammte aus Asien
und wird eingefuhrt als ein ganz besonderes Licht. Er er-
zahlt uns selbst von sich in einem bemerkenswerten Werk
«Der Traum». Ich erwahne das, nicht weil es ein bedeuten-
des literarisches Produkt ist, sondern weil es als ein charak-
teristisches Zeichen fur die Denkweise des damaligen romi-
schen Reiches gelt en kann. Zwei Frauengestalten erschie-
nen ihm im Traume, die eine war die Kunst, die andere war
die Bildung. Die Kunst verlangte von ihm, daft er nach har-
ter Arbeit strebe. Die Bildung forderte von alledem nichts.
Er brauchte sich nur anzueignen ein paar Kunstgriffe, wie
man moglichst gut die Leute iiberreden kann. Und im alten
Rom bedeutete reden soviel wie heute Zeitungschreiben.
Er sagte sich daher, warum soil ich Phidias nachfolgen,
warum dem Homer? Da bleibe ich ja ein armer Kerl. Er
folgte der zweiten Frauengestalt und wurde Wanderredner,
ein Redner ganz eigentiimlicher Art, ein Redner ohne Bil-
dungsgrundlage. Bildung hiefi dazumal: ohne etwas zu wis-
sen, ohne ernstlich studiert zu haben, zu den Leuten zu
reden so wie man heute in der Zeitung schreibt.
So ging er in die Welt hinaus. Und nun sehen wir, wie er
iiber Religion und Politik redet, wie er auftritt als eine Per-
sonlichkeit, von der die Geschichte nichts meldet, die aber
die Rede in einem Gesprach, wie in einem Leitartikel, bis
zum Himmel hinauf zu heben vermochte. Uberall war er
in dieser Weise tatig. Er kam bis nach Frankreich, war eine
Personlichkeit ohne Halt, ohne inneren Gehalt und Inhalt.
So war uberhaupt die Bildung in diesem damaligen grofien
romischen Reich beschaffen. Das waren die Gebildeten.
Derjenige, welcher einen Kern hatte, wie Apollonius, ein
Zeitgenosse des Lucian, der konnte nicht zu einer irgend-
wie erheblichen Bedeutung kommen. Das war damals ganz
unmoglich. Aber das ganze weite Reich seufzte. Es war die
Unzufriedenheit und die Sittenlosigkeit, unter denen man
litt. Ich kann Ihnen nicht schildern die Art von Vergniigun-
gen grausiger und unmoralischer Art. Ein Drittel des Jahres
wurde verbracht mit Gladiatorenspielen, mit Stierkampfen
oder mit Schaustellungen der ausgelassensten Art. Und das
breitete sich immer mehr und mehr aus. Wir haben da auf
der einen Seite aufiersten Luxus und daneben eine Armut
und ein Elend, wie es ganz unbeschreiblich ist.
Nun sehen Sie, wie es dazu kam, wie in diesem ganzen ro-
mischen Reich ein Element mehr und mehr Ausbreitung
gewann, welches sich von alien anderen dadurch unter-
schied, dafi es mehr Ernst hatte, dafi es einen tieferen Ge-
halt hatte. Das war das Judentum. Die Juden konnten Sie
im romischen Reiche damals iiberall finden. Es ware ganz
ungeschichtlich, wenn man glauben wollte, dafi damals die
Juden nur auf Palastina beschrankt waren. In ganz Nord-
afrika, in Rom und in Frankreich, iiberall finden Sie schon
damals die Juden ausgebreitet. Ihre Religion war noch viel
gehaltvoller als das, was die Bildung der romischen Zeit
bot. Sie bestand neben den Stromungen niederer Geistes-
art. Dadurch, dafi die Romer in alle Welt kamen, breiteten
sie auch die Kultus-, die Opferhandlungen, die heiligen
Handlungen der verschiedenen Provinzen aus. In Rom
konnte man persische, arabische, agyptische Gottesdienste
halten sehen. Das hatte eine ungeheure Veraufierlichung
zur Folge.
In der romischen Casarenzeit ist die Religion zu einem
solchen Grad von Aufierlichkeit gekommen, dafi sie sich
mit nichts fruherem vergleichen lafSt. Der Priester der alte-
ren Zeit war eine Art von Eingeweihtem, nachdem er vor-
her uberwunden hatte alles Niedere. Dann nannte man ihn
auch eine vergottlichte Personlichkeit. Das erreichte man
in den verschiedenen Schulen der verschiedensten Lander.
Soweit diese Wiirde erhaben war - sie war eine der heilig-
sten des Altertums - , so weit war diese nun herabgezogen.
Es war so, dafi die romischen Casaren als sogenannte Einge-
weihte verehrt wurden, ja sogar gottlich verehrt wurden.
Lucretia erlangte sogar gottliche Verehrung, weil bei ihr,
durch aufiere Handlungen und Schulung vorbereitet, eine
Einweihung vollzogen worden war.
Aber das war ganz aufierlich. Als Augustus den Titel
Pontifex Maximus angenommen hatte, da hatte er aufier-
lich angenommen alies das, was friiher das innerliche
Zeichen der Priester war. Dadurch, daft das alien Zusam-
menhang mit seinem Ursprung verloren hatte, hatte es
auch alle Bedeutung und das richtige Verhaltnis verloren.
So sah es in Rom aus in der Zeit, als es von Osten heriiber
eine vollige Erneuerung der religiosen Anschauung bekam.
Eine Erneuerung der religiosen Anschauung kam, welche
wir ja dem Inneren nach, weil wir ja keine Religionsge-
schichte, sondern Allgemeingeschichte vortragen, dem In-
halte nach nicht zu schildern brauchen, aber den aufieren
Formen nach schildern mussen. Vor alien Dingen ver-
pflanzte sich eine Weisheitsreligion. Die ersten Verbreiter
dieser christlichen Religion waren tatsachlich die gelehrte-
sten, die tiefsten und bedeutsamsten Manner der damaligen
Zeit. Sie hatten zu dem Stifter des Christentums, von dem
ganzen Grunde dieser Gelehrsamkeit aus, aufgesehen. Man
lese sie nach: Klemens von Alexandrien, Origenes und so
weiter, und man wird sehen, was sie an Weisheit in der da-
maligen Wissenschaftlichkeit geleistet haben. Das alles ha-
ben sie in den Dienst dieser neuen Idee gestellt. Alles, was
sie versuchen wollten, war nichts anderes als eine vollige
Erneuerung des religiosen Gefuhls, das gleichzeitig ver-
kniipft war mit einer Durchdringung des ganzen Mensch-
seins.
Nun stellen Sie sich vor, dafi, wahrend in Rom driiben al-
les Aufierlichkeit geworden war, alle Religiositat dem Ca-
sar wie ein Mantel umgehangt war, und alles unter Beimi-
schung von Spott beredet wurde, wie Lucian es tat, da soll-
te mit Verzicht auf jegliches Weltliche, blofi aus dem Inner-
sten des Menschen, des menschlichen Gemiits heraus das
Religiose erneuert werden. Und das Religiose wird so er-
neuert, dafi tief veranlagte, gelehrteste Manner in den
Dienst dieser Idee gestellt sind. Es war so - das darf man
nicht verkennen - , da£ die Leute des ersten Christentums
nicht Leute waren, etwa wie die gewohnlichen Glieder der
Volkermassen, sondern es waren die Gescheitesten jener
Zeit. Das verbreitete sich mit Blitzesschnelle, deshalb, weil
die ganze Religion nichts von Asketismus, nichts von Jen-
seitigkeit an sich hatte. Die Menschen im unmittelbaren
Alltagsleben griffen sie auf. Alles das, was man als romisch
empfunden hatte, alles das, was in Rom zum Luxus, zum
Wohlleben gefiihrt hatte, das war dem Kern dieser Religion
im Innersten fremd. Was von dem ganzen Menschen, von
dem Menschen des Alltags aufgefalk und eingefafit worden
ist durch dieses Bekenntnis, das sich mit grower Schnellig-
keit ausbreitete, das konnen Sie sehen, wenn Sie die Schil-
derung des christlichen Prinzips bei Tertullian lesen, der da
sagt: Wir Christen kennen nichts, was dem menschlichen
Leben fremd ist. Wir Ziehen uns nicht zuriick von dem All-
tagsleben, wir wollen dem Menschen, wie er alltaglich ist,
etwas bringen, wir wollen die Welt vertreten, wir wollen
das, was in der Welt ist, geniefien. Nur wollen wir nichts
wissen von den Ausschweifungen Roms.
Und um z\i zeigen, wie diese Christen miteinander leb-
ten, wo das romische Imperium noch nicht zerstort hatte
die Marktherrschaften, da brauche ich nur die Worte anzu-
fiihren aus der Apostelgeschichte, nicht etwa als Predigt
und nicht als ermahnendes Wort: «Die Menge aber der
Glaubigen war ein Herz und eine Seele. Auch keiner sagte
von seinen Giitern, dafi sie sein waren, sondern es war
ihnen alles gemein . . . Es war auch keiner unter ihnen, der
Mangel hatte, denn, wieviel ihrer waren, die da Acker oder
Hauser hatten, die verkauften sie und brachten das Geld
des verkauften Gutes und legten es zu der Apostel Fuften,
und man gab einem jeglichen, was ihm not war. Joses aber,
mit dem Zunamen von den Aposteln genannt Barnabas,
von Geschlecht ein Levit aus Cypern, der hatte einen Ak-
ker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es zu
der Apostel Fufien.» Das ist nicht eine Predigt, das ist eine
Schilderung dessen, was man beabsichtigte, und was man
auch vielfach verwirklichte. Das war es, was man entgegen-
setzte dem romischen Staatsleben. Das war ein Grund, war-
um das Christentum sich mit solcher Schnelligkeit einge-
fiihrt hat. Daher schaltete sich das Christentum so schnell
ein in die Herzen derjenigen, welche nichts zu hoffen hat-
ten. Nicht allein das haben sie gehort damals, dafi es kein
Dogma gibt, das lebendige Wort war es, das lebendige
Wirken, was sie empfanden.
Derjenige, welcher sprach, sprach das, was er wufke und
als Wahrheit erkannt hatte. Das konnte er heute in der
Form und morgen in einer anderen Form sagen. Es gab
kein festgestelltes christliches Dogma. Die Gesinnung, das
innere Leben, war es, das diese christliche Gemeinde zu-
sammenhielt. Und das war es auch, was die ersten Christen
predigten. Das war es auch, warum man in den ersten Jah-
ren des Christentums frei iiber die Wahrheit hin und her
diskutierte. Es gibt keine freiere Besprechung, keine freiere
Diskussion, als sie in der ersten Zeit dieses Christentums
vorhanden war. Von einer Gewalt wird nur nach und nach
geredet. Das Wichtige, was dabei zu beriicksichtigen ist,
was dann spater zur Vergewaltigung fiihrt, was uberhaupt
zum Entstehen des Dogmatismus des Christentums fiihrt,
ist die Tatsache, daft das romische Reich dogmatisiert war.
Das ganze romische Reich war in ein Dogmensystem ver-
wandelt. Man konnte nichts anderes begreifen als Verstan-
dessachen, nichts anderes als steifes, abstraktes Dogma. So
kam es, daft die ersten Christen verfolgt wurden, daft sie
aber immer mehr an Bedeutung zunahmen, und daft sich
die Casaren endlich nach des Konstantin Vorgehen, und die
Konstantiner selbst gezwungen sahen, die Christen anzuer-
kennen. Aber wie erkannten sie sie an? Sie liefien sie hin-
einwachsen in den romischen Staat, in dasjenige, was erfullt
war von dem Dogma und von weltlicher Macht, die im ro-
mischen Staate begriindet waren. Dafiir mufke es seinen
ganzen Einflufi den romischen Machthabern zur Verfii-
gung stellen; und die urspriingliche Einteilung ging in die
Bistiimer und Diozesen iiber.
Nicht zu verwundern ist es, dafi im Jahre 325 das nica-
ische Konzil so ausfiel, wie es eben ausgef alien ist. Damals
standen die zwei Stromungen des Christentums sich noch
gegeniiber in dem Presbyter Arius und dem ganz im romi-
schen Geiste erzogenen Athanasius. Arius glaubte an die all-
mahliche Entwickelung des Menschen. Er sah sie unbe-
grenzt; Vergottlichung nannte er sie. Der Mensch kann
sich Gott anahneln; das ist der wahre Arianismus. Dem
stand gegeniiber der romische Dogmatiker Athanasius, der
da sagt: Die Gottheit Christi mufi iiber alles, was mit
Menschentum zusammenhangt, hinausgehoben werden zu
der Abstraktheit, der Jenseitigkeit des im romischen Reiche
sich allmahlich herausentwickelnden Dogmatismus. So
verwandelte sich das arianische Christentum zum athanasi-
schen Christentum, und das letztere siegte. Worauf kam es
dem romischen Casar an? Er tritt sprater selbst zum Chri-
stentum iiber, aber nicht zum athanasischen, sondern zum
arianischen. Er wufke aber, dafi das athanasische wenig-
stens scheinbar das alte romische Reich stiitzen konnte.
Das Christentum sollte eine Stutze des romischen Reiches
werden; das war die wichtige Frage, die sich im Beginne des
4. Jahrhunderts entschieden hat. Das war aber zu gleicher
Zeit die Epoche der Weltgeschichte, wo die Germanen im-
mer machtiger und machtiger geworden waren, und es
nichts mehr half, durch Umwandlung und Ummodelung
das alte romische Reich zu stiitzen; es wurde hinweggefegt
von den Germanen. Davon wollen wir das nachste Mai
sprechen, wie die Germanen das alte romische Reich
stiirzten.
Dann wollen wir noch zeigen, wie das romische Reich im
letzten Todeszucken noch eine Macht gewesen ist. Das war
die Aufgabe, die Lehre des Christentums so umzuformen,
daft diese Lehre eine politische Gestalt annahm und geeig-
net war, Trager eines politischen Systems zu sein. Machtig
war diese Idee allerdings, die dazumal das fiihrende Chri-
stentum aus dem urspriinglichen Christentum herauszuho-
len wufke. Macht war es, was sie zu dem romischen Casa-
rengedanken und dem verwandelten Christentum hinzu-
brachte. Macht war es. Das politische System war so mach-
tig, daft, als Germanien dieses romische Reich zerstorte, als
das germanische Landergebiet sich immer mehr ausbreite-
te, der sogenannte bedeutende Herrscher des beginnenden
Mittelalters, Karl der Grofte, aus den Handen des Papstes,
des Pontifex Maximus, die Kaiserkrone erhielt. So waren
die Wirkungen, als von dem alten romischen Reich nur
wenig iibriggeblieben war. Sie sehen, wie eigentiimlich die
Geschicke der Welt sich verketten, Sie sehen, daft wir vor
alien Dingen wissen miissen, daft wir es das ganze Mittel-
alter hindurch mit einer politischen Macht zu tun haben,
deshalb, weil in das urspriingliche Christentum die romi-
sche Staatsidee hineingeflossen ist. In die romische Staats-
idee wurde nicht das eigentliche Christentum eingefiigt;
und immer war es so, daft sich das Christentum in dem
Monchstum aufgebaumt hat gegen die politische Gestalt
des Christentums.
Eine Idee hangt damit zusammen. Es ist eine Idee, die
schwer zu begreifen ist, weil sie gar nicht im urspriingli-
chen Christentum begriindet war. Sie finden nichts von
dem Monchswesen im Christentum, weil diese Art von
Vereinsamung, von Zuriickziehen von der Welt, ihm ganz
fremd war. Demjenigen, der das Christentum ernst nahm,
war die Form, die poiitische Form, fremd. So zog er sich,
um die Religion des Christentums zu fuhren, in das Kloster
zuriick. Alles was sich als solche Vereinigungen, als
Monchstum, durch die Jahrhunderte hindurch geltend ge-
macht hat - wenn es auch ausartete, weil die katholische
Kirche jeden solchen Versuch unterdriicken wollte - , das
war ein lebendiger Aufschrei des Christentums gegen die
poiitische Macht. So haben wir also die Entwickelung der
Macht.
Jetzt steht uns noch bevor zu erkennen, was das germani-
sche Element fur eine Bedeutung hat in dieser Zeit, zu er-
kennen, was das Christentum in dem germanischen Ele-
mente fur eine Rolle spielt. Wir haben auch noch zu erken-
nen, was sich aus dem alten romischen Reich herausentwik-
kelt und zu sehen, wie diese alte romische Ruine zusam-
menstiirzt, wie aber etwas daraus hervorging, unter dem
die Volker noch lange zu seufzen hatten. Es beginnt mit
dem Ruf nach Freiheit und endigt mit der Unterdriickung
der Freiheit. Das ist der Ruf, dafi jeder dem anderen sich
gleich achtet, und der endet, daft jeder unterdriickt wird. Es
ist merkwurdig, dafi sich in unserer Zeit Geschichtsschrei-
ber gefunden haben, die Caracalla in Schutz nahmen, weil
er dem ganzen romischen Reich die sogenannte Gleichbe-
rechtigung gegeben hat. Er hat als einer der unbedeutend-
sten und schadlichsten Casaren diejenigen, die draufien in
den Provinzen waren, gleichberechtigt mit den Romern ge-
macht. Aber, er hat sie dann alle zusammen unterdriickt!
Diese Gestalt hat die urspriingliche romische Freiheit ange-
nommen.
Wenn wir sehen, daft das Schicksal der Freiheit ein sol-
ches sein kann, dann gewinnen wir wohl wirklich aus der
Geschichte das, was wir eine Art Erziehung durch die Ge-
schichte nennen konnen. Dann lernen wir, daft es einen
wirklichen Felsen gibt, wie Petrus ihn hatte, einen Felsen
auf der Grundlage des urspriinglichen Stifters, auf den die
menschliche Entwickelung wirklich gebaut werden kann.
Dieser Fels ist und mull sein: die menschliche Freiheit und
die menschliche Wiirde. Diese konnen zu Zeiten unter-
driickt werden, so stark unterdriickt werden, wie es durch
die Verhaltnisse, die sich mit wenigen vergleichen lassen,
im alten romischen Reiche geschehen ist. Jedoch ist die Er-
ziehung des Menschen zur Freiheit in der Geschichte gege-
ben. Das ist eine wichtige Tatsache, daft, als die Gewalt
herrschte im alten Rom, im Gipfel, zugleich das Funda-
ment unterwixhlt war, und der ganze Bau zusammensturz-
te, so daft von der Freiheit gesagt werden mufi, daft, wenn
sie noch so tief unterdriickt ist, fur sie und von ihr gilt das
wahre Wort:
Das Alte stiirzt, es andert sich die Zeit,
Und neues Leben bluht aus den Ruinen.
GESCHICHTE DES MITTELALTERS
BIS ZU DEN GROSSEN ERFINDUNGEN
UND ENTDECKUNGEN
Vorwort von Marie Steiner
zur i. auflage i$}6
Die Niederschrift dieser von Rudolf Steiner in der Arbei-
terbildungsschule Berlins gehaltenen Vortrage iiber die Ge-
schichte des Mittelalters gibt deren Inhalt, wenn auch etwas
zusammengedrangt, so doch dem Geiste nach treu und ge-
nau wieder. Die Vortrage zeigen, in welchem Sinne Dr.
Steiner die Geschichte behandelt sehen wollte, und bilden
so den Auftakt zu dem, was aus seinem Gesamtwerke als
eine neue Wissenschaft der Geschichte wegweisend wirken
kann. Ihre geistige Spannweite, welche die Untergriinde
des irdischen Geschehens aus tieferen Schachten heraus-
holt, als wir es sonst gewohnt sind, kiindigt sich schon in
dieser gedrangten Ubersicht weit auseinander liegender hi-
storischer Geschehnisse an. Hineingestellt waren diese frei
gesprochenen Vortrage in dasjenige, was als Seelenkonfigu-
ration sich in den Kreisen der Arbeiterschaft ergab; sie
wandten sich an dasjenige, was die Zuhorer aus ihrer gut
geschulten und wachen Intelligenz heraus verstandnisvoll
verfolgen konnten. Aber sie dienten keinem Parteipro-
gramm, sondern traten im eminentesten Sinne dem Dogma
einer materialistischen Geschichtsauffassung entgegen. So
wurden sie von den dort leitenden Personlichkeiten verket-
zert, die ja keine Freiheit, sondern, wie sie sich ausdriickten
«einen verniinftigen Zwang» forderten! Dies fuhrte denn
auch dazu, daft Rudolf Steiner seiner Lehrtatigkeit in der
Arbeiterbildungsschule enthoben wurde, trotz des allge-
meinen Eintretens der Zuhorerschaft fur deren Fortset-
zung. Interessant waren viele Briefe von Arbeitern, die er-
kannt hatten, in welcher Weise Rudolf Steiner ihnen hatte
dienen wollen; sie dankten, dafi endlich Einer gekommen
sei, der ihnen zutraute, noch andere Interessen zu haben,
als den Kampf urns Brot, der vom Geiste zu ihnen gespro-
chen habe, ein solches Streben auch bei ihnen vorausset-
zend und so an ihre besten Krafte appellierend.
Fur die Niederschrift dieser Vortrage sind wir Fraulein
Johanna Miicke zu Dank verpflichtet.
Erster Vortrag, 18. Oktober 1904
Goethe hat gesagt, das Beste in der Geschichte ware der En-
thusiasmus, den sie errege, der dazu fiihre, zu gleichen Ta-
ten zu ermuntern. In gewissem tieferem Sinne kann alles
Wissen und alle Erkenntnis erst den rechten Wert erhal-
ten, wenn es ins Leben hinaustritt. Es ist notig, bei der Ge-
schichte weit zuriickzugreifen, urn die Ursachen der spate-
ren Entwickelung zu finden. Wie wir, um einzelne Zweige
der aufieren Entwickelung der menschlichen Kultur zu ver-
stehen, zum Beispiel beim Briicken- und Wegebau, daran
festhalten miissen, daft dies die Friichte der Errungenschaf-
ten in den einzelnen Wissenschaften, der Physik und der
Mathematik sind, so sehen wir auch in der eigentlichen Ge-
schichte uber all die Friichte der friiheren Geschehnisse. In
ferae Zeiten greift das zuriick, was in unserem Leben zum
Ausdruck kommt.
Wir haben die Anfange der Kultur, ihre Entwickelung im
Griechen- und Romertum verfolgt. In dieser Geschichtsbe-
trachtung nahern wir uns der Gegenwart. Wir gehen jetzt
daran, einen Zeitabschnitt zu betrachten, auf den viele
nicht gerne zuriickblicken, den sie als finsteres Mittelalter
am liebsten ausloschen mochten aus der Geschichte. Und
doch stehen wir da vor einem wichtigen Abschnitt der Ge-
schichte: es treten auf den Schauplatz der Geschichte barba-
rische Volker, die nichts wissen von Gesittung und Kunst.
Diese Volkerstamme werden durch mongolische Volker
aus ihrem Wohnsitz im heutigen Rutland verdrangt und
rucken weit nach Westen vor. Wir werden die Kampfe und
Schicksale dieser Volker verfolgen; dann wird uns unser
Weg weiterfiihren bis zur Entdeckung Amerikas, bis zu je-
nem Zeitpunkt, wo sich Mittelalter und Neuzeit zusam-
menschliefien, bis zur Zeit der grofien Erfindungen und
Entdeckungen, wo jene Erfindung geschah, die wohl die
tiefgehendste Bedeutung hatte, die Erfindung der Buch-
druckerkunst; jene Zeit, in der Kopernikus uns ein neues
Weltbild gab. Diese Entwickelung des Menschen hat von
der Volkerwanderung bis zu den Entdeckungen der Neu-
zeit gefuhrt.
Es ist in der Geschichte weit schwerer, den Zusammen-
hang zwischen Ursache und Wirkung nachzuweisen, als in
der Chemie und Physik; denn oft liegen Ursache und Wir-
kung weit auseinander.
Heute erst erachtet man die Duldung verschiedenartiger
Bekenntnisse untereinander fur eine Forderung, die not-
wendig sei als eine Kulturbedingung. Und doch bestand be-
reits im 3. Jahrhundert vor Christo in Indien eine derartige
gegenseitige Achtung und Duldung der verschiedensten
Glaubensbekenntnisse, wie dies ein Denkstein des Konigs
Asoka beweist. Die im spateren rdmischen Reich auftau-
chende christliche Gesinnung hat ihre Wirkung iiber das
ganze Mittelalter geauftert; ihre Ursachen liegen aber weder
im Romerreich noch in Germanien, sondern in einer ver-
schollenen Sekte des kleinen jiidischen Volkes in Palastina:
bei den Essaern. Bei dem verhaltnismafiig grofien Pro-
gramm kann jetzt nicht jeder Zeitpunkt ausfuhrlich behan-
delt werden. Es mufi gewissermafien erst eine Kohlezeich-
nung entworfen werden, deren Linien dann weiter auszu-
fiihren sind. Wir miissen zunachst begreifen, was uns aus
diesem Mittelalter zustrdmt, wenn wir verstehen wollen,
welche Wirkung diese Zeit fur uns haben mui Ein hervor-
ragender romischer Schriftsteller, Tacitus, hat uns in seiner
«Germania» ein Bild jener Stamme aufbewahrt, die sich in
dem heutigen Deutschland niedergelassen hatten. Er schil-
dert sie als einzelne Stamme, gleich durch ihre Sprache; und
wahrend sie sich selbst als verschiedene Volker betrachte-
ten, erschienen sie ihm, dem Aufienstehenden, sehr ahn-
lich. Er fand das Gemeinsame heraus und gab ihnen den ge-
meinsamen Namen Germanen.
Wenn wir nun die Volksseele dieser germanischen Vol-
kerschaften priifen, tritt uns der Unterschied zwischen
ihnen und den Griechen und Romern entgegen. Bei der Bil-
dung dieser seelischen Eigenschaften handelt es sich um
einen wichtigen Zeitunterschied. Die griechische Kultur
mit ihrer unvergleichlichen Kunst bestimmt einen beson-
deren Punkt in der Menschheitsentwickelung. Wir sahen
dort vor der Eroberung durch die spater eindringenden
Hellenen ein uraltes Volk, ungefahr gleich den spateren
Germanen, die Pelasger, die in einer Gemeinschaft von
freien Menschen lebten. Dann nach der Einwanderung der
Hellenen fanden wir die zwei Bevolkerungsschichten, Er-
oberer und Eroberte, diesen Gegensatz von Freien und
Unfreien. Aus der Volkerwanderung und der Eroberung
ging die griechische Herrschaft hervor. Hieraus ergibt sich,
dafi nur ein kleiner Teil der Bevolkerung teil hatte an den
Giitern der Kultur. Es ergibt sich ferner daraus die niedrige
Wertung der Arbeit; selbst die kiinstlerische war des freien
griechischen Burgers unwiirdig. Griechenland ging unter
an dieser Geringschatzung der Arbeit. Diese in vielen
Punkten unerreichte Kultur der Griechen war eine Kultur,
die nur moglich war unter Eroberern. Der romische Cha-
rakter bildete sich wahrend der Eroberung; die Geschichte
des Romerreiches ist eine Geschichte von fortwahrenden
Eroberungen; als es nichts mehr erobern konnte, ging es
zugrunde.
Der germanische Charakter pragte sich in alien seinen
wesentlichen Bestandteilen vor der Eroberung aus, und er
hat sich von den Beriihrungen mit anderen Volkern nicht
unterjochen lassen. Seine Entwickelung stand fest vor dem
Kampf. So sehen wir die Bildung des Volksgeistes sich voll-
ziehen bei den Griechen nach } bei den Romern wahrend
und bei den Germanen vor den grofien geschichtlichen
Kampfen. Wollen wir diese Charakterziige betrachten, so
werden wir diese Volkergruppen in Mitteleuropa genauer
unterscheiden miissen. Drei Volker kommen in Betracht.
In Spanien, Frankreich, Irland und Siiddeutschland finden
wir zunachst das alte Volk der Kelten. Es wird aus dem
grofken Teil seiner Wohnsitze durch die Germanen ver-
trieben. Von Osten her riicken die Slawen nach und dran-
gen die Germanen weiter. So finden wir bei den Germa-
nen, die von den beiden anderen Vjplj^'^iijjwpageben sind,
eine starke Vermischung mit ''lo^^^^^^li^^Uwischem
Blut. Auch auf die ganze Kultur des Mittelalters wirkt diese
Mischung des germanischen mit dem keltischen und slawi-
schen Element.
Wenn man in feme Zeiten zuriickgeht, so zeigt sich uns
eine grofte merkwiirdige Kultur der alten Kelten. Riihrig,
energisch, geistig angeregt, zu revolutionaren Impulsen ge-
neigt - so zeigt sich auch noch in spateren Zeiten das kelti-
sche Blut. Grofiartige Dichtungen, Gesange, Wissenschafts-
vorstellungen verdankt man dem keltischen Volke. Zu den
Sagen, die im spateren Mittelalter von den deutschen Dich-
tern bearbeitet wurden - Roland, Tristan, Parzival und so
weiter — , haben die Kelten die Anregung gegeben. Dieses
merkwiirdige Volk ist fast verschwunden, nachdem es im-
mer weiter nach Westen verdrangt wurde oder sich mit den
Germanen vermischte.
Der germanische Charakter zeigt als Hauptmerkmale
Tapferkeit, Wanderlust, ein starkes Naturgefuhl. In ihm
entwickeln sich die hauslichen und kriegerischen Tugen-
den, die praktische Tuchtigkeit, die auf das Niitzliche ge-
richtete Tatigkek. Die Hauptbeschaftigungen der Germa-
nen bilden Jagd und Viehzucht. Wenige einfache Dichtun-
gen, die von einem alteren Volke iibernommen sind, haben
die Germanen. Der germanische Charakter bleibt in seinen
Grundeigenschaften erhalten aus barbarischer Urzeit. In-
nerhalb des germanischen Elementes entstehen die treiben-
den Krafte entgegengesetzter Entwickelung. Eine merk-
wiirdige Wandlung vollzieht sich innerhalb des Mittelal-
ters. Gnechenland hatte seine hohe Kunst, Rom hatte sein
Rechtsleben und den Staatsbegriff ausgebildet. Die einfa-
chen Rechtsanschauungen der Germanen gingen von ganz
anderen Voraussetzungen aus. In Rom waren die Besitzver-
haltnisse, besonders in bezug auf Grund und Boden, das
Ausschlaggebende. Die komplizierten Rechtsbegriffe des
romischen Staates gehen hervor aus dem Bestreben, Ein-
klang zu bringen zwischen den freien Burgern und den Be-
sitzern des Bodens. Alle die Kampfe zwischen den Plebe-
jern und Patriziern, die Kampfe der Gracchen, selbst die
Parteikampfe der spateren Republik, waren Kampfe fur das
Recht des freien Burgers gegeniiber den durch den Grund-
besitz auch im Besitze der Macht Befindlichen. Formell
stand jedem romischen Burger das gleiche Recht auf den
Staat zu. Ja, selbst in den spateren Zeiten des Kaisertums
besafien nominell die Kaiser das Recht an den Staat, indem
sie das Recht aller freien Burger in ihrer Person vereinigten
und es an ihrer Stelle ausubten.
Den einfachen Rechtsanschauungen der Germanen wa-
ren solche kunstvolle Begriffe fremd. Der besondere Wert
des freien Burgers kam zu keiner rechtlichen Anerken-
nung. Was sich aus diesen Anschauungen heraus entwickel-
te, war das Faustrecht, das Recht des Starkeren; der war der
Machtige, der sein Recht durch seine Kraft geltend machen
konnte. Zunachst war es die physische Kraft, die sich be-
hauptete; da mufite sich jeder fiigen und ftigte sich auch
dem Starkeren. Die Frucht dessen aber, was sich im germa-
nischen Zeitalter vorbereitet hatte, tritt spater hervor als
das Recht der freien, durch nichts als durch die selbsterwor-
bene Tiichtigkeit bedingten Personlichkeit. Es pragt sich
dies aus in der Stadtegriindung. Diese Kultur der Stadte, die
sich im 11. Jahrhundert im ganzen westlichen Europa voll-
zieht, stellt eine bedeutsame Erscheinung dar. Woraus wa-
ren sie entstanden? Daraus, daft die, welche sich bedriickt
fiihlten von ihren Grundherren, eine Statte suchten, wo sie
das, was sie ihrer Tatigkeit, ihrer personlichen Geschick-
lichkeit verdankten, ungestort geniefien konnten. Der freie
Burger des alten Rom fufite auf einem Titel. Wer ihn hatte,
hatte dadurch das Recht. Im Mittelalter gait nicht ein Titel
des Burgers, sondern nur das, was man sich erwarb. In den
Kampfen, die die Stadte mit den Fiirsten und Rittern um
ihre Freiheit und Unabhangigkeit fuhrten, driickt sich
nichts anderes aus als der Kampf der freien Personlichkeit.
So war es nicht im alten Griechenland, nicht im alten Rom.
Das war ein bedeutsames Ubergangsstadium.
Was war denn der Grund, dafi sich die Leute in den Stad-
ten zusammenfanden? Das materielle Interesse war es zu-
nachst, das Freiseinwollen von den Bedriickungen; so zeig-
te sich auch zunachst die Tatigkeit auf den Nutzen, auf den
materiellen Erwerb gerichtet.
Auch aus der Stadtekultur - aber nicht aus diesen neuen
Begriindungen - in Italien, auf dem Schauplatz einer alten
absterbenden Kultur, geht die gewaltige Dichterpersonlich-
keit des Mittelalters, Dante hervor. In den germamschen
Stadten entstehen zunachst praktische Erfindungen: der
KompaE, das Schiefipulver, bis zu dem bedeutsamen Ereig-
nis der Erfindung der Buchdruckerkunst. Alles dies, was
hinuberfiihrt in eine vollige Umgestaltung der Verhaltnisse,
war herausgeboren aus dem, was man praktisch errungen
hatte. Das mag auf den ersten Blick sehr weit hergeholt er-
scheinen, aber, wie schon betont, liegen in der Geschichte
Ursache und Wirkung weit auseinander. Moge dies ein
Beispiel erlautern:
Franz Palacky, der tschechische Historiker, hat im Jahre
1846 in seinem Werke uber das tschechische Volk im 15.
Jahrhundert auf die Reformbewegung des Mittelalters hin-
gewiesen, auf diese Bewegungen, die lange vor der soge-
nannten Reformation die Gedanken einer Neugestaltung
der Kirche versuchten. Besonders an der hussitischen Bewe-
gung, die Palacky, der selber an der Revolution 1848 tati-
gen Anteil nahm, mit grofier Sympathie behandelte, macht
er auf die Stromungen aufmerksam. Er charakterisiert in
ihnen in ganz eigentiimlicher Weise, was sich in den Her-
zen ausgebildet hat in der Stadtekultur. Es ist eine den kelti-
schen, germanischen und slawischen Stammen gemeinsame
Eigenschaft. Wir verstehen sie, wenn wir die Sagen und Lie-
der dieser Volker betrachten. Von alten griechischen und
romischen Sagen unterscheiden sie sich dadurch, dafi sie
schildern, was das Menschenherz leiden kann und was es
erlost.
Es ist dies der Sinn fur das Tragische. Bei dem griechi-
schen und romischen Volk war derjenige der Held der
Sage, der aufierlich siegte, nicht der, welcher seine Seele auf-
recht erhielt. Immer war das Herz des Volkes bei denjeni-
gen, die aufterlich vom Gliick begiinstigt waren. Anders bei
den germanischen Volkern. Fur die Helden, die aufierlich
untergehen, aber die Seele aufrecht erhalten, schlagt das
Herz der germanischen und slawischen Volker. Sie leben in
der Seele, im Geiste. Helden wie Siegfried und Roland oder
der Konigssohn Marko werden in der Dichtung dieser Vol-
ker gefeiert. Nicht der auftere Sieg dieser Helden, sondern
ihr Mut im Leiden und Untergang, ihr ungebeugter Geist
wird gefeiert. Alles tritt zuriick vor- dem Rechte des Geistes
und der Seele. Im Imperium Romanum sehen wir die Tap-
ferkeit, das Rechtsbewufitsein, in Griechenland die Kunst
bliihen; das Leben der Seele tritt uns bei den Germanen ent-
gegen. Sie hatten keine Bilder ihrer Gotter; nicht wie bei
den Griechen treten uns herrliche Bilder ihrer Gottergestal-
ten plastisch entgegen. Ihre Seele hat gearbeitet an den Bil-
dern ihrer Gotter, tief im Innern des Gemiites bildete der
Deutsche sich seinen Gott.
Aus dieser Volksanlage entsprang auch der reformatori-
sche Gedanke. Selbst mittatig sein an dem, was sein Glaube
sein sollte, das verlangten diese Volker. Hundert Jahre vor
Luther hatte Wiclif'm England eine reformatorische Bewe-
gung eingeleitet. Der Volksgeist fordert, selbst die Bibel in
die Hand zu nehmen. Aus diesem Geiste stammte auch die
hussitische Bewegung. Schon im friihen Mittelalter waren
Ansatze in dieser Richtung vorhanden. Kaiser Heinrich II.
aus sachsischem Geschlecht, dem die katholische Kirche
spater den Namen «der Heilige» gegeben hat, forderte eine
«ecclesia non romana». Militsch, der nicht genug gewiirdigte
Gelehrte, der im Kerker von Prag schmachtete, schrieb sein
Buch iiber den Antichrist. Die romische Kirche mit ihrer
au&eren Organisation war ihm der Antichrist. Das, was in
solchen Forderungen und Bewegungen zutage trat, die Los-
losung vom aufieren Zwang, die innerliche Vertiefung, das
nimmt Palacky fur das slawische Volk in Anspruch; den
Gedanken der Humanitat wie ihn Herder ausgesprochen
hat, er sieht ihn dargestellt in den Brudergemeinden wie sie
auf bohmischem Boden sich entwickelten. Tief in unserem
Volk liegt es, eine zwanglose Organisation als Ideal zu
betrachten.
Nicht nach, nicht wahrend der Eroberung bildete es sei-
nen Volkscharakter, sondern der Zug, der vor dieser Zeit
in ihm lag, hat sich durch dieses Stadium hindurch erhalten
und zu diesem Ideale endlich sich entwickelt. Der Freiheits-
gedanke bildet sich wahrend des Mittelalters aus, trotz all
der Unterdriickung, trotz all der Gegenstromungen, die
das ausmachen, was man das dunkle Mittelalter nennt. Mag
auch vielen das Mittelalter heute als eine finstere Zeit er-
scheinen, so hat sich doch im Mittelalter das entwickelt,
was spater die Dichter suchten: das Freiheitsbewufttsein,
fur welches das 18. Jahrhundert kaum mehr als die Defini-
tion fand, um das man im 19. Jahrhundert erbittert kampf-
te, und welchem das Ringen der Gegenwart gilt.
Freimachen miissen wir uns von den Zwangsverhaltnis-
sen, in denen auch heute noch die Menschen gebunden
sind. Das Bewufttsein, daft der Mensch dem Menschen in
bezug auf das Freiheitsgefiihl gleich sei, hat sich immer
mehr verbreitet. Das haben die Menschen begriffen, daft
rechtlich ein Mensch nicht Sklave, nicht Horiger sein kon-
ne. Rechtlich fuhlt sich der Mensch heute frei. Aber eine
andere Form der Unfreiheit hat sich noch erhalten, die ma-
terielle. Unfrei war im alten Griechenland der Unterdriick-
te, der Uberwundene, der Sklave. Unfrei war im alten Rom
der nicht zum Burgertum Gehorende, der keinen Teil an
dem Staate hatte. Im Mittelalter waren die Menschen unfrei
durch die physische Gewalt. Alle diese For men haben sich
nicht erhalten konnen, erhalten hat sich nur die okonomi-
sche Unfreiheit.
Immer deutlicher gibt sich das Bestreben nach voller Be-
freiung der Personlichkeit kund. Der alte Grieche legte
Wert auf die Vornehmheit der Rasse, der Romer auf die
Vornehmheit der Person. Bei dem Germanen lag der Wert
in der Kraft und Starke der Person. Der moderne Mensch
legt Wert auf den Kapitalismus, auf den Schein des Besitzes.
So weist uns die Entwickelung darauf hin, dafi immer mehr
die Schranken fallen, die von aufien die Personlichkeit
hemmen. Dann wird der Boden frei sein fur das neue Ideal.
Dafi der freie Mensch aus dem Geist heraus einen neuen
Wert erhalt, lehrt uns die Geschichte. Der idealerfiillte
Mensch wird derjenige sein, der befreit ist von all diesen
For men der Unterdriickung, der gelost von der Erden-
schwere, seinen Blick aufwarts richten kann. Dann erst
wird das Wort Hegels zur vollen Wahrheit werden: Die Ge-
schichte ist der Fortschritt der Menschheit zum Bewufit-
sein der Freiheit!
Zweiter Vortrag, 25. Oktober 1904
Griindlich verandert hat sich das Bild Mitteleuropas von
der Zeit etwa vom Jahre 1 bis zum 6. Jahrhundert n.Chr.
Diese Anderung bedeutet einen vollstandigen Ersatz der
Volker, die an der Weichsel, Oder und Elbe gelebt haben,
durch andere, und daher ist es sehr schwer, sich ein Bild
dieser Volker zu machen, iiber ihre Sitten, uber ihre Le-
bensart etwas zu erfahren. Man mufi zu einer eigenartigen
Methode greifen, um ein Bild jener Volker zu finden. In
den Beschreibungen des Tacitus in der Germania ergibt
sich uns ein Bild der damaligen Gegend. Urkunden sind
uns sonst aus jener Zeit nicht aufbewahrt, und wir miissen
die Sagen der nordlichen Germanen heranziehen, um unse-
re Vorstellungen zu erganzen. Etwas sehr Bezeichnendes
fur die Anschauungen des Romers damaligen Verhaltnissen
gegeniiber ist es, was Tacitus uber diese Volker sagt. Er ist
der Meinung, sie seien die Urbewohner jenes Landes, denn
er kann sich nicht vorstellen, dafi in diese unwirtlichen Ge-
genden andere Volker sich hatten wenden konnen. Er
nennt jene Volkerstamme, die am Rhein, an der Lippe, an
der Weser, an der Donau und in Brandenburg wohnen; nur
diese sind ihm bekannt. Von ihnen erzahlt er eigentiimli-
che Ziige, sie fafk er zusammen ihrer Gleichartigkeit halber
mit dem Namen Germanen. Sie selbst fuhlten sich als viele
verschiedene Stamme und werden bei den Kampfen mit
den Romern mit den mannigfachsten Namen genannt, von
denen sich nur wenige in den spateren Zeiten erhalten ha-
ben, wie die Sueven, Langobarden, Chatten, Friesen und so
weiter.
Sie leiten sich urspriinglich her von einem Tuisto, dem
sie gottliche Verehrung zollen, die sie durch Kriegsgesange
zum Ausdruck bringen. Der Sohn des Tuisto war Mannus,
nach dessen drei Sohnen sie ihre Hauptstamme benennen:
Ingwaonen, Istwaonen und Herminonen. Wenn wir diese
Mitteilung des Tacitus mit den Mythen eines anderen ari-
schen Volkes vergleichen, so finden wir auch hier in der
heiligen Sprache der Inder im Sanskrit die gleiche Bezeich-
nung Manu fur ubermenschiiche Fuhrer. Das weist uns auf
eine Stammesverwandtschaft, ja, wir konnen die gleichen
Gottheiten verfolgen bei all den indogermanischen Volker-
schaften. So erzahlt Tacitus, dafi der Held der griechischen
Sage, Herkules, auch von den Germanen verehrt wurde
und bei ihnen den Namen Irmin fuhrte. Wir wissen, dafi
bei den siidlichen indogermanischen Stammen eine Sage
lebte, welche in Griechenland eine kiinstlerische Ausgestal-
tung fand: Die Sage von Odysseus. Tacitus fand in der
Nahe des Rheins eine Kultusstatte, die dem Odysseus und
seinem Vater Laertes geweiht war. Wir sehen also, daft die
Kultur der Germanen um diese Zeit verwandt war mit der
Kultur, die wir im 8. und 9. Jahrhundert v.Chr. in Grie-
chenland antreffen. So sehen wir in Griechenland spater die
Ausbildung einer Kultur, die in Deutschland auf niedrige-
rer Stufe stehengeblieben ist.
All das weist auf eine urspriingliche Verwandtschaft. Jene
Volker, die spater in Deutschland, Griechenland, Rufiland
wohnten, hatten wahrscheinlich ihre friihere Heimat nord-
lich vom Schwarzen Meer. Von dort wanderte ein Stamm
nach Griechenland, ein Stamm nach Rom, ein dritter nach
Westen. Die urspriingliche Kultur aller dieser Volker hat
sich in dieser Form bei den Germanen erhalten, weiter aus-
gebildet wurde sie bei den Kelt en. Nichts erzahlt uns Taci-
tus von den Sitten und Gebrauchen dieses merkwiirdigen
Volkes. An die Sagen und Lieder, die in der alteren und jiin-
geren Edda spater in Island zusammengefafit wurden, miis-
sen wir uns halten, dort lebt, was jenes Volk hervorge-
bracht hat. Tacitus erzahlt uns weiter von den Gebrauchen
der Deutschen bei ihren Volksversammlungen, die wir uns
aber nur als Beratungen sehr kleiner Gemeinden vorzustel-
len haben. Zu diesen versammelten sich alle Manner des
Gaues, die Beratungen wurden bei Bier und Met gepflogen,
und nun wird erzahlt, dafi die alten Deutschen trunken des
Abends ihre Beschlusse fasten, diese aber wurden am nach-
sten Morgen, wenn jene wieder nuchtern waren, revidiert
und hatten erst dann Giiltigkeit. Wie wir aus den Scholien
zur Ilias erfahren, bestand bei den Persern dieselbe Sitte.
Auf einen Urstamm der Arier miissen wir also schliefien,
auf eine Verwandtschaft aller dieser Volker.
Besonders grofie Ahnlichkeit zeigt sich bei den nordli-
cher wohnenden germanischen Volkern in eigentumlichen
Religionsformen, die zwar in dem Grundcharakter denjeni-
gen der siidlichen ahnlich sind, aber doch eine weit grofiere
Ubereinstimmung mit denjenigen der Perser zeigen. Nach
der Anschauung der nordlichen Germanen bestanden ur-
spriinglich zwei Reiche, die durch einen Abgrund vonein-
ander getrennt waren, ein Reich des Feuers, Muspelheim,
und ein Reich des Eises, Niflheim. Durch die Funken, die
von Muspelheim heriiberflogen, entstand in dem Abgrund
das erste Geschlecht der Riesen, von denen Ymir der her-
vorragendste war. Dann entstand eine Kuh, Audhumbla,
die beleckt das Eis, und aus ihm hervor entsteht eine starke
menschliche Gestalt. Von dieser stammen die Gotter
Wotan, Wili und We, deren Namen Vernunft, Willen und
Gemiit bedeuten. Dieses zweite Gottergeschlecht hiefi
Asen. Ihr Ursprung wurde von dem alteren der Riesen
abgeleitet.
Auch hier ergibt sich ein wichtiger sprachiicher Zusam-
menhang, denn die Gotter der Perser wurden beinahe
gleichlautend Asuras genannt, was gleichfalls auf eine iiber
alle diese Volker hingehende Verwandtschaft deutet. Ein
weiterer wichtiger Hinweis findet sich in einer alten persi-
schen Beschworungsformel oder Beschworungsdichtung,
die uns uberliefert ist. Sie weist auf Wandlungen des Volks-
gemutes hin, auf alte Gotter, die abgesetzt und von anderen
verdrangt worden sind. Abgeschworen wird der Dienst der
Devas, beschworen der Dienst der Asuras. Es tritt hier die
Ahnlichkeit der Devas mit den Riesen hervor, die von den
Asen bezwungen wurden.
Ferner erzahlt die nordgermanische Sage, wie die drei
Gotter am Meeresstrande eine Esche und eine Erie fanden
und aus ihnen das Menschengeschlecht erschaffen haben.
Auch die persische Mythe lafit das Menschengeschlecht aus
einem Baume hervorgehen. Bei den Juden finden wir An-
klange an diesen Mythus in der Erzahlung vom Baume des
Lebens im Garten des Paradieses. So sehen wir von Persien
iiber Palastina himiber nach Skandinavien Spuren der glei-
chen mythischen Vorstellungen.
So haben wir damit bei gewissen Volkern einen gemein-
samen Grundcharakter nachgewiesen. Dabei ergeben sich
wiederum Unterschiede zwischen einem siidlicheren und
einem nordlicheren Zweige des gemeinsamen Hauptstam-
mes. Zu dem siidlichen gehoren die Griechen, Lateiner und
Inder, zu dem nordlicheren die Perser und Germanen. Se-
hen wir also, mit was fur Volkern wir es in Deutschland
jetzt zu tun haben. Sie treten uns so entgegen, daft wir wohl
glauben mussen, sie haben sich Charakterziige bewahrt, die
die Griechen und Italer schon langst abgestreift hatten, und
zwar die Griechen nach> die Romer wdhrend der Eroberung
ihres Reiches; wahrend diese nordlichen Volker ihre we-
sentlichen Charakterziige und Eigenschaften vor jener Er-
oberung ausgebildet hatten. Urwuchsige Eigenschaften wa-
ren es, die diese Volker sich bewahrt hatten. Sie waren
nicht durch jene Zwischenstufe hindurchgegangen, die jene
siidlicheren Volker inzwischen durchgemacht hatten. Wir
haben es also hier mit einem Zusammenstofi eines konser-
vativ gebliebenen, mit einem verwandten, aber zur Kultur-
hohe gelangten Volke zu tun.
Zur Zeit der Entstehung des Christentums, das so grofie
Bedeutung fur sie erlangen sollte, standen die Germanen
auf jener Kulturstufe, wie wir sie von den Griechen bei Ho-
mer geschildert finden. Den Fortschritt in der Kultur und
Gesittung, der dazwischen liegt, hatten sie nicht mitge-
macht. In dem ersten Jahrhundert n.Chr. schildert Tacitus
die Germanen der Grenzlander an der Donau, am Rhein
und an der Lippe. Diese Volker zeichnen sich durch Wan-
derlust, Freiheitsliebe, sowie Jagd- und Kriegslust aus. Die
hauslichen Angelegenheiten lagen in den Handen der Frau-
en. Nun tritt uns hier eine Gesittung entgegen und eine
Gestaltung der Gesellschaft, die bei den Griechen langst
entschwunden war, die sich nur dort erhalten konnte, wo
die einzelnen Glieder eines Stammes noch durch Blutsver-
wandtschaften aneinander gebunden waren. Daher die vie-
len Stamme. Bei ihnen, die ihrer Abstammung von der glei-
chen Familie sich bewufk waren - denn geregelte Fami-
lien, keine Horden waren es entwickelte sich aus den
einzelnen Familien die Stammesverwandtschaft. Daher wa-
ren auch die Kriege, die sie fuhrten, fast stets Kriege gegen
Blutsfremde.
Gegen Ende des 4. und im 5. Jahrhundert sehen wir nun
alle diese Volker gezwungen, ihre Wohnsitze zu wechseln
und sich neue zu suchen.
Die Epoche der Volkerwanderung hatte begonnen. Die
Hunnen brechen herein. Damit dammert auf die Kenntnis
der Volker, die weiter nach Osten wohnen, der Alanen, der
Gepiden und so weiter und vor allem der Goten. Dieses
Volk, das sich in West- und Ostgoten teilte, hatte bereits
das Christentum angenommen. Es ist dieses Volk fur uns
von besonderer Wichtigkeit durch die Art seiner Auffas-
sung des Christentums. Wahrend das Volk, das spater das
Christentum von Westen nach Osten ausbreitete, die Fran-
ken, es mit Gewalt den iibrigen Volkern aufzwang, waren
die Goten voller Toleranz. Fur die hohe Kulturstufe, die sie
schon erreicht hatten, spricht der Umstand, dafi wir einem
Bischof der Goten, Ulfilas oder Wulfila, die erste Bibehiber-
setzung verdanken, den sogenannten silbernen Kodex, der
in Uppsala aufbewahrt wird.
Diese Goten, deren Christianisierung von Osten her ge-
schehen war, waren nicht solche Christen wie diejenigen,
deren Bekehrung spater vom Westen aus erfolgte; nicht wie
die Franken, die zur Zeit Karls des Grofien mit Waffenge-
walt den Sachsen das Christentum aufdrangten. Sie waren
nicht athanasische, sondern arianische Christen. All diese
ostlichen germanischen Volkerstamme bekannten sich zu
dem arianischen Glauben, einer Anschauung, die auf dem
Konzil von Nicaa von den Anhangern des Athanasius fiir
ketzerisch erklart und verfolgt wurde.
Die arianischen Christen nahmen an, dafi der Gott in je-
der Menschenbrust wohne. Daher glaubten die Goten an
eine Vergottlichung des Menschen, wie Christus, der ihnen
vorangegangen sei, sie den Menschen gezeigt hatte. Diese
Anschauung war verknupft mit einer tiefen Bildung des
Gemiites. Die Goten waren von grofiter Duldsamkeit ge-
gen jede andere religiose Anschauung. Zwischen zwei
christlichen Religionen, die voneinander so verschieden
waren, war kerne Verstandigung moglich. War die absolute
Toleranz eine Eigenschaft dieser Goten, fiel es ihnen nicht
ein, einem anderen einen Glauben aufzuzwingen, so tritt
uns hierin schon der Unterschied entgegen von der Art und
Weise, wie zum Beispiel bei Karl dem Grofien und Chlod-
wigj den Anhangern des athanasischen Glaubensbekennt-
nisses, das Christentum zu politischen Zwecken ausge-
beutet wurde.
Die Arianer sahen in Christus einen Menschen, hoch-
entwickelt iiber alle anderen Menschen zwar, aber Mensch
unter Menschen. Ihr Christus gehorte zu den Menschen
und wohnte in des Menschen Brust. Der Christus der atha-
nasischen Christen ist Gott selbst, der hoch iiber den
Menschen thronte.
Athanasius hat gesiegt, dadurch ist die Kulturentwicke-
lung wesentlich beeinfluftt worden.
Die Germanen waren rings eingezwangt von fremden
Volkern: im Siiden und Westen von den Romern und Gal-
liern — kelto-germanischen Volkerschaften -, wahrend
von Osten her fortwahrend neue Volkerzuschube stattfan-
den. Die ersten christlichen Germanenstamme hatten
nichts anderes gekannt als absolute Toleranz, die Franken-
Christen brachten ein aufgezwungenes Christentum. Das
fuhrte zu einer Anderung der ganzen Gemutsart. An der
Entwickelung dieses Teiles der Germanen hangt nun im
wesentlichen die Fortentwickelung der Kultur.
Eine tiefgreifende Anderung der Rechtsverhaltnisse hatte
sich allmahlich vollzogen. Einigermafien tritt Ruhe und
Sefihaftigkeit mit dem Ende des 5. Jahrhunderts ein. Durch
die fortgesetzten Nachschiibe von Osten haben sich aus
den friiher genannten, fortwahrend untereinandergeruttel-
ten Volkerschaften, von denen sich nur wenige selbst den
Namen bewahrt haben - Chatten und Friesen und so wei-
ter - groftere Volkergemeinschaften gebildet. Durch die
Auflosung der alten Blutsverbande war ein anderes Motiv
der Zusammengehorigkeit geschaffen. An die Stelle des
Blutes trat das Band, welches den Menschen verkniipft mit
dem Grund und Boden, den er bebaut.
Stammeszusammengehorigkeit wurde gleichbedeutend
mit Lokalzusammengehorigkeit. Es entstand die Dorfge-
meinde. Nicht mehr das Bewulksein der Blutsgemein-
schaft, sondern die Zusammengehorigkeit mit dem Boden
band die einzelnen Glieder der Gemeinde untereinander.
Es fuhrte dies zu einer Umgestaltung der Eigentumsver-
haltnisse.
Urspriinglich war alles Gemeineigentum gewesen. Jetzt
tritt die Scheidung zwischen Gemeineigentum und Privat-
eigentum hervor. Doch ist vorerst noch alles Gemeineigen-
tum, was Gemeineigentum sein kann, Wald, Weide, Was-
ser und so weiter. Es bildete sich dann eine Zwischenstufe
zwischen dem Gemein- und Privatbesitz, die sogenannte
Hufe. Die Benutzung dieses halb privaten, halb gemeinsa-
men Eigentums unterlag dem Beschlusse der gesamten
freien Bewohner einer sogenannten Hufe, einer Gemeinde,
und in jenen friiheren Zeiten waren fast alle Bewohner der
Gemarkung frei.
Das steht in schroffem Gegensatz zum eigentlichen Pri-
vateigentum: Waffen, Geraten, Gewandern, Garten, Vieh
und so weiter, allem, was sich der einzelne personlich er-
worben hatte. Dieser begrenzte Charakter driickte sich dar-
in aus, dafi das Privateigentum mit der Person des Besitzers
eng verbunden war. Man gab daher dem Toten seine Waf-
fen, Pferde, Hunde und so weiter mit ins Grab. Ein An-
klang an diesen alten Gebrauch ist es, wenn noch heute
beim Begrabnis eines Fiirsten ihm Orden, Krone und so
weiter nachgetragen, sowie sein Pferd nachgefuhrt wird.
Auch bei einem Volke, das in mancher Weise Ahnlich-
keit mit den alten Germanen aufweist, bei den Chinesen,
gibt man den Toten die Gegenstande, die ihm personlich
gehorten, mit ins Grab, wobei man sich heute allerdings
mit Papiermodellen begniigt.
So sehen wir also, was sich aus bestimmten Verhaltnissen
herausgebildet hatte: Ubergang von der Stammes- zur
Dorfgemeinschaft. Wir begreifen damit weitere Umwand-
lungen. Wir verstehen, warum Tacitus nicht von den Asen
spricht, sondern von Tuisto und seinem Sohne Mannus. Er
spricht von Volkern, die noch nicht zu der Dorfgemein-
schaft gekommen sind. Die Asengotter gehoren einer hohe-
ren Kulturstufe an. Andere Volker kamen von Norden und
brachten Vorstellungen mit, die sich dort entwickelt hat-
ten. Die pafken nun fur die inzwischen erreichte hohere
Kulturstufe. Wie weit geht der Mensch mit Vorstellungen,
wie sie uns in Tuisto, in Mannus entgegentreten? Er bleibt
beim Menschen, geht nicht liber sich selbst hinaus. Es ware
etwas Fruchtloses gewesen, bei diesen Stammen den Wo-
tansdienst einzufuhren. Der Wotansdienst geht bis in das
Universum; der Mensch sucht seinen Ursprung im Schofie
der Natur. Erst auf dieser spateren Kulturstufe konnte sich
der Mensch zu diesen Religionsvorstellungen erheben. Er
ist sefihaft geworden, daher versteht er den Zusammenhang
mit der Natur. So haben wir gesehen, wie die primitive
Kultur der sudlicheren Germanen von Norden beeinflufit
wird, und wie unterdessen im Siiden bei verwandten Vol-
kern sich hohe Kulturen entwickelt hatten.
Wir werden weiterhin sehen, unter welchen Bedingun-
gen die siidlichen Kulturen sich iiber die Germanen ergie-
£en werden. Eine interessante Ubersicht bietet sich uns
dar, eine tiefgehende urspriingliche Verwandtschaft der
verschiedenen Volker, ein innerer Zusammenhang, der ihr
Wesen bestimmt. Wir sehen dann aufiere Einfliisse, die den
Charakter andern. So stellen sich uns Ursache und Wir-
kung dar.
Aus der Vergangenheit konnen wir so die Gegenwart
verstehen lernen. Ewige Wandelbarkeit beherrscht nicht
nur die Natur, sondern auch die Geschichte. Wie konnten
wir getrosten Mutes in die Zukunfc blicken, wenn wir
nicht wiifiten, dafi auch die Gegenwart sich andert, daft wir
sie in unserem Sinne gestalten konnen, daft auch hier das
Dichterwort sich erfullt:
Das Alte sturzt, es andert sich die Zeit,
und neues Leben bliiht aus den Ruinen.
Dritter Vortrag, 1. November 1904
Man braucht nur eine einzige Tatsache zu erwahnen von al-
ien, die in derselben Weise sprechen, um zu sehen, was fur
durchgreifende Veranderungen im 5. Jahrhundert vor sich
gegangen sind. Die Westgoten finden wir am Ende des 4.
Jahrhunderts im Osten der Donau; ein Jahrhundert spater
zeigt sie uns die Karte in Spanien. Ebenso wie dieses Volk
von einem Ende Europas zum anderen gezogen ist, so ist es
mit vielen anderen. Sie zogen in Lander, wo sie andere
Kulturen antrafen und andere Sitten annahmen.
Wir miissen einen Ruckblick auf die vorhergegangene
Geschichtsepoche werfen, um den Umschwung zu verste-
hen, den hundert Jahre in Mitteleuropa hervorriefen. Wir
finden, wenn wir den Berichten der Romer folgen, langs
des Rheins kriegerische Stamme, deren Hauptbeschafti-
gung aufier den Kampfen die Jagd bildet. Weiter nach
Osten zu finden wir Ackerbau und Viehzucht bei den Ger-
manen, und noch weiter im Nordosten Volksstamme, die
am Meere wohnen und von denen die Romer berichten, als
waren sie etwas ganz Dunkles und Nebelhaftes.
Es wird erzahlt, dafi dieses Volk die Sonne anbete und
seinen Glauben daher habe, dafi es die Sonnengottin aus
dem Meere hervorgehen sehe. Von dem Volke, das in die-
sen Gegenden in der Mark Brandenburg wohnte, den Sem-
nonen, wird gesagt, dafi sich ihr Gottesdienst durch seine
blutigen Opfer auszeichnete. Bei ihnen waren zwar meist
nicht Menschen, sondern Tiere den Gottern dargebracht
worden, der Opferdienst hatte aber einen grausamen Cha-
rakter getragen, der ihn von dem der iibrigen Stamme un-
terschied. Und noch manches sonst ware zu schildern von
dieser Zeit.
Es folgt dann zunachst eine verhaltnisma£ig ruhige Zeit.
Allmahlich werden von den einzelnen Stammen die
Grenzen des romischen Reiches uberschritten. Im 3. Jahr-
hundert dringen zuerst vor gegen das romische Reich im
Siidwesten die Burgunder und weiter nordlich die Franken,
die in Gallien einfallen. Auch weiter nach Osten zu, an der
Donau, riicken andere germanische Volkerschaften gegen
das Reich. So mufiten die Romer mit ihrer hochentwickel-
ten Kultur jener Volker sich erwehren. Wir finden hier
einen grofien Unterschied der Kulturstufen. Bei den Ger-
manen herrschte iiberall noch Naturalwirtschaft, bei den
Romern ausgebildete Geldwirtschaft. Der Handel bei den
Germanen war ein blofier Tauschverkehr. Handel mit
Geld kannte man noch nicht. Es ist bezeichnend, wie in
Frankreich - unter dessen Bevolkerung sich so viel kelti-
sches Blut findet - nach der romischen Eroberung voll-
standige Geldwirtschaft eingefiihrt war, diese bei der Er-
oberung durch germanische Stamme durch die Natural-
wirtschaft wieder verdrangt wurde. So zeigt sich uns der
Zusammenstofi hochentwickelter Kultur mit barbarischen
Volksstammen.
Dann brechen die Hunnen herein. Im Jahre 375 erfolgt
der erste Zusammenstoft zunachst mit den Ostgoten, die
am Schwarzen Meer ihren Wohnsitz hatten, und den Heru-
lern. Sie werden nach Westen gedrangt, und dadurch wer-
den auch die Westgoten genotigt, aus ihren Wohnsitzen
aufzubrechen. Wohin sollen sie gehen als in das romische
Reich, das sie bis an die Donau uberfluten. Schon ist das
Romerreich in ein ost- und westromisches Reich zerspal-
ten, jenes mit Byzanz, dieses mit Rom als Hauptstadt. Der
ostromische Herrscher weist den Westgoten Wohnsitze an,
deren Besitz sie sich jedoch erst in der Schlacht bei Adrian-
opel erstreiten mufiten. Dort in jenen Gegenden schrieb
Ulfila seine Bibeliibersetzung. Doch bald muftten sie ihre
Wanderung wieder fortsetzen. Nachruckende slawische
Volkerschaften drangten sie weiter nach Westen. Unter
ihrem Konig Alarich eroberten sie Rom und griindeten im
5. Jahrhundert in Spanien das westgotische Reich.
Die Ostgoten folgten ihnen nach und versuchten gleich-
falls im Gebiete des romischen Reiches Wohnsitze zu be-
grunden. Der germanische Stamm der Vandalen eroberte
Spanien, schiffte dann nach Afrika hiniiber, wo er in der
Gegend, wo einst Karthago gestanden hatte, ein Vandalen-
reich begrtindete und von da aus durch Uberfalle Rom be-
unruhigte. So ist der ganze Charakter dieser Volkerumwal-
zung der, dafi in all die Teile, die die neue Gestalt des christ-
lichen Roms bildete, sich diese Germanenvolker hinein-
drangten. Aus dieser Art der Eroberung gingen Neugestal-
tungen von ganz eigentiimlichem Wesen hervor.
Auf dem Gebiete des vormaligen Gallien entsteht ein
machtiges Reich, das Frankenreich, welches Jahrhunderte
lang ganz Mitteleuropa seinen Stempel aufdriickte. In ihm
bildete sich vornehmlich das, was man gewohnlich als «ro-
misches Christentum» bezeichnet. Jene anderen Volker,
die in raschem Siegeszuge sich Teile des romischen Reichs
unterworfen haben, die Goten, die Vandalen, verschwin-
den bald wieder vollig aus der Geschichte. Bei den Franken
sehen wir ein machtiges Reich sich liber Europa ausdeh-
nen. Welches sind die Griinde hierfiir?
Um diese zu finden, mtissen wir einen Blick auf die Art
werfen, wie diese Stamme ihr Reich ausdehnen. Es geschah
das in der Weise, dafi ein Drittel bis zwei Drittel des Gebie-
tes, in das sie eindrangen, unter die Eroberer verteilt wur-
de. So erhielten die Anfuhrer grofie Landergebiete, welche
sie nun fur sich bearbeiten liefien. Zur Arbeit wurde die un-
terworfene Bevolkerung benutzt, die zum Teil zu Sklaven
oder Unfreien geworden waren. So machten es die Westgo-
ten in Spanien, die Ostgoten in Italien. Sie konnen sich den-
ken, dafi dieses Verfahren unter den schon bestehenden
Verhaltnissen, wo die Bevolkerung auf einer hoheren Kul-
turstufe lebte, grofk Schwierigkeiten fand und sich auf die
Dauer nicht zu halten vermochte.
Anders in Gallien. Dort gab es grofie Walder und unbe-
wohnte Landstriche. Auch hier verteilte man die eroberten
Gebiete, und den Anfiihrern fielen gro£e Teile zu. Man
war hier nicht in schon bestehende Verhaltmsse hineinge-
drangt; es war die Moglichkeit zur Ausdehnung gegeben.
Die Fiihrer wurden hier zu Groftgrundbesitzern und Herr-
schern iiber die unterworfenen Volksstamme. Aber die
Verhaltnisse ermoglichten es, dafi dies ohne zu grofien
Zwang geschah. In den Zeiten vor der Volkerwanderung
waren die Angehorigen eines Stammes einander im wesent-
lichen gleich gewesen. Die Freiheit war ein gemeinsames,
germanisches Gut, und in gewissem Sinne war jeder sein ei-
gener, niemand verantwortlicher Herr auf seinem eigenen
Grund und Boden. Diese Unabhangigkeit und Macht der
Fiihrer dehnte sich nun dadurch aus, daft so viele Menschen
von ihnen in Abhangigkeit gekommen waren.
Dadurch waren sie in der Lage, sich selber besser zu be-
schutzen, und kleine Besitzer begaben sich in den Schutz
der grofieren. So entstand ein Schutzverhaltnis des Machti-
gen gegen den weniger Machtigen. Die vielen kleinen Feh-
den fuhrten viele kleine Besitzer, die sich selbst nicht aus-
giebig genug verteidigen konnten, in ein Abhangigkeitsver-
haltnis zu den Machtigeren. Sie gelobten Treue im Fall
eines Krieges; andere traten Teile ihres Besitztums ab, oder
bezahlten dem Schutzherrn einen Zins. Solche Abhangige
hiefien Vasallen. Anderen wurde von den grofien Besitzern
fur ihren Dienst in Kriegsfallen ein Besitz auf Widerruf ver-
liehen: das Lehen. Der Machtige wurde der Lehnsherr, der
andere Vasall. So bildeten sich auf die natiirlichste Weise
der Welt gewisse Besitzverhaltnisse aus.
Die Eroberungsziige der Goten hatten keine dauernde
Wirkung. Diejenigen Volker, die sich hineingeschoben hat-
ten auf Kulturboden, kamen zu nichts, ihre Macht war bald
gebrochen. - Anders in Gallien. Hier, wo weite Gebiete
noch auszuroden waren, konnte das Eindringen neuer
Volksmassen im Kulturinteresse nur begriifk werden. Un-
beengt waren die Gro£en im Reich der Franken in der Aus-
bildung ihres Volkscharakters.
Ausgeloscht sind die Goten und Vandalen, sie und all
die germanischen Stamme, die in schon ausgebildete Wirt-
schaftsgebiete gekommen waren. Bei den Franken haben
wir die Unabhangigkeit von dem wirtschaftlichen Unter-
bau, und die Franken driickten der Folgezeit den Charak-
ter auf, namentlich auch dadurch, dafi das sich ausbildende
Christentum den Boden fand, sich in solcher Freiheit auch
auszubreiten. Wahrend die Westgoten urspriinglich ariani-
sche Christen waren, wurden ihrer Eigenart andere Vor-
stellungen eingeimpft; unter den ihrer Wesensart fremden
wirtschaftlichen Vorbedingungen entwickelte sich das, was
als Druck der materiellen Verhaltnisse angesehen werden
kann. Nicht so war es bei den Franken. Innerhalb der Fran-
kenstamme war es, wo die Kirche Grofigrundbesitzerin
wurde. Unbeirrt durch die materiellen Verhaltnisse konn-
ten sich diese Abte, Bischofe, Priester, Gelehrte dem Dien-
ste der Religion widmen. Rein, wie es aus dem Wesen des
Empfindens dieser Leute hervorging, bildete sich die eigen-
artige Kultur dieses Christentums aus. Die geistigen Bestre-
bungen innerhalb des freien Frankentums wurden gefor-
dert durch das Hereinstromen des keltischen Elementes.
Das Keltentum, dessen feuriges Blut wieder zum Durch-
bruch kam, wurde zu Lehrern und Fuhrern der geistig we-
niger regsamen Franken. Von Schottland und Irland her-
iiber kamen keltische Monche und Priester in grower Zahl,
um im Frankenreich ihren Glauben zu verkiindigen.
Das alles macht es moglich, dafi das Christentum damals
nicht ein Spiegelbild aufierer Verhaltnisse war, sondern un-
beengt vom materiellen Druck auf freiem Boden sich ent-
wickeln konnte. Die Verhaltnisse von Mitteleuropa wur-
den bestimmt durch das Christentum. Alles Wissen des Al-
tertums wurde auf diese Weise durch das Christentum fur
die germanischen Volker aufbewahrt. Aristoteles gab den
geistigen Kern, den das Christentum zu begreifen suchte.
Damals gab es noch keine Abhangigkeit von Rom. Frei
konnte sich das christliche Leben im Frankenreiche ausbil-
den. Auch Platos Ideenwelt fand Eingang in dieses geistige
Leben. Besonders geschah dies durch schottische und iri-
sche Monche, vor allem durch Scotus Erigena in seinem
Werke «Uber die Einteilung der Natur», einem Werke, das
eine Hohe des Geisteslebens bedeutet. So sehen wir, wie
unbeirrt von aufieren Verhaltnissen, geistiges Leben sich
gestaltet. Die geistigen Stromungen nehmen gerade da ihr
charakteristisches Geprage an, wo sie unabhangig sind von
wirtschaftlichen Verhaltnissen. Spater, als der materielle
Druck sich ausdehnt, nehmen sie ruckwirkend den Cha-
rakter dieser Verhaltnisse an, dann aber fliefien sie selbst da
hinein und beeinflussen diese wieder.
Mehrere kleine Konigreiche bildeten das Reich, das wir
als das der Merowinger kennen und das erst spater unter
die Gewalt eines einzigen gelangte.
Nach dem, was Ihnen geschildert wurde, werden Sie ein-
sehen, da£ das sudlichere Christentum anders sein mufite
als dieses frankische Christentum, mit dem es sich spater
vermischte. Das frankische Christentum war verhaltnisma-
£ig unabhangig und konnte die politischen Verhaltnisse zu
seinen Gunsten benutzen. Je mehr die romische Herrschaft
zuriickgedrangt wurde, ein um so grofterer Teil des Klerus
ging aus den Franken hervor, dessen Bildung weit hinter
der der anderen Geistlichen zuriickstand; die gelehrten
Priester und Monche aber waren alle Kelten.
So waren in diesen Jahrhunderten allmahlich die ver-
schiedensten Volkerschaften durcheinander geriittelt wor-
den; der Einfall der Hunnen hatte den Anlafi zu diesen Ver-
anderungen gegeben. Wahrend sich nun innerhalb der
eigentlichen Kulturstromungen das gestaltete, was hier
geschildert wurde, hatten sich aufierlich grofte Kampfe ab-
gespielt. Aber das, was wir die Kulturentwickelung nen-
nen, wurde von diesen aufieren Kampfen nicht wesentlich
beriihrt.
Die Hunnen waren weit nach Westen vorgedrungen.
Wenn wir nicht blind sind gegemiber dem, was alte Sagen
verkiinden, so wissen wir: sie waren bis nach Sudfrankreich
gelangt. In der alten Heldendichtung, die in lateinischer
Sprache iiberliefert wurde, dem Waltharilied, wird erzahlt,
wie die Fursten der germanischen Stamme, die Burgunder
und Franken und so weiter, den Hunnen Geiseln geben
mufken, darunter auch jenen Walthari, den Sohn des Fur-
sten des germanischen Volksstammes, der in Aquitanien
herrschte. Von den Taten dieses Walther, des Hagen und
des Gunther erzahlt dieses Heldenlied. Fortwahrend erfolg-
ten nun Einfalle der Hunnen und beunruhigten die germa-
nischen Volker weit nach Westen hin, bis endlich die Fran-
ken, Goten, sowie das, was vom romischen Volke noch iib-
riggeblieben war, eine Macht bildeten, die sich den Hunnen
im Jahre 451 entgegenstellte in der Schlacht auf den kata-
launischen Feldern. Dies ist der erste Schlag, den die Herr-
schaft der Hunnen erlitt, eine Herrschaft, die schwer auf
den Volkern lastete, die aber keinen dauernden Eindruck
hinterliefi.
Die Hunnen waren an Sitten und Gebrauchen ein den eu-
ropaischen Volkern so fremdes Volk, dafi die ganze Art
und Gestalt der Hunnen als etwas ganz Seltsames geschil-
dert wird. Wichtig war, dafi dieses Volk eine kompakte
Einheit bildete; eine bis zur Vergotterung sich steigernde
Unterwiirfigkeit unter ihren Konig Attila liefi sie den ande-
ren Volkern gegeniiber von unwiderstehlichem Schrecken
erscheinen. Nach der Schlacht auf den katalaunischen Fel-
dern empfing diese Macht ihren letzten, entscheidenden
Schlag durch Leo den Grqfien, den Bischof von Rom, der
Attila entgegentrat und ihn bewog, zuriickzugehen. Volks-
psychologisch ist dieses Geschehnis verstandlich. Leo
kannte die Macht, die Attila auf sein Volk ausiibte. Attila
aber bei all seiner Macht kannte das nicht, was ihm da ent-
gegentrat: das Christentum; darum beugte er sich ihm.
Die Herrschaft der Hunnen blieb somit eine Episode;
dauernde Wirkung hatte viel mehr das, was aus dem We-
sten kam. Nach Attilas Tode 453 zerfiel die Macht der
Hunnen bald wieder; auch die Herrschaft der Goten, Gepi-
den, Vandalen und so weiter war nichts Dauerndes, sie fan-
den sich eingeschlossen in schon gegebene Verhaltnisse und
konnten sich in ihrer Eigenart nicht erhalten. Dies ge-
schieht dagegen im Frankenreiche; diese Kultur erweist
sich treu dem Charakter des Frankenstammes, und so ist zu
sehen, wie dieses Volk sich machtig entwickelt. Wir sehen
spater aber auch, wie dieser Stamm die anderen mit Gewalt
zwingt, das Christentum anzunehmen. Wir sehen ferner,
dafi nichts Geeigneteres vorhanden ist, die materielle Kul-
tur auszugestalten, als das Christentum; allerlei Kulturge-
bilde erhalten ihr Geprage von dem aufkren Christentum.
Und weil sie den Charakter frei erhalten konnen, geben sie
den Rahmen fur lose Gebilde, in denen sich das geistige Le-
ben entwickeln kann: so entstehen die geistlichen Wirt-
schaftsgemeinschaften im Kloster und so weiter. Mit der
Zeit aber entsteht eine Unzusammengehorigkeit der geisti-
gen und wirtschaftlichen Kultur. Trotzdem das Reich Karls
des Grofien sich zu einem christlichen Reiche macht, aber
mit Gewalt das Christentum ausbreitet, stellt es sich in Wi-
derspruch zum Geist des Christentums. Daher pafk bald
das Christentum nicht mehr zum Wirtschaftsleben. Die
Verhaltnisse des Wirtschaftslebens werden als driickende
empfunden, und so entstehen die freien Stadte.
Dies ist die Entwickelung der geistigen und der materiel-
len Kultur in grofien Ziigen. Die Verhaltnisse in ihrer ei-
gentlichen Bedeutung werden Ihnen vorgefiihrt. Sie sehen,
wie erst als die geistigen Stromungen nicht mehr mit den
materiellen Verhaltnissen zusammenfielen, dieses Mifiver-
haltnis seinen Ausdruck findet in der Entstehung einer rein
materiellen Kultur, der Stadtekultur. Denn aus materiellem
Interesse waren diese Wirtschaftsgebilde entstanden. Die
Bevolkerung, die es nicht aushalten konnte auf dem Lande,
sie drangte hinein in die Stadte, um dort Schutz und Sicher-
heit zu finden. So sehen wir neue Wirtschaftsgebilde entste-
hen, die von weittragendster Bedeutung werden sollten. Sie
sehen Reiche entstehen und vergehen und neue Gebilde an
die Stelle von alten treten. Sie sehen aber auch, daft wir ih-
ren Organismus nur verstehen, wenn wir erkennen, wie
sich das erste maftgebende Reich, das Frankenreich, gestal-
tete. Nicht hineingedrangt in schon bestehende Verhalt-
nisse, sondern dort, wo Raum zu freier Ausdehnung gebo-
ten war, hatte sich das Wesen dieses Volksstammes entwik-
kelt und seine Herrschaft ausgest alten konnen.
Nicht nur grundlich durcheinandergeriittelt, sondern
neu gebildet waren die Volksstamme, die durch die grofie
Volkerwanderung aus ihren Wohnsitzen getrieben waren.
Einige waren ganz aus der Geschichte verschwunden, ande-
re traten an ihre Stelle. Nicht nur von aufien, viel mehr im
tiefsten Grunde ihres Charakters hatte sich die grofie Um-
wandlung vollzogen. Wir sehen bei Beginn der Epoche der
Volkerwanderung die verschiedenen germanischen Vdlker
die Frage an das Schicksal stellen. Fur die Goten, die ein to-
lerantes Christentum sich erwahlt hatten, bedeutete diese
Frage die Vernichtung, fur die Franken, die unter anderen,
freieren, fur sie giinstigeren Verhaltnissen vor diese Frage
gestellt wurden, bedeutete sie die Machtentfaltung auf Jahr-
hunderte hinaus. Ob zum Heile der Gesamtheit? Das
werden wir in der Folge sehen.
Vierter Vortrag, 8. November 1904
Es ist ein gebrauchliches Vorurteil das Wort: die menschli-
che Entwickelung gehe in einem regelmafiigen, sukzessiven
Gange vorwarts, die Entfaltung der geschichtlichen Ereig-
nisse mache nirgends Spriinge. Allmahliches und sukzessi-
ves Fortschreiten sei Entwickelung. Das hangt zusammen
mit einem anderen Vorurteil: denn auch von der Natur
heifit es, sie mache keinen Sprung. Das wird immer wieder
gesagt, es ist aber unrichtig fur die Natur wie fur die Ge-
schichte. Wir sehen in der Natur nirgends, wenn es sich um
gewaltige Fortschritte handelt, Sprungloses. Nicht allmah-
lich ist ihr Gang, sondern aus kleinen Vorgangen ergeben
sich wichtige Folgen; das Allerwichtigste geschieht doch
durch Spriinge. Man konnte viele Falle aufzahlen, wo die
Natur durchaus in solcher Weise fortschreitet, dafi wir ein
Ubergehen der Formen geradezu in ihr Gegenteil beobach-
ten konnen.
In der Geschichte ist dies besonders wichtig, weil wir da
zwei solche bedeutende Ereignisse haben, die sich zwar all-
mahlich vorbereiten, dann abfluten, aber doch ein sprung-
haftes Vorwartsschreiten bedeuten. Erstens die Begriin-
dung der freien Stadte am Anfang des Mittelalters und
zweitens die grofien Erfindungen und Entdeckungen am
Ende des Mittelalters. Die Geschichte riickt rascher vor um
die Wende des 11. zum 12. Jahrhundert. Es entwickeln sich
neue Gesellschaftsformen aus alten; daraus, dafi viele Men-
schen ihre Wohnsitze verlassen und sich in den Stadten nie-
derlassen, entstehen durch Deutschland, Frankreich, Eng-
land, Schottland, bis nach Rufiland und Italien, solche Stad-
te mit neuen Lebensbedingungen, Ordnungen, Rechten
und Verfassungen. Dann am Ende des Mittelalters finden
wir die grofien Entdeckungen, die Seereisen nach Indien,
Amerika und so weker, die weltumfassende Erfindung der
Buchdruckerkunst. Alles das zeigt uns, welche radikale
Veranderung hervorgerufen ist durch das Aufkeimen des
neuen Wissenschaftsgeistes, durch Kopernikus.
Damit sind zwei Einschnitte gegeben, und will man sinn-
voll das Mittelalter betrachten, so miissen diese zwei Ereig-
nisse in richtige Beleuchtung gestellt werden. Man konnte
sagen, alles deutet hin auf diese groften Ereignisse. Sie neh-
men sich aus wie Sprunge; aber es bereitet sich solch ein Er-
eignis langsam vor, um dann mit lawinenartiger Kraft her-
vorzubrechen und vorwarts zu fluten. Wenn wir sie weiter
verfolgen, wird sich schrittweise zeigen, wie diese beiden
Ereignisse sich vorbereitet haben im Leben der Germanen.
Wir werden sehen, durch welche Umstande gerade dem
Frankenvolke jene Macht zuteil wurde, jener Einfluft auf
die Gestaltung der europaischen Verhaltnisse. Man mufi
dazu den Charakter dieses Volkes verstehen, die notwendi-
ge Umgestaltung der Gesellschaftsverhaltnisse und den
machtvollen Einschlag durch das Christentum im 4. Jahr-
hundert. Diese zwei Dinge bedeuten die Anderung im Le-
ben der Germanen. Sie bedingen die Entwickelung des Mit-
telalters. Es ware nutzlos, alle diese Wanderungen der Ger-
manen weiter zu verfolgen, zu sehen, wie Odoaker den letz-
ten westromischen Kaiser entthronte, wie die Goten durch
Kaiser Justinian aus Italien vertrieben werden, wie die
Langobarden von Norditalien Besitz ergreifen - wir sehen
immer dieselben Verhaltnisse sich abspielen.
In siidlichen Gegenden, wo die Germanen festgefugte po-
litische, wirtschaftliche Verhaltnisse vorfinden, verschwan-
den die Eigentiimlichkeiten dieser Volkerschaften; sie ha-
ben jede Bedeutung verloren. Wir horen nichts mehr von
Goten, Gepiden und so weiter; sie sind bis auf den Namen
verschwunden. Im Gegensatz dazu waren die Franken in
noch nicht gefestigte, freie Verhaltnisse, wo noch kein ern-
ster Besitz bestand, gelangt. Durch diese politische Kon-
figuration wurden die Franken das mafigebende Volk.
Nun mussen wir sehen, wie in diesem Frankenreich sich
dieses Gebilde entwickelt hat, das wir als merowingisches
Konigreich bezeichnen. Es war eigentlich nichts anderes als
die vielen kleinen Konigreiche, die sich auf natiirlichste
Weise bildeten. Die Merowinger blieben als Sieger, nach-
dem sie die anderen ihnen urspriinglich Gleichen iiberwun-
den hatten. Alle diese Konigreiche hatten sich auf folgende
Weise gebildet; irgendein kleiner Stamm wanderte ein, un-
terjochte die Einwohner, verteilte das Land, so dafi alle
Mitglieder kleinere und grofiere freie Besitztiimer erhiel-
ten. So wurden alle solche Gebiete auf Grundbesitz begriin-
det. Der Machtigste erhielt das grofite Gebiet. Zur Bebau-
ung desselben wurde eine grofie Anzahl von Leuten ge-
braucht, die aus der Bevolkerung entnommen wurde, zum
Teil wurden auch Gefangene aus den Kriegen zu Arbeitern
gemacht. Nur durch diesen Unterschied des kleineren und
grofieren Grundbesitzes bildeten sich die Machtverhaltnis-
se heraus. Der grofite Grundbesitzer war eben der Konig.
Seine Macht beruht auf dem Grundbesitz, das ist das Cha-
rakteristische. Aus diesen Machtverhaltnissen bildeten sich
die Rechtsverhaltnisse heraus, und es ist interessant zu be-
obachten, wie auf dieser Grundlage die Rechtsverhaltnisse
skh entwickeln. Allerdings finden wir bei den alten germa-
nischen Stammen ihre Gewohnheitsrechte, die sich in alten
Zeiten, in die wir keinen Einblick mehr haben, entwickelt
hatten. Bei den kleineren Stammen versammelten sich alle
Leute, urn Recht zu sprechen; spater kamen die Stammes-
genossen nur am 1. Marz zusammen, um iiber ihre Angele-
genheiten zu beraten. Jetzt war aber der Grofigrundbesit-
zer den anderen gegeniiber unverantwortlich fur das, was
er tat auf seinem Gebiet. Zwar finden wir ein konservatives
Festhalten an den alten Rechtsgewohnheiten bei den ver-
schiedenen Stammen. Lange bewahrt finden wir sie beson-
ders bei den Sachsenj Thiiringern, Friesen, auch bei den
Cheruskern, deren Stamm sich langer erhalten hat als man
gewohnlich glaubt. Anders war es, wo Grofigrundbesitz
sich entwickelte, weil der Besitzer, da er- auf seinem Gebiete
unumschrankt war, auch unverantwortlich wurde. Er hat-
te die Macht, Gerichtsbarkeit, Polizeigewalt auszuiiben.
Aus der Unverantwortlichkeit bildete sich ein neuer
Rechtsstand heraus. Wenn ein anderer einen Verstofi be-
ging, wurde er zur Verantwortung gezogen; wenn es der
Unverantwortliche tat, wurde derselbe Verstofi als Recht
angesehen. Was bei den nicht Machtigen Unrecht war, das
war bei den Machtigen Recht. Er hatte die Moglichkeit,
Macht in Recht umzuwandeln.
Nun bedenke man, dafi auf diese Weise namentlich im
Nordwesten die Franken ihre Macht weiter ausdehnen
konnten, grofie Gebiete erobern konnten. In einer Zeit, wo
Krieg und immer Krieg war, waren die weniger Machtigen
auf den Schutz der Machtigen angewiesen. Da entstand das
Lehn- und Vasallenwesen, das eine Auslese der Machtigsten
hervorrief. Es entstand die Art und Weise, durch Vertrage
gewisse Rechte zu ubertragen. Der grofie Grundbesitz, das
Konigsgut erlangte besondere Rechtsverhaltnisse, die vom
Konig oder vom Besitzer auch auf andere iibertragen wer-
den konnten. Mit dem Land zugleich wurde die Gerichts-
barkeit und die Polizeigewalt iibertragen. Es entstand K6-
nigsrecht und Recht der kleinen Vasallen. Dadurch, dafi
eine solche Umlagerung eintrat, sehen wir ein machtiges
Beamtentum sich entwickeln, nicht auf Grund von Besol-
dung, sondern von Grundbesitz. Solche Gerichtsherren
waren oberste Richter. Anfangs, wo sie auf die Rechte
machtiger Stamme noch Riicksicht zu nehmen hatten, wa-
ren sie verpflichtet, alte Rechte zu respektieren. Aber all-
mahlich wurde dieses Verhaltnis ein absolutes Richtertum,
so dafi in der Folge im Frankenreich neben dem Konigtum
eine Art Beamtenadel sich bildete, der zum Rival des K6-
nigtums heranwuchs. Erst war er abhangig, dann wurde er
machtig und Rival. So mufite sich schon im 6. Jahrhundert
im Frankenreich immer starker die Rivalitat zwischen dem
Konigtum und dem Beamtenadel entwickeln, und dieser
zur grdfken Bedeutung gelangen.
Das urspriingliche Herrschergeschlecht, das aus den
Groftgrundbesitzern hervorgegangen ist, die Merowinger,
wird abgelost von den Karolingern, die urspriinglich zu
dem Beamtenadel gehorten. Sie bildeten die Hausmeier,
Majordomus, des ersten Herrschergeschlechtes, das durch
die Rivalitat des Beamtenadels gestiirzt wurde. Im wesentli-
chen war es also der Grofigrundbesitz, der hier die Macht-
verhaltnisse begriindete, und die machtigste moralische
Stromung, die Kirche, mufke auf diesem Umwege des
Grofigrundbesitzes ihre Herrschaft einleiten.
Das Charakteristische bei der frankischen Kirche ist, dafi
sie zunachst nichts als eine Anzahl von Grofigrundbesit-
zungen darstellt: wir sehen Bistiimer und Abteien entste-
hen, und Vasallen, die, wie sonst unter dem Schutz der
Grofigrundbesitzer, in den Schutz der Kirche sich begeben,
urn von ihr Lehen zu empfangen. So bildeten sich neben
weltlichen geistliche Grofigrundbesitzer. Dies ist der
Grund, warum wir so wenig Tiefe und Wissenschaft wahr-
nehmen, und dafi das, was wir an Geistigem dort im Chri-
stentum finden, wesentlich fremden Einfliissen zu verdan-
ken ist. Nicht innerhalb des Frankenvolkes, sondern durch
Angehorige des angelsachsischen, besonders des keltischen
Stammes auf den britischen Inseln, ist es gelungen, jenen
machtigen Strom zu schaffen, der sich dann nach Osten er-
gofi. Auf den britischen Inseln wirkten bedeutende Gelehr-
te, fromme Monche in ernster Vertiefung. Hier ist wirklich
gearbeitet worden, wie wir im einzelnen an der Wieder-
aufnahme des Platonismus und seiner Vereinigung mit
dem Christentum sehen. Wir sehen Mystik, Dogmatismus,
aber auch Enthusiasmus und begeistertes Pathos von hier
ausgehen. Von hier aus kommen die ersten Bekehrer:
Columban, Gallus und Winfrid-Bonifatius, der Bekehrer
der Deutschen. Und diese ersten Missionare, weil sie
nichts als das Geistige des Christentums im Auge hatten,
sind nicht geneigt, den Verhaltnissen des Frankenstammes
sich anzupassen. Sie sind die treibende Kraft und haben
auch, besonders Bonifatius, ihren Haupteinflufi bei den
ostlichen Germanen. - Deswegen greift im Frankenreiche
in dieser Zeit ein steigender Einflufi von Rom aus Platz. -
Wir mussen nun sehen, was vorher gestaltend gewirkt hat.
Da haben wir zwei heterogene Elemente, die sich einander
anpassen: die rauhe Kraft des Germanen und die geistige
Lehre des Christentums. Wunderbar erscheint es, wie die-
se Stamme sich dem Christentum anpassen und wie das
Christentum sich selbst wandelt, um sich dem Germanen-
tum anzupassen. Anders arbeiten diese Sendboten als die
frankischen Konige, die mit der Gewalt der Waffen das
Christentum ausbreiteten. Nicht als etwas Fremdes wird
es in ihre Seek gedrangt: geschont werden die Kultusstat-
ten, heilige Sitten, Gebrauche und Personen, so geschont,
dafi alte Einrichtungen benutzt wurden, um den neuen
Gehalt auszugieften. Interessant ist es, wie das Alte das
Kleid, das Neue die Seele wird. Wir besitzen aus jener Zeit,
aus dem sachsischen Stamm, eine Schilderung des Jesus-
Lebens: Sie nahmen die Gestalt des Jesus, aber alle Einzel-
heiten wurden germanisch iiberkleidet, Jesus erscheint als
deutscher Herzog, der Verkehr mit den Jiingern gleicht
einer Volksversammlung. So wird im «Heliand» das Leben
Jesu dargestellt.
Alte Helden werden in Heilige verwandelt, Feste, Kultus-
gebrauche in christliche. Vieles von dem, was heute die
Leute fiir christliches Alleingut halten, ist damals einge-
wandert von heidnischen Gebrauchen. Im Frankenreich
dagegen miissen wir sehen, dafi die Franken im Christen-
tum nichts anderes sehen als ein Mittel zur Befestigung
ihrer Machtverhaltnisse: ein frankisches Rechtsbuch be-
ginnt mit einer Berufung auf Christus, der die Franken
liebt vor alien anderen Volkern.
Das sind so Arten, wie diese beiden welthistorischen
Stromungen ineinanderwachsen. In der Zeit, wo die briti-
schen Missionare den moralischen Einflufi des Christen-
tums vertreten, steigt auch der Einflufi der romischen Kir-
che bedeutend. Ausgehend von dem, was hier vorgearbeitet
war, suchen die Frankenkonige Anlehnung an das Papst-
tum. Die Langobarden hatten Italien besetzt und beunru-
higten namentlich den Bischof von Rom. Sie waren ariani-
sche Christen. Das bewirkte, daft der romische Bischof sich
zunachst hilfesuchend an die Franken wandte, aber zu-
gleich seinen Einfluft den Franken anbot. So wurde der
frankische Konig Schiitzer des Papstes, und der Papst salbte
den Konig: daher leiteten die frankischen Konige ihre be-
sondere Stellung, den besonderen Glanz ihrer Wurde von
dieser Heiligung durch den Papst ab. Das war eine Verstar-
kung dessen, was die Franken im Christentum gesehen hat-
ten. Dies alles vollzieht sich im wesentlichen im 7. Jahrhun-
dert. Durch dieses Biindnis zwischen Papsttum und Fran-
kenherrschaft bereitete sich die spatere Kronung Karls des
Grofien langsam vor. So sehen wir also machtige soziale
und geistige Veranderungen sich vollziehen. Aber das allein
hatte nicht zu jenem Ereignis gefiihrt, das ich als eines der
wichtigsten bezeichnete, als eine materielle Revolution: die
Begriindung von Stadten. Denn es fehlte der frankisch-
christlichen Kultur etwas, trotzdem Tiichtigkeit, Geist und
Tiefe da waren.
Nicht vorhanden war, was man als Wissenschaft, als rein
aufierliche Wissenschaft bezeichnet. Lediglich eine mate-
rielle und eine moralische Bewegung haben wir verfolgt.
Das, was an Wissenschaft vorhanden war, war stehenge-
blieben auf derselben Hohe wie zur Zeit der Beriihrung mit
dem Christentum. Und wie die Frankenvolker kein Inter-
esse hatten an der Verbesserung ihrer einf achen Agrikultur,
nicht daran dachten, sie wissenschaftlich auszubilden,
ebenso suchte die Kirche nur ihren moralischen Einflufi
auszubauen. Der primitive Ackerbau bot keine besonderen
Schwierigkeiten, die wie in Agypten zur Entwickelung der
Physik, der Geometrie, der Technik gefiihrt hatten. Alles
war hier einfacher, urspriinglicher; so wie auch die schon
bestehende Geldwirtschaft wieder durch Naturalwirtschaft
ersetzt worden war.
So brauchte die europaische Kultur einen neuen Ein-
schlag, und man versteht sie nicht, wenn man nicht diesen
Einschlag wiirdigt. Vom Fernen Osten her, woher einst das
Christentum gekommen, aus Asien kommt diese neue Kul-
tur durch die Araber. Die Religion, die durch Mohammed
dort gegriindet worden war, ist in ihrem religiosen Gehalt
einfacher als das Christentum. Der inner e Gehalt des Mo-
hammedanismus griindet sich im wesentlichen auf einfache
monotheistische Ideen, die sich beschranken auf ein gottli-
ches Grundwesen, dessen Natur und Gestalt man nicht be-
sonders erforscht, das man nicht ergriindet, in dessen Wil-
len man sich aber ergibt, das man glaubt. Deshalb ist diese
Religion dazu geschaffen, ein ungeheures Vertrauen in die-
sen Willen hervorzurufen, das zum Fatalismus fiihrt, zur
willenlosen Ergebung. Daher war es moglich, dafi in weni-
gen Menschenaltern diese Stamme die arabische Herrschaft
ausdehnten iiber Syrien, Mesopotamien, Nordafrika bis zu
dem Reich der Westgoten in Spanien, so dafi bereits urn die
Wende des 7. zum 8. Jahrhundert die Mauren ihre Herr-
schaft dort ausbreiteten und an die Stelle der westgotischen
ihre eigene Kultur setzten.
So stromt etwas ganz Neues, Andersgeartetes in die euro-
paische Kultur. Auf eigentlich geistigem, religiosem Gebiet
hat diese arabische Kultur nur einen einfachen Inhalt, der
in der Seele gewisse Krafte begriindete, aber nicht viele
Vorstellungen erwirkte, nicht den Geist besonders in An-
spruch nahm. Dieser Geist war nicht erfullt vom Nachden-
ken iiber Dogmen, iiber Engel und Damonen und so wei-
ter. Aber war der Geist nicht damit erfullt, so mit dem, was
den christlich-germanischen Stammen damals fehlte: mit
aufterer Wissenschaftlichkeit. Fortgebildet finden wir hier
alle jene Wissenschaften, wie Medizin, Chemie, mathemati-
sches Denken. Der praktische Geist, der aus Asien mit
nach Spanien gebracht war, fand nun in Seefahrten und so
weiter Betatigung. Er wurde hiniibergebracht in einer Zeit,
wo dort ein wissenschaftsloser Geist sein Reich begriindet
hatte. Die maurischen Stadte wurden Statten ernster, wis-
senschaftlicher Arbeit: wir sehen da eine Kultur, die jeder,
der sie kennt, nur bewundern kann, von der ein Humboldt
sagte: «Diese Weite, diese Intensitat, diese Scharfe des Wis-
sens ist ohne Beispiel in der Kulturgeschichte.» Diese mau-
rischen Gelehrten sind voll Weitblick und Tiefsinn und ha-
ben nicht nur wie die Germanen die griechische Wissen-
schaft iibernommen, sondern vorgebildet. Aristoteles lebte
auch bei diesen fort, aber bei den Arabern der wahre Ari-
stoteles als Vater der Wissenschaft, verehrt mit grofiem
Weitblick. Es ist interessant zu sehen, wie das, was in Grie-
chenland vorgebildet war, die alexandrinische Kultur, dort
fortlebte, und damit haben wir eine der merkwurdigsten
Stromungen im menschlichen Geistesleben beriihrt. Die
Araber lieferten die Grundlagen zur objektiven Wissen-
schaft. Diese stromte zunachst von da aus ein in die angel-
sachsischen Kloster in England und Irland, wo das alte
energische keltische Blut lebte. Eigentumlich war es zu se-
hen, was fur ein reger Verkehr zwischen ihnen und Spanien
eingeleitet wurde, und wie dort, wo Tiefsinn und Fahigkeit
zum Denken vorhanden war, die Wissenschaft durch Ver-
mittlung der Araber auflebte.
Und es ist eine merkwiirdige Erscheinung, wenn wir wei-
ter sehen, dafi die Araber, die anfangs ganz Spanien in Be-
sitz nahmen, bald aufierlich besiegt wurden in der Schlacht
bei Poitiers 732 durch die Franken unter Karl Martell.
Damit siegte aufierlich die physische Kraft der Franken
tiber die physische Kraft der Mauren. Aber unbesiegbar
bleibt die geistige Kraft der Araber, und so wie einst die
griechische Bildung erobernd in Rom auftritt, so erobert
sich die arabische Bildung den Westen, den siegreichen
Germanen gegeniiber. Wenn nun die Wissenschaft, die
man braucht, um den Gesichtskreis fur Handel und Welt-
verkehr auszubreiten, wenn die Stadtekultur entsteht, so
sehen wir, dafi es arabische Einflusse sind, die hier sich gel-
tend machen, ganz neue Elemente, die hier einstromen,
und die versuchen, sich den alten anzupassen.
Dafi jemand wohl verwirrt werden konnte, der mit frei-
em Blick diese sich widerstrebenden Stromungen im Mit-
telalter verfolgte, sehen wir an Walther von der Vogelweide
zum Ausdruck kommen. Der Dichter sah, wie die Germa-
nenvolker nach aufierer Macht strebten, sah vom Christen-
tum eine entgegengesetzte Stromung ausgehen. - Denn ich
bitte Sie zu beachten, dafi das Christentum erst spater jene
Form annahm, die ihm dann anhaftete. - Bei Walther von
der Vogelweide sehen wir in Empfindung umgewandelt,
was das Mittelalter durchstromte, in der wehmiitigen Schil-
derung:
Gar banglich bedachte ich mir,
Weshalb man auf der Welt wohl sei.
Es fiel mir keine Antwort bei,
Wie man drei Ding' erwurbe,
DalS keins davon verdurbe.
Die zwei sind Ehr s und weltlich Gut,
Das oft einander Schaden tut;
Das dritt' ist Gott gefallen,
Das wichtigste von alien.
Die wunscht' ich mir in einen Schrein.
Doch leider kann das nimmer sein,
Dafi weltlich Gut und Ehre
Und Gottes Huld je kehre
Ein in dasselbe Menschenherz.
Sie finden Hemmnis allerwarts:
Untreu legt allenthalben Schlingen,
Gewalt darf alles niederzwingen,
So Fried' als Recht sind todeswund,
Und nimmer finden Schutz die drei,
Eh' diese zwei nicht sind gesund.
Wir wollen dann weiter sehen, wie schwer es dem Mittel-
alter selbst wurde, diese drei Dinge im Herzen zu vereini-
gen, und wie sie die grofien Kampfe hervorgerufen haben,
die das Mittelalter zerrissen.
Funfter Vortrag, 15. November 1904
Wenn Sie irgendeines der gebrauchlichen Schulbiicher oder
eine der anderen ublichen Darstellungen des Mittelalters
iiber die Zeit, von der wir jetzt sprechen werden - vom 8.
oder 9. Jahrhundert - , in die Hand nehmen, so nimmt dar-
in einen aufierordentlichen Raum ein die Personlichkeit
Karls des Grqfien. Aber Sie werden wenig von dem verste-
hen, was eigentlich das Bedeutungsvolle dieses Zeitalters
ausmacht, wenn Sie diese Eroberungsziige und Taten Karls
des Grofien in dieser Weise verfolgen. All das war nur ein
aufierer Ausdruck fiir viel tiefere Ereignisse im Mittelalter,
die sich darstellen werden als das Zusammenspiel vieler be-
deutender Faktoren. Wollen wir diese betrachten, so miis-
sen wir dazu Dinge streifen, die wir schon beriihrt haben,
um Licht da hineinzubringen.
Wenn Sie sich erinnern an die Schilderung europaischer
Verhaltnisse unmittelbar nach der Volkerwanderung, als
hier und da nach diesem Ereignisse germanische Volker zur
Ruhe gekommen waren, so werden Sie daran denken miis-
sen, dafi sich diese Volker ihre altgewohnten Einrichtun-
gen, ihre Sitten und Gebrauche in die neuen Wohnsitze
mitgebracht hatten und sie dort ausbildeten. Dabei sehen
wir, dafi sie sich eine Eigentiimlichkeit bewahrt haben: eine
Art soziale Ordnung, bestehend in der Verteilung von Pri-
vat- und Gemeineigentum. Es waren kleine soziale Verban-
de, in denen sie urspriinglich lebten, Dorfgemeinden, dann
spater Hundertschaften, Gaue, und in alien gab es Gemein-
eigentum an alledem, was Gemeineigentum sein konnte:
Wald, Wiese, Wasser und so weiter. Und nur, was der Ein-
zelne bebauen konnte, der einzelne Feldanteil, die Hufe,
wurde der Privatfamilie zugeteilt, wurde erblich. Alles an-
dere blieb Gemeineigentum.
Nun haben wir gesehen, wie die Fiihrer solcher Stamme
grofiere Gebiete bei der Eroberung zuerteilt bekamen, und
wie dadurch gewisse Herrschaftsverhaltnisse entstanden,
namentlich in Gallien, wo vieles Land noch urbar zu
machen war. Fiir die Bearbeitung dieser Landereien nahm
man teils die Angehorigen der friiheren Bevolkerung, teils
die romischen Kolonen oder Kriegsgefangene. Dadurch bil-
deten sich gewisse Rechtsverhaltnisse heraus. Der Groft-
grundbesitzer war unverantwortlich fiir das, was er tat in-
nerhalb seines Besitzes; er konnte fiir das, was er verfiigte,
nicht zur Verantwortung gezogen werden. Daher konnte
er fiir sein Besitztum Rechtsvorschriften, Polizeimafiregeln
erlassen. Wir treffen also in dem Frankenreiche kein ein-
heitliches Konigtum; das, was man das Reich der Merowin-
ger nennt, war nichts anderes als ein solcher grofier Grund-
besitz. Die Merowinger waren eine der grofigrundbesitzen-
den Familien; aus privatrechtlichen Verhaltnissen hervor-
gegangen, dehnte sich ihre Herrschaft aus dem Kampfe urns
Dasein immer weiter aus. Immer neue Gebiete wurden hin-
eingezogen. Der Grofigrundbesitzer war nicht in der Weise
Konig, wie wir es seit dem 13. und 14., ja noch im 16. Jahr-
hundert gewohnt sind, sondern privatherrschaftliche Ver-
haltnisse gingen in Rechtsverhaltnisse iiber.
Er iibertrug gewisse Teile seines Gebietes an andere,
minder Begiiterte - weil er nicht alles selbst bebauen konn-
te -, und mit ihnen seine Rechte; das nannte man «unter
Immunitat»: jene Richtergewalt, die aus der Unverantwort-
lichkeit in solchen Verhaltnissen erwachsen war. Dafiir
mufite der Betreffende Abgaben entrichten und dem Konig
in dem Kriege Heeresfolge leisten. In solcher Ausbreitung
der Besitzverhaltnisse ging das Geschlecht der Merowinger
als Sieger hervor iiber andere, so dafi wir an der Formel
festhalten miissen: das alte Frankenreich ging hervor aus
rein privatrechtlichen Verhaltnissen.
* ■
Und wiederum geschah der Ubergang von den Merowin-
gern zum Karolingergeschlecht, aus dem Karl Martell ent-
stammte, auf dieselbe Art, aus denselben Verhaltnissen her-
aus. Die Karolinger waren urspriinglich Verwalter der Do-
manen der Merowinger, aber allmahlich so einflufireich ge-
worden, dafi es Pippin dem Kleinen gelang, den blodsinni-
gen Childerich in ein Kloster zu stecken und mit Hilfe des
Papstes abzusetzen. Von ihm stammte sein Nachfolger,
Karl der Grofte. In raschem Fluge konnen wir die aufieren
Ereignisse nur streifen, denn sie haben keine besondere Be-
deutung. Karl der Grofie bekriegt die umliegenden deut-
schen Volksstamme und dehnt gewisse Herrschaftsverhak-
nisse aus. Man kann dieses Reich noch nicht einen Staat
nennen. Er fuhrte lange Kampfe gegen die Sachsen, die an
der alten Dorfverfassung, an den alten Sitten und Gebrau-
chen, dem alten germanischen Glauben mit grofier Zahig-
keit festhielten. Die Eroberung geschah nach langwierigen
Kriegen, die mit aufierordentlicher Grausamkeit von bei-
den Seiten gefiihrt wurden.
Bei solchen Stammen, wie die Sachsen waren, tat sich ir-
gendeine Personlichkeit besonders hervor, die dann zum
Fiihrer wurde. Diesmal war es ein Herzog mit gro&en Be-
sitztiimern, starkem Heeresgefolge, Widukind, dessen Tap-
ferkeit heftigsten Widerstand leistete. Er wurde mit der
grofiten Grausamkeit niedergezwungen und mufke sich der
Herrschaft Karls des Grofien unterwerfen. Was bedeutet
solche Herrschaft? Sie bedeutet folgendes: Wenn Karl der
Grofie wieder abgezogen ware, so ware nichts Besonderes
geschehen gewesen. Solche Stamme, die sich zu Tausenden
hatten taufen lassen miissen, hatten doch in derselben
Weise fortgelebt wie fruher.
Das Mittel, um hier ein Herrschaftsverhaltnis zu begriin-
den, war die Form, die Karl der Grofie hier der Kirche ge-
geben. Mittels der Macht der Kirche wurden diese Gebiete
unterworfen. Bistiimer und Kloster wurden gegriindet, die
grofie Besitztumer zuerteilt erhielten, welche fruher die
Sachsen besafien. Die Bebauung wurde durch die Bischofe
und Abte besorgt; damit trat die Kirche das an, was sonst
der durch Immunitat geschiitzte, weltliche Grundbesitz ge-
tan, die richterliche Gewalt. Wenn die Sachsen sich nicht
fiigten, wurden sie durch neue Einfalle Karls des Grofkn
gezwungen. So geschah dasselbe, wie im westlichen
Frankenreich: die kleineren Besitzer konnten sich als
Einzelne nicht halten, sie schenkten daher was sie hatten
den Klostern und Bistiimern, um es wieder als Lehen zu
erhalten.
Das eine Verh'altnis ist also, daft grofie Besitzungen direkt
zur Kirche gehorten, wie bei den neugegriindeten Bistii-
mern Paderborn, Merseburg, Erfurt, die fur den Bischof
von den Unterworfenen bebaut wurden. Aber auch dieje-
nigen, welche noch selbst Besitztumer hatten, nahmen sie
zu Lehen und mufiten immer grofkre Abgaben an die be-
treffenden Bistiimer und Abteien geben. Damit war hier
die Herrschaft Karls des Grofien begriindet, ein Macht-
verhaltnis zustande gekommen, mit Hilfe des grofien Ein-
flusses, den die Kirche gewann, deren Oberherrscher er war.
So wie hier dehnte Karl seine Macht auch in andere Ge-
genden aus. In Bayern gelang es ihm, die Macht des Her-
zogs Tassilo zu brechen, ihn ins Kloster zu stecken und da-
mit Bayern in sein Herrschaftsverhaltnis einzubeziehen.
Die Bayern hatten sich mit den Awaren, einem Volke, das
man als Nachkommen der Hunnen bezeichnen kann, ver-
bundet. Karl blieb in diesem Kampfe siegreich und hat
einen Streifen Landes als Grenzmark gegen die Awaren be-
festigt, die awarische Mark, das Ursprungsland des heuti-
gen Osterreich. In eben dieser Weise hat er sich auch einen
gegen die Danen geschaffen.
Gegen die Langobarden, die den Papst beunruhigten,
kampfte er in Italien wie Pippin, er blieb siegreich und be-
griindete abermals dort ein Herrschaftsverhaltnis. Er ver-
suchte es auch gegen die Mauren in Spanien. Fast iiberall
blieb er Sieger. Wir sehen liber die damalige europaische
Welt die Frankenherrschaft sich begriinden, die wir nicht
Staat nennen konnen, die blofi die Keime der kiinftigen
Staatsgewalt enthielt.
In solchen neugewonnenen Gegenden waren auch Gra-
fen eingesetzt, die richterliche Gewalt ausiibten. In Gegen-
den, wo Karl der Grofie abwechselnd seinen Hof abhielt,
an gesicherten Platzen, die man Pfalzen nannte, waren es
die Pfalzgrafen, meist Grofigrundbesitzer, die gewisse Ab-
gaben bekamen von den umhegenden Gebieten. Doch
nicht nur von Grund und Boden, auch Ertragnisse, die aus
der Rechtssprechung erwuchsen, fielen ihnen zu. War je-
mand gemordet worden, so wurde vom Gau- oder Pfalzgra-
fen das offentliche Gericht zusammengerufen. Ein Ver-
wandter, oder jemand, der in naherem Verhaltnis zu dem
Ermordeten stand, fuhrte Klage. Fur Mord konnte damals
ein gewisses Wehrgeld gezahlt werden, das fiir Freie und
Unfreie verschieden war, eine bestimmte Summe, die teils
an die Familie des Gemordeten, teils an den Gau- oder
Pfalzgrafen gezahlt wurde; ein Teil mufite an die konigliche
Zentralkasse abgeliefert werden. Fur die gemeinschaftli-
chen Angelegenheiten, es waren eigentlich nur solche, die
sich auf Abgaben und Verteidigung bezogen, und zur Be-
aufsichtigung, waren Landgrafen, die von einem Land zum
anderen reisten, angestellt, Botschafter ohne besondere
Funktionen.
Unter diesen Verhaltnissen bildete sich immer mehr her-
aus das, was man den Gegensatz nennen konnte zwischen
dem neuen Grundbesitzeradel und den Horigen, sowie
denjenigen Freien, die zwar personlich noch frei waren,
aber in ein scharfes Abhangigkeitsverhaltnis gerieten da-
durch, dafi sie grofte Abgaben zu zahlen und Heeresfolge
zu leisten hatten. Diese Verhaltnisse spitzten sich immer
mehr zu, weltlicher und kirchlicher Besitz dehnten sich im-
mer weiter aus, und bald schon, im 10., 11. und 12. Jahr-
hundert, sehen wir das Volk in schwerer Abhangigkeit,
treffen wir schon auf kleinere Emporungen, Revolten, als
Vorherverkundigung dessen, was wir als Bauernkriege ken-
nen. Daft sich dabei die materielle Kultur immer produkti-
ver entwickelte, werden Sie begreifen. Viele germanische
Stamme hatten vor der Volkerwanderung noch nicht Ak-
kerbau betrieben, sondern ihren Unterhalt durch Vieh-
zucht gewonnen; jetzt entwickelten sie sich immer mehr
zum Ackerbau; hauptsachlich wurde Hafer und Gerste an-
gebaut, aber auch Weizen und Lein (Flachs) und so weiter.
Das ist das Wesentliche, was der alteren Kultur Bedeutung
gab. Das eigentliche Handwerk gab es damals noch nicht,
es entwickelte sich erst unter der Oberflache; Weberei, Far-
berei und so weiter wurden im Hause meist von den Frau-
en betrieben; Schmiede- und Goldschmiedekunst waren die
ersten Handwerke, die sich herausbildeten. Noch unbedeu-
tender war der Handel.
Eigentliche Stadte entwickelten sich vom 10. Jahrhundert
ab. Ein geschichtliches Ereignis bereitet sich damit vor.
Aber das, was von diesen Stadten ausgegangen ist, der Han-
del, hatte damals keine Bedeutung, hochstens wurde von is-
raelitischen Kaufleuten ein Handel mit Kostbarkeiten aus
dem Orient betrieben. Gebrauche des Handels gab es fast
gar nicht, trotzdem Karl der Grofie schon Miinzen pragen
liefi. Fast alles war Tauschhandel, bei dem Vieh, Waffen
und dergleichen Dinge ausgetauscht wurden.
So miissen wir uns die materielle Kultur jener Gebiete
vorstellen, und nun werden wir begreifen, warum auch die
geistige Kultur ein ganz bestimmtes Geprage annehmen
mufite. All das, was wir uns als geistige Kultur vorstellen,
gab es in diesen Gegenden weder bei Freien noch bei Hori-
gen. Jagd, Krieg, Ackerbau war die Beschaftigung der
Grundbesitzer. Als Symptom hierfiir diene, dafi nicht nur
die Bauern, sondern Gutsbesitzer, Fursten, Herzoge, Koni-
ge, selbst Dichter, wenn sie nicht geistlich waren, selten le-
sen und schreiben konnten. Wolfram von Eschenbach mufi-
te seine Dichtungen einem Kleriker diktieren und sich von
ihm vorlesen lassen, und Hartmann von derAue riihmt als
eine besondere Eigenschaft, dafi er in Buchern lesen konn-
te. Und bei alien denjenigen, die die weltliche Kultur be-
sorgten, war nicht die Rede davon, dafi sie lesen und schrei-
ben konnten.
Nur im Innersten der Kloster wurde die Pflege der Wis-
senschaft und Kunst betrieben. Alle anderen waren auf das
angewiesen was ihnen durch die Geistlichen an Belehrung
und Predigt geboten wurde. Und das bedingt ihre Abhan-
gigkeit von Geistlichen und Monchen, es bedeutet die
Herrschaft der Kirche.
Wenn wir heute geschildert finden das, was man als «fin-
steres Mittelalter», Ketzerverfolgungen, Hexenprozesse
versteht, miissen wir uns klar sein, dafi wir damit von Ver-
haltnissen sprechen, die erst mit dem 13. Jahrhundert be-
ginnen. In diesen alteren Zeiten hat so etwas nicht bestan-
den. Die Kirche fiihrte keine andere Herrschaft als der
weltliche Grofigrundbesitz. Entweder ging die Kirche
Hand in Hand mit der weltlichen Herrschaft, war nur ein
Glied derselben, oder sie war bestrebt, christliche Wissen-
schaft und Theologie auszubilden.
Bis der Strom des geistigen Einflusses der Araber kam,
wurde alles Geistige nur in den Klostern gepflegt; was die
Monche da drinnen taten, war etwas, das in der Welt drau-
fien vollig unbekannt war. Drauften wufite man nur von
der Predigt und einer Art geistiger Unterweisung, die in
primitiven Schulen stattfand.
Die Herrschaft der Kirche wurde auch dadurch gefor-
dert, dafi die Geistlichen alle Verrichtungen, welche Wis-
sen erforderten, selbst ausfuhrten. Die Monche waren die
Baumeister; sie schmiickten die Kirchen mit Bildwerken,
sie schrieben die Werke der Klassiker ab in kunstvoller
Schrift. Auch die hoheren Beamten, die Kanzler der Kaiser,
waren zum grofien Teil Monche.
Nun zu dem, was in den Klostern geschah. Eine Form
der Bildung, die dort in den Klostern gepflegt wurde, war
die Scholastik, eine spatere die Mystik. Diese Scholastik,
die bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts ihre Bliite hatte, hat
ein Ungeheures vollbracht, sie hat ein streng geschultes
Denken wenigstens bei einem Stande hervorzurufen ver-
mocht. Das ist der grofie Unterschied zu dem, was spater
gekommen ist. Es waren harte Priifungen zu bestehen, nie-
mand konnte ohne harte Proben absolut logischer Schu-
lung des Denkens weiterkommen; an dem geistigen Leben
konnte nur der teilnehmen, der wirklich logisch denken
konnte. Das wird heute nicht geachtet. Aber tatsachlich
war es dies logische folgerichtige Denken, das, als die mau-
risch-arabische Kultur nach Europa kam, es bewirkte, dafi
diese Wissenschaft geschultes Denken vorfand. Die Denk-
formen, mit denen die Wissenschaft heute arbeitet, sie sind
dort gefunden, es sind die wenigsten Ideenformen, die nicht
von dort stammen.
Die Begriffe, mit denen noch heute die Wissenschaften,
wie Chemie, Medizin, Philosophic operieren, wie Subjekt
und Objekt, wurden damals gefunden. Eine Trainierung
des Denkens, wie sie sonst in der Weltgeschichte nicht vor-
kommt, wurde da ausgebildet. Der heutige scharfe Denker
verdankt, was heute in den Adern seines Geistes fliefit,
jener Trainierung, die zwischen dem 5. und 14. Jahrhun-
dert gepflogen wurde. Nun mag es jemand als ungerecht
empfinden, dafi die grofie Menge damals nichts von alle-
dem hatte, allein der Gang der Weltgeschichte geht nicht
nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, sondern folgt
dem grofien Gesetz von Ursache und Wirkung. So sehen
wir zwei streng nebeneinanderlaufende Stromungen auch
hier: erstens die materielle Kultur draufien mit absoluter
Unwissenschaftlichkeit, und zweitens eine fein ziselierte
Kultur bei einigen wenigen innerhalb der Kirche. Und
doch beruhte die Stadtekultur auf dieser streng scholasti-
schen Denkweise. Die Manner, die den grofien Urn-
schwung herbeifiihrten, entstammten ihr: Kopernikus war
Domherr, Giordano Bruno Dominikaner und so weiter.
Ihre und vieler anderer Bildung, ihre formale Schulung
wurzelte in diesem Geist der Kirche. Nicht Machtige, nicht
Bischofe und reiche Abte, sondern einfache Monche waren
es, die die Wissenschaft fortpflanzten, arme Monche, die in
der Vergangenheit lebten und die den Druck der Machtigen
oft zu spiiren hatten.
Die Kirche, die sich mit den aufieren Machten verbiinde-
te, mufite sich vermaterialisieren, sie mufite dazu greifen,
ihre Lehre und ganzes Wesen zu verweltlichen. Es gab in
den altesten Zeiten bis zu dem 12. Jahrhundert nichts, was
erhabener, feierlicher war fiir den Christen als das Abend-
mahL Es sollte ein dankbares Erinnerungsopfer sein, ein
Symbol fiir die Verinnerlichung des Christentums. Da kam
jene Verweltlichung, jenes Unverstandnis solchen hohen,
geistigen Tatsachen gegeniiber, vor aliem den Festen gegen-
iiber. Im 9. Jahrhundert lebte im Lande der Franken, am
Hofe Karls des Kahlen, ein sehr bedeutender, christlicher
Monch aus Irland, Scotus Erigena, in dessen Buche «Von der
Einteilung der Natur» wir eine Fiille von Geist und Tief-
sinn finden, freilich nicht von dem, was das 20. Jahrhun-
dert unter Wissenschaft versteht. Er hatte zu kampfen ge-
gen eine feindliche Richtung in der Kirche. Er verteidigte
die alte Lehre, dafi das Abendmahl die Versinnbildlichung
des hochsten Opfers bedeutete. Eine andere, materielle
Auffassung bestand und wurde von Rom protegiert, daft
Brot und Wein sich wirklich in Fleisch und Blut verwan-
deln. Unter dem Einfluft der vor sich gehenden Vermate-
rialisierung entstand das Abendmahlsdogma, doch erst im
13. Jahrhundert wurde es offiziell.
Scotus mufite nach England fliichten und wurde auf Be-
treiben des Papstes im eigenen Kloster von den verbriider-
ten Monchen hingemordet. Das sind Kampfe, die sich nicht
innerhalb der Kirche, sondern durch das Eindringen des
weltlichen Einflusses abspielen. Sie sehen, das, was geistiges
Leben war, war beschrankt auf einige wenige und unoffen-
bar der grofien Masse, auf der ein immer steigender Druck
lag von weltlichen und geistlichen Grundbesitzern. Auf
diese Weise mehrte sich die Unzufriedenheit immer mehr.
Es konnte nicht ausbleiben, dafi sich in den von zwei Seiten
abhangigen Leuten die Unzufriedenheit haufte. Draufien
auf dem Lande, auf den Bauernhofen entstanden immer
neue Ursachen zur Unzufriedenheit. Kein Wunder, dafi
sich die kleinen Stadte, wie sie am Rhein und an der Donau
schon vorhanden waren, immer mehr vergrofterten und
neue sich bildeten durch das Abstromen derer, die es auf
dem Lande nicht mehr aushalten konnten. Was den Grund
zur Umgestaltung soldier Verhaltnisse bildete, war der Ab-
flufi der nach Freiheit diirstenden Bevolkerung.
Eine rein materielle Veranlassung war es, aus der die stad-
tische Kultur entstand. Die geistige Kultur blieb vorlaufig
unberiihrt; viele Stadte entwickelten sich auch um die Bis-
tumer und Kloster. Aus der stadtischen Kultur entstand al-
les, was Handel und Gewerbe im Mittelalter begriindete
und nachher ganz andere Verhaltnisse herbeifuhrte.
Das Bedurfnis nach unmittelbarem Ausleben der
menschlichen Personlichkeit gab Anlaft zur Griindung der
Stadte. Das war ein machtiger Schritt auf der Bahn zur Frei-
heit, wie ja nach dem Worte Hegels die Geschichte die Er-
ziehung des Menschengeschlechts zur Freiheit bedeutet.
Und wenn wir die Geschichte des Mittelalters weiter ver-
folgen, werden wir sehen, dafi diese Begriindung der Stadte-
kultur nicht einen kleinen, sondern einen groften Schritt
auf dieser Bahn vorwarts bedeutet.
Sechster Vortrag, 6. Dezember 1904
Die Geschichte des Mittelalters ist deshalb fur die menschli-
che Betrachtung so aufierordentlich wichtig, weil wir es
mit einem Zeitraum zu tun haben, den wir schon besser er-
forschen konnen, in dem wir die menschliche Entwicke-
lung verfolgen konnen vom einfachen Ursprung aus bis zur
Entstehung dessen, was wir Staaten nennen. Und aufier-
dem haben wir hier em Ineinandergreifen der mannigfaltig-
sten Faktoren. Innerhalb einfacher Verhaltnisse lebt sich
ein fertiges Kulturgebilde ein, wie es das Christentum ist.
Aus dem Zustande der Barbarei sehen wir immer mehr das
sich entwickeln, was als Bliite der Kultur des Mittelalters
erscheint, was wir als Erfindungen kennen.
Zu diesen auf dem Wege der Volkerwanderung durchein-
andergewurfelten Volkerschaften sehen wir auf einem
komplizierten Umwege dasjenige kommen, was man heute
mit «Wissenschaft» bezeichnet. Das Mittelalter hatte eine
grofie Erbschaft angetreten. Zwar war von dem, was wir als
griechische Kultur kennengelernt haben, nichts vorhanden
geblieben als einige Traditionen auf Plato zuriickgehend
und durch die Brille der christlichen Anschauungen gese-
hen. Dagegen war ein machtiges Erbe aus der Zeit des ro-
mischen Reiches geblieben: das machtige Staatengebilde
mit seiner Verwaltung und Rechtspflege von einer Einheit-
lichkeit und Geschlossenheit, wie sie nie zuvor in der Welt-
geschichte aufgetreten waren, wie wir sie im ganzen Mittel-
alter auch nicht finden; erst in der Neuzeit, die sich sonst so
viel auf ihre Freiheit einbildet, begegnen wir einer solchen
Ausdehnung der Staatsgewalt. Das, verbunden mit jener
anderen idealistischen Kulturbewegung, die allmahlich das
romische Reich durchdrungen und aufgesogen hatte, kam
zu Volkern, die nichts hatten von irgendeiner ahnlichen
Bildung, und dazu von der Volkerwanderung entwurzelt
waren. Alle diese Volkerstamme, Goten, Heruler, Lango-
barden, Franken, Sachsen und so weiter, waren etwas ganz
anderes, vollig im Kindheitsstadium geblieben, im Ver-
gleich zu jenen Romern.
Eine Art Naturleben, beschrankt auf Jagd und Kriegfuh-
rung, fuhrten sie ohne festes Recht und Gesetz. Ein grofier
Ubergang fand nun statt in den Verhaltnissen und An-
schauungen dieser Volkerschaften, die in kleinen Verban-
den zusammenlebten.
Was hielt diese einzelnen Stamme zusammen? Das
Andenken an irgendeinen Ahnen, der dem Stamme den
Namen gegeben hatte, an machtige Geschlechter, die sich
in alten Kampfen oder bei Eroberung des neuen Landes
hervorgetan hatten, und dem Stamm das geliefert, was man
Grafen, Fiirsten, Herzoge nennt.
Dieser Ubergang driickt sich nun darin aus, da£ man den
gemeinsamen Boden liebt. Sie fangen an, mehr Wert auf die
Gemeinsamkeit des Landbesitzes zu legen als auf die Bluts-
verwandtschaft .
An die Stelle der Stammeszugehorigkeit tritt das, was wir
Dorfgemeinschaft nennen. Auf dem Grund und Boden be-
ruht das gesamte materielle Leben. Handel und Gewerbe
gibt es noch nicht.Was diese Menschen davon notig haben,
wird nebenbei besorgt von den Frauen, den jungen Leuten
und Sklaven. Der grofke Teil der Bevolkerung kannte gar
nichts anderes als den Ackerbau und haufige Kriegsziige.
Sie hatten keine Ahnung von dem, was wir heute Kultur
nennen, keine Ahnung von dem, was wir als die erste For-
derung derselben ansehen, von Lesen und Schreiben. Es
wird Karl dem Grofien als besonderes Verdienst angerech-
net, dafi er sich bemuhte, im Alter noch Lesen und Schrei-
ben zu lernen, Alles, was an Bildung vorhanden war, lag in
den Handen der romischen Bevolkerung in den Gegenden,
die erobert worden waren. Aus ihnen ging das Beamtentum
hervor, daher der Einflufi der romischen Rechtsanschauun-
gen. So war es in den westlichen Gegenden; anders im
Osten. Dort, in den heutigen deutschen Gebieten, hatte
sich das urspriingliche germanische Wesen von diesen Ein-
fliissen frei gehalten. Die ungebrochene Kraft der thuringi-
schen und sachsischen Stamme war etwas, mit dem alles im
Mittelalter zu rechnen hatte.
Das einzige, was hierher eine Bildung brachte, war das
Christentum. Doch eigentliche Wissenschaft, wie Mathe-
matik, Naturwissenschaft und so weiter war nicht darin
einbegriffen. Moralische, religiose Bildung brachte es. Die
moralischen, ethischen Begriffe hinzugefiigt zu haben, war
das Verdienst des Christentums. Namentlich innerhalb des
am meisten begunstigten Frankenstammes war der Einflufi
des Klerus, besonders der hereinziehenden, gelehrten kelti-
schen Monche, ein sehr grower. Bei diesem Stamme, der
durch die Gunst der Umstande in ein freies Land gefiihrt
wurde, wo er seine Eigenart in noch grofienteils unbebau-
ten Gegenden ausleben konnte, sehen wir am besten, wie
diese Umwandlung sich vollzieht. Die Umwandlung von
kleineren zu grofieren Gemeinschaften kam hier zustande.
Grafen und Fiirsten eroberten immer neue Gebiete, und
belehnten kleine Besitzer mit Teilen ihres Besitzes. Da-
durch breitete sich die Macht der grofien Grundbesitzer
immer mehr aus. Eine Art Gerichtsbarkeit und Verfassung
entstand aus der Ubertragung urspriinglich rein privat-
rechtlicher Verhaltnisse. Was urspriinglich die irischen und
schottischen Monche antrieb, war der heilige Glaubensei-
fer, der Gedanke, fiir das Heil der Menschheit zu wirken.
Das alles anderte sich. Das Frankentum konnte auch das
Christentum nur als Machtmittel begreifen.
Besonders Karl der Grofie benutzt die Kirche dazu, sein
Gebiet zu vergroftern. Irgendein Bischof, den er einsetzte,
war zumeist bestimmt, ein Werkzeug seiner Herrschaft zu
sein. Anfangs wurde die Kirche nur von Glaubenseifer, von
wirklicher Uberzeugung geleitet, spater unter dem Einflufi
der aufieren Gewalt, suchte sie selbst ein Machtverhaltnis
zu erringen. So war der Bischof erst ein dienendes Glied der
Kirche, spater selbst ein Herrscher und Grundbesitzer. So
zeigt sich uns das Mittelalter etwa zur Zeit Karls des Gro-
fien. Aber wir diirfen nicht von einem Reiche Karls des
Grofien sprechen, wie wir heute von Reichen sprechen.
Der Grofigrundbesitz gibt die Moglichkeit, Grundbesitz an
andere zu iibertragen. Neue Gebiete werden erobert und
ergeben neue Moglichkeiten, die Macht zu vergrofiern
durch neue Ubertragungen. So entstehen hofische Ge-
richtsbeamte. An die Stelle der alten Gaugerichte treten
Hofgerichte mit kaiserlichen Grafen, oder wenn sie von
Bischofen ernannt werden, Vqgten.
Dazwischen haben wir immer noch unabhangige Stam-
me, die an ihren alten Herzogen, ihren selbstgewahlten
Gerichten festhielten.
So war es noch beim Tode Karls des Grofien, so blieb es
unter seinem Sohne Ludwig dem Frommen. Das sehen wir
aus seinem Verhaltnis zu seinen drei Sohnen Lothar, Pip-
pin und Ludwig; er teilt sein Reich wie einen privaten Be-
sitz unter die drei. Und als er aus einer zweiten Ehe noch
einen Sohn erhait und eine abermalige Teilung vornimmt,
erheben sich seine alteren Sohne gegen ihn, besiegen ihn in
der Schlacht auf dem Lugenfelde und zwingen ihn, dem
Thron zu entsagen, um sich ihren Besitz nicht schmalern
zu lassen. Wir ersehen deutlich, was es mit einem damali-
gen Staate auf sich hatte. Wir sehen auch, welch falsches
Bild das gibt, was in der Geschichte von dieser Zeit ge-
wdhnlich erzahlt wird. Es waren rein privatrechtliche
Streitigkeiten, die Kampfe, die sich damals abspielten, und
die eigentlichen Volker wurden zwar bei solchen Feld-
ziigen durch die Heeresmassen gestort und beunruhigt,
aber fur den Fortschritt der Menschheit haben alle diese
Kampfe in der nachkarolingischen Zeit keine wirkliche
Bedeutung.
Dasjenige, was aber eine wirkliche Bedeutung hatte, war
der Gegensatz, der sich herausgebildet hatte zwischen dem
Frankenreiche und dem Reiche, das Deutschland und
Osterreich umfalke. Im Westreiche war allmahlich ein
Kampf entstanden zwischen dem weltlichen Adel und der
herrschenden kirchlichen Macht. Der gebildete Klerus lie-
ferte dasjenige, was man friiher aus den Resten der romi-
schen Bevolkerung entnommen hatte: die hoheren Hofbe-
amten, die Schreiber bei den Gerichten und so weiter. Sie
alle besaften eine ganz gleichformige, aus den Klostern her-
vorgehende Bildung, - Neben diesem gebildeten Klerus
gab es eine grofie ungebildete Masse, die ganz abhangig war
von den so ausgebildeten Geistlichen. - Es war die ganze
Bildung jener Zeit, die hervorgegangen war aus dem, was in
den Klosterschulen gelehrt wurde. Die christliche Theolo-
gie umfalke eine Siebenzahl der Wissenschaften, drei nie-
dere und vier hohere.
So sehen wir draufien im Lande ein nur Krieg und Acker-
bau treibendes Volk; in Kirchen, Schulen und Amtern lebt
das, was den Klosterschulen entstammt. Hier in den Kleri-
kerschulen werden diese Wissenschaften gelehrt; die drei
niederen waren: Grammatik, Logik und Dialektik. Die
Grammatik war die Lehre von der Sprache, die Logik, die
Denklehre, die sich in der gleichen Gestalt von Griechen-
land aus in den Klostern des Mittelalters bis in das 19. Jahr-
hundert erhielt, wahrend man sie heute fur uberfltissig
erachtet. An die Logik reihte sich dann die Dialektik, die
ganz aus dem Bestande der heutigen Wissenschaft ver-
schwunden ist. Die mittelalterliche Bildung ruhte in der
Dialektik, die mufke jeder lernen und beherrschen, der et-
was in dem geistigen Leben leisten wollte. Die Dialektik ist
die Kunst, gegeniiber Angriffen eine Wahrheit in regelrech-
ter Weise zu verteidigen. Die Gesetze der Vernunft miissen
gekannt werden, urn dies tun zu konnen. Nicht mit Schein-
griinden konnte gearbeitet werden, wo es gait, eine Wahr-
heit dauernd zu verteidigen; es war nicht die Zeit der Zei-
tungen, wo Griinde von heute nur bis morgen gelten.
Aus der Dialektik stammt, was man wissenschaftliches
und gelehrtes Gewissen nennen kann, und das sollte jeder
haben, der in der Wissenschaft mittun will. Nicht alles
und jedes lafit sich in vernunftgemafier Weise verteidigen;
darin lag die grofie Bedeutung dieser Schulung, hier gewis-
senhaft zu unterscheiden. Spater ist das allmahlich ausge-
artet, so dafi es im spateren Mittelalter dahin kommen
konnte zum Beispiel, daft sich jemand erbot, irgendeine
Wahrheit vierundzwanzig Stunden lang gegen die Angriffe
samtlicher Professoren, Studenten und Laien von Paris zu
verteidigen.
Geschult durch die Dialektik waren diejenigen, die zum
Richterberuf kamen, weniger die Vorsitzenden der Gerich-
te, als diejenigen, die die Urteile ausfertigten.
Wenn Goethe im Anfang des «Faust» ihn sagen lafit:
«Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen, Doktoren, Ma-
gister, Schreiber und Pfa£fen», so kennzeichnet er damit die
Wurden und Amter, zu denen man damals durch eine wis-
senschaftliche Ausbildung gelangte. «Doktor» war derjeni-
ge, der sein Wissen selbstandig verwenden konnte. Magi-
ster war derjenige, der an den Hochschulen unterrichten
durfte. Schreiber waren alle, die im weltlichen Dienste
beschaftigt waren, gleichviel ob in hoherer oder niederer
Stellung. Pfaffen waren alle Geistlichen. Das Wort Pfaffe
war in jenen Zeiten noch kein Schimpfwort, sondern ein
Ehrentitel. So nennt noch im 14. Jahrhundert der Meister
Eckhart Plato den grofien griechischen Pfaffen,
Die vier hoheren Wissenschaften waren Geometrie,
Arithmetik, Astronomie und Musik.
Geometrie ist Raumlehre. Arithmetik ist hoheres Rech-
nen, auch Astronomie entsprach ungefahr dem, was wir
heute darunter verstehen. Musik aber war nicht das gleiche,
was wir heute so nennen. Musik war die Wissenschaft von
der Harmonie des Weltenalls. Man glaubte, daft das gesam-
te Weltenganze in harmonischen Verhaltnissen zu seinen
einzelnen Bestandteilen stehe. Alle diese Verhaltnisse, die
sich durch Zahlen ausdriickten, suchte man aufzufinden.
Wie auch in der Tat die Farben, Tone und so weiter auf be-
stimmten Zahlen beruhen. Man suchte nun in der Musik
uberall die Gesetze der Harmonie, die rhythmischen Ver-
haltnisse; der Zusammenklang der Weltgesetze wurde
gelehrt.
So habe ich versucht, Ihnen eine Vorstellung zu geben
von dem, was der durch Bildung herrschende Stand trieb.
Diese Bildung gewann immer mehr die Oberhand in dem
Westreich, das wir jetzt Frankreich nennen. Anders in
Deutschland. Diese Stamme waren ungebrochen geblieben,
sie hatten sich ihre einfachen Sitten gewahrt, ihre Freiheit
grofkenteils erhalten. Die Schattenseite dieser primitiven
Verhaltnisse aber war, dafi hier der Klerus ungebildet war,
und daher sich dazu verwenden liefi, ein Machtmittel in
den Handen der Herzoge und Kaiser abzugeben.
Die Herrschaft des Westreiches blieb bei den Karolin-
gern. Doch die Herrscher aus diesem Hause wurden immer
minderwertiger. Zuletzt zeigte sich besonders die Unfahig-
keit dieser karolingischen Herrscher, als von Norden her
kriegerische Seerauber, die Normannen, das Land beunru-
higten. Diese Normannen drangen von der Miindung der
Fliisse aus, der Elbe und Weser, in das Land, pliinderten
uberall die Kusten, besonders in Frankreich, wo sie die
nordlichen Gegenden besetzten und bis nach Paris vor-
drangen. Dazumal regierte Karl III., der sich vollstandig un-
fahig zeigte, etwas gegen dieses Volk zu unternehmen. Des-
halb war es ein Leichtes, dafi ein unbekannter Herzog in
Osterreich, Amulf von Kdrnten, der Karolingerherrschaft
ein Ende machen und sich die Herrschaft aneignen konnte.
Zuerst genoft er grofies Ansehen, da es ihm gelang, die Nor-
mannen zu besiegen. Aber die Eifersucht unter den Fiirsten
war so grofi, dafi sich Arnulf bequemen mufite, sich an die
Kirche zu wenden und einen Bund mit ihr zu schliefien. Er
mufite einen Zug nach Italien machen und sich uberhaupt
ihrer Herrschaft in vielen Stiicken unterwerfen. Die Folge
ist dann, dafi wir nach seinem Tode sehen, wie die Kirche
sich ihrer Macht bedient. Nicht ein weltlicher FUrst oder
Graf, sondern der Erzbischof Hatto von Mainz wird der
Vormund seines Sohnes, Ludwig des Kindes. Er tritt damit
in all die Herrscherrechte ein, und von da an sehen wir den
Grund gelegt fur die Herrschaft der Kirche, die nicht mehr
nur ausgebeutet wird von den weltlichen Herrschern, son-
dern sich immer mehr einfugt in weltliche Herrschaft und
weltliche Gerichtsbarkeit ausiibt. Die Folge davon war,
dafi jener Kampf zwischen weltlicher und kirchlicher
Macht heraufdammerte, und damit sich jene wichtige Ge-
schichtsperiode einleitet, der Kampf zwischen Kaiser und
Papst.
Es ist falsch, wenn herkommliche Geschichtsbeschrei-
bung diese beiden Machte als etwas voneinander ganz Ver-
schiedenes darstellt. Sie sind nur Rivalen im Streite um au-
Eere Macht. Es sind gleiche Machte, die in derselben Rich-
tung wirken. Wir haben es nicht zu tun mit einem Streit
zwischen geistlicher und weltlicher Macht, sondern mit
einem Streit der weltlich gewordenen Kirche mit weltlicher
Macht. Zwei sich ausbreitende Machtrichtungen sehen wir,
und als dritte sehen wir die «freien Stadte» entstehen, die
iiber ganz Europa sich ausbreiten.
Siebenter Vortrag, 13. Dezember 1904
Vor acht Tagen habe ich Ihnen den Gegensatz entwickelt
zwischen dem West- und dem Ostreich, zwischen dem, was
heute Frankreich, und dem, was heute Deutschland und
Osterreich ist, wie es sich im 8., 9. und 10. Jahrhundert her-
ausgebildet hatte.
Wir haben gesehen, dafi sich die beiden Reiche dadurch
unterschieden, dafi im Westreiche die alte romische Kultur
ihre Spuren hinterlassen hatte und die Kirche bald zu einer
Herrschaft gelangte, indem sie selbst Grofigrundbesitz er-
warb. So kam es zum Kampf des Laienadels mit der aufstre-
benden Kirche. Vor allem haben wir es zu tun mit einer an-
deren Art von Kirche. Sie war mit machtigem Groftgrund-
besitz ausgestattet worden, vorzliglich durch Karl den Gro-
fien, so dafi die Kirche zum Bundesgenossen der weltlichen
Herrschaft wurde, weil sie in die feudalen Verhaltnisse
nach oben wie nach unten gebracht worden war.
Die Unterworfenen waren in ein Lehensverhaitnis zu
den Uberwindern gekommen; die Adeligen entwickelten
sich zu Lehensleuten der Konige, und so hatte sich das K6-
nigreich immer mehr ausgebildet. Fortwahrend hatte das
Westreich mit dem Gegensatz zwischen den Lehensleuten
und der Kirche zu schaffen, Anders im Ostreich. Hier war
das alte Unabhangigkeitsempfinden, das Freiheitsgefiihl
noch wach geblieben, so dafi die Stammesherzoge sich
durchaus nicht bequemen wollten, in ein Abhangigkeits-
verhaltnis zu treten. So ist das 9., 10. und 11. Jahrhundert
damit ausgefullt, dafi die sogenannten Konige, die zwar ge-
wahlt, aber eigentlich nur ihrem Namen nach Konige wa-
ren, fortwahrend damit zu tun hatten, die Stammesherzoge
in ihre Abhangigkeit zu bringen.
Die Geschichte erzahlt viel von solchen Kampfen. Auf
die Karolinger folgte nach dem Franken Konrad das sachsi-
sche Konigshaus, und es wird viel von den Taten Heinrichs
L, Ottos L, II. und III. und Heinrichs II. erzahlt, sowie der
darauffolgenden frankischen Konige, Konrads II., Hein-
richs III., IV. und V. Diese Konige, die im Ostreich gewahlt
werden, hatten ja nicht irgendwie in die Verfassung, die
Gesetzgebung der Stamme hineinzureden; auch keine Ju-
stizgewalt stand ihnen zur Verfiigung. So ist es viel wichti-
ger, wenn man weifi, was eigentlich das Reich damals zu
bedeuten hatte, als dafi man sich von den einzelnen Kamp-
fen eine genaue Vorstellung bildet.
Vorhanden waren grofiere Herzogtumer. Sie sind ent-
standen auf die geschilderte Art. Bei der urspriinglichen
Wanderung in diese Gegenden waren einzelne, die grofien
Grundbesitz erworben hatten, immer machtiger gewor-
den, kleinere Besitzer wurden von ihnen abhangig, muft-
ten ihren Besitz als Lehen ubergeben und dann Abgaben
zahlen.
So hatten die Stammesherzoge allmahlich den kleinen Be-
sitz eingezogen und dadurch, daft sie von dem grofien
Grundbesitz anderen etwas zum Lehen gegeben, sich das
Recht zugesichert, dafi sie ihnen eine bestimmte Anzahl
von Kriegsleuten zur Verfiigung stellten, eine bestimmte
Summe zu zahlen hatten.
So waren durch die Aufsaugung des kleineren Grundbe-
sitzes durch den grofien die Herzogtumer Sachsen, Fran-
ken, Schwaben, Bayern und so weiter entstanden. Allmah-
lich ging auch die Gerichtsbarkeit von den Gaugerichten an
die sogenannten Hofgerichte uber, die die Herzoge ihren
Lehensleuten und Bauern aufgedrangt hatten. Die Kirche
mufke, ihren Vorschriften nach, ihre Gerichtsbarkeit
durch Vogte ausiiben lassen. Auch der Konig war nichts an-
deres als ein grofier Grundbesitzer. Er hatte Vasallen, Hee-
resgefolge, das er in seine Botmafiigkeit gezwungen, ferner
Domanengiiter erworben und damit da und dort sich Herr-
schaftsverhaltnisse begriindet. Das Verhaltnis des Herzogs
zum Konig war auch nur das eines Vasallen, indem er be-
stimmte Abgaben an den Hof lieferte, bestimmte Ertragnis-
se der herumziehenden Hofhaltung zur Verfiigung stellte.
Gerichtsbarkeit war Herzogssache. Nur in den Grenzge-
bieten gegen die Magyaren, Wenden und Danen zu wurde
die Gerichtsbarkeit durch konigliche Mark- und Pfalzgra-
fen ausgeiibt. Grofie Staaten mit einheitlicher Verwaltung,
einheitlichem Heere gab es nicht. Daher ewige Kriege der
Konige gegen die unbotmafiigen Herzoge, welche nicht
Abgaben leisten wollten. Da war es notig geworden, daft
allmahlich die Kirche herangezogen wurde.
Es war vereinbar mit der Frommigkeit, daft ihr Lasten
fur den Konig auferlegt wurden. Otto I. war es besonders,
der bei aller Frommigkeit, bei aller kirchlichen Glaubigkeit
die Kirche notigte, Abgaben zu leisten. Die Bistiimer wur-
den gezwungen, sich in derselben Weise wie die anderen
Lehensleute zu verhalten. Der kirchliche Besitz wurde in
zwei Glieder geteilt, von denen ein Teil von Horigen be-
baut wurde fur den Bischof, zu dem sie' in vollige Abhan-
gigkeit geraten waren. Ein anderes Gebiet blieb in lose-
rem Verhaltnis; dort mufiten die Bauern im Namen des
Bischof s fur den Kaiser das Feld bestellen.
Immer mehr sahen sich die Kaiser durch neue Feinde ge-
notigt, die Kirche zu einem engeren Verhaltnis heranzuzie-
hen. Machtige Feinde bedrohten Mitteleuropa. Die Nor-
mannen hatten, nachdem sie immer wieder die Volker
beunruhigten, nachdem sie von Arnulf von Karnten in der
Schlacht bei Lowen besiegt worden waren und sich die Bre-
tagne erworben hatten, aufgehort mit ihren Einfallen. Da-
gegen brachen jetzt von Osten finnisch-ugrische Volker-
schaften herein, die Magyaren, deren Einfalle einen unbe-
schreiblichen Schrecken verursachten. Alle Berichte erzah-
len von der entsetzlichen Brutalitat ihrer Eroberungsziige.
Das Verdienst, sie zuriickgeschlagen zu haben, wird ge-
wohnlich Heinrich I. und Otto I. zugeschrieben. Es ist dies
bis zu einem gewissen Grad richtig. Die Einfalle der
Magyaren waren nicht etwas, was einer spateren Kriegs-
fiihrung und Kriegserklarung ahnlich sehen konnte.
Als die Magyaren hereinbrachen, waren die Herzoge ge-
rade besonders unbotma£ig, und Heinrich I. mufke sich
deshalb erst einen Waffenstillstand erbitten, um sich ein
wenigstens einigermaften einheitliches Heer zu schaffen.
Dieser Zusammenschlufi wurde nur auf dem Gebiete des
Heereswesens durch die dringende Not bewirkt.
Heinrich I. wird gewohnlich als der Stadtegriinder gefei-
ert; es ist dies eine schiefe Darstellung. Damals begann die
allgemeine Stadtegriindung iiber ganz Europa, und Hein-
rich I. folgte nur dem Zuge der Zeit, wenn er diese Bewe-
gung unterstiitzte.
Wir haben gesehen, wie die Gerichtsbarkeit allmahlich
auf die Grundherren, die Herzoge und Konige iiberging.
Immer unwiirdigere Verhaltnisse traten ein. Eine Menge
Leute, welche friiher freie Bauern waren, mufken alles, was
sie hatten hingeben, um in die Botmafiigkeit der Grofi-
grundbesitzer zu treten. Sie wurden dort, aufier zum
Ackerbau, als Boten, Handwerker und im Kriegsdienst
verwendet.
Namentlich durch die gesteigerte Ertragsfahigkeit des Bo-
dens, die durch die Verwendung dieser vielen Arbeitskrafte
immer grower wurde, entstand eine Art von Handel. Zu-
gleich bildete sich ein besonderer Handwerkerstand heran.
Das gab es vorher gar nicht; wie schon erwahnt, wurden
die notwendigen Arbeiten im Hause von Sklaven und
Frauen besorgt. Hochstens das Schmiede- und das Gold-
schmiedehandwerk war vorhanden. Aber jetzt durch diese
Art des Ubertragens bildete sich ein neuer Stand von Hand-
werkern und Handelsleuten heran. An den Orten, wo ge-
eignete Markte waren, entstanden Ansiedelungen, feste
Platze wurden gegriindet iiberall in ganz Europa. Hierzu
kam die Unzufriedenheit der unwiirdig behandelten Men-
schen, so daft der Andrang nur grofier wurde. Dieser Zug
der Zeit zwang den Konig, sich auf die Stadte zu stiitzen.
Man brauchte ein Reiterheer gegen das Reitervolk der
Magyaren. Dieses Reiterheer bildete den Grund fur den
Ritterstand, der damals entstand. Man mufi alles dies zu-
sammenfassen, um ein wirkliches Bild zu gewinnen, wie
damals alles verlief. Dies 1st wichtiger als die ausfiihrliche
Wiirdigung jener Kampfe.
In den Schlachten auf dem Ried 933 und auf dem
Lechfelde 955 wurden die Magyaren besiegt und erlitten
eine so furchtbare Niederlage, dafi ihnen tatsachlich die
Lust zu weiteren Einfallen vergangen war. Sie gnindeten
sich in der Donaugegend im heutigen Ungarn ein Reich.
Seitdem waren die Kaiser gezwungen, sich auf die Kirche
zu stiitzen, das Christentum wurde politisch ausgenutzt.
Die Magyaren wurden zum Christentum bekehrt, beson-
ders von dem Bistum Passau aus. Will man verstehen,
was damals in den Seelen entstand, mufi man nicht mit
spateren Begriffen rechnen. Es lebte ein intensiver Glau-
be, ein bis zur Schwarmerei gesteigertes religioses Emp-
finden in dem Herzen des Volkes. Es horte in alien Din-
gen auf die Geistlichen, von denen es sich in alien Ange-
legenheiten leiten liefi. Die Herzoge und Konige unter-
stiitzten diese Art von Unterwurfigkeit* Von Karl dem
Grofien an hat man mit dieser Herrschaft iiber die Seele
gerechnet. - So wurde der Klerus bester und starkster
Ratgeber und nistete sich in die Seelen und Herzen des
Volkes ein.
Dazu kam, dafi in der damaligen Zeit durch die Araber
ein starker Einflufi stattfand, nicht nur, wie friiher geschil-
dert wurde, durch wissenschaftliche, sondern auch durch
gewisse literarische Einfliisse, durch die ein neuer Seelen-
zug in das Mittelalter hineinkam. Ein grofier Kreis von Sa-
gen, Marchen Legenden, Gefiihlen und Bildern wurde in
die Volksseele verpflanzt, und dieser seelische Einflufi vom
Orient nach Europa war ein so intensiver, dafi wir sehen,
wie die ursprungliche rauhe Seele des Germanen mildere
Gesittung annahm, und dafi ihre Frommigkeit durchtrankt
wurde von einem Element von grofier Bedeutung: das war
der Marienkultus und der sich daraus entwickelnde Frauen-
dienst. Wer das nicht wtirdigt, weifi gar nichts von der Ge-
schichte des Mittelalters. Ef verschliefk die Augen vor Tat-
sachen wie der, dafi grofie Volksmassen manchmal ergrif-
fen wurden von epidemischer Furcht. Von einer solchen
Furcht wurde das Volk ergriffen urn das Jahr 1000 - wah-
rend der Regierung Kaiser Ottos HI. -, welches den Welt-
untergang bringen sollte. Dieses grofte Ereignis, fur das
man sich durch Bufiubungen und Wallfahrten vorbereiten
wollte, erregte ganz Deutschland. Kaiser Otto III. selbst
unternahm eine Wallfahrt zu dem Grabe des heiligen Adal-
bert von Preufien. All das ergab sich aus der damaligen
Volksseele. Wer das nicht versteht, versteht auch nicht die
Entstehung der spateren Kreuzziige. Man hat auch hier ma-
terielle Beweggriinde gesucht; aber der redet an der Sache
vorbei, der sie nicht von dieser Seite betrachtet.
Die Verweltlichung der Bischofe und Abte konnte nicht
ohne Reaktion, ohne Ruckwirkung bleiben, und so verste-
hen wir, dafi von Cluny eine machtige Bewegung nach Re-
form ausgeht. Der Einflufi der Cluniazenser war ein unge-
heuer grofier; dafi es moglich war, den Gottesfrieden
durchzusetzen, ist ein Beweis dafor. In einer Zeit, wo nir-
gends ein einheitliches Reich vorhanden war, kann man er-
messen, was es bedeutet, daft es den Bestrebungen der Mon-
che von Cluny gelang, das Faustrecht for einige Tage der
Woche - von Freitag zum Montag - einzuschranken, so
daft wahrend dieser Zeit Fehden nicht ausgefochten wur-
den. Man mulJ nur bedenken, daft es damals eigentlich ein
Recht nicht gab, sondern vollstandiges Faustrecht herrsch-
te. Der schroffe Kampf zwischen den deutschen Kaisern
und den Papsten wurde nicht bloft gehihrt aus selbstsuchti-
gen Interessen, sondern auch von Seite der Kirche aus Fana-
tismus. Der Papst f Unite sich als Stellvertreter Christi, als
Herr auch der weltlichen Gebiete; als ob das Reich Christi
auch die weltliche Herrschaft sein nenne.
Papst Gregor VIL, der den deutschen Kaiser Heinrich IV.
zum Canossagang notigte, war erst Monch von Cluny, und
ist von dort aus zu seinem Fanatismus gelangt. Es wurde
Tendenz des Papsttums zu erklaren: so wie es zwei Regie-
rende gibt im Sonnensystem, die Sonne und den Mond, so
auch im menschlichen Leben; der Papst sei die Sonne, der
Konig der Mond, der erst von der Kirche sein Licht emp-
fangt. Diese Gesinnung fand Eingang und ist auch von dem
grofien Dichter Dante als gerecht anerkannt, der bei der
Verteilung der Gewalt die Ubergewalt der geistlichen iiber
die weltliche Macht als recht und billig bezeichnet. Nun
war dieser Kampf zwischen Kaiser und Papst deshalb ein so
machtiger geworden, weil inzwischen ein gewisser Eini-
gungsprozefi sich vollzogen hatte. Die verschiedenen Her-
zogtiimer wurden durch aufiere Gewalt zusammenge-
schmiedet. Die Herzoge betrachteten sich jetzt verpflichtet,
Heeresfolge und gewisse Abgaben dem Kaiser zu leisten.
Alle diese Lander: Italien, Burgund, Lothringen, Franken,
Sachsen, Osterreich und auch Ungarn und Polen standen
zeitweilig zur deutschen Krone im Lehensverhaltnis.
So ist man in der Tat im 11. Jahrhundert zu einer gewis-
sen Einheitlichkeit gekommen. Dabei wird die Kirche im-
mer machtiger. Bei dem Tode Heinrichs III. werden nicht
weltliche Fursten zur Vormundschaft des jungen Konigs,
Heinrich IV. berufen, sondern die Erzbischofe Hanno von
Koln und spater Adalbert von Bremen.
Die Durchsetzung der Volksseele mit religiosen Empfin-
dungen hatte zu einem blinden Autoritatsglauben gefiihrt.
Jetzt war die Zeit fur Rom gekommen. Eine kluge Politik
wurde von Rom aus eingeleitet. Der Klerus mufke heraus-
gerissen werden aus alien weltlichen Interessen, um nur das
eine vor Augen zu haben: die Predigt und Beherrschung des
Volkes. Dazu mufke er vollstandig unabhangig gemacht
werden. So wurde im 11. Jahrhundert das Zolibat iiber den
Klerus verhangt, die Priesterheirat untersagt, da jeder, der
durch selbstgewahlte Blutsbande mit der Welt zusammen-
hange, in Abhangigkeit gerate und nicht so riickhaltlos
dienen konne.
Das gab dem Klerus und Papsttum die Tendenz zu un-
beugsamer Willensentfaltung: nur das eine vor Augen, die
Herrschaft der Kirche. So kam es, dafi die Kirche die Forde-
rung stellen konnte, bei Besetzung der Bistiimer nur die
Kirche mitsprechen zu lassen. Friiher hatten die weltlichen
Fursten jedes Bistum besetzt, das frei wurde. Jetzt sollten
nur geistliche Interessen ausschlaggebend sein, und die
Herrschaft wurde dadurch erhoht, dafi die Besetzung der
Amter nur von der Kirche ausging. Dadurch kam der In-
vestiturstreit, der Heinrich IV., der sich das nicht gefallen
lassen wollte, zum Gange nach Canossa fiihrte.
Das alles fafit sich zusammen in dem Streit zwischen
weltlicher und geistlicher Macht. Haben wir noch bei
Chlodwig gesehen, dafi der Gott der Christen der seine
wird, weil er die Heere zum Siege fuhrte, so sehen wir, wie
die Kirche jetzt selbst zur Herrschaft gelangt. Das mufi
man verstehen, wenn man die neuen Verhaltnisse begreifen
will, welche die Kreuzzuge venxrsachten.
Wir haben an den Franken gesehen, was aus den Stam-
men hervorgegangen ist, die durch die Volkerwanderung
aus ihren Wohnsitzen verdrangt wurden. Wir sahen, wie
das Christentum in alien Lebensverhaltnissen ausschlagge-
bend geworden ist, wie bei den Ansiedlungen Kloster und
Bistiimer zum Mittelpunkt wurden, wie die Monche nicht
nur auf geistigem Gebiet die Leiter des Volkes waren, son-
dern es im Anbau der verschiedenen Friichte unterrichte-
ten, die Bauleute der Kirchen waren und so weiter.
Die Stadte bildeten sich gern um die bestehenden Bistii-
mer herum. So sehen wir iiberall den machtigen Einflufi
der Kirche,
Hereinbrechen sehen wir den Einflufi der Mauren durch
Wissenschaft und Literatur. Einen anderen Einflufi werden
wir kennenlernen, wichtiger als vieles andere, durch die
Kreuzzuge; er kam gleichfalls vom Orient. Durch diese
Einfliisse wurden die grofien Erfindungen und Entdeckun-
gen angeregt. Denn dort im Orient und in China waren
viele Dinge bekannt, von denen der Westen nichts wufke:
Papierbereitung, Seidenweberei, der Gebrauch des Schieft-
pulvers und so weiter. So wurde zu den grofien Erfindun-
gen durch diese Ziige der erste Anstofi gegeben.
Wir sahen so von zwei Seiten aus machtige Impulse auf
die mittelalterliche Menschheit ihren Einflufi ausuben.
Halten Sie das zusammen mit der Stadtegriindung und Sie
werden empfinden, dafi ein Jahrhundert heranbricht, das
die Entwickelung machtvoll vorbereitet. Wenn Sie das in
der rechten Weise verfolgen wollen, dann ist es nicht ge-
nug, es nur verstandesgemafi in sich aufzunehmen. Nie-
mand versteht die Ereignisse wirklich, der nur mit dem
Verstande sie ergreifen will und nicht mit dem Gefiihl, der
sich nicht in die Feinheiten der Volksseele hineinleben
kann, und begreift, was sich dort im Innern abspielt und
vorbereitet. Und wer das nicht hat, fur den gilt das Wort
des Faust:
Was ihr den Geist der Zeiten heifk,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
Achter Vortrag, 20. Dezember 1904
Wir stehen in der Mitte des Mittelalters und haben die Zeit
des 11., 12., 13. und 14. Jahrhunderts zu betrachten. Diese
Zeit ist bedeutungsvoll und wichtig, weil man in dieser
Epoche das Entstehen von grofien Reichen studieren kann.
Auch im Altertum haben wir grofie Staatengebilde kennen-
gelernt - Persien, Romisches Reich und so weiter -, aber
sie liegen uns so fern, daft uns eine wirkliche, geschichtliche
Beurteilung schwer ist. Im Mittelalter sehen wir aber aus
kleinen Ursachen sich das entwickeln, was ein gemein-
schaftliches Heer, Gericht, Verfassung hat, so gab es in
Deutschland so etwas nicht. Diese Gegenden zerfielen noch
im 13. und 14. Jahrhundert in einzelne getrennte Gebiete.
Erst unter Heinrich III. geschieht etwas, was beitragt zu
einer Einigung der Reichsgebiete, indem es dem Kaiser ge-
lang, die einzelnen Stammesherzoge zu einer Art von kai-
serlichen Beamten zu machen. Vorher waren sie souveran
hervorgegangen aus der Stammeseigentiimlichkeit; jetzt
waren sie geworden was man Ministerial nennt, Dienst-
mannen des Kaisers. Allmahlich geschah eine Gleichstel-
lung der niederen Lehensleute, die aus Freien auch zu
Dienstleuten geworden waren, mit den Ministerialen. Sie
bildeten mit der Zeit das heraus, was man den niederen
Adel nennt, aus dem sich der Ritterstand rekrutierte, der
Stand, der in den Kreuzzugen eine so grofk Rolle spielte.
Auch schon unter der Regierung Heinrichs IV. spielte der
Ritterstand eine grofie Rolle.
Als Gregor VII. den Kaiser in den Bann tat, hielten die
deutschen Fiirsten nur teilweise zum Kaiser, wahrend ande-
re unter dem Einflufi des Papstes verschiedene Gegenkoni-
ge wahlten. Wichtig sind alle diese Kampfe nicht; wichtig
aber ist es, dafi der Ritterstand durch diese verschiedenen
Streitigkeiten eine besondere Bedeutung erhielt. Ritter und
Stadte wurden bald vom Papst, bald vom Konig gekodert.
Fortwahrende Fehden und Kriege herrschten; die Roheit
nahm immer mehr zu. Bei den Pliinderungszugen hatte der
Bauernstand schwer zu leiden. Die letzten freien Bauern
konnten sich nicht mehr halten und wurden aufgesogen
von den Herren und Herzogen und diese wieder von den
Konigen. Aus diesem unerquicklichen Prozefi sehen wir
hervorgehen, was wir als das «Reich» kennen.
Hierbei war kein Unterschied zwischen weltlichen und
geistlichen Fiirsten; grofi aber war der Unterschied zwi-
schen dem verweltlichten Klerus, und dem in den Klostern.
Der von den Bischofen regierte Klerus war meist ungebil-
det, konnte nicht lesen und schreiben, verbauerte und beu-
tete seine Lehensleute aus. Der Bischof beschaftigte sich
mit der Verwaltung seiner Giiter und war ebenso ungebil-
det wie Ritter- und Bauernstand; nichts von dem, was wir
heute Bildung nennen konnen, war vorhanden. So war es
moglich, von Rom aus die politische Lage der Kirche im-
mer mehr zu befestigen.
Anders war es in den Klostern. Hier wurde viel gearbei-
tet von Mannern und Frauen. Tiefe Gelehrsamkeit war
hier zu finden; alle Bildung der damaligen Zeit ist lediglich
von den Klostern ausgegangen. Sie liefien sich auch in be-
zug darauf nicht abhangig machen von der politischen
Macht Roms, die auf der weltlichen Macht des Klerus ruh-
te. Was von Rom aus geschah, ist in der verschiedensten
Weise zu beurteilen. Es sollte ein gewisser Kampf gefiihrt
werden gegen die Roheit, gegen das Faustrecht der deut-
schen Volker. Eifer fur die geistigen Giiter, der Wunsch,
die Gewalt mittelalterlichen Denkens iiber die Welt auszu-
breiten war es, was von Rom aus gewollt wurde. Jedenfalls
ging ein besserer Wille von Rom aus als von den deutschen
Fiirsten. In diesem Sinne mull man auffassen, was Gregor
VII. wollte, als er die Ehelosigkeit forderte, und als er nicht
dulden wollte, dafi weltliche Furstenmacht einen Einflufl
auf die Besetzung der Bistiimer sich anmafie: es war eine
Opposition gegen die iiberhandnehmende Roheit in den
deutschen Landern. So waren die Kampfe Heinrichs IV.
mit den Sachsen nicht nur fast ebenso blutig, wie einst die
Kriege Karls des Grofien gegen die Sachsen, sondern sie
wurden mit ganz besonderer Hintansetzung von Treu und
Glauben gefiihrt.
Durch alle diese Kampfe wurde der Wohlstand immer
mehr zerriittet. Aus den Sturmen der Zeit entstand ein tief-
religioser Zug, der sich bis zur Schwarmerei steigerte, wie
ich es Ihnen bei dem Jahre 1000 schilderte. Diese religiose
Schwarmerei trieb immer wieder die Menge zu Zugen nach
dem Morgenland.
Urspriinglich hatte die christliche Religion kein Festhal-
ten an irgendein Dogma gekannt. Auf den Ideengehalt war
es angekommen, nicht auf die aufiere Einkleidung. Sie ha-
ben gesehen, wie im Heliand die Christus-Idee in freier
Weise ausgestaltet wurde, wie der Dichter dabei fiir seine
Landsleute das Christus-Leben in altsachsische Verh'altnisse
verlegte. Er fafite die Aufierlichkeiten dabei ganz frei auf,
die ganz ebensogut bei uns in Deutschland, wie in Palastina
sich ereignen konnten.
Unter den sich immer mehr veraufierlichenden Verhalt-
nissen wurde fiir die Kirche die aufiere Gestaltung des
Glaubens eine Lebensfrage. Sie konnte nicht mehr den
Stammen iiberlassen, wie sie Christus auffassen wollten.
Als Seitenstiick der politischen Macht trat ein, dafi auch die
Dogmen fest und starr wurden.
Die Fiirsten versuchten die weltliche Macht der Kirche in
ihrem Interesse zu verwenden; die Bischofsstiihle wurden
mit jiingeren Briidern besetzt, die korperlich oder geistig
zu anderem unbrauchbar erschienen. Ganz allmahlich an-
derten sich so die Verhaltnisse und die alte Zeit wuchs in
eine neue hinein.
So entstehen nun die Kreuzziige, die wir nur psycholo-
gisch aus der Stimmung, die das Mittelalter beherrschte,
verstehen konnen. Die vorhandene religiose Schwarmerei
bewirkte, dafi es dem Papst ein Leichtes war, durch eigene
Agenten wie Peter von Amiens und andere die Menschen zu
den Kreuzziigen aufzustacheln. Dazu kam, dafi eine grofie
Anzahl von Leuten vollig mittellos geworden war. So wa-
ren es nicht nur religiose Beweggriinde, die mitwirkten.
Immer mehr Freie waren zu Horigen geworden; andere
hatten ihr Besitztum verlassen miissen und waren fahrende
Leute geworden, die nichts hatten, als was sie auf dem Lei-
be trugen. Unter diesen fahrenden Leuten, die alien Stan-
den entstammten, auch dem Adel, war eine grofie Menge,
die nichts zu tun hatte und zu jeder Unternehmung bereit
war, auch zum Kreuzzug.
So kommen wir dazu zu verstehen, dafi eine grofie An-
zahl von Faktoren tatig war: religiose Schwarmerei, starres
Dogma und materielle Bedriickung. Wie stark diese Ursa-
chen wirkten, sehen wir daraus, dafi, als der erste Kreuzzug
zustande kam, es eine halbe Million Leute waren, die nach
dem Morgenlande zogen. Den ersten aufieren Anstofi dazu
hatte die schlechte Behandlung der zahlreichen Pilger
durch die Sarazenen gegeben. Doch lagen tiefere Ursachen
dem zugrunde. Ein starres Dogma, dem die Menschen sich
unterwarfen, war vorhanden. Doch die wissen nichts vom
Mittelalter, die nicht verstehen, wie damals die Menschen
mit Herz und Seele an der Religion hingen. Eine Predigt
wirkte ziindend auf die Leute, wenn sie das rechte Wort
traf . Viele glaubten durch solche Tat Hilfe zu finden; ande-
re suchten Vergebung ihrer Siinden zu erlangen. Aus unse-
rer heutigen Anschauung erhalt man kein rechtes Bild die-
ser Erscheinung des Mittelalters, man hat es hier mit vielen
ungreifbaren Ursachen zu tun.
Nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen der Kreuz-
ziige sind es, die von besonderer Bedeutung fur die Weiter-
entwickelung geworden sind. Bald nach Beginn wurde eine
dieser Wirkungen sichtbar: namlich ein viel intimerer Aus-
tausch zwischen den einzelnen Landern. Bisher war
Deutschland im allgemeinen ziemlich unbekannt mit den
romanischen Landern geblieben; jetzt wurden sie durch
die Waffenbriiderschaft einander nahergebracht. Auch die
maurische Wissenschaft fand erst auf diesem Wege wirkli-
chen Eingang. Vorher hatten Lehrstiihle der Hochschulen
nur in Spanien, ItaHen und Frankreich bestanden; in
Deutschland wurden sie erst nach den Kreuzziigen errich-
tet. Erst jetzt kam der Einflufi wahrer Wissenschaft vom
Osten. Dieser war bisher vollig verschlossen gewesen und
bewahrte grofie Bildungsschatze in den Schriften der
griechischen Klassiker. Griindlich genommen entstand
erst durch die Beriihrung mit dem Osten eine Wissen-
schaft.
Der unbestimmte Drang religioser Schwarmerei hatte
eine bestimmte Form angenommen, war das geworden,
was man mittelalterliche Wissenschaft nennt. Diese Wis-
senschaft mochte ich Ihnen ein wenig charakterisieren.
Vor alien Dingen hatten sich zwei Denkweisen ausgebil-
det, die sich bemerkbar machten im wissenschaftlichen Le-
ben des Mittelalters. Die Denkweise der Scholastik trennte
sich in zwei Stromungen: Realismus und Nominalismus.
Es ist ein scheinbar abstraktes Thema, wenn ich von Nomi-
nalismus und Realismus rede, aber fiir das Mittelalter und
auch fiir die spateren Zeiten gewann dieser Streit eine tief-
greifende Bedeutung. Theologische und weltliche Wissen-
schafter teilten sich nach diesen zwei Lagern. Nominalisten
heifit Namenglaubige, Realisten sind diejenigen, die an das
Wirkliche glauben. Realisten im Sinne des Mittelalters wa-
ren diejenigen, die an die Wirklichkeit des Gedankens
glaubten, an einen realen Sinn der Welt. Sie nahmen an,
dafi die Welt einen Sinn hat, und nicht von ungefahr
gebildet sei. Vom Standpunkt des Materialismus aus mag
das als ein torichter Standpunkt angesehen werden; wer
aber den Gedanken nicht fiir ein leeres Hirngespinst halt,
mufi zugeben, daft der Gedanke iiber ein Weltgesetz, den
man sucht und in sich findet, auch eine Bedeutung fiir die
Welt hat.
Die Nominalisten waren diejenigen, die nicht glaubten,
daft Gedanken etwas Wirkliches sind, die darin nur Na-
men, Zufalligkeiten sahen, Dinge von keiner Bedeutung.
Alle, die glauben, in dem, was das menschliche Denken er-
reicht, nur blinde Zufalligkeiten zu sehen, wie Kant, auch
Schopenhauer, der die Welt als Vorstellung auffalk, bilden
einen Ausflufi des mittelalterlichen Nominalismus.
Diese Stromungen teilten das Heer der Monche in zwei
Lager. In so wichtigen Fragen ist es bemerkenswert, wie die
Kirche keinen Zwang ausiibte und, insofern es die Gelehr-
samkeit betrifft, ruhig es gestatten konnte, dafi man die
Frage anschnitt, ob nicht die gottliche Dreieinigkeit auch
blofi ein Name und somit nichts Wirkliches sei. Immerhin
sehen Sie daraus eine grofie Freiheit der mittelalterlichen
Kirche. Erst am Ende dieser Zeit beginnt man mit Ketzer-
verfolgungen, und es ist bezeichnend, dafi der erste Ketzer-
richter in Deutschland, Konrad von Marburg vom Volke
erschlagen wurde. Damals begann man erst damit, Meinun-
gen zu verfolgen. Es ist dies ein wichtiger Umschwung.
Wie frei vorher kirchliches Denken war, konnen Sie an
dem grofien Lehrer und Denker Albertus Magnus sehen. Er
war ein ausgezeichneter Gelehrter, vertiefte sich in die ge-
samte Wissenschaft: kirchliche Gelehrsamkeit, arabisches
Wissen, naturwissenschaftliches und physikalisches Den-
ken sowie philosophisches beherrschte er; er wurde vom
Volke als ein Zauberer aufgefaik. Schroff stoSen aufeinan-
der Gelehrsamkeit und Volksaberglaube, der ausgebeutet
wird vom verweltlichten Klerus.
Jetzt kommen die Stadte empor. In den Stadten sehen wir
ein machtiges Burgertum entstehen. Das Handwerk bluht
und schliefk sich in Ziinften zusammen. Nicht mehr
braucht sich der Handwerker unter der Bedruckung eines
Grundherrn zu beugen, wie einst als Horiger. Bald schlie-
fien Konige und Fiirsten Biindnisse mit den mittelalterli-
chen Stadten. Kaiser Friedrich Barbarossa kampfte jahrelang
mit den norditalienischen Stadten. Im Burgertum entwik-
kelte sich ein starkes Freiheitsgefuhl und der Sinn fur den
unmittelbaren personlichen Wert. Wir sehen so auf der
einen Seite auf dem Lande eine religiose Gesinnung bei zu-
nehmendem aufierem Druck; in den Stadten ein freies Bur-
gertum, zwar an eine streng geregelte Zunftverfassung ge-
bunden, doch gerade dadurch gedieh damals die Freihek
der Stadte; auf dem Lande aber ein absterbendes Leben,
Faustrecht und Roheit. Das Rittertum geriet nach den
Kreuzzugen in ein in das Nichts fiihrendes, leeres hofisches
Leben. Die Ritter beschaftigten sich mit Fehde, Turnieren
und Waffenkampfen; ihre Sitten nahmen immer rohere
Formen an. Besonders gewann der Minnedienst mit der
Zeit die lacherlichsten Formen. Diejenigen Ritter, die dich-
ten konnten, dichteten Strophen auf ihre Damen; die iibri-
gen machten ihnen auf andere Weise den Hof. Eine grofte
Unwissenheit war mit diesem Hofleben vereint. Die Man-
ner waren fast alle ganz ungebildet; die Frauen mufken
lesen und schreiben konnen. Die Frauen nahmen eine ganz
eigentiimliche Stellung ein; auf der einen Seite wurden
sie vergottert, auf der anderen geknechtet. Eine Art von
Barbarei herrschte, ein ziigelloses Leben, das dazu fiihrte,
dafi das Gastrecht zur Entehrung der Frauen fiihrte.
Wahrenddessen bereitet in den Stadten sich das vor, was
man spater Kultur nennt. Es geschah dort, was geschehen
mufite, denn Neues bildet sich dort heran, wo es die Mog-
lichkeit hat, sich frei zu entfalten. Der wirkliche geistige
Fortschritt findet dort statt, wo das wirtschaftliche Leben
nicht beengt ist. Nicht dem materiellen Fortschritt ent-
springt das geistige Leben, sondern der wahre geistige Fort-
schritt findet sich dort, wo das wirtschaftliche Leben nicht
bedriickt und eingeengt ist.
So entstand in den Stadten damals eine reiche Kultur; fast
alles, was uns in den Werken der Malerei, der Baukunst,
der Erfindungen geschenkt wurde, ist in dieser Zeit der
Stadtekultur zu danken. Einer solchen reichen italienischen
Stadtekultur entstammte auch Dante. Auch in Deutschland
finden wir bedeutende geistige Leistungen unter dem Ein-
flufi dieser Stadtekultur. Zwar waren die ersten bedeuten-
den Dichter Ritter, wie Wolfram von Eschenbach, Gott-
fried von Strafiburg und so weiter, aber ohne den Ruck-
halt, den die Stadte boten, waren diese Leistungen nicht
moglich gewesen. In dieser Zeit, wo eine freie Luft in den
Stadten weht, entsteht auch das Universitatsleben. Zu-
nachst mufite der Deutsche, wenn er hoheres Wissen fin-
den wollte, nach Italien, Frankreich und so weiter. Jetzt
entstehen in Deutschland die ersten Universitaten, wie
Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1386. Das Freiheits-
wesen raumte auf mit dem mittelalterlichen Diinkel.
Der weltliche Klerus war wie die Fiirsten in egoistische
Interessenkampfe verwickelt, und die Kirche hatte diesen
Zug angenommen. Wer die Entwickelung verfolgt, wird
verstehen, dafi die neue geistige Stromung, die deutsche
Mystik nur so entstehen konnte - in schroffer Opposition
gegen den weltlichen Klerus. Besonders am Rhein entlang,
in Koln, Strafiburg, in Siiddeutschland, breitete sich diese
Bewegung aus, der Manner wie Eckhart, Tauter, Suso und so
weiter angehorten. Sie hatten sich unabhangig gemacht von
dem romischen Klerus; dafiir wurden sie auch zu Ketzern
erklart und ihnen das Leben auf jede Weise erschwert. Ein
Zug von Innerlichkeit geht durch ihre Schriften; sie hatten
sich in das menschliche Herz zuriickgezogen, um mit sich
selbst ins klare zu kommen. Diese Monche, die sich unab-
hangig gemacht hatten, sprachen zu dem Herzen des Vol-
kes in seiner Sprache. Die deutsche Sprache wurde in einer
Art veredelt, die man heute nicht begreift, wenn man nicht
die Schriften liest eines Meisters Eckhart, Taulers oder des
Verfassers der «Theologia deutsch». Die Schonheit der
Sprache wurde durch die Mystik eingepflanzt, und die da-
maligen Ubersetzungen iibertrafen an Schonheit der Spra-
che weit die spateren. Diese Entwickelung der deutschen
Sprache wurde schroff unterbrochen dadurch, daft Luther
die deutsche Bibel in der pedantischsten, philistrosesten
damaligen Mundart schuf, aus der das jetzige Hochdeutsch
geworden ist. Alles das geschah in Opposition gegen den
Klerus. Was damals gewollt wurde, ist auf vielen Gebieten
heute noch nicht erreicht. Ich habe Ihnen vieles anders ge-
schildert, als Sie gewohnt sind zu horen. Es wird immer
versichert, dafi etwas Unerhortes geschehen ist durch die
Bibeliibersetzung Luthers; Sie sehen aber, wie vorher viel
Hoheres erreicht war. Ich habe Ihnen ein Tableau fur das,
was in der Folgezeit uns beschaftigen wird, entworfen.
Wir nahern uns der Renaissancezeit. Die Konsolidierung
der Verhaltnisse, die sich vollzog, bestand im wesentlichen
darin, daft immer grofiere Gebiete unter die Herrschaft der
Landesfiirsten gerieten. Auch ein grofier Teil der mittelal-
terlichen Stadtefreiheit wurde aufgesogen durch die Verfas-
sung der grofkn Staaten, jedes Ding hat eben seine zwei
Seiten. Den heutigen Menschen wird gewift vieles abstofien
und es wird heute viel geredet iiber die Willkiir, die damals
herrschte. Die Freiheit hat selbstverstandlich ihre Kehrsei-
te, und es ist noch keine Freiheit, wenn man in der Willkiir
durch die Willkiir anderer eingeschrankt ist.
Eine Sprache konnte zum Beispiel in der Mitte des Mit-
telalters an den Universitaten gegen die Willkiir der weltli-
chen Machthaber gefiihrt werden, wie spater vielleicht nur
Fichte es getan hat. Die Dokumente der damaligen Univer-
sitaten bewahren uns die Worte der damaligen freien Gei-
ster. Heute ist nicht nur die weltHche Herrschaft, sondern
auch die Wissenschaft verstaatlicht.
Ohne Licht und Schatten nach den Schlagworten der Ge-
genwart zu verteilen, habe ich Ihnen diese Zeiten geschil-
dert. Ich suchte an den Punkten zu verweilen, wo wirkli-
cher Fortschritt vorhanden ist. Wollen wir freie Menschen
sein, miissen wir ein Herz haben fiir die, die vor uns nach
Freiheit gestrebt haben. Wir miissen verstehen, dafi auch
andere Zeiten Menschen hatten, die etwas auf Freiheit ge-
geben haben.
Geschichte ist die Entwickelungsgeschichte der Mensch-
heit zur Freiheit, und wir miissen, um sie zu verstehen, die
Freiheit in all ihren Gipfelpunkten studieren.
Neunter Vortrag, 28. Dezember 1904
Wie sich das Leben des Mittelalters in den Stadten herange-
bildet hat, haben wir gesehen.
Wir sind bis dahin gekommen, wo das offentliche Leben
sich hauptsachlich in dem Leben der Stadte abspielt. Ur-
spriinglich war die Veranlassung zur Ansiedelung in den
Stadten die Bedriickung der Landleute und die Ausbreitung
des Handelswesens.
Wir haben gesehen, wie diejenigen, welche ihren Bedriik-
kern entflohen oder sich dem Handel gewidmet hatten,
sich entweder in einem Bischofssitz oder an einer anderen
Statte mittelalterlicher Macht ansiedelten. Zunachst befand
sich der Teil der Bevolkerung, welcher die Stadte bewohn-
te, nicht in einer angenehmen Lage; sie mufken ihrem frii-
heren Gutsherrn Abgaben zahlen, Waffen, Kleider und so
weiter liefern. Diejenigen, die in die Stadte gezogen waren
und sich dem Handel gewidmet hatten, sowie die, welche
konigliche, bischofliche oder sonstige Beamte waren, bilde-
ten zunachst die eigentlich freien bevorzugten Stande. Aber
mehr und mehr wurden die Vorrechte der Beamten und
der Kaufleute, die das Patriziat bildeten, den Bevorrechte-
ten abgenommen von denen, die bedriickt lebten. Am
Rhein in Siiddeutschland wurde diese Gleichberechtigung
im 13. und 14. Jahrhundert errungen. Konige und Kaiser
rechneten damit.
Friiher hatten die herumziehenden Konige bald hier bald
dort Hof gehalten, nun liefien sie sich in den Stadten nie-
der. Die Herrscher mufiten rechnen mit den Stadten, sie
fanden in ihnen Grund zu eigener Machtentfaltung. Daher
wurden den Stadten gewisse Rechte iibertragen, Gerichts-
barkeit, Miinzrecht und so weiter. Auf diese Weise wuchs
ihre Macht immer mehr. Ein demokratisches Element bil-
dete sich dadurch jetzt in Deutschland. Friiher hatte der
Grundadel, der Feudaladel der Zeit ihr bestimmtes Gepra-
ge gegeben. Statt dessen ist jetzt etwas Neues aufgekom-
men. Immer mehr wurden in den Stadten die Vorrechte be-
seitigt. Statt allgemeine Betrachtungen anzustellen, wollen
wir uns zu bestimmten Beispielen wenden. Koln war schon
lange eine wichtige Handelsstadt, Sitz eines machtigen Kle-
rus; auch auf geistigem Gebiete wurden ja die Stadte zu
einer Macht. Dort hatte der untergeordnete Stand sich bald
Gleichberechtigung mit dem Patriziat, eine Art von Verfas-
sung erworben, das Eidbuch, in dem verzeichnet war, was
jeder einzelne fur Rechte hatte. Zusammengeschlossen hat-
ten sich die Ziinfte, von denen es in Koln zweiundzwanzig
gab, die vor dem 14. Jahrhundert auch hier von den Patrizi-
ern abhangig waren. Jetzt, im Jahre 1321, eroberten diese
die Gleichberechtigung.
Der Stadtrat wurde nicht nur aus Patriziern zusammen-
gesetzt, sondern die Mitglieder der Ziinfte hatten gleiches
Wahlrecht. Um diesen Rat moglichst demokratisch zu ge-
stalten, sollten die Mitglieder immer nur auf eine halbes
Jahr gewahlt werden und nachher auf drei Jahre nicht
wahlbar sein. Mit der Durchfiihrung des demokratischen
Prinzips wuchs auch das Interesse des einzelnen Burgers am
Aufbluhen der Stadte. Noch bis ins 12. Jahrhundert waren
solche Stadte nicht viel anderes als schmutzige Dorfer mit
strohgedeckten Hausern. Aber wir sehen sie in wenigen
Jahren in ganz auffallender Weise wachsen. Jeder Mann ist
jetzt Burger und mit der Teilnahme des Einzelnen wachst
das Ansehen und die Schonheit der Stadt.
Was die Stadte angaben, wirkte bestimmend auch auf die
ganze hohe Politik. Was konnte Stadte wie Hamburg, Lu-
beck, Koln politisch interessieren, wie es friiher die Konige
und Herzoge draufien trieben? Als die Stadte anfingen Poli-
tik zu treiben, geschah es nach stadtischer Weise. Weite Ge-
biete verbiindeten sich zur Wahrung ihrer stadtischen In-
teressen. Solche machtigen Stadtebiindnisse bildeten sich
zuerst in Norddeutschland, spater schlossen die norditalie-
nischen Stadte ebensolche Biindnisse. Die deutschen Stadte
erlangten auch weithin im Ausland bedeutenden Einflufi;
in Bergen, in London hatten sie ihr machtiges Gildehaus.
Wie sich die Fiirsten entschliefien mufiten, den Stadten
das Recht zu solcher Politik zuzusprechen, so wurden die
Stadte auch allmahlich der Mittelpunkt einer neuen Kultur.
Allerdings einer materiellen Kultur, die aber zur Besied-
lung weiter Gebiete fiihrte. Neue Kulturzentren bildeten
sich, in denen ein lebhafter Handel mit den nordlichen
Landern, besonders mit Rufiland bliihte; das sagenhafte Vi-
neta war ein solcher Handelsplatz. Wir sehen, wie die Han-
delspolitik sich entwickelt, machtige Handelsstrafien ent-
stehen, den Rhein entlang, durch Nord- und Mitteldeutsch-
land, mit wichtigen Handelsstadten wie Magdeburg, Hil-
desheim, Erfurt, Breslau und so weiter. Aus diesen Stadte-
biindnissen ging das hervor, was man die Hansa nennt. Im
Lauf der Zeit war es notig geworden, nicht nur Handels-,
sondern auch Kriegspolitik zu treiben. Im Hintergrunde
lauerten Feinde, die Ritter und Herzoge, die neidisch die
Entwickelung der Stadte verfolgten. Die Stadte mufiten
sich mit Mauern umgeben und sich gegen ihre Feinde ver-
teidigen. So wurden sie immer mehr machtige Kulturstat-
ten, auch Mittelpunkte des geistigen Lebens. Was in jener
Zeit geistiges Leben in sich spiirte, zieht sich in den Stadten
zusammen. Auch die Kunst erbliiht in den mittelalter-
lichen Stadten unter dem Einfluft des freien Burgertums.
In Venedig wird die Halle der Tuchmacher durch Tizian
gemalt.
Auch eine neue Form der Kriegsfuhrung entstand. Durch
die Anwendung des Pulvers, dessen Gebrauch schon friiher
im Orient bekannt war, aber erst jetzt fur Europa neu ge-
funden wurde, entsteht eine neue, die demokratische Form
des Kampfes gegeniiber dem Einzelkampf der geharnisch-
ten Ritter. Die Anwendung des Schiefipulvers bildet sich
immer weiter aus. Erst waren es ungeschlachte Donner-
biichsen und Morser, aber bald wurden vollkommenere
Waff en besonders durch Kaspar Zollner in Wien erfunden.
Was sich namentlich in den Stadten im Zusammenhang
mit dem Geiste kirchlichen Lebens entwickelte, ist fur den
Kulturfortschritt von besonderer Wichtigkeit. Wir haben
gesehen, wie die hochste Ekstase der religiosen Schwarme-
rei in den Kreuzziigen sich darstellt. Wir haben gesehen,
wie namentlich am Rhein die deutsche Mystik aufbliiht,
wie die Briider des gemeinsamen Lebens eine tiefe From-
migkeit ganz unabhangig von Rom pflegen. Zwei verschie-
dene Zeitstromungen treten uns jetzt entgegen: auf der
einen Seite ist der Burger bedacht auf Erhohung des mate-
riellen Lebens, auf der anderen Seite sehen wir hier ein ins
Innere gerichtetes geistiges Leben. Im friihen Mittelalter ist
materielles und geistiges Leben eng ineinander verschlun-
gen, das Gedeihen seiner Friichte wie sein religioses Emp-
finden glaubt der Landmann durch die Kirche gefordert
unci gesegnet. Jetzt, wo personliche Tuchtigkeit in den
Vordergrund trat, spalteten sich diese Richtungen.
Der eigentiimliche Baustil des Mittelalters, den man
falschlich den gotischen nennt, kam aus Siidfrankreich, ent-
stammte Gegenden, wo solche frommen Ketzer lebten wie
die Katharer, die Waldenser, die bestrebt waren, das innere
Leben zu vertiefen und mit dem uppigen Leben der Bischo-
fe und des Klerus zu brechen. Ein eigentumliches geistiges
Leben breitet sich von dorther aus; die deutsche Mystik
wird stark davon beeinflufit.
Welch tiefen Einflufi diese Gesinnung auch auf die aufie-
re Gestalt dieser Kirchen hatte, geht daraus hervor, daft alle
diese gotischen Miinster einen mystischen Schmuck besa-
ften in den wunderbaren Glasrnalereien. Diese Kunst, die
im 17. Jahrhundert vollstandig verlorengegangen ist, war
nicht artistische Allegorie, sondern die Sinnbilder, die dort
eingemalt waren, iibten wirklich einen mystischen Einfluft
aus auf die Menge, wenn der Sonnenschein durch sie her-
einschien in die dammerigen hohen Kirchen. Eng bedingt
war diese Bauart aus den Verhaltnissen der mittelalterli-
chen Stadte, gotisch war auch das Rathaus, das Gildehaus.
Die Stadt, die von Mauern umgeben war, war darauf ange-
wiesen, sich innerhalb dieser Mauern zu vergrofiern, der
romanische Baustil reichte dazu nicht aus. So entstanden
die hochaufstrebenden gotischen Kirchen, ein Ausdruck
zugleich der Innerlichkeit des damaligen Lebens; die Toten-
tanze, die sie haufig schmucken, fuhrten die Verganglich-
keit alles Irdischen vor Augen.
In der Sorge fur die Reinlichkeit und Schonheit ihrer
Stadt finden die Burger eine vornehme Form, ihren Namen
im Gedachtnis ihrer Mitbiirger zu erhalten. Besonders wer-
den iiberall schone Brunnen errichtet. Wir sehen, daft da-
mals etwas entsteht, was im Mittelalter besondere Bedeu-
tung erlangte, die offentlichen Bader, die in keiner Stadt
fehlten. Im spateren Mittelalter gaben diese Bader Anlaft zu
moralischen Ausschreitungen und wurden aus diesem
Grunde vom Protestantismus ausgerottet. Doch dieser Biir-
gersinn ging noch weiter, er griff in das offentliche Leben
ein, indem er Wohltatigkeitsanstalten schuf, die heute noch
als Muster gelten konnen. Und diese Wohltatigkeitsanstal-
ten wurden auch dringend notig, denn im 14. Jahrhundert
wurde Europa von schweren Plagen heimgesucht, von
Hungersnoten, dem Aussatz, der Pest oder, wie man es da-
mals nannte, «dem schwarzen Tod». Aber der mittelalterli-
che Mensch wufke dem zu begegnen. Siechenhauser, Spita-
ler, Pfrundhauser entstanden allerwarts und auch fur die
Fremden wurde gesorgt durch die sogenannten Elendsher-
bergen. Elend war damals gleichbedeutend mit fremd und
hat erst spater eine andere Bedeutung erlangt.
Neben diesen lichten Seiten des mittelalterlichen Lebens
gab es natixrlich auch manche dunkle. Vor allem die harte
Behandlung aller derjenigen, die nicht zu einer festen Ge-
meinschaft gehorten. Sie waren ausgestofien, etwas fur das
die Stadte nicht aufkamen. Alle die nicht zur Zunft gehor-
ten, mu£ten eine schlechte Behandlung erleiden. Vor allem
die «fahrenden Leute». Der Name «unehrliche Leute» ent-
stand damals, eine furchtbare Bezeichnung fur die fahren-
den Leute. Zu den unehrlichen Leuten wurden die ver-
schiedensten Berufe gerechnet, Schauspieler, Gaukler,
Schafer und so weiter. Ihnen war der Zutritt zu den Ziinf-
ten verschlossen, sie durften sich nirgends zeigen, ohne Ge-
fahr zu laufen, gequalt zu werden. Ebenso erging es den Ju-
den. Das Vorurteil gegen diese ist nicht sehr alt. Im fruhen
Mittelalter finden wir viele Juden als Gelehrte anerkannt.
In spaterer Zeit kamen sie dem Geldbediirfnis der Fiirsten
und Ritter entgegen. Durch die eigentiimlichen Verhaltnis-
se des Mittelalters gelangten sie zu der Stellung des Geldver-
leihers, der zwischen Handel und Wucher stand und ihnen
Hafi eintrug. Doch verschaffte ihnen die Geldnot der Koni-
ge immer wieder gewisse Rechte; diese Tatigkeit trug ihnen
den seltsamen Namen Konigliche Kammerknechte ein.
Eine andere Schattenseite bildete das Gerichtswesen, das
notwendig mit dem Mittelalter heraufgezogene Strafrecht.
In friiheren Zeiten war Recht wirklich mit Rache ver-
wandt, entweder sollte ein Schaden wieder gutgemacht
werden, oder es sollte eben Rache genommen werden. Der
Begriff der Strafe war nicht vorhanden, er kam erst jetzt
herauf. Romische Rechtsbegriffe biirgerten sich ein. Die
Gerichtsgewalt war ein wertvolles Vorrecht einer Stadt
und die Burger waren nicht nur stolz auf ihre Kirchen und
Mauern, sondern auch auf ihr Hochgericht. Oft wurden
wegen der geringfiigigsten Ursachen die hartesten Strafen
verhangt.
So steht das 15. und 16. Jahrhundert des mittelalterlichen
Lebens unter dem Einflufi des stadtischen Lebens. Eine an-
dere Stromung ging daneben her. Was wir heute als grofie
Politik verstehen, hing mit dieser anderen Stromung zu-
sammen. Es ist dies die Bewegung, die man als die der Ket-
zer oder Katharer bezeichnet. Welchen Umfang diese ange-
nommen hat, konnen Sie ermessen, wenn Sie sich die Tat-
sache vorhalten, dafi es in Italien im 13. Jahrhundert mehr
Ketzer als Rechtglaubige gab.
Hier lag auch der eigentliche Konflikt, der zu den Kreuz-
ziigen fuhrte. Als auf der Kirchenversammlung zu Cler-
mont 1095 der Beschlufi zu ihnen gefafk worden war, war
es nicht nur Gesindel, nein, es waren auch anstandige Leu-
te, die sich in ungeordneten Scharen unter Peter von
Amiens und dem Ritter Walter von Habenichts auf den
Weg nach dem gelobten Lande machten. Ein papstliches
Unternehmen war es, es war nicht lediglich hervorgegan-
gen aus Begeisterung. Es handelte sich um die Bedrangung
des papstlichen Einflusses durch die Ketzer. Das Bestreben
des Papstes war, was auch wirklich erfolgte, so einen Ab-
flufi fur die Ketzer zu schaffen.
Im ersten richtigen Kreuzzuge waren es grofienteils Ket-
zer, die sich aufmachten. Das geht auch aus der Person des
Fuhrers hervor. Gottfried von Bouillon war von entschie-
den antipapstlicher Gesinnung, wie aus seinem Vorleben
hervorgeht. Denn als auf Betreiben des Papstes Gregor ge-
gen Heinrich IV. ein Gegenkonig in der Person des Her-
zogs Rudolf von Schwaben aufgestellt wurde, kampfte
Gottfried von Bouillon auf der Seite des Kaisers Heinrich
und totete Rudolf von Schwaben. Man mufi sehen, um was
es sich fur ihn handelte, was aber nicht zur Ausfiihrung
kam: in Jerusalem ein Anti-Rom zu griinden. Deshalb
nannte er sich auch nur «Beschiitzer des heiligen Grabes»
und suchte in anspruchsloser Bescheidenheit in Jerusalem
die Fahne des antiromischen Christentums aufzurichten.
Nach den Kreuzzugen ist dann aus den Vertretern solcher
Anschauungen die ghibellinische Partei entstanden; ihnen
gegeniiber, auf der Seite des Papstes, standen die Guelfen.
Auch bei Betrachtung des zweiten Kreuzzuges, den auf
Betreiben Bernhardt von Clairvaux 1147 Kaiser Konrad III.
unternahm, sehen wir dieselben Erscheinungen. Diese
Kreuzzuge hatten an sich keine weitere Bedeutung, sie zeig-
ten nur, welch ein Geist durch die Welt wehte. Barbarossa,
welcher gegen den Papst und die norditalischen Stadte,
die auf Seite des Papstes standen, fiinf Romerziige unter-
nahm, um sie niederzuzwingen, mufite im Frieden von
Konstanz ihnen die Unabhangigkeit zugestehen, nachdem
es ihm nicht gelungen war, ihre Festung Alessandria einzu-
nehmen.
Die deutsche papstliche Partei bestand besonders aus den
FUrstengeschlechtern, die zuriickgeblieben waren aus dem
alten Adel. Heinrich der Stolze und sein Sohn Heinrich der
Lowe kampften fur die alte Herzogsmacht gegen die kaiser-
liche Gewalt. Gewohnlich wurden dann durch Vermah-
lung mit einer Kaisertochter diese widerstrebenden Fiirsten
an die Kaisermacht gefesselt. Durch die Belehnung von
Verwandten des Kaisers mit erledigten Herzogtiimern wur-
den in der Folge immer wieder solche Umlagerungen der
Machtverhaltnisse bewirkt.
Kaiser Friedrich Barbarossa unternahm den dritten Kreuz-
zug, der auch zu keinen wirklichen Erfolgen fuhrte, der
aber wichtig wurde durch die Kyffhausersage, die sich dar-
an kniipfte. Wer Sagen lesen kann, weifi, dafi er es hier mit
einer der wichtigsten zu tun hat. Nicht aus der Volksseele
entsprungen, wie es gewohnlich heifit, denn es dichtete nur
der Einzelne und dann verbreitete sich das, was er hervor-
gebracht hat, in dem Volke, wie es auch bei dem Volkslied
geschieht, von dem Professoren behaupten, dafi es unmit-
telbar aus dem Volke hervorgehe und nicht den Kopfen
von Einzelnen entstamme. Hervorgegangen ist die Sage aus
dem Geiste eines Menschen, der verstand die Symbole zu
verwenden, die eine tiefe Bedeutung hatten, wie die Hohle
im Kyffhauser, die Raben und so weiter. Es ist eine der Sa-
gen, die sich in der ganzen Welt finden, ein Beweis, dafi
hier iiberall etwas ahnliches vorliegt.
Die Barbarossasage ist eine kulturhistorisch sehr wichtige
Sage. - Rom war in der Kirche der An wait dessen, was sich
aus dem, dem germanischen Geiste in Verbindung mit dem
Christentum aufgedrangten aufieren Beiwerk, ergab. - In
einer Grotte sollte der Kaiser verborgen sein. Von alters
her waren Grotten geheime Kultstatten. So wurde der
Mithrasdienst allgemein in Grotten abgehalten. Bei dieser
Verehrung wurde Mithras auf dem Stiere dargestellt, dem
Sinnbild der niederen tierischen Natur, die von Mithras,
dem Vorganger des Christus iiberwunden wurde. In der
Kyffhausersage wurde der in der Felsengrotte verborgene
Kaiser zum Anwalt dessen, was sich im deutschen Seelenle-
ben gegen Rom und seinen Einfluft wendete. Wieviel steckt
in dieser Sage! Ein reines Christentum, das damals von vie-
len ersehnt wurde, sollte, wenn die Zeit gekommen war,
aus der Verborgenheit hervorgehen.
Unter dem Staufenkaiser Friedrich II. geschah der Mon-
goleneinfall, der Europa verwiistete. Nicht eine Geschichte
der Hohenstaufen will ich Ihnen hier geben, nur auf das
hindeuten, was sich aus den Kreuzziigen entwickelte: er-
weiterte Handelsbeziehungen, eine Neubelebung der Wis-
senschaften und Kunste durch die Beriihrung mit dem
Orient. Was die Kreuzfahrer errangen an neuen Erfahrun-
gen und Glitern, brachten sie mit in die Heimat.
Damals war es auch, als die beiden groften Monchsorden
entstanden, die fur das geistige Leben von besonderer Be-
deutung wurden, die Dominikaner und die Franziskaner.
Die Dominikaner vertraten die als Realismus bezeichnete
geistige Richtung, wahrend die Franziskaner dem Nomina-
lismus sich zuneigten. Im heiligen Lande geschah auch die
Griindung der geistlichen Ritterorden; der Johanniter-
orden wurde zunachst zur Krankenpflege gegriindet.
Aus einer ahnlichen Stimmung wie die, welche ich Ihnen
als die von Gottfried von Bouillon geschildert habe, ging
der zweite Ritterorden, der der Tempelherren hervor. Sei-
ne wirklichen Ziele wurden geheimgehalten, doch durch
intime Agitatoren war der Orden bald sehr machtig gewor-
den, Es herrschte in ihm ein antiromisches Prinzip, wie es
auch bei den Dominikanern sich zeigte, die sich haufig in
volliger Opposition gegen Rom befanden; so standen sie
bei dem Dogma von der unbefleckten Empfangnis in hefti-
gem Widerstand gegen den Papst. Die Tempelherren er-
strebten eine Reinigung des Christentums. Unter Berufung
auf Johannes den Taufer vertraten sie eine asketische Ten-
denz. Ihre gottesdienstlichen Handlungen waren aus dem
Widerstande gegen die romische Verweltlichung so kir-
chenfeindlich, dafi es heute noch nicht angeht, dariiber 6f-
fentlich zu reden. Der Orden war durch seine Macht dem
Klerus und den Fiirsten sehr unbequem geworden, er mufi-
te schwere Verfolgungen erleiden und ging zugrunde, nach-
dem sein letzter Grofimeister, Jacob von Molay, mit einer
Anzahl von Ordensbriidern 1314 den Marty rertod erlitten
hatte.
Auch der «deutsche Ritterorden» war ahnlichen Ur-
sprunges. Mit dem Orden der Schwertbriider, der sich ihm
anschlofi, machte er es sich besonders zur Aufgabe, die
noch heidnisch gebliebenen Gegenden Europas zu bekeh-
ren, besonders im Osten, von seinem Hauptsitze Marien-
burg aus. Aus den Berichten der Zeitgenossen erhalt man
von den Bewohnern der Gegenden, die heute die Provin-
zen Ost- und Westpreufien bilden, ein merkwiirdiges Bild.
Albert von Bremen schildert die alten Preufien als vollstan-
dige Heiden. Bei diesem Volke, von dem es nicht genau
feststeht, ob es germanischen oder slawischen Stammes
war, finden sich die alten heidnischen Gebrauche des Pfer-
defleisch-Essens und Pferdeblut-Trinkens. Der Chronist
beschreibt sie als heidnisch grausame Leute.
Bevor sie mit den deutschen Rittern in Beruhrung ge-
kommen war, hatten die Schwertbriider besonders nach
weltlicher Gewalt gestrebt.
Man kann sich die Entwickelung nur konstruieren. Ob-
gleich sich die Stadte gebildet hatten, war doch ein Teil der
Herzogsgewalt und des Raubrittertums zuriickgeblieben.
Nicht Begeisterung fiir das Christentum, sondern blofkr
Egoismus war es, der es bewirkte, dafi die Reste des Feudal-
adels sich zusammenzogen in diesen beiden deutschen Rit-
terorden. In diesen Gegenden war kein nennenswerter Ein-
flufi der Stadte zu verspiiren. Die anderen beiden christli-
chen Orden waren Verbindungen derer, die nicht mit Rom
in Verbindung standen. Wenn man die historischen Quel-
len untersucht, wird man oft Biindnisse zwischen ihnen
und den Stadten finden.
Neben diesen zwei Stromungen der stadtischen Entwik-
kelung und des tieferen religiosen Lebens sehen wir, dafi
die kaiserliche Gewalt alle Bedeutung verlor. In den Jahren
1254 bis 1273 war in Deutschland kein Trager der kaiser-
lichen Gewalt vorhanden, die Kaiserwiirde war zeitweise
an auslandische Fiirsten verkauft, von denen der eine,
Richard von Cornwall, nur zweimal nach Deutschland
kam, wahrend der zweite, Alfons von Castilien, es iiber-
haupt nicht betreten hat.
Als man endlich wieder zu einer richtigen Kaiserwahl
schritt, war das Bestreben, nicht irgendwelche kaiserliche
Zentralgewalt aufzurichten oder nochmals zu versuchen,
eine Kaisermacht zu schaffen, sondern der Wunsch war
ausschlaggebend, Ordnung in bezug auf das Raubrittertum
zu bringen.
So wahlte man den Grafen Rudolf von Habsburg. Wenn
man fragen soil, was er und seine Nachfolger fiir das Reich
taten, wiirde es schwer sein, dies zu sagen, denn sie waren
nicht fiir die offentlichen Verhaltnisse tatig. Sie waren be-
schaftigt, ihre Hausmacht zu begriinden. So verlieh Rudolf
von Habsburg nach dem Tode des Herzogs Heinrich Jaso-
mirgott Niederosterreich an seinen Sohn und griindete da-
mit die habsburgische Hausmacht. Seine Nachfolger such-
ten diese Macht durch Eroberungen und besonders durch
Heiratsvertrage zu erhohen und kiimmerten sich nicht
mehr urn irgend etwas, was mit allgemeinen Interessen
zusammenhing.
Sie sehen, was wirklich bedeutend fiir die Fortentwicke-
lung war: Die Ereignisse, die zu den mittelalterlichen Ver-
haltnissen das ergaben, was endlich zu den grofien Entdek-
kungen und Erfindungen am Ende des Mittelalters fiihrten.
Wir sehen die Stadte mit machtig aufstrebender, aber ver-
weltlichter Kultur; in der Kirche sehen wir die Scheidung,
das Schisma, die Trennung; aus dieser Stromung heraus
bricht der letzte Akt des mittelalterlichen Dramas an, wir
sehen die Abendrote des Mittelalters, den Aufgang einer
neuen Zeit.
Zehnter Vortrag, 29. Dezember 1904
Wir schreiten immer mehr in der Betrachtung der Ge-
schichte fort zu den Zeiten, in denen die grofien Erfindun-
gen und Entdeckungen geschahen im 15. Jahrhundert.
Die neue Zeit beginnt. Fiir eine geschichtliche Betrach-
tung hat diese neue Zeit besonderes Interesse; in charakteri-
stischen Merkmalen vollzieht sich der Ubergang zu den
grofien Staatenbildungen Europas. Wir haben gesehen, wie
aus der Feudalmacht der Ubergang zu der neuzeitlichen
Fiirstenmacht sich entwickelt. Sie bedeutet auf der einen
Seite eine Reaktion von alten Uberbleibseln aus fruherer
Zeit und nur in gewisser Weise eine Erneuerung. Dasjenige,
was geblieben ist von den alten Anspriichen von Fursten
und Herzogen, was iibriggeblieben war, sammelt wieder
seine Krafte und bestimmt durch seine famiKaren privaten
Verhaltnisse die Landkarte Europas.
Der Grundbesitz war in seiner Vorherrschaft durch die
Stadte abgelost worden, das Biirgertum bliihte und alle ei-
gentlichen Kulturfaktoren gingen von den Stadten aus. Das
Kaisertum war zu einer Schattenmacht herabgesunken;
nach langem Interregnum wurde Rudolf von Habsburg
zwar gewahlt, aber der Kaiser war im Reich sehr unnotig
geworden, er brauchte sich dort kaum mehr sehen lassen.
Die habsburgische Dynastie ist nur bestrebt, durch diese
kaiserliche Gewalt ihre Hausmacht zu mehren, uberall, wo
aufierhalb der Stadtemacht ihr Rechte geblieben sind. Es ist
ein einfacher Prozefi, der sich hier vollzieht, auch die iibri-
gen - Fiirsten und Herzoge - sammeln, was ihnen geblie-
ben ist, um ihre Hausmacht zu starken, und schaffen so die
Grundlage fur grofie politische Gebiete.
Der Mongoleneinbruch, spater die Einfalle der Tiirken,
geben dazu Anlafi. Nur grofiere Fiirsten sind imstande,
ihre Gebiete zu verteidigen; es schliefien sich die kleineren
dem machtigeren an und bilden so die Grundlage fur kiinf-
tige Staaten. Der neue Kaiser bedeutete nur noch sehr we-
nig. Wie erwahnt, war Rudolf von Habsburg nur bestrebt,
sich eine Hausmacht zu griinden. Nach der Uberwindung
Ottokars von Bohmen wurde sein Sohn mit dessen Landern
belehnt, spater wurde die habsburgische Hausmacht da-
durch verstarkt, dafi immer neue Gebiete dazu erheiratet
wurden.
Nur der Vorgang kann bei all diesen rein privaten Unter-
nehmungen uns interessieren, dafi es dabei zu dem Aufstan-
de der Schweizer Eidgenossen kam, die frei sein wollten
von den Anspruchen, die der Nachfolger Rudolf von Habs-
burgs, Kaiser AlbrechtL, an sie machte. Durch harte Kamp-
fe erlangten sie es, nur abhangig von kaiserlicher Gewalt -
reichsunmittelbar - zu sein; sie wollten nichts wissen von
fiirstlicher Gewalt.
Das Bestreben, die eigene Hausmacht zu vergrofiern,
setzt sich fort unter den folgenden Kaisern; so bemachtigt
sich Adolf von Nassau eines grofien Teiles von Thiiringen,
das er den schwachlichen Fiirsten entreifit. Auch Albrecht
von Osterreich und dessen Nachfolger Heinrich von Lu-
xemburg suchen sich in dieser Weise zu bereichern, letzte-
rer, indem er seinen Sohn mit einer bohmischen Prinzessin
vermahlte. Dies ist ein typischer Fall fur die Entwickelung
der damaligen Verhaltnisse.
Diese Stromung setzte sich fort unter neuem Anwachsen
der kirchlichen Gewalt, aber zugleich war auch ein An-
wachsen der Stromung vorhanden, die nichts mit der Kir-
che zu tun haben wollte. Die Lehren der Waldenser oder
Katharer wirkten aufreizend, es gab gewaltige Kampfe ge-
gen die wieder aufkommende Fiirstenmacht. Die Lage der
Bauern, die sich gehoben hatte durch die Stadte-Entste-
hung, wurde jetzt immer driickender durch das feudale und
Raubrittertum, die Bistiimer und Abteien, denen sie fronen
mufiten. Die Stadte hatten eine Zeit der Bliite gehabt, da-
mals hatte der Grundsatz gegolten: Stadtluft macht frei. -
Doch mit der Zeit waren viele Stadte in Abhangigkeit gera-
ten, besonders war es den Hohenstaufen gelungen, viele
Stadte in Abhangigkeit zu bringen. Jetzt bestrebten sich die
Stadte, weiteren Zuflufi abzuhalten, sie machten Schlufi da-
mit und suchten auch hier sich fiirstlichen Schutz. Die Bau-
ernbevolkerung geriet dadurch in erhohte Abhangigkeit
von ihren Grundherren. Die Stimmung der Unterdriickten
wurde aufgestachelt von den Waldensern und Ketzern,
denen die Kirche nicht mehr gemigte.
Der Schrei nach Freiheit und die christlich-ketzerische
Stimmung gingen Hand in Hand; es verquickte sich religio-
se Stimmung mit politischer Bewegung und diese Volks-
stimmung fand ihren Ausdruck in den Bauernkriegen. Wer
sie erfassen will, diese geistige Ketzerstimmung unabhangig
von aufierer Kirchlichkeit und Fiirstengewalt, der mull sich
vergegenwartigen, dafi besonders in den Rheingegenden -
«des Heiligen romischen Reiches Pfaffengasse» - durch
Jahrzehnte hindurch harte Kampfe von der fiirstlichen
Macht gegen diese Stromung gefiihrt wurden. Volkstumli-
che Prediger, die namentlich dem Dominikanerorden ent-
stammten, widersetzten sich, ja, es kommt zum Streite der
Prediger, weil sich diese Prediger nicht fiigen wollen der
Bedriickung des Volkes durch die papstliche Gewalt. Sie
sind nicht einverstanden mit der politischen Machtentfal-
tung des Papsttums und der Ausbreitung der Macht der
Fiirsten.
Die franzosischen Konige sahen in dem Papsttum eine
Unterstiitzung im Kampfe mit der deutschen Fiirsten-
macht. So wurde der Papst nach Avignon gefiihrt und wah-
rend etwa siebzig Jahren hatten die Papste dort ihren Sitz.
Heinrich von Luxemburg kampft mit dem Papst, dem der
Konig von Frankreich seine Unterstiitzung leiht. So be-
herrscht nun der Papst von Avignon, von Frankreich aus,
die Christenheit, und wie die Fiirsten ihren Lehensleuten
gegeniiber immer mehr ihre Macht zur Geltung bringen, so
streben die Papste nach immer grofierer Ausbreitung ihrer
Gewalt. per weltliche Klerus, die machtbesitzenden Ab-
teien und Bistumer waren abhangig vom Papst. Wahrend-
dessen gestalteten die Fiirsten willkiirlich die Landkarte
Europas. Kaiser Karl IV. vereinigt unter seiner Hausmacht
Brandenburg, Ungarn und Bohmen. Die Kaiserwiirde ist
zur Titulatur geworden, die Kaiser begniigen sich damit,
ihre Privatlander zu verwalten, der Kaisertitel wird von
den Fiirsten verschachert.
Wollen wir die eigentliche Geschichte verstehen, miissen
wir uns vorhalten, wie der grofie Umschwung vom Mittel-
alter zur neuen Zeit darin bestand, dafi die Fiirsten fur ihre
Privatinteressen jene unzufriedene Stimmung benutzt ha-
ben; die Staaten, die sich bilden, sehen wir ihre Fangarme
ausbreiten uber eine jahrhundertlange populare Stromung,
und es wird diese Stromung fur religiose Freiheit benutzt,
um zuerst das Papsttum zu bekampfen und seine Macht zu
unterbinden und sich selber dann in diese Machtstellung
hineinzuschleichen.
Auf dem Grunde der Volksseele entwickelte sich jene
Stromung; sie erstrebte etwas ganz anderes, als was dann
die Reformation brachte. Der verweltlichte Klerus war ein
ebensolcher Bedriicker geworden wie die weltlichen Fiir-
sten. Die stadtische Bevolkerung sah sich in ihrem Egois-
mus nicht genotigt, sich auf die Seite der Bedriickten zu
stellen, nur wenn ihre eigene Freiheit bedroht wurde, sa-
hen wir sie bemiiht, sich diese Freiheit zu erhalten. So ge-
lang es ihnen im schwabischen Stadtebund und in der Pfalz
doch nicht, sich zu behaupten, so dafi sich auch hier neue
Furstenmacht herausbildete.
Schon wahrend der Regierung des Kaisers Sigismund kam
es zum Ausbruch in Bohmen in einer eigentiimlichen reli-
giosen Bewegung. Eine Bewegung, die sich ausbreitet unter
einem Manne, der - man mag anerkennen oder leugnen,
was er vertrat - doch nur sich auf seine eigene Uberzeu-
gung verliefi; eine Uberzeugung, die sich stiitzte auf den
reinsten Willen, auf das Feuer in der eigenen Brust. Dieser
Mann war Johannes Hus von Hussonetz, der Prediger und
Professor an der Universitat Prag. Gestiitzt auf etwas, was
in ganz Europa sich ausbreitete - denn schon vorher war
in England durch Wiclif auf Herstellung des urspriingli-
chen Christentums gedrungen worden - , was aber beson-
deren Glanz erhielt durch die feurige Beredsamkeit des her-
vorragenden Mannes, fand Hus iiberall Zustimmung.
Uberall fanden seine Worte dadurch Eingang, dafi man nur
hinzuweisen brauchte auf das schmahliche Verhalten des
weltlichen Klerus, auf den Verkauf der Bistiimer und so
weiter. Es waren zu Herzen gehende Worte, denn sie ver-
kiindeten etwas, was als Stimmung durch ganz Europa ging
und nur dort hervortrat, wo eine Personlichkeit sich fand,
die ihr Ausdruck verlieh. Durch die Papste und die Gegen-
papste war die Kirche in Unordnung geraten, die Papste
selbst mufiten etwas tun. So wurde das Konzil von Kon-
stanz einberufen. Es bildete einen Wendepunkt des mittel-
alterlichen Lebens. Eine Umwandlung in eine reine Kirche
wurde angestrebt. Dieses Vorhaben setzte eine lebhafte
Opposition in Bewegung. Politische Beweggriinde spielten
mit, Kaiser Sigismund selbst war lebhaft interessiert. Die
argsten Mifistande der Kirche sollten abgestellt werden,
denn der Klerus war vollstandig verwahrlost, auch in den
Klostern waren unglaubliche Miftbrauche eingerissen. In
Italien hatte Savonarola seine machtvolle Agitation gegen
die Verweltlichung der Kirche begonnen. Auch damit woll-
te das Konzil abrechnen. Der Vorsitzende des Konzils war
Gerson, der oberste Leker der Pariser Universitat, ein zwei-
ter Tauler fur die romanischen Lander. Diese Tatsache war
fur den Ausgang des Konzils bedeutsam, denn mit Hilfe des
Gerson war es dem Kaiser moglich geworden, die Fuhrung
den Papstlichen zu entreifien und dem Hussitismus den
Garaus zu machen. Weil diese Stromung nichts zu tun hat-
te mit politischer Machtentfaltung, sondern aus tiefster
Volksseele hervorging, deshalb war sie den geistlichen und
auch besonders den weltlichen Machthabern so gefahrlich.
Es ist nicht Rom allein, es ist die heraufkommende Fiirsten-
gewalt, der Hus zum Opfer gef alien ist. Die Hussiten fiihr-
ten ihren Krieg fur ein republikanisches Christentum nicht
nur gegen die Kirche, er wurde gefuhrt gegen die heranna-
hende Furstenmacht.
Im Protestantismus verbundet sich aber diese Macht mit
der religiosen Unzufriedenheit, urn sie fur seine Zwecke
auszumitzen. Die Taten der Nachfolger des Hus waren da-
mit zum Tode verurteilt, daft die Fiirstengewalt gesiegt Kat-
te. Sonst hatten die Kaiser in jener Zeit nicht besondere
Macht: den Kaiser Friedrich III. zum Beispiel nannte man
allgemein den «unniitzen Kaiser».
So gibt sich uns ein Bild der eigentumlichen Entwicke-
lung in jener Zeit. In den immer mehr heraufkommenden
Stadten ein bliihendes Leben, dahingegen dort, wo die feu-
dale Macht sich behauptete, fortwahrend zunehmende Be-
driickung; auf dem Gebiete tieferen religiosen Lebens zu-
gleich, von diesen beiden Faktoren beeinflufit, eine starke
Bewegung, wie sie im Auftreten eines Wiclif, eines Hus
hervortrat. Italien bietet uns ein glanzendes Bild jenes stad-
tischen Lebens in seinen Stadterepubliken; so waren es in
Florenz die Mediceer-Kaufleute, die grundlegend wirkten
fiir die Kultur Italiens. Alle diese Stadte waren maftgebende
Kulturfaktoren.
So werden Sie begreifen, daft die Mittel, durch die man
sonst zur Macht gelangte, nicht mehr ausreichten. Im Mit-
telalter hatte aufter der Anzahl von Geistlichen, die in den
Klostern und in den Beamtenstellen wirkten, niemand le-
sen und schreiben konnen. Nun ist dies Verhaltnis ein an-
deres geworden. Lesen und Schreiben findet Verbreitung
durch die neuen Stromungen, die nun iiber die Volksmen-
gen dahinfluten. Die groften Schreibinstitute verbreiteten
in Abschriften, was friiher dem Volke verboten war, und
diese Abschriften wurden gekauft wie spater Biicher:
Schriften des Neuen Testamentes, popularwissenschaftli-
che Biicher, Sagen-, Legenden-, Helden- und Arzneibucher
wurden im 14. Jahrhundert ins Volk geworfen.
Namentlich von den Briidern vom gemeinsamen Leben
waren, wie schon erwahnt, iiberall Schulen errichtet wor-
den. Den Rhein entlang namentlich wurde, was friiher in
Klostern verborgen war, jetzt ans Licht geholt. Eine formli-
che Abschriftenindustrie entstand in Hagenau im Elsafi, de-
ren Ankiindigungen wie zum Beispiel die von Lamberts,
einem heutigen Kataloge ahnlich sind. Auch von Koln ging
ein nachhaltiger Handschriftenhandel aus und die Briider
vom gemeinsamen Leben wurden auch genannt «Br6dder
von de penne».
Hier haben wir das Vorbereitungsstadium der Buchdruk-
kerkunst. Sie entsprang einem tiefen Bediirfnis, sie ist nicht
wie aus der Pistole geschossen entstanden, sondern war
dadurch vorbereitet, dafi sie zum Bediirfnis geworden war,
indem die Biicher, die durch Abschrift hergestellt wurden,
zu teuer waren, aber auch die armeren Volksklassen nach
Biichern verlangten. Sie war ein Mittel damals, das Volk
aufzuriitteln.
Die Manner, die dazumal die Sache der Bauern fiihrten,
konnten nur dadurch diese Flugschriften im Volk verbrei-
ten, dafi ihnen die Verhaltnisse entgegenkamen. So entstan-
den damals die Bauernbundnisse, der «Arme Konrad», der
«Bundschuh» mit dem Wahlspruch: «Wir mogen von Pfaf-
fen und Adel nicht genesen». Von alien Seiten ging damals
das Bediirfnis nach etwas Neuem aus und als um 1445 Gu-
tenberg die beweglichen Lettern erfand, war das Mittel ge-
geben, das dazumalige Kulturleben ausgestalten zu konnen.
Die Empfanglichkeit war vorbereitet fur die Erweiterung
des Gesichtskreises. Unter dem Einflufi solcher Stimmun-
gen entwickelt sich die Verweltlichung von Kiinsten und
Wissenschaften, und dadurch die Periode der Erfindungen
und Entdeckungen. Wahrend friiher die Kirche allein die
Tragerin der Kunste und Wissenschaften gewesen ist, sind
jetzt die Stadte und das Biirgertum die Trager der Kultur;
aus der friiheren blofi kirchlichen Kultur ist sie heriiber-
gebracht und verweltlicht worden.
Wir kommen zu den Entdeckungen, die wir nur kurz
aufzahlen konnen, die den Schauplatz der Menschenge-
schichte iiber weite unbekannte Gebiete hin erstreckte.
Dazu kam der Einfall der Tiirken in Griechenland, wo-
durch die dort noch vorhandene Kultur Einflufi auf Euro-
pa gewann. Es wanderte eine grofie Anzahl von griechi-
schen Kunstlern und Gelehrten nach den anderen Landern,
namentlich nach Italien aus und fand in den Stadten Unter-
kunft. Sie befruchteten den Geist des Abendlandes. Diese
Reformation nennt man die Renaissance. Das alte Grie-
chenland stand wieder auf, jetzt erst konnte man die Schrif-
ten kennenlernen, auf denen das Christentum fufite. Das
alte hebraische Testament wurde gelesen, namentlich
Reuchlin verdanken wir das und durch ihn und Desiderius
Erasmus von Rotterdam wurde die Bewegung in die Welt
gesetzt, die wir als Humanismus kennen. Aus den Bestre-
bungen, die durch diese Einwirkungen eingeleitet waren,
ging die Morgenrote der neuen Zeit hervor. Noch etwas
hatte die Ausbreitung der tiirkischen Gewalt zur Folge.
Lange schon hatte das Abendland mit dem Orient in Ver-
bindung gestanden. Durch die Herrschaft der italischen
Stadte iiber die Meere, deren Mittelpunkt Venedig war,
hatte man die Produkte des Orients, namentlich indische
Spezereien, nach Europa verfrachten konnen. Als nun
durch den Einfall der Tiirken den Handelsleuten die Mog-
lichkeit dieser Verbindung erschwert worden war, ent-
sprang daraus das Bedurfnis, um Afrika herum einen ande-
ren Weg nach Indien zu finden. Von Portugal und anderen
siidlichen Landern gingen Sendungen aus, um die Gegen-
den um Afrika zu erforschen, und es gelang Bartolomeo
Diaz, das Kap der Stiirme, spater Kap der Guten Hoffnung,
und Vasco da Gama 1498 den Seeweg nach Indien zu fin-
den. Damit war eine neue Epoche for das europaische Wirt-
schaftsleben angebrochen, die ihren Gipfelpunkt 1492 in
der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus fand. Doch das
gehort zu der Geschichte der neueren Zeit.
So haben wir den Ausgang des Mittelalters kennengelernt
und die Faktoren, die hinuberfuhren zu einer neuen Zeit.
Erschiittert sehen wir das ganze Leben in seinen Grundla-
gen. Und wenn man oft meint, dafi die Einschnitte bei der
Geschichtsbetrachtung willkiiriich gewahlt seien, dieser
Einschnitt ist wirklich bedeutsam. Es geschah einer von je-
nen «Rucken», wie wir das in der Mitte des Mittelalters bei
der Stadtegriindung, im Anfang bei der Volkerwanderung
haben verfolgen konnen.
Jetzt unter der Agide der Stadtekultur in Verbindung al-
ler dieser Erfindungen mit der grofien wissenschaftlichen
Eroberung, die die Tat des Kopernikus ist, wird eine ganz
neue Kultur hervorgerufen. Die Verweltlichung der Kul-
tur, eine Erstarkung der Fiirstenmacht wird herbeigefiihrt
durch diese Stromung. Kleinere Gebiete hatten nicht Wi-
derstand leisten konnen gegen die verheerenden Ziige der
Tiirken, sie hatten sich Machtigeren angeschlossen. All die-
sen Faktoren ist die Ausbreitung der grofien Staaten zuzu-
schreiben. In mannigfaltigen Bildern haben wir die Verhalt-
nisse sich wandeln gesehen, wir haben gesehen, wie das
Biirgertum ersteht, wie es emporbliiht und wie ihm in der
Fiirstenmacht ein gefahrlicher Gegner entgegentritt.
Sie wissen, dafi die Gegenwart das Ergebnis der Vergan-
genheit ist, wir werden daher Geschichte treiben in richti-
ger Weise, wenn wir von der Vergangenheit fur die Gegen-
wart und Zukunft lernen in der Art, wie es uns in dem Aus-
spruch eines alten keltischen Barden entgegentritt, der sagt,
dafi es ihm die schonste Musik sei, wenn er die grofien Ta-
ten der Vorzeit hore, die ihn aufriitteln und begeistern. So
wahr es ist, dafi das menschliche Dasein das wichtigste Pha-
nomen und damit der Mensch selbst das wtirdigste Studium
ist, so wahr ist es auch, dafi der Mensch sich ein groftes Rat-
sel bleibt. Wenn der Mensch sich klar wird, dafi er sich
selbst ein Geheimnis bleibt, wird er zu dem rechten Stu-
dium gelangen. Denn nur dann wird der Mensch sich in
rechter Wurdigung gegeniiberstehen, wenn er weift, dafi
dies sein Geheimnis ist: sein eigenes Dasein im Zusammen-
hange stehend mit dem Allsein. Das gibt ihm die rechte
Grundlage fur all sein Tun und Handeln.
Will er aber etwas erfahren iiber dieses Geheimnis seines
eigenen Daseins, so mufi er sich wenden an die Wissen-
schaft, die von seinem eigenen Streben erzahlt. In der Welt-
geschichte sehen wir, wie Gefuhle und Gedanken in Hand-
lungen iibergehen. Darum sollen wir Weltgeschichte ler-
nen, da£ wir an ihr befliigeln unsere Hoffnungen, unsere
Gedanken und Gefuhle. Bringen wir herixber aus der Vor-
zeit, was wir brauchen fur die Zukunft, was wir brauchen
fur das Leben, fur die Tat!
II
VORTRAGE AN DER BERLINER
«FREIEN HOCHSCHULE»
PLATONISCHE MYSTIK
UND DOCTA IGNORANTIA
Erster Vortrag, 29. Oktober 1904
Im Aufgange dessen, was wir die christliche Mystik nen-
nen, zur Zeit der Gnosis, wurde die Mystik «Mathesis» ge-
nannt. Es war eine Welterkenntnis im grofien, die nach
dem Muster der Mathematik aufgebaut ist. Der Mystiker
sucht nicht blofi den aufieren Raum nach innerlich gewon-
nenen Gesetzen zu erkennen, sondern er sucht alles Leben
zu erkennen; er beschaftigt sich mit dem Studium der Ge-
setze alles Lebens. Vom Allereinfachsten ausgehend steigt
er zum Vollkommenen auf. Die Grundlage des mystischen
Denkens, die Grundbegriffe der Mystik, der Inhalt dessen,
was man Mystik nennt, wird wenig verstanden, nicht des-
halb allein, weil sie blofi nach dem aufieren Worte beurteilt
wird. Wenn man Darstellungen der Mystik liest, so ist es
so, als ob man eine Darstellung lase, in der von Winkeln
und Ecken in einem Hause gesprochen wird, da wo der Ma-
thematiker eigentlich mathematische Winkel und Ecken
meint. Die Worte der Mystik beziehen sich aber auf Le-
benszusammenhange.
Wir betrachten nun ein Bild der mystischen Vorstel-
lungsweise bis zum Meister Eckhart im 13. und 14. Jahr-
hundert, dessen Predigten alle spateren Mystiker angeregt
haben. Wir mussen da an einen Namen ankniipfen, der
oft verkannt wird, den des Dionysius Areopagita. In der
Apostelgeschichte wird erzahlt von einem Dionysius, der
ein Schiiler des Apostel Paulus gewesen sein soil. Im 6.
Jahrhundert tauchten einige Schriften auf, die aufierordent-
lich anregend sind fur die, welche eine Religion des Gemu-
tes brauchen. Aus dem Griechischen wurden sie ins Latei-
nische iibersetzt, und dadurch wurden sie dem abendlandi-
schen Geistesleben bekannt gemacht. Das geschah am Hofe
Karls des Kahlen durch den Theologen Scotus Erigena.
Man nennt heute in gelehrten Schriften die Werke des
Dionysius gewohnlich die des Pseudo-Dionysius. Man
kann die Schriften nicht weiter zuriick als bis zum 6. Jahr-
hundert nachweisen. Aber da sie durch Tradition iiberlie-
fert wurden, ist mit Bestimmtheit anzunehmen, dafi die
Schriften in den altesten Zeiten der abendlandischen Welt
bestanden. Im 6. Jahrhundert sind sie aber wohl erst nieder-
geschrieben worden.
Der Mystiker denkt anders, als der Rationalist und Mate-
rialist es tut. Der Mystiker sagt: Ich sehe hinaus in den
Raum, sehe die Gesetzeswelt, nach der die Sterne sich be-
wegen; ich erfasse diese Gesetze und schaffe sie nach. So
gibt es also eine nacherschaffende Kraft des Geistes. Der
Gedanke ist fiir den Mystiker mchts blofi Imaginares. Der
Gedanke, der im Menschen lebt, ist nur ein nachschaffen-
der Gedanke, worin der Mensch das nachlebt, was draufien
in der Welt erschafft. Der Geist, der draufien im Weltenall
schafft, ist derselbe Geist, der seine Gesetze in mir nach-
denkt. Er sieht draufien in der Welt sprechende Gedanken.
Die schaffenden Gewalten des Weltenalls haben die Geset-
ze den Sternenbahnen eingepragt. Dieser Geist feiert seine
Selbsterkenntnis, seine Wiedergeburt im Menschengeist.
Der Mystiker sagte sich: Im Weltenall draufien schafft der
Gedanke. Indem der Mensch erkennt, erkennt er den ob-
jektiven Gedanken draufien. Im Menschen wird er subjek-
tiver Gedanke. Es gibt ein Bindeglied, welches zu gleicher
Zeit den Menschen in seinem innern Erleben trennt von
dem aufieren Gedanken und verursacht, dafi der Gedanke
von aufien hereinfliefk in ihn.
Wenn wir einen Kristall ansehen, so ist in dem Kristall
der Gedanke eines Wiirfels oder ein anderer Gedanke ver-
wirklicht. Wenn ich diesen Gedanken verstehen will, mufi
ich den Gedanken nachkonstruieren, nachleben. Dafi das,
was in der Aufienwelt lebt, zu mir in Beziehung tritt, ge-
schieht durch die Empfindung von innen, durch den Weg
des Auges, die Empfindung, die den Gedanken nachlebt.
Wir haben also zu unterscheiden: Erstens den schaffen-
den Gedanken im Weltenall; zweitens die Korperlichkeit
oder Leiblichkeit des Menschen als das Bindeglied; drittens
den nachlebenden Gedanken im Menschen. - Der Leib des
Menschen eroffnet die Pforte, dafi der schaffende Gedanke
von auften einfliefk, und dadurch im Innern wieder auf-
leuchtet. Der Leib des Menschen bildet die Vermittlung
zwischen beiden Gedanken, dem schaffenden und dem
nachschaffenden. Der Mensch nennt das, was in der Natur
erst erschaffender Gedanke ist, den Geist. Das, was den Ge-
danken empfindet, nennt er Leib. Das, was den Gedanken
nachlebt, nennt er Seele. - Der Geist ist der Schopfer des
Gedankens. Der Leib ist der Empfanger des Gedankens.
Die Seele ist die Erleberin des Gedankens.
Den schaffenden Geist draufien erfafit der Mystiker unter
drei Begriffen. Dies ist bei Aristoteles klar ausgefiihrt. Er hat
einen ganz merkwurdigen Begriff vom Weltenschopfer. Er
sagt namlich, dieser Weltenschopfer kann nicht unmittel-
bar gefunden werden; er ist aber in jedem Dinge enthalten.
Wiirde der gottliche Geist heute irgendwo in irgendeiner
Gestalt vorhanden sein, und wiirden wir uns ein Bild vom
Schopfer danach machen, so wiirden wir doch nur ein un-
vollkommenes Bild von ihm haben. Wir diirfen uns nicht
ein bestimmtes, begrenztes Bild von dem Weltengeist
machen. Erst in Zukunft wird man erkennen, was die Welt
eigentlich treibt und in Bewegung setzt. Die Welt ist in
fortwahrender Vervollkommnung begriffen. Derjenige,
der da schafft in der Welt, ist der eigentliche Beweger,
der Urbeweger, der unbewegte Beweger. 2u ihm miissen
wir aufblicken und in ihm die Urkraft erkennen, die in
allem lebt. Der Urgeist des Aristoteles bewegt alles in
der Welt, er lebt sich aber in keinem Wesen ganz aus; er ist
der schdpferische, die aufiere Welt bewegende, gestaltende
Geist.
Immer ist in der Welt schon etwas verwirklicht. Wir er-
heben unseren Blick zu den Sternen eines Sonnensystems.
Dort finden wir eine grofte Vollkommenheit. Im Sinne der
Entwickelungslehre gedacht, miissen wir verstehen, dafi
dieses Weltensystem nicht immer da war, sondern daft es
sich gebildet hat. Wo wir auch hinausblicken in das Welt-
all, miissen wir sagen, es hat sich bis zu einem gewissen
Vollkommenheitsgrade gebildet. In verschiedenen Voll-
kommenheitsgraden ist das, was erreicht ist, durch den un-
bewegten Beweger vorhanden. Man kann tiberall immer
unterscheiden zwischen dem schon Vorhandenen, Ver-
wirklichten und dem fernen, gottlichen Ziel. Aber warum
bewegt sich ein Weltensystem, eine Erde, zu diesem fernen
Ziele hin? Es mufi in sich ein Streben nach dem unbeweg-
ten Beweger haben. In der Mystik braucht man fur dieses
Streben in dem einzelnen Weltensystem eine Bezeichnung.
Man fragte sich, wodurch hat der Mensch nach diesem un-
bewegten Beweger gestrebt? Er hat sein Gemiit darauf ge-
richtet. Der Ausdruck dieser Richtung war stets gegeben in
dem Inhalt seiner Religionsbekenntnisse, in denen noch
heute vorhanden ist die Anleitung, zum unbewegten Bewe-
ger zu gelangen. In der indischen Welt hieft der Ausdruck
des Hinstrebens Veda oder Wort. Bei den Griechen hiefi es
Logos, Wort. Es ist das Streben des Menschen nach dem
unbewegten Beweger, der uns hinzieht zu sich. Das, was
verwirklicht ist, heifit in den ersten Zeiten der christlichen
Mystik der Geist, der Heilige Geist. Das Hinstrebende ist
das Wort. In der Gnostik und bei Augustin ist der Heilige
Geist der das Weltenall gestaltende Gedanke. Das, was in
alien Dingen strebt, um zu der Gestalt des Geistes zu gelan-
gen, heilk Logos oder Wort. Das dritte ist der unbewegte
Beweger selbst, was die christliche Mystik der ersten Jahr-
hunderte den Vater nennt. Dies ist der dreifache Aspekt,
unter welchem sich der Gedanke in der Aufienwelt dar-
stellt. Die erste christliche Mystik sagte: Gott stellt sich dar
in drei Masken - Maske = persona, von personare, hin-
durchtonen - , also in drei Masken oder drei Personen des
gottlichen Geistes. Unter diesen drei Masken zeigt sich der
Geist im Universum.
Was als Geist im Innern des Menschen lebt, ist die Seele.
Diese Seele kann nicht einen Gedanken fur sich schaffen.
Sie mufi zuerst die Empfindung haben von dem Gegenstan-
de. Dann kann sie in sich geistig den Gegenstand nachschaf-
fen. Dann haben wir die Vorstellung in der Seele; dann
kommt uns das Bewufitsein der Vorstellung. Was in der
Seele lebt, konnen wir darstellen unter zwei Aspekten: dem
Aspekt der Empfindung, der grofie Anreger, der grofie Be-
fruchter; dann kommt das, was in der Seele aufleuchtet als
Vorstellung; das ist das Ruhende in der Seele, was von au-
fien seinen Inhalt empfangt. Die ruhende Seele, die sich be-
fruchten laftt durch die Eindriicke aus der Welt, ist die
Mutter. Die Summe der Empfindungen durch das Univer-
sum ist das Seelisch-Mannliche, der Vater. Das, was sich be-
fruchten lafit, ist das Seelisch-Weibliche, die Mutter-Seele,
das Ewig-Weibliche. Das, wodurch der Mensch sich selbst
bewufit wird, nennt der Mystiker den Sohn.
Die Aspekte der Seele sind: Vater, Mutter und Sohn. Sie
entsprechen den drei Aspekten im Kosmos: Vater, Sohn,
Heiliger Geist, den Aspekten des Weltengeistes.
Indem der Mensch durch die Empfindung seine Seele be-
fruchten lalk, gebiert er noch einmal das ganze Weltenall
aus seiner Seele heraus als Sohn. Dies aus der Seele als Mut-
ter herausgeborene Universum nennt der Mystiker den
Christus. Der Mensch, der sich dem Ideale nahert, immer
mehr bewufit zu werden von dem Universum, der nahert
sich dem, was der Mystiker den Christus im Menschen
nennt. Meister Eckhart sagt, da$ in der Seele Christus gebo-
ren wird. Ebenso sagt Tauler: Christus ist das in jedem
Menschen wiedergeborene Weltenall. Diese Dreiheit war
im alten Agypten: Osiris, Isis und Horus.
Als drittes betrachtet der Mystiker das leibliche Selbst.
Der Mystiker unterscheidet als sein Erlebnis die drei Perso-
nen des universellen Geisteslebens als Vater, Mutter und
Sohn. In diesem Sinne muE der Meister Eckhart gelesen
werden. Das Erkennen ist fur den Meister Eckhart eine
Auferstehung. Er sagt, Gott habe sich in ihm ein Auge ge-
schaffen, mit dem er sich selbst anschauen konne. Wenn
der Mensch sich fiihlt als Organ der Gottheit, die sich da-
durch selbst beschaut, dann ist er zum Mystiker geworden;
eine hohere Erkenntnis ist ihm dann aufgegangen.
Zweiter Vortrag, 5. November 1904
Wir haben gesehen, dafi der Mystik des Mittelalters zu-
grunde liegt die Anschauung von der Dreiteilung der
menschlichen Natur und des ganzen Universums. Wir ha-
ben gesehen, wie der Mystiker sich den Geist vorstellte und
das Leibliche und Seelische. Es liegt in der Natur der mysti-
schen Vorstellungsweise, dafi der Mystiker im Geiste er-
lebt, was draufien in der Natur ist, dafi er aus sich nach-
schafft, was draufien in der Natur schafft. In aller Erkennt-
nis, in allem innern Erleben sucht er ein Wiederaufleben
des Universums aus der Seele des Menschen. In den Geset-
zen, die das Universum beherrschen, sieht er die groften
Weltgedanken, Weltideen. Damit steht er ganz auf dem
Standpunkt der platonischen Weltanschauung. Plato war
der grofie Mystiker des Altertums, und alle, die sich im
Mittelalter in mystischer Anschauungsweise betatigt ha-
ben, fufien auf dem Platonismus. Wenn der Mystiker dar-
um in der Natur den schaffenden Gedanken sieht, den kos-
mischen Gedanken, dann wird jedes einzelne, was den My-
stiker umgibt, ein Ausdruck des Geistigen. Er unterschei-
det: erstens die groften Weltgesetze, die schopferischen Ge-
danken; zweitens die formlose Materie; drittens die Kraft,
zu der die Materie wird dadurch, dafi der Geist sich in ihr
betatigt. Also: erstens Gesetz oder Weltgedanke; zweitens
Materie; drittens Kraft. Die Kraft entsteht dadurch, dafi der
Weltgedanke sich in der Materie zum Ausdruck bringt.
Nichts konnte mit den Sinnen wahrgenommen werden,
wenn nicht die Kraft an die Sinne sich herandrangte und
auf die Sinne eine Wirkung ausiibte. Im aufieren Physi-
schen gibt es also drei Glieder. In der Seele ersteht das
Aufierliche innerlich wieder auf.
Wir unterscheiden im Sinne der Mystik: erstens das Va-
terprinzip, die Summe aller Empfindungen und Wahrneh-
mungen; zweitens das, was die Empfindung empfangt in
der Seele, nannte man die seelische Mutter; drittens das Be-
wufksein selbst, worin die Empfindung auflebt, nannte
man den Sohn. Dies ist der Zusammenhang von Empfin-
dung, Vorstellung und Gedanke.
In der Seek selbst erlebt der Mystiker den Geist in seiner
Innerlichkeit als Geist unmittelbar, in drei Gliedern: er-
stens den Vatergeist, den unbewegten Beweger des Aristo-
teles; zweitens die Sehnsucht nach dem unbewegten Bewe-
ger, die in der Seele lebte: das Wort oder Logos; drittens das
Aufleben in der geistigen Welt: das ist der Geist.
Die Seele kann sich in sich selbst versenken, geistig schau-
en, durch die Inspiration oder Intuition. Der Mystiker sagt:
Wenn ich herausschaue in die Natur, wirkt die Kraft auf
mich, und ich empfinde die Kraft, die auf mich wirkt - die
Energetik genannt, das Kraftleben. - Indem die Seele sich
in die Auftenwelt versenkt, mufi sie nach dem Satze des
Aristoteles durch die Empfindung beseelt werden. Er sagt:
Wenn ich den unbewegten Beweger sehen will, mufi ich
frei sein von aller aufieren Empfindung. Dies Versenken in
die Seele nennt er die Katharsis, Reinigung. Nach der Ka-
tharsis vereinigt sich die Seele mit dem Geiste, wenn sie in-
tuitiv wird, wenn sie mit der Empfindung aus der Aufien-
welt sich nicht vereinigt.
Die Henosis - Vereinigung - ist die Versenkung in den
Geist, die Vereinigung mit dem gottlichen Urgeist. Diese
kann nur vor sich gehen, wenn die Seele von der aufteren
Empfindung gereinigt ist. Diese gereinigte, von aufkrer
Empfindung freie Seele nennt der Mystiker die jungfrauli-
che Seele, die nicht befruchtet ist durch die auftere Empfin-
dung. So wie die Seele sonst von der Aufienwelt befruchtet
wird durch die Empfindung, so wird sie im Inner n befruch-
tet durch die Idee. Wenn die Seele in sich die Idee erlebt,
jungfraulich sich befruchten lafit von dem Geist, dann ist
diese Empfangnis fur den Mystiker die unbefleckte, jung-
frauliche Empfangnis: die Conceptio immaculata. Die Idee
wird in der Seele nicht nur den Sohn erzeugen, der wieder-
gibt die Aufienwelt, sondern den Sohn, der der Geist selbst
ist. Das Aufleben des zweiten Prinzips des Geistes, des
Wortes oder Logos in der jungfraulichen Seele, nennt der
Mystiker das Aufleben des Christus-Prinzips. So kann die
Seele durch die Empfindung befruchtet werden und den
Christus in sich auferstehen lassen, der in der Aufienwelt
begraben ist, oder sie kann von der Idee befruchtet werden,
und dann gebiert die Seele in sich den geistigen Christus,
das Wort oder Logos. Nur der ist im hoheren Sinne fur den
Meister Eckhart ein wirklicher Teilnehmer am Christus-
Prinzip, der in sich den Christus, den Logos erlebt. Nichts
hilft es, wenn der Mensch sich mit seinem Gott vereinigt
weift, wenn er den Gott als aufiere Wirklichkeit ansieht,
sondern nur, wenn er in seiner Seele das Christus-Prinzip
aufleben lafit. Der Meister Eckhart hat mit seiner Lehre die
Herzen immer wieder ergliihen lassen dadurch, dafi er den
Menschen gezeigt hat, dafi der Mensch trunken werden
kann, wenn er dies in sich erlebt. Die tiefste Geburt des
Geistes mufi aus der eigenen Seele geboren werden. Die
Mystiker haben alle dies verstanden. Eckhart sagt, es
kommt nicht auf das gegenwartig gewordene Bild an, son-
dern auf das, was dem Menschen immer gegenwartig ist.
Gott und ich sind eins im Erkennen. Gott ist Mensch ge-
worden, damit ich Gott werde. Er spricht ferner davon, wie
in jedem einzelnen Menschen der hdhere, innere Mensch,
der zum Geiste hinauffuhrt, auflebt. In jedem wohnen zwei
Menschen, der weltliche und der geistige Mensch. Der in-
nere, geistige Mensch geht seine Wege fiir sich.
Der aufiere Mensch kann ein Leben fiir sich fuhren; aber
das innere Leben nimmt seinen eigenen Gang dadurch, dafi
es sich im Innern durch den Logos befruchten lafit. Immer
wieder hielt Eckhart dies durch seine gewaltigen Predigten
dem Menschen vor. Das Funklein in der Seele ist das
Wesentliche. Das Funklein ist ein ewig Eins.
Wenn der Mensch das Aufleben des Fiinkleins erlebt, so
fiihlt er Gott selbst in der Seele. Es gibt bei den Mystikern
einen Kunstausdruck: Die Seele hat sich in den Grand ge-
lassen. - Es ist dies eine Anknupfung an das Bild der Tur
mit dem Angel. Wie der Angel, auf dem sich die Tur dreht,
unbewegt bleibt, so bleibt auch der innere Mensch unbe-
wegt; im Innern fuhrt er ein eigenes Leben. Das innere Er-
leben Gottes ist das, was zustande kommt, wenn die Seele
sich in ihren Grund lafit. Das Gewahrwerden des gottli-
chen Lebens in sich selbst nennt der Mystiker die Gelassen-
heit (Angelus Silesius). Der Mystiker erlebt den Gott in sei-
nem Innern. Dadurch ist Gott wie in einer Wohnung in
dem Menschen gegenwartig. Der Mystiker fuhlt sich als
Vermittler Gottes und der Welt; er fiihrt die in die Seele ge-
senkten Befehle der Gottheit aus. Er hat die Vorstellung,
dafi Gott den Menschen braucht; diese Vorstellung zieht
sich wie ein Leitmotiv durch die ganze Mystik des Mittel-
alters hindurch. Das macht das Weihevolle der Mystik aus.
Eckhart vergleicht die Welt mit einem Bau, und die Men-
schen mit den Bausteinen. Der Mensch soli als Baustein
sich nicht dem Weltenall entziehen. Der Mystiker fiihlt
sich vereint mit dem urgottlichen Leben: das ist das Durch-
leuchtetsein, das man in der Mystik als Selbsterkenntnis des
Menschen bezeichnet. Es zeigt, dafi, so wie der Mathemati-
ker die Zahlen, der Mensch das Hochste aus sich erzeugen
kann. Selbsterkenntnis wird zum unmittelbaren Enthusias-
mus, weil die Selbsterkenntnis Hingabe an die Gottheit
bedeutet.
Bei Johannes Tauler kommt dieses Stimmungsvolle des
Mystikers in seinem ganzen Leben heraus: sein Leben war
eine Darlegung des gottlichen Lebens. Er sagt, so lange ich
die hochste gottliche Weisheit nur bespreche und darstelle,
habe ich nicht das Richtige erreicht. Ich mufi selbst ganz
verschwinden und mufi Gott aus mir sprechen lassen. Er
sagt, Gott sieht seine eigenen Gesetze, durch die er die Welt
geschaffen hat, durch mich an, mein Selbst ist das Selbst-
leben: Ich mufi Gott in mir sich erleben lassen.
Die Mystik Eckharts ist eine mystische Erkenntnis; bei
Tauler finden wir mystisches Leben. Von der Zeit an findet
sich ein besonderer Kunstausdruck des Mystikers: der, der
in sich Gott erlebt, wird «Gottes£reund» genannt.
Eine unbekannte Personlichkeit erschien wahrend der
Predigt Taulers; sie wird der «Gottesfreund aus dem Ober-
land» genannt. Er begegnet uns nie anders, als daft er gleich-
sam als Spiegel der anderen Personlichkeiten erscheint, die
von ihm beeinflufit werden. Johannes Tauler stellt in sei-
nem Meisterbuch dar, dafi er Gotteserkenntnis den Men-
schen mitteilte, aber er konnte das Leben noch nicht iiber-
flieften lassen; da kam der Gottesfreund und liefi Johannes
Tauler seine Erleuchtung zuteil werden. Der Urquell selbst
ging in ihm lebendig auf. Lange Zeit gab er alles Predigen
auf und zog sich zuriick mit dem Unbekannten aus dem
Oberland, um sich in die Geistesverfassung zu bringen, in
der dieses Geistesleben aufging, so dafi er sich selbst zum
Kanale der gottlichen Weisheit machte und diese durch
ihn in andere uberflofi. Seine Rede gewann an Feuer, er
machte den grofiten Eindruck; die Leute wurden durch sei-
ne Worte verwandelt, wodurch die Menschen das Fiinklein
in sich angefacht fanden. Das Ersterben fur alles, was lebt
in der Aufienwelt, das ist das Aufleben des neuen Men-
schen: das konnte Johannes Tauler jetzt bewirken durch
die Kraft seines Wortes. Goethe sagt: «Denn solang du das
nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur ein triiber
Gast auf der dunklen Erde.» Das Erleben der Conceptio
immaculata ist das Stirb und Werde, im niederen Sinn und
im hoheren Sinn. Es erlebten die, welche Tauler zuhorten,
die Unio mystica. Wie der Mensch alle aufieren Schonhei-
ten empfindet, die von aufien herankommen, durch die
Empfindung, so empfindet der Mystiker die Schonheit der
geistigen Welt durch Christus, den er erlebt; es ist ein Er-
lebnis, das ihn trunken macht: dies ist die wahre Spharen-
musik. So wie der Mensch in der Empfindungswelt die
sinnliche Harmonie empfindet, so empfindet der Mystiker
in der Seele den Zusammenhang der grofien Weltgesetze,
das Walten, das Schaffen des Logos, des Gottes selbst, die
Spharenmusik. Durch die Menschenseele spricht der ewige
Gott in seinem Logos sich aus. Johannes Ruysbroek, der bel-
gische Mystiker, hebt diesen Gedanken in besonders inten-
siver Weise hervor. Der Mystiker versteht in der Mystik
das Aufleuchten des gottlichen Urquells in seiner eigenen
Seele. Der Mystiker fuhlte in sich, in der Selbsterkenntnis,
die Gottheit. Dadurch fand er solch flammende Worte
dafur.
Dritter Vortrag, 12. November 1904
Wir kommen heute zu einem Hohepunkt der mittelalterli-
chen Mystik, zu dem Mystiker, welcher zu gleicher Zeit
einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit war: Niko-
laus Chrypff oder Krebs, von Kues an der Mosel, der Kusa-
ner genannt. Er war eine der interessantesten Personlich-
keiten seiner Zeit. Er lebte von 1401 bis 1464. Er stand auf
der Hohe seiner Zeit in den verschiedenen Wissenschaften.
Er war Mathematiker, Physiker, Jurist, zuerst Rechtsan-
walt. Auch war er einer der fuhrenden, der tonangebenden
Manner seiner Zeit. Er war seiner Zeit aufierordentlich
vorausgeeilt. Etwa hundert Jahre spater stellte Nikolaus
Kopemikus die Weltanschauung der Astronomie auf eine
neue Basis. Doch hat Nikolaus von Kues schon klar ausge-
sprochen, dafi sich die Erde um die Sonne bewegt. Noch
bedeutsamer scheint zu sein, dafi der Kusaner nicht nur ein
tiefer, fuhrender Denker, sondern ein klarer Denker war.
Er ist ein Denker, der die Scholastik ganz in sich aufgenom-
men hatte. Dasjenige, was durch die Scholastik zum Aus-
druck gebracht wird, wird nur sehr wenig studiert. Die un-
geheure Klarheit und Scharfe der Begriffsfiihrung ist das
Wesentliche daran. Niemals hat es eine so scharfe Fuhrung
der Begriffskonturen gegeben, niemals eine so strenge Be-
grenzung der auf das Geistesleben beziiglichen Begriffe.
Wer sich schulen will in klarem Denken, derjenige, wel-
cher arbeitet mit festen, begrifflichen Umri&zeichnungen,
miifite sich in irgendeines der scholastischen Werke vertie-
fen. Cusanus machte diese Schulung durch.
Er besafi auch alles auf die soziale Kenntnis seiner Zeit
Beziigliche. Er hatte einen umfassenden Gesichtskreis.
1432, auf dem Basler Konzil, nahm er eine wichtige Stel-
lung ein. Dann machte er weite Reisen durch Deutschland
und die Niederlande, die namentlich der Reform des Erzie-
hungswesens gewidmet waren. Er ging hervor aus der
Schule der «Briider des gemeinsamen Lebens». Es wurde
dort auf eine griindliche Gemutsbildung und eine klare
Verstandesbildung gesehen. Der Kusaner unternahm seine
Reise im Dienst dieser Schule. Wissenschaftlich geschult,
klar und scharf denkend - frei steht er da, als Personlich-
keit von imponierendem Charakter. Hatte er gewollt, so
hatte er noch manches auf wissenschaftlichem Gebiete
leisten konnen. Als Prediger wufite er die Zuhorer in der
Tiefe des Gemutes durch seine Predigt zu fassen. Das, was
seine Predigt so bedeutend machte, war der Strom, der aus
der mittelalterlichen Mystik hervorging, der Strom, den
wir bei Eckhart finden, bei Tauter und Suso, und in einer
anderen Gestalt bei Giordano Bruno und Paracelsus.
Tiefe des Gemiits, Feuer der Seele, paarte sich bei ihm
mit einem ganz durchsichtigen, scharfen Begriffsvermogen.
Alles, was der Verstand begreifen kann, was die Vernunft
iiberschauen kann, das gab dem Kusaner nur den Unterbau
fiir dasjenige, was er der Welt zu sagen hatte. Er wurde von
dem Papst nach Konstantinopel geschickt, um dort eine
Vereinigung zwischen der griechischen und romischen Kir-
che zu bewirken. Auf der Heimreise bekam er eine Er-
leuchtung, bei welcher er fuhlte, daft es noch etwas ganz an-
deres gibt als das Verstandeswissen. Von da an sprach er
nur dem den hochsten Wert zu, was hoher als das Wissen
ist. Das Werk: «De docta ignorantia» schrieb er aus dieser
Stimmung heraus. Der Titel: «Von der gelehrten Unwis-
senheit» sollte bedeuten: etwas, was iiber das blofte Sinnes-
und Verstandeswissen hinausgeht, ein Schauen, ein Er-
leuchtetsein. Will man dies ganz verstehen, so mufi man
manche Begriffe zu Hilfe nehmen, die erst das 19. Jahr-
hundert gebracht hat.
Das 19. Jahrhundert hat eine eigentiimliche Sinnesphy-
siologie herausgebildet, zum Beispiel bei dem beriihmten
Gesetze der Sinnesenergien des Physiologen Johannes Miil-
ler. Er sagt, daft wir eine Farbe sehen, Licht aufnehmen
konnen, das riihrt davon her, daft unser Auge in einer be-
stimmten Weise gebaut ist. Hatten wir nicht das Auge, so
wiirde die in Licht und Farben erglanzende Welt lichtlos
sein, ohne die Wahrnehmung von Farben. Dasselbe laftt
sich sagen iiber die Einrichtung unseres Ohres. Es hangt
von der Einrichtung unserer Sinne ab, wie die aufiere Welt
in uns eindringt. Von den spezifischen Energien unserer
Sinne hangt es ab, wie wir die Welt wahrnehmen. Helm-
holtz hat sich dariiber ausgesprochen, wie er das Verhaltnis
sich denkt. Er sagt: Wie kann ich wissen, wie das Licht an
sich, der Ton an sich gestaltet ist? Nur Zeichen der aufteren
Welt sind unsere Sinnesempfindungen.
Das «Wissen» nennt der Kusaner auch in diesem Sinne
Wissen, namlich als die durch den Verstand verarbeiteten
Eindriicke.
Wir fragen nun: Haben denn unsere Sinne kein intimes
Verhaltnis zu dem, was wir sehen, horen und so weiter?
Wir haben uns vorzustellen, daft das Auge selbst vom Licht
gebaut ist, daft die Sinne nicht nur fur die Auftenwelt da
sind, sondern aus der Auftenwelt. Das Auge ist durch das
Licht gebildet worden. Wer sind denn diejenigen, die bauen
an unseren Sinnen? Ware nicht der Mensch begrenzt in den
Grenzen seines gewohnlichen Bewufttseins, so wiirde er
dies wissen.
Im einzelnen Individuum muft die Kraft sein, welche die
Sinne bildet. Im Embiyonalleben muft das Licht wirksam
sein, muft der Ton wirksam sein. Sie miissen im Embiyo-
nalleben im Individuum selbst arbeiten und die Organe bil-
den. Das Licht schlieftt das Auge von innen auf, der Ton
das Ohr. Die aufteren Qualitaten nehmen wir erst wahr
durch die Sinne. Diese aufteren Qualitaten haben die Sinne
auch gebildet. Sie sind die Baumeister der eigenen Organe.
Wir sind selbst Licht vom Weltenlichte; wir sind Ton vom
Weltenton.
Der Mystiker lebt sich ein in das, was um ihn und in ihm
lebt und webt. Das schaffende Licht, das drauften wirkt
und innen schafft, empfindet er. Er ist selbst leuchtend und
tonend in einer leuchtenden und tonenden Welt. Wenn er
im schopferischen Lichte lebt, im schopferischen Ton lebt,
dann hat er mystisches Leben. Dann uberkommt den Men-
schen etwas, was anders ist als das Licht von auften und der
Ton von auften. Wer das einmal erfahren hat, der empfin-
det es als Wahrheit. Von dem schaffenden Lichte sprechen
die Gnostiker, die agyptischen Mystiker, die Mystiker des
Mittelalters. Sie nennen es das Aonenlicht. Es ist ein Licht,
welches vom Mystiker aus die Gegenstande urn ihn her zu
lebendigem Leben erweckt. Das ist das Pleroma der Gnosti-
ker. So fuhlt sich der Mystiker in dem Weltenlicht beseligt.
Er fuhlt sich beseligt verwebt mit diesem Aonenlicht. Da
ist er nicht getrennt von der Wesenheit der Dinge; da ist er
teilhaftig der unmittelbaren Schopferkraft. Das ist, was der
Mystiker als seine BeseHgung in dem schopferischen Lichte
bezeichnet. Die Vedantaweisheit bezeichnet die Welten-
weisheit als Chit, aber die Beseligung, wo der Mystiker un-
tertaucht in die Dinge, wo die Seele ganz mit den Dingen
verschmilzt, bezeichnet die Vedantalehre als Ananda. Chit
ist Weltenweisheit, Ananda die Weisheit, die unmittelbar
mit dem Aonenlicht verschmilzt, die eins sich fuhlt mit
dem die Welt durchleuchtenden All-Licht. Diese Stim-
mung bezeichnet der Kusaner als «Docta ignorantia».
So wie der Mensch die Erfahrung machen kann, dafi er
verschmilzt mit dem Aonenlichte zu dem Pleroma, so
kann er auch verschmelzen mit dem kosmischen Weltge-
danken. Dann fuhlt er die Weltgedanken in seinem eigenen
Innern auftonen. Wenn der Mensch gewahr wird den Ge-
danken, der das Gesetz zum Dasein bringt in den Dingen,
und dies als eigenes Gesetz in sich aufquillen fuhlt, dann to-
nen die Dinge in ihrem eigenen Wesen in seiner Seele wi-
der, dafi er intim mit den Dingen wird, wie der Freund mit
dem Freunde intim wird. Dieses Wahrnehmen der ganzen
Welt bezeichneten die Pythagoraer als Spharenharmonie.
Das ist das Widerklingen des Wesens der Dinge in der eige-
nen Seele des Menschen. Da fuhlt er sich vereinigt mit der
Gotteskraft. Das ist das Horen der Spharenharmonie, des
schaffenden Weltgesetzes; das ist das Verwobensein mit
dem Sein der Dinge, das ist das, wo die Dinge selbst reden,
und die Dinge sprechen durch die Sprache seiner Seele aus
ihm selbst heraus. Dann hat er erreicht, wovon der Kusa-
ner sagt, dafi keine Worte fahig sind, dies auszudriicken.
Das Seiende ist das Gesehene. Das driickt nicht die erha-
bene Existenz aus, welche als Pradikat den Dingen zu-
kommt, wenn der Mystiker sich in der tiefsten Weise mit
den Dingen vereinigt. Diese erhabene Existenz ist das Sat
der Inder.
Die pythagoraische Schule unterscheidet drei Stufen:
Erstens die aufiere Wahrnehmung = Chit; zweitens das
Pleroma = Ananda; drittens die Spharenharmonie = Sat.
Dies sind die drei Stufen der Erkenntnis bei dem Cusa-
nus: Erstens das Wissen; zweitens das Uberwissen oder die
Beseligung; drittens die Vergottung. So nennt er sie in der
«Docta ignorantia».
Dafi er diese Zustande kennt, gibt seinen Schriften einen
Schmelz, eine Weichheit, dafi man sagen kann, sie sind vol-
lig siifi vor Reife. Aufierdem sind seine Schriften wunder-
bar klar, durchsichtig, voll gewaltiger Ideen.
Er war ein fuhrender Geist. Alle, die ihm folgen, stehen
dann auf der Grundlage, die er geschaffen hat. So auch
Giordano Bruno. Cusanus hat seine Weisheit aus der pytha-
goraischen Schule geschopft. Er hat verstanden, was mit
dem Pleroma, dem Aonenlicht und der Spharenharmonie
gemeint war. - Auch Ruysbroek und Suso sind in ihrer fei-
nen und geistestrunkenen Art die Vorlaufer des Cusanus.
Wie eine Ouverture nimmt sich zu dem, was der Kusaner
geschrieben hat, die «Theologia deutsch» aus. Ein Neu-
druck derselben ist nach einer Handschrift von 1497 durch
Franz Pfeiffer besorgt worden. Tiefe, gemutvolle Tone von
einer historisch unbekannt gebliebenen Personlichkeit sind
in dieser Schrift enthalten. Will jemand das Sat der Vedan-
taphilosophie verstehen, so mufi er, wie er bei Ananda sich
ausgiefien mufi in die Welt, bei Sat seinen Willen ganz aus-
giefien. Bei der Vergottung (Sat) mufi das selbstlose Wollen
da sein; sein Wille mufi unpersonlich geworden sein. - Der
die «Theologia deutsch» geschrieben hat, hat dafiir gesorgt,
dafi sein Name nicht auf die Nachwelt kam. Er nennt sich
nur «der Frankfurters Der Mensch mufi sein Wollen hin-
geben an das Gottliche, als Bote der Gottheit, und dasjeni-
ge, was der Mensch von sich aus will, nennt er die Schrift,
ein Entgegenbringen.
Vor Cusanus strebte die Mystik aus dem blofien Wissen
in das Einfiihren in das Pleroma, das schaffende Welten-
Hcht. In dem gelehrten Nichtwissen kam das dann auf eine
gelehrte und scharfsinnige Weise heraus. Wissen und Ver-
stand wurden zu unmittelbarem, neuem Leben erweckt.
Das Nichtwissen des Kusaners ist zugleich ein Uber-
wissen. Er unterscheidet drei Stufen: Wissen, Beseligung,
Vergottung - Chit, Ananda, Sat. Er ist zugleich der grofite
Gelehrte und einer der tiefsten Menschen.
SCHILLER UND UNSER ZEITALTER
Vorwort von Rudolf Steiner
ZUR I. AlJFLAGE I905
Einige Worte an den Leser
Das folgende ist eine Wiedergabe der Vortrage, die ich in
den Monaten Januar bis Marz an der Berliner «Freien
Hochschule» iiber Schiller gehalten habe. Der Abdruck ist
erfolgt lediglich nach Notizen, die sich zwei Zuhorer wah-
rend der Vortrage gemacht haben. Ich selbst war gar nicht
in der Lage, die Aufzeichnungen durchzusehen. Nur einem
dringenden Wunsche entspreche ich, wenn ich meine Ein-
willigung zur Drucklegung gebe. Eigentlich bin ich nicht
der Ansicht, dafi Vortrage gedruckt werden sollen. Was ge-
sprochen wird, ist auf das Gehort- werden und nicht auf das
Gelesen-werden zu stilisieren. Gesprochene Abhandlungen
oder Biicher sind ein Unding. Und ebenso Bucher, die aus
nachgeschriebenen Vortragen entspringen. Wer Stilgefuhl
hat, wird mir recht geben. Ausnahmen von diesem Gesetze
mogen in einzelnen Fallen gemacht werden. Eine solche
Ausnahme liegt hier vor. Sie scheint mir die Regel zu be-
statigen.
Berlin, April 1905
Dr. Rudolf Steiner
Erster Vortrag, 21. Januar 1905
Schillers Leber? und Eigenart
Hundert Jahre sind am 9. Mai 1905 seit Schillers Tode da-
hingegangen. Die deutsche gebildete Welt wird ohne Zwei-
fel die Erinnerung an dieses Ereignis in festlicher Weise
begehen.
Drei Generationen trennen uns von Schillers Tode. Da
erscheint es notwendig, Umschau zu halten, was uns heute
Schiller ist. Im Jahre 1859 fand die letzte grofte Schillerfeier
statt in ganz anderer Weise, als es heute sein kann. Die Zei-
ten haben sich seitdem unermefilich geandert: andere Bil-
der, Fragen, Gedanken sind es, die heute die Gemuter der
Zeitgenossen beschaftigen. Als im Jahre 1859 die Schiller-
feier stattfand, war sie etwas, was tief eingriff in die Herzen
des deutschen Volkes. Damals gab es noch Personlichkei-
ten, die selbst ganz in den Vorstellungen lebten, die durch
Schillers dichterische Kraft hervorgebracht waren. Es ist
moglich, dafi diesmal rauschendere Festlichkeiten veran-
staltet werden; eine solche Anteilnahme aus der Tiefe der
Seek kann es nicht mehr geben. Die Frage drangt sich uns
auf: Was ist seitdem vorgegangen und wie kann Schiller uns
noch etwas sein? Der Schiller-Goethe-Zeit grofie Bilder
sind dahingeschwunden. Damals waren jene Anschauun-
gen noch verkorpert in Personlichkeiten, die die alteren
von uns in ihrer Jugendzeit kennengelernt haben. Diese
fuhrenden Geister, die ganz in den Traditionen jener Zeit
wurzelten, sie gehoren heute zu den Toten. Die Jungsten
kennen sie nicht mehr. In der Person meines Lehrers
Schrder, der in begeisterter Weise uns die Goethezeit dar-
stellte, war es mir vergonnt gewesen, einen Menschen ken-
nenzulernen, der ganz wurzelte in den Traditionen jener
Zeit. In Herman Grimm ist der letzte gestorben von denen,
deren Seelen ganz verbunden waren mit jener Zeit.
Heute ist das alles Geschichte geworden. Andere Fragen
beschaftigen tins heute. Politische Fragen, soziale Fragen
sind so brennend geworden, dafi wir jene intime Kunstbe-
trachtung nicht mehr verstehen. Sonderbar mufiten uns die
Schiller-Goethe-Zeitmenschen erscheinen. Verlorengegan-
gen ist uns die intime seelenvolle Betrachtung der Kunst.
Das soil kein Tadel sein; hart ist unsere Zeit geworden.
Sehen wir uns drei fuhrende Geister der Gegenwart an:
wie anders sprechen sie iiber das, was die Zeit bewegt. Zu-
nachst Ibsen: Wir sehen ihn, wie er in umfassender Art die
Kulturprobleme der Gegenwart schildert, er, der die ein-
dringlichsten Tone gefunden hat, gerade fur das Herz der
Gegenwart, fur eine ins Chaotische gehende Zivilisation.
Dann Zola: Wie soil sich die heutige Kunst zum Leben ver-
halten, das in sozialen Kampfen emporlodert - , das ist die
Frage, die er aufwirft. Dieses Leben erscheint uns so fest, so
undurchdringlich, von ganz anderen Machten bestimmt,
als es unsere Phantasie und Seele sind. Endlich Tolstoi: Er,
der ausgegangen ist von der Kunst und hieraus erst gewor-
den ist zum Prediger und Sozialreformator. Unmoglich er-
scheint heute eine rein asthetische Kultur, wie Schroer fur
die Schiller-Goethe-Zeit sie uns charakterisierte. Dazumal
war das, was wir das asthetische Gewissen nennen konnen,
zur mafigebenden Lebensfrage geworden. Man nahm
Schonheit, Geschmack, kiinstlerisches Empfinden fur so
ernste und wichtige Fragen, wie heute die Politik und die
Freiheit. Man betrachtete die Kunst als etwas, das eingrei-
fen sollte in das Raderwerk der Kultur. Heute ist das an-
ders: Tolstoi, der auf dem Gebiete der Kunst selbst ein
hochstes geleistet hat, verlafk die Kunst und sucht nach an-
deren Mitteln, um zu dem Empfinden seiner Zeitgenossen
zu sprechen.
Schiller ist daher fur unsere Zeit nicht zu wiirdigen in der
Weise, wie es im 18. Jahrhundert geschah. Was aber geblie-
ben ist, das ist die eindringlichste Tiefe seiner Weltanschau-
ung. Wir sehen zahlreiche Fragen in ganz neue Beleuch-
tung geriickt durch Schillers Weltbetrachtung. Versuchen
wir sie von diesem Standpunkt aus zu betrachten. Es soli
dies die Aufgabe dieser Vortrage sein.
Bei der Behandlung der Tages- und Kulturfragen, in der
Wissenschaft wie im kunstlerischen Streben, herrscht heute
vielfach Verwirrung und Unklarheit. Jeder junge Schrift-
steller glaubt sich berufen, eine neue Weltanschauung zu
begriinden. Die Literatur wird erfiillt mit Buchern iiber
Fragen, die langst gelost sind. Probleme werden aufgerollt,
die sich, so wie sie uns entgegentreten, unreif ausnehmen,
weil diejenigen, die sie zu losen versuchen, sich nicht wirk-
lich mit den Fragen beschaftigt haben. Oft werden die Fra-
gen iiberhaupt nicht richtig gestellt. Das Problem liegt in
der Fragestellung.
Aus zwei Stromungen sehen wir die Personlichkek Schil-
lers hervorwachsen. Es ist dies einerseits das Emporkom-
men des Materialismus, und andererseits die Sehnsucht
nach der Behauptung der Personlichkek. Was wir Aufkla-
rung nennen, wurzelt in diesen beiden Stromungen. Uralte
Traditionen waren im 18. Jahrhundert ins Wanken gekom-
men. Im 16. und 17. Jahrhundert noch wurden die tiefsten
Fragen des Menschengeistes aus der Tradition heraus ge-
lost. An dem Verhaltnis des Menschen zur Welt, zum
Urgrunde der Welt wurde nicht geriittelt.
Jetzt wurde es anders. Uber das menschliche Geistesleben
die Grundwahrheiten in dem Sinne zu losen, wie sie Jahr-
hunderte gelost, war unmoglich geworden. In Frankreich,
angeregt durch den englischen Sensualismus, kam eine ra-
tionalistisch, materialistische Anschauung auf . Man begann
die Seele abzuleiten aus materiellen Bedingungen, aus dem
Stofflichen; man versuchte alles Geistige aus dem Physi-
schen zu erklaren. Die Enzyklopadisten lieften den Geist
aus der Materie hervorgehen. Wirbel von Atombewegun-
gen waren das Um und Auf, das man in der Welt sah. «Der
Mensch ist eine Maschine», so ungefahr formuliert La-
mettrie sein materialistisches Glaubensbekenntnis. Schon
Goethe klagt, als ihm die Schriften dieser franzosischen
Materialisten - Holbachs «Systeme de la nature» - bekannt
werden, sein Unbehagen iiber die Anmaftung, mit ein paar
hingepfahlten Begriffen die ganze Welt erklaren zu wollen.
Daneben gab es eine andere Stromung, diejenige, die von
Rousseau ausging. Rousseaus Schriften machten den groft-
ten Eindruck auf die bedeutendsten Manner jener Zeit. Es
wird von Kant erzahlt, daft er, der ein grofter Pedant war,
mit einer solchen Pixnktlichkeit seinen taglichen Spazier-
gang unternahm, daft die Bewohner Konigsbergs ihre Uh-
ren darnach stellen konnten. Einmal aber blieb, zum grofi-
ten Erstaunen der Burger, der Philosoph fur einige Tage
aus; er hatte Rousseaus Schriften gelesen. Sie hatten ihn
so gefesselt, daft er den gewohnten Spaziergang dariiber
vergaft.
Die Grundlage der gesamten Kultur war in Zweifel ge-
stellt durch Rousseau. Er hatte die Frage aufgeworfen, ob
die Menschhek durch die Kultur hoher gekommen sei, und
er verneinte diese Frage. Seiner Ansicht nach waren die
Menschen in dem Naturzustande gliicklicher gewesen als
jetzt, wo sie die Personlichkeit in sich verkommen liefien.
In den Zeiten, als der Mensch, in alten Traditionen fuftend,
noch etwas zu wissen glaubte von den Zusammenhangen
der Welt, war er nicht so sehr auf die Personlichkeit ge-
stellt. Jetzt, wo die Personlichkeit zerschnitten hatte die
Verbindungsketten zwischen sich und der Welt, kam die
Frage heran: Wie soli diese Personlichkeit wieder festste-
hen in der Welt? Uber den Urgrund der Welt und der Seele
glaubte man nichts wissen zu konnen. Wenn aber so nichts
fest stand in der Welt, mufite der Drang nach besseren Zu-
standen machtig in alien Herzen werden. Das revolutiona-
re Streben des 18. Jahrhunderts ging von hier aus, Es hing
zusammen mit der materialistischen Stromung. Ein guter
Christ des 17. Jahrhunderts hatte nicht so von Freiheit,
Gleichheit und Bruderlichkeit sprechen konnen. Dieses
Freiheitsstreben mull als ureigenste Stromung jener Zeit
gelten.
Schiller war jung in der Zeit, als die Gedanken der Frei-
heit reiften. Rousseaus Ideale iibten, wie gesagt, einen ge-
waltigen Eindruck auf die hervorragendsten deutschen
Manner aus, wie Kant, Herder, Wieland und so weiter.
Auch der junge Schiller wurde ergriffen von dieser Stro-
mung. Wir finden ihn schon auf der Karlsschule damit be-
schaftigt, Rousseau, Voltaire und andere zu lesen. Es war
die Zeit damals auf einen toten Punkt gekommen; die ho-
heren Schichten hatten alien moralischen Halt verloren;
die aufiere Tyrannis herrschte auch auf der Schule. Bei
Schiller finden wir eine eigentiimliche Tiefe der Gemutsan-
lage, die schon im Knaben als Neigung zur Religion hervor-
trat. Urspriinglich beabsichtigte er daher auch, das theo-
logische Studium zu wahlen, sein ganzes Gemut drangte
ihn zu den tiefsten Fragen des Daseins. Es war eine Form
jenes Freiheitsstrebens, das gerade in Deutschland diese be-
sondere Gestaltung annahm: Frommigkeit vereinigte sich
mit unendlicher Sehnsucht nach Emanzipation. Der Per-
sonlichkeits-Freiheitsdrang, nicht nur Religion, ist es auch,
was aus Klopstocks «Messias» spricht. Gerade in seinem
religiosen Empfinden wollte der Deutsche frei sein. Der
«Messias» machte auf Schiller einen ungeheuren Eindruck.
Schiller wahlte das Studium der Medizin. Die Art, wie er
die Medizin ergriff, hangt zusammen mit den Fragen, die
ihn vor allem beschaftigten. Durch ernstes Naturstudium
suchte er sich Aufschlufi zu verschaffen iiber diese ihm vor-
liegenden Fragen. Der Unterricht in der Karlsschule sollte
in ganz umfassender Weise auf ihn einwirken. Die Schaden,
die dem heutigen Gymnasialunterricht vielfach anhaften,
bestanden in der Karlsschule nicht. Physik, Naturwissen-
schaften wurden eingehend behandelt; im Mittelpunkte
des Studiums stand die Philosophic Ernste Fragen der Me-
taphysik, der Logik wurden erortert. Schiller trat mit
philosophischem Geist in das medizinische Studium ein.
Die Art und Weise, wie er es erfalke, ist wichtig und bedeu-
tungsvoll fiir sein Leben. Man versteht Schiller nicht ganz,
wenn man nicht seine beiden Dissertationen liest, die er
nach Absolvierung seines Studiums schrieb. Sie behandeln
die Fragen: «Welches ist der Zusammenhang zwischen
Materie und Geist?» - «Uber den Zusammenhang der
tierischen und geistigen Natur des Menschen.»
Von der ersteren Dissertation ist uns wenig nur erhalten
geblieben. In der zweiten stellt sich Schiller die Frage: Wie
haben wir uns das Wirken des Stofflichen im menschlichen
Korper zu deuten?
Fiir Schiller 1st schon im materiellen Korper etwas Geisti-
ges. Es gibt Menschen, die im Korper nur etwas Niedriges,
Tierisches sehen. Es ist keine tiefe, gehaltvolle Weltan-
schauung, wenn man das Korperliche so erniedrigt und ver-
abscheut. Es war nicht die Weltanschauung des jungen
Schiller. Fiir Schiller ist der Korper der Tempel des Geistes,
von Weisheit auferbaut, und hat nicht umsonst Einflufi auf
das Geistige. Welche Bedeutung hat der Korper fiir das See-
lische? - Diese Frage hat Schiller, dem das Physische auch
heilig war, sich zu losen gesucht. Er schildert zum Beispiel,
wie im Affekt, in der Geste, sich das Seelische ausdruckt; er
sucht sich das Bleibende der seelischen Bewegung im Aus-
druck in feiner geistvoller Weise zu erklaren. Er sagt am
Schlusse seiner Abhandlung:
«Die Materie zerfallt (beim Tode) in ihre letzten Elemen-
te wieder, die nun in anderen Formen und Verhaltnissen,
durch die Reiche der Natur wandern, anderen Absichten
zu dienen. Die Seele fahrt fort, in anderen Kreisen ihre
Denkkraft zu iiben und das Universum von anderen Seiten
zu beschauen. Man kann freilich sagen, da£ sie diese Sphare
im geringsten noch nicht erschopft hat, dafi sie solche voll-
kommener hatte verlassen konnen, aber weifi man denn,
dafi diese Sphare fur sie verloren ist? Wir legen jetzt man-
ches Buch weg, das wir nicht verstehen, aber vielleicht
verstehen wir es in einigen Jahren besser.»
So versucht sich Schiller das Ewige des Geistes im Ver-
haltnis zur physischen Natur klarzulegen, ohne aber das
Physische zu unterschatzen. Diese Frage blieb nun die
Grund- und Kernfrage Schillers fur das ganze Leben: «Wie
ist der Mensch herausgeboren aus dem Physischen, und wie
stellt sich seine Seele, die Freiheit seiner Personlichkeit, zur
Welt?» «Wie soil die Seele ihren Mittelpunkt finden, da die
alten Traditionen dahin sind?»
Nachdem er in seinen Jugenddramen herausgebraust hat
seinen ganzen Emanzipationsdrang, und damit das Herz
des Volkes gewonnen hatte, vertiefte er sich in Geschichte
und Philosophic, und wir beruhren die tiefsten kulturge-
schichtlichen Fragen, wenn wir die Schillerschen Dramen
betrachten. Jeder Mensch hatte damals ein Stuck Marquis
Posa in sich. Dadurch gewann Schillers Problem ein neu-
es Gesicht. Tiefe Fragen werden aufgerollt uber die
Menschenseele, iiber die Bedeutung des Lebens. Schiller
sah, wie wenig auf dem aufieren Plane sich hatte erreichen
lassen. Man versuchte nun in Deutschland das Problem der
Freiheit auf kunstlerische Art zu losen, und das ergab die
Bedeutung des «asthetischen Gewissens». Auch Schiller
hatte sich die Frage jetzt in diesem Sinne gestellt. Es war
ihm klar, daft der Kiinstler den Menschen das Hochste zu
bringen habe. Er hat dieses Problem in spateren Jahren be-
handelt. In seinen «Briefen iiber die asthetische Erziehung
des Menschen» sagt er: Der Mensch handelt unfrei in der
Sinnenwelt aus Notwendigkeit; in der Vernunftwelt ist er
unterworfen der Notwendigkeit der Logik. So ist der
Mensch eingeschrankt von der Wirklichkeit und dem Ver-
nunftideale. Es gibt aber einen anderen, mittleren Zustand
zwischen Vernunft und Sinnenwelt, den asthetischen. Der-
jenige, der kiinstlerisch empfindet, genielk den Geist im
Sinnlichen; er sieht den Geist in die Natur hineinverwo-
ben. Die Natur ist ihm ein schonheitsvolles Bild des Geisti-
gen. Das Sinnliche ist dann nur der Abdruck des Geistes;
im Kunstwerk ist das Sinnliche durch den Geist geadelt.
Der Geist ist herabgeholt aus dem Reiche der Notwendig-
keit. In der Schonheit lebt der Mensch als in der Freiheit.
Die Kunst ist also die Vermittlerin zwischen dem Sinn-
lichen und dem Verniinftigen im Reiche der Freiheit.
Auch Goethe empfand so vor den Kunstwerken in Ita-
lien. Im Schonen fand der Freiheit sdrang dieser Menschen
seine Befriedigung; hier ist er der ehernen Notwendigkeit
enthoben. Nicht durch Zwang, durch staatliche Gesetze:
im asthetischen Genusse sah Schiller eine Erziehung zur
Harmonic Als Mensch fuhlt er sich frei durch die Kunst:
so mochte Schiller die ganze Welt in ein Kunstwerk um-
wandeln.
Wir sehen hier den Unterschied jener Zeit von der unse-
ren. Heute stent die Kunst im Winkel; damals wollte Schil-
ler dem Leben durch die Kunst einen unmittelbaren Ein-
druck geben. Tolstoi mufi heute die Kunst verdammen, Ib-
sen wird in seiner Kunst zum Kritiker des gesellschaftli-
chen Lebens: Damals wollte Schiller durch seine Kunst ein-
greifen in das Leben selbst. Als er, wahrend seiner Tatigkeit
als Mannheimer Theaterreferent, seine Abhandlung iiber
die «Schaubiihne als moralische Anstalt» schrieb, geschah
es, um durch die Kunst unmittelbar einen Kulturimpuls
zu geben.
Zweiter Vortrag, 28. Januar 1905
Schillers Schaffen und seine Wandlungen
Wir haben gesehen, wie Schiller herausgewachsen ist aus
den Ideen des 18. Jahrhunderts, wie die Ideale des Aufkla-
rungszeitalters in seiner Seele wurzelten. Ihre besondere
Gestalt hatten sie schon angenommen, als er von der Karls-
schule abging und jene vorher erwahnten Abhandlungen
geschrieben hatte. Wenn wir diese Anschauungen mit
einem Worte charakterisieren wollen, konnen wir sagen, es
handelte sich um die Emanzipation der Personlichkeit.
Dieses Freimachen von uralten Traditionen geht noch
weiter.
Wenn der mittelalterliche Mensch vor der Aufklarungs-
zeit nachgedacht hatte iiber sein Verhaltnis zu sich, zur Na-
tur, zum Universum, zu Gott, hat er sich hineingestellt ge-
funden in dieses Universum. Er verehrte denselben Gott
draufien, der in der eigenen Seele lebte; dieselben Welten-
machte, die er in der Natur fand, waren in der eigenen Seele
des Menschen tatig; es war eine gewisse Einheit, die man
sah in den Gesetzen des Weltalls und in der Natur des Men-
schen. Man braucht sich nur an Geister wie Giordano
Bruno zu erinnern. Diese monistische Uberzeugung von
dem Zusammenhang der Natur mit dem Menschen spricht
aus seinen Schriften. So war keine Trennung zwischen
dem, was man moralische Forderung nennt, und den
objektiven Gesetzen in der Natur.
Dieser Gegensatz ist erst spater gekommen, als man die
Natur von dem gottlichen Einflufi ausschlofi. Das, was im
Materialismus heraufgekommen ist, kannte keinen Zusam-
menhang zwischen der Natur und dem moralischen Emp-
finden, dem, was der Mensch als moralische Forderung in
sich ausbildet. Aus diesem ging hervor, was man den Rous-
seauismus nannte. Er ist im tiefsten Grunde eine revolutio-
nare Empfindung, ein Protest gegen die ganze bisherige
Entwickelung. Er lehrt, dafi, wenn wir den Ruf des Men-
schen nach Freiheit, seine Forderung nach Moral betrach-
ten, wir einen tiefen Mifiklang finden. Er fragt: kann es
denn einen Unterschied geben zwischen der objektiven
Welt und der menschlichen Natur, daft die Menschen sich
heraussehnen miissen, aus der ganzen Kultur heraus?
Diese geistigen Sturme lebten sich aus als Gesinnung des
jungen Schiller. In seinen drei Jugenddramen erhalt dieses
Sehnen eine neue Gestaltung. In den «Raubern», in «Fies-
co» und in «Kabale und Liebe» sehen wir ganz lebendig dar-
gestellt, mit ungeheurem Pathos die Forderung, dafi der
Mensch etwas tun miisse, um diesen Einklang hervorzuru-
fen. In der Figur des Karl Moor wird herausgearbeitet ein
Mensch, der in sich selbst den Zwiespalt zwischen der ob-
jektiven Ordnung und den menschlichen Forderungen
tragt, und der sich berufen fuhlt, zwischen der Natur und
sich diesen Einklang hervorzurufen. Seine Tragik entsteht,
weil er glaubt, durch Gesetzlosigkek und Willkur dem Ge-
setz wieder aufzuhelfen. - In «Fiesco» scheitert das Sehnen
nach Freiheit an dem Ehrgeiz. Das Ideal der Freiheit geht
unter durch diese Disharmonie in der Seele des ehrgeizigen
Fiesco, der sich nicht hineinfinden kann in die Ordnung
des moralischen Ideals. - In «Kabale und Liebe» steht die
Forderung der menschlichen Natur im aufstrebenden Biir-
gerstande den Forderungen der Welt gegeniiber, wie sie in
den herrschenden Standen zum Ausdruck kamen. - Es
war verlorengegangen der Zusammenhang zwischen den
moralischen Idealen und den universellen Weltenideen.
Dieser Mifiklang tont grandios bei aller jugendlichen Un-
reife aus Schillers ersten Dramen.
Solche Naturen wie Schiller finden sich schwerer selbst
als gradlinige, einfache, naive Naturen, wie auch die natiir-
liche Entwickelung zeigt, dafi niedere Geschopfe weniger
lange Vorbereitungsstadien brauchen als hochentwickelte
Tiere. Grofie Naturen haben das an sich, dafi sie die ver-
schiedensten Wandlungen durchmachen miissen, weil ihr
Innerstes aus tiefen Schachten herausgeholt werden mufi.
In wem viel liegt, wer mit Anwartschaft auf Genie zur
Welt kommt, wird schwer sich durchfinden, sich durch
mannigfaltige Anfangsstadien durcharbeiten miissen, wie es
uns als Analogie die embryonale Entwickelung hoher-
stehender Tierarten zeigt.
Was Schiller fehlte, war Welt- und Menschenkenntnis.
Die ersten Dramen zeigen Schiller mit all seinen daraus ent-
stehenden Mangeln, aber auch mit all seinen Vorziigen,
wie sie sich spater kaum so wiederfinden. - Dieses Urteil
ist projiziert aus einer gewissen Hohe: man mufi wissen,
was man Schillers Grofte schuldig ist. - Doch es konnte
nicht lange so bleiben. Schiller mulke iiber diesen kleinen
Horizont hinauskommen, und nun sehen wir, wie er im
vierten seiner Dramen, im «Don Carlos» sich hinarbeitet
zu einem anderen Standpunkt. Wir konnen aus einer dop-
pelten Perspektive «Don Carlos» betrachten: erstens von
Carlos, zweitens von Marquis Posa aus. Schiller selbst er-
zahlt uns, wie erst sein Interesse bei dem jugendlich-feuri-
gen Carlos gestanden hat und dann ubergegangen ist zum
kosmopolitischen Posa. Es bedeutet dies eine tiefe Wand-
lung in Schillers eigener Personlichkeit.
Schiller war von seinem Freunde Korner nach Dresden
gerufen worden, um dort ruhig zu arbeiten. Er wurde da
bekannt mit einer Weltanschauung, die auf seine eigene
Personlichkeit einen tiefen Einflufi ausiiben sollte, mit dem
Kantianismus. Schillers Wesenheit war so, dafi ihm diese
Beschaftigung mit Kant notwendig wurde und wir werden
dadurch seinen Standpunkt noch tiefer verstehen lernen,
wenn wir uns mit dem beschaftigen, was damals auf ihn
einwirkte.
Wir haben zu jener Zeit zwei ganz bestimmte Stromun-
gen im deutschen Geistesleben. Die eine Stromung ist dieje-
nige, die sich am griindlichsten ausdriickt in Herders
«Ideen zur Geschichte der Philosophic der Menschheit».
Die zweite ist die Kantsche Philosophic Bei Herder haben
wir die Sehnsucht, den Menschen hereinzustellen in die
ganze Natur, und ihn von da heraus zu begreifen. Es ist die-
ses Einheitsstreben, was uns Herder als modernen Geist er-
scheinen lafk. Was sich heute aufbaumt gegen den zwar als
Kathederphilosophie noch viel geltenden Kantianismus mit
seinem Dualismus, lebt schon bei Herder in seiner Metakri-
tik. Alles schliefit eine Fiille von grofien Ideen ein; da ist ein
Streben nach Einheitlichkeit zwischen Natur und Mensch.
Vom untersten Naturprodukt, bis herauf zu dem Gedan-
ken des Menschen, lebt ein Gesetz. Was im Menschen als
Sittengesetz sich darstellt, ist im Kristall sich selbst Gesetz
der Gestaltung. Eine Grundentwickelung zieht sich durch
alles Bestehende hindurch, so dafi, was an der Pflanze sich
zur Bliite gestaltet, in dem Menschen sich zur Humanitat
entwickelt. Es ist das Weltbild, das auch bei Goethe heraus-
getreten ist, das er in seinem Faust ausgedruckt hat in den
Worten:
Wie alles sich zum ganzen webt!
Eins in dem andern wirkt und lebt . . .
und das er in seinem «Hymnus an die Natur» darstellt.
Goethe ist ganz durchgluht von diesem Einheitsstreben,
wie es sich in Giordano Bruno, dem Pythagoraer, aus-
driickt. Er stellt sich vollkommen in diese Stromung hinein:
Was war' ein Gott, der nur von aufien stiefie,
Im Kreis das All am Finger laufen liefte,
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen.
So dafi, was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermilk.
Das ist die monistische Stromung, der Schiller in jener
Zeit noch fremd gegeniibersteht. Fiir ihn ist noch die Zwei-
heit da, der Dualismus.
Kant hat in seiner «Kritik der reinen Vernunft» und in
seiner «Kritik der praktischen Vernunft» dem menschli-
chen Erkenntnisvermogen eine entschiedene Grenze ge-
setzt. So weit der Verstand reicht, geht menschliches Er-
kenntnisvermogen. Es kann nur aufieres geben, reicht aber
nicht zu dem Wesen der Dinge. Was das Ding an sich ist,
verbirgt sich hinter den Erscheinungen; der Mensch darf
gar nicht dariiber sprechen. Aber es lebt etwas im Men-
schen, was unmoglich nur Erscheinung sein kann. Das ist
das Sittengesetz. Auf der einen Seite: die Welt der Erschei-
nungen; auf der anderen Seite: das Sittengesetz, der katego-
rische Imperativ, das «Du sollst», an dem nicht zu makeln
ist, das erhaben ist iiber Erkenntnis und nicht als Erschei-
nung aufzufassen. So tritt uns in Kants Philosophic nicht
nur die Zweiheit, die wir friiher sahen, entgegen, sondern
die ganze Welt menschlichen Geisteslebens trennt sich in
zwei Halften: das, was erhaben sein soli iiber alle Kritik,
das Sittengesetz, soil uberhaupt nicht Wissen sein, sondern
praktischer Glaube, der keine Erkenntnisgesetze hat, son-
dern lediglich sittliche Postulate. So erscheint der Kantia-
nismus als die schroffste Darlegung des Dualismus.
Vor Kant gab es eine Wissenschaft iiber die aufieren Er-
scheinungen, dann eine Vernunftwissenschaft, die durch
eingepflanzte Tatigkek bis zu Gott, Seele und Unsterblich-
keit dringen konnte: so stellt sich die Wolff sche Philosophic
dar. Kant, der die englischen Sensualisten Hume und Locke
studierte, kam dadurch zum Zweifel in diesem Punkt. Er
sagte sich: Wohin will man kommen, wenn man die hoch-
sten Begriffe, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, immer
wieder priifen mufi auf ihre Vernunftigkeit hin? - Er er-
klart in der Einleitung zu seiner «Kritik der reinen Ver-
nunft»: Ich mufite also das Wissen aufheben um zum Glau-
ben Platz zu bekommen. Weil man glauben soli und damit
man glauben kann, hat er das Wissen vom Throne gesturzt.
Er wollte von zweifellosen Grundlagen ausgehen und sagt
daher: das Wissen kann uberhaupt nicht bis zu diesen Din-
gen vordringen, aber das «Du sollst» spricht so streng, dafi
der Einklang, den der Mensch zu finden ohnmachtig ist,
durch Gott mufi bewirkt werden. Das fuhrt dazu, einen
Gott zu postulieren. Wir sind als physische Wesen zwi-
schen Schranken eingeschlossen, miissen aber als morali-
sche Wesen frei sein. Dies gibt einen uniiberbriickbaren
Dualismus, aber keinen Ausgleich zwischen Mensch und
Natur.
Schiller, der seiner Anlage nach damals an dem Gegensatz
zwischen Natur und Menschen festhielt, schildert im «Don
Carlos» das Herauswachsen des Menschen iiber alle Natur
zu den Idealen hinauf. Er stellt nicht die Frage nach dem,
was moglich ist, sondern nur die Frage nach dem: «Du
sollst». Im Carlos ist es nicht eine Kritik des Hoflebens, die
uns Schiller gibt. Diese tritt zuriick hinter praktisch sittli-
chen Postulaten. «Mensch werde so, daft die Gesetze deines
Handelns allgemeine Gesetze der Menschheit werden
konnten», hatte Kant gefordert, - und in dem Marquis
Posa, dem kosmopolitischen Idealisten, stellt Schiller die
Forderung nach der Unabhangigkeit des Ideals von allem,
was aus der Natur herauswachst.
Als «Don Carlos» fertig war, stand Schiller in grofkmog-
lichstem Gegensatz zu der Weltanschauung Goethes und
Herders, und im Anfang seines Lebens in Weimar konnte
sich deshalb keine Annaherung an diese vollziehen. Nun ist
aber Schiller zum Reformator des Kantianismus geworden:
er strebt jetzt zum Monismus, findet aber die Einheitlich-
keit nur auf asthetischem Gebiete: im Problem der Schon-
heit. Er zeigt uns, wie der Mensch sich erst da auslebt, wo
er die Natur heraufadelt zu sich und das Sittliche von oben
in seine Natur aufnimmt. Der kategorische Imperativ
zwingt ihn nicht unter ein Joch, sondern freiwillig dient er
dem, was im «Du sollst» enthalten ist. So stellt sich Schiller
auf seine Hohe, indem er iiber Kant hinauswachst. Er wen-
det sich gegen Kant, der den Menschen nicht zum freien
Wesen, sondern zum Sklaven machen will, gebeugt unter
das Joch der Pflicht. Es wurde ihm klar, dafi im Menschen
etwas ganz anderes lebt, als dieses Beugen unter ein «Du
sollst». In monument alen Satzen kommt zum Ausdruck,
wie er sich dem nahert, was Goethes und Herders Anschau-
ung ausmacht: «Gerne dien' ich den Freunden, doch tu' ich
es leider mit Neigung, und so wurmt es mir oft, daft ich
nicht tugendhaft bin.»
Kant hat das herabgewiirdigt, was der Mensch aus Nei-
gung, was er freiwillig tut, und dagegen was er aus Pflicht
tut, als das Hohere gepriesen. Kant wendet sich in patheti-
scher Apostrophe an die strenge Pflicht, die nichts Verlok-
kendes haben soli. Schiller holt den Menschen aus seiner
Schwache heraus, indem er das Sittengesetz zum Gesetze
seiner eigenen Natur werden lafit. Durch das Studium der
Geschichte, durch aufrichtige Neigung und Hingabe an das
menschliche Leben, kam er zu dem verlorenen Einklang
und damit zu dem Verstandnis Goethes.
Herrlich beschreibt Schiller Goethes Weise in dem denk-
wiirdigen Brief vom 23. August 1794: «Lange schon habe
ich, obgleich aus ziemlicher Feme, dem Gang Ihres Geistes
zugesehen, und den Weg, den Sie sich vorgezeichnet haben,
mit immer erneuter Bewunderung bemerkt. Sie suchen das
Notwendige der Natur, aber Sie suchen es auf dem schwer-
sten Wege, vor welchem jede schwachere Kraft sich wohl
hiiten wird. Sie nehmen die ganze Natur zusammen, um
iiber das einzelne Licht zu bekommen; in der Allheit ihrer
Erscheinungsarten suchen Sie den Erklarungsgrund fur das
Individuum auf.»
Damit war Schiller auf der Hohe angekommen, zu der
er sich entwickeln mufke. War er selbst ausgegangen von
der Zweiheit, so war er jetzt gekommen zu der Einheit
zwischen Mensch und Natur. So kam er zu der Art des
Schaffens, die ihm in der letzten Zeit, seit der Mitte der
neunziger Jahre eigen war, und zur Freundschaft mit
Goethe. Es war eine geschichtliche Freundschaft, weil sie
nicht nur nach Gliick fiir die beiden allein suchte, sondern
fruchtbringend war fiir die Welt, fiir die Menschheit. In
dem, was wir an Goethe und Schiller haben, haben wir
nicht nur Goethe und Schiller, sondern wir haben noch ein
Drittes: Goethe plus Schiller. - Wer den Gang des Geistes-
lebens verfolgt, sieht darin ein Wesen, das nur dadurch ent-
stehen konnte, dafi in der selbstlosen Freundschaft, aus der
gegenseitigen Hingabe, sich etwas entfaltete, was als neues
Wesen iiber der Einzelpersonlichkeit stand. Diese Stim-
mung wird uns den rechten Ubergang zu Goethe und dem,
was er fur Schiller bedeuten sollte, ergeben.
Dritter Vortrag, 4. Februar 1905
Schiller und Goethe
Wir kommen heute zu einem der wichtigsten Kapkel der
deutschen Geistesgeschichte, zu dem Verhaltnis zwischen
Goethe und Schiller. Das Verhalten der beiden ist einzigar-
tig in der Welt. Von verschiedenen Seiten her waren sie ge-
kommen. Von Herder und allem, was ankmipfte an die
Einheitlichkeit des Geistes und der Natur, kam Goethe,
von der Kantischen Philosophic, vom Dualismus, kam
Schiller. Aufierdem waren Goethes und Schillers Naturen
grundverschieden. Nehmen wir Goethes «Faust», wie er
sucht in die Natur einzudringen, wie er sich unbefriedigt
fuhlt, etwas Geistiges in Abstraktionen zu begreifen und
sich bemuht, es unmittelbar aus der Natur zu schopfen.
Fur Schiller war zunachst die Natur etwas Niedriges, das
Ideal war ihm etwas besonderes, was dem Geiste entsprun-
gen war, im Widerspruch mit dem Realen. Beide waren
aufterordentlich tiefe Naturen, die sich deshalb nur schwer
finden konnten. So sehen wir, dafi sich diese beiden grofien
Genien in der ersten Zeit ihres personlichen Begegnens
durchaus nicht verstehen konnen.
Als Schiller nach Weimar kam, fiihlte er sich von dem,
was er von Goethe zu horen bekam, eher abgestoften als
angezogen, auch ein personliches Zusammentreffen konnte
daran nichts andern. So konnte Schiller im Jahre 1788 iiber
«Egmont», diese Frucht reifen Kunststudiums, eine abfalli-
ge Kritik schreiben. Er kann nicht begreifen, wie Goethe
Egmont hingestellt habe nicht als heroischen Schwarmer,
wie es damals in Schillers Sinne gelegen hatte, sondern,
nach seiner Meinung, als eine Art Schwachling, der sich
von den gegebenen Verhaltnissen bestimmen lafit. Auch
«Iphigenie» konnte Schiller damals nicht verstehen.
In einem Punkte begegneten sich Schiller und Goethe.
Schiller hatte in einem Aufsatz iiber Burgers Gedichte sich
dahin ausgesprochen, dafi der Mangel an Idealismus bei
Burger ihn nicht befriedige. Goethe war mit diesem Auf-
satz so einverstanden, dafi er sagte, er mochte gern den Auf-
satz selbst geschrieben haben. Aber es zeigt sich noch, wie
verschieden der Lauf der beiden Geister ist in dem Aufsatz
Schillers iiber «Anmut und Wurde». Es tritt uns in diesem
Aufsatz Schillers ganzes Streben nach Freiheit entgegen. In
dem Notwendigen kann er nicht Anmut finden, ein Natur-
werk kann als anmutig nicht erscheinen; erst beim Kunst-
werk, das ein Symbol, ein Sinnbild der Freiheit ist, konnen
wir von «Anmut» sprechen. Als «Wurde» kann man nur
vom hoheren Geistigen sprechen. In allem zeigte sich Schil-
lers alte Anlage, den Begriff des Idealen als etwas Entgegen-
gesetztes dem Natiirlichen zu fassen.
Auch die Professur in Jena, die Goethe fur Schiller er-
wirkte, ist nicht als ein Freundschaftsdienst aufzufassen.
Dieses Ereignis war fur Schiller von weitgehender Bedeu-
tung. An dem Studium geschichtlicher Charaktere konnte
er einen tiefen Blick in den Entwickelungsgang des Geistes
tun. Auch war ihm die Moglichkeit gegeben, sich einen
Hausstand zu griinden und sich mit Charlotte von Lenge-
feld zu verheiraten. Gerade an der Geschichte konnte Schil-
ler so heranreifen, wie es sein Antrittsthema: «Was heifit
und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?»
bedeutungsvoll ausspricht. So war Schiller immer mehr in
die Wirklichkeit hineingekommen.
Vom Jahre 1790 ab, nach einem Besuche bei Kdrner y der
sich zum Vermittler zwischen den beiden machte, hat wohl
Goethe eine ganz andere Ansicht liber Schiller bekommen.
Doch ihre Freundschaft sollte nicht bestimmt werden
durch die Punkte, in denen sich Sympathien von Alltagsna-
turen finden. Nicht aus personlichen Interessen sollte dies
Biindnis hervorgehen. Nie ware auf diese Art bei der Ver-
schiedenheit ihrer Personlichkeiten ihre Freundschaft so
weltbedeutend geworden.
Es war nach einer Versammlung der Gesellschaft fur na-
turwissenschaftliche Forschung im Jahre 1794 - vermut-
lich im Juli — , als Goethe und Schiller beim Nachhauseweg
in ein Gesprach liber den eben gehorten Vortrag kamen.
Schiller sagte, es sei ihm alles so zerstuckelt vorgekommen,
wie lauter Einzelheiten, worauf Goethe meinte, er konne
sich wohl eine andere Art der Naturbetrachtung vorstellen.
Er entwickelte ihm seine Anschauungen iiber den Zusam-
menhang aller Lebewesen, wie man das ganze Pflanzen-
reich, als in fortwahrender Entwickelung zu betrachten
habe. Mit einigen charakteristischen Strichen zeichnete
Goethe die Urpflanze, die er gefunden, auf ein Blatt Papier.
Aber das ist keine Wirklichkeit, das ist eine Idee - , wende-
te Schiller ein. «Nun, wenn das eine Idee ist», sagte Goethe,
«so sehe ich meine Ideen mit Augen.» So zeigte sich in die-
sem Zusammenstofi beider Denken. Goethe sah den Geist
in der Natur. Das, was der Geist intuitiv erfafit, war fur ihn
ebenso wirklich, wie das Sinnliche; die Natur umschliefit
fur ihn den Geist. Die wahre Grofte im Menschen zeigte
sich nun bei Schiller in der Art, wie er sich bemiihte zu er-
griinden, worauf Goethes Geist fufke. Er wollte den rech-
ten Standpunkt finden. In neidloser Anerkennung dessen,
was ihm so entgegentritt, begnindet Schiller die tiefe
Freundschaft, die nun die beiden verbinden sollte. Es ist
eines der schonsten menschlichen Dokumente der Brief
vom 23. August 1794, den Schiller an Goethe schreibt,
nachdem er sich in Goethes Schaffen vertieft hat. «Lange
schon habe ich, obgleich aus ziemlicher Feme, dem Gang
Ihres Geistes zugesehen, und den Weg, den Sie sich vorge-
zeichnet haben, mit immer erneuter Bewunderung be-
merkt. Sie suchen das Notwendige der Natur, aber Sie su-
chen es auf dem schwersten Wege, vor welchem jede
schwachere Kraft sich wohl htiten wird. Sie nehmen die
ganze Natur zusammen, um liber das einzelne Licht zu be-
kommen: in der Allheit ihrer Erscheinungsarten suchen
Sie den Erklarungsgrund fur das Individuum auf.»
Auf diese Weise hat Schiller, nachdem er ihn erkannt hat-
te, Goethe gewiirdigt. Es gibt keine tiefere psychologische
Schilderung Goethes. So ist es bis zu dem Tode Schillers ge-
blieben: unanfechtbar war diese Freundschaft, obwohl
Neid und Mifigunst die beiden mit den niedrigsten Mitteln
zu trennen versuchten. Jetzt arbeiteten sie so zusammen,
dafi der Rat des einen auf den anderen stets befruchtend
wirkte. Schiller findet in einer Grofie, die heute noch nicht
ubertroffen ist von andern Asthetikern, indem er sich fragt:
«Wie vertragt sich dieser oder jener Begriff mit dem Geist e
Goethes?», eine Darstellung der verschiedenen Arten des
kunstlerischen Schaffens, die er in seiner Abhandlung Uber
«Naive und sentimentale Kunst» niederlegt. Naiv schafft
der Kunstler, der noch im Zusammenhange steht mit der
Natur, der selbst noch Natur in der Natur ist. So schufen
die Griechen. Sentimental schafft derjenige, der sich wieder
zuriicksehnt zur Natur, nachdem er aus ihr herausgerissen
war. Es ist dies das Wesen der modernen Kunst.
Es liegt etwas Grofies in der Art, wie die Kunst von den
Freunden aufgefafk wurde. Eine uralte Lehre, die in der
orient alischen Weisheit fortlebt, von dem Verganglichen
aller Erscheinung, von dem Schleier der Maja, spricht sich
hier aus. Nur derjenige Mensch lebt in der Wirklichkeit,
der sich liber die Illusion erhebt in die Region des Geistes.
Die hochste Wirklichkeit ist nichts Aufierliches. Alles
drangte die beiden auf eine innerliche Wirkung. Zwar
hatte Goethe seinen Faust sagen lassen: «Im Anfang war die
Tat.» Doch in Deutschland waren damals die Verhaltnisse
noch nicht so weit, um, wie in Frankreich, aufiere Wirkun-
gen zu schaffen; nur die Sehnsucht nach Freiheit gab es. So
suchten diese Geister ihre Taten im Gebiete des Schonen,
im Kunstwerk. Hineingestellt sollte werden ein Abglanz
der hoheren Wirklichkeit, der Natur in der Natur, in das
Leben, durch den schonen Schein.
Goethes «Wilhelm Meister» steht in diesem Zeichen. Im
«Wilhelm Meister» soil hinausgefuhrt werden uber das Illu-
sionare in der Alltaglichkeit zu der Vollendung der Person-
lichkeit. So wird «Wilhelm Meister» zum schonsten Erzie-
hungsroman, dem Schillers Worte als Motto gelten konn-
ten: «Nur durch das Morgenrot des Schonen dringst du in
der Erkenntnis Land.» Der Geist, aus dem wir handeln, ist
das Hochste. Es war nicht moglich, in jener Zeit zu zeigen,
dafi aus dem Innern heraus die spirituelle Welt des Geistes
geboren wird. So wurde im «Wilhelm Meister» zunachst
die Befreiung der Welt durch kiinstlerische Schonheit
geschildert.
Die fortdauernde Mitarbeit, die Ratschlage Schillers, hal-
fen das persdnliche Moment im «Wilhelm Meister» heraus-
schalen. Wir sehen hier auf der einen Seite dasjenige, was
man als die tiefere Ursache des Menschen zu betrachten
hat, was eine neuere Geisteswissenschaft den Ursachenleib
nennt; auf der anderen Seite die aufferen Einwirkungen.
Nichts entwickelt sich, was nicht im Keime vorhanden
ware, aber es wird durch die aufieren Einwirkungen beein-
flufk. Dieses Zusammenwirken zeigt sich in Schillers
schopferischer Tatigkeit. Seine Balladen, sein Wallenstein,
waren nicht moglich gewesen, hatte Goethes Einflufi nicht
befruchtend gewirkt. Es war eine Art von Bescheidenheit,
mit der sich die beiden gegeniiberstanden, in der eine unge-
heure Grofte liegt. Sie wurden eigentlich erst ein Ganzes
durch die Erganzung ihrer beiden Naturen, durch die aber
auch ungeheuer Groftes zustande kommen konnte.
Die tiefe und starke Freundschaft machte es, daft alles
Philistrose sich gegen sie aufbaumte. Die beiden wurden
von Neid und Mifigunst verfolgt, denn noch niemals hat
das Kleine die Grofte verstehen konnen. Heute glaubt man
kaum mehr, welche Angriffe von der Kleinheit auf diese
Grofien losgelassen wurden. Die «Annalen fiir Philoso-
phie» zum Beispiel sprachen wegwerfend von ihnen; ein ge-
wisser Manso bezeichnete sie als «Sudelk6che von Weimar
und Jena... » Wehren mufiten sie sich gegen all diese Angrif-
fe, und es ist ein schones Denkmal ihrer Freundschaft, was
sie in den «Xenien» im Jahre 1796 gaben. Bei diesen Disti-
chen, in denen sie an all denen, die sich an ihnen und dem
guten Geschmack vergingen, ein weltgeschichtliches Straf-
gericht vollzogen, ist nicht immer zu unterscheiden, wel-
che von Goethe und welche von Schiller herruhren. Ihre
Freundschaft sollte sie als eine Person erscheinen lassen. An
dem Beispiel Schillers und Goethes konnen wir wahrneh-
men, wie Grofte sich des Alltags zu erwehren weift, und
wie Freundschaft, die im Geistigen ruht, sich wahrhaft
tragt und erhebt.
Und Wahrheit suchten sie beide: Schiller zunachst im
Herzen des Menschen, Goethe in der ganzen Natur.
Vierter Vortrag, 11. Februar 1905
Schillers Weltanschauung und sein Wallenstein
Von Schillers Weltanschauung kann man mcht in dem Sin-
ne sprechen wie von der philosophischen Weltanschauung
anderer Menschen, denn sie ist in einem fortwahrenden
Flusse, in stetigem Aufsteigen. Kleine menschliche Person-
lichkeiten haben es leicht, zu einer Weltanschauung zu
kommen. Grofiere konnen sehr schwer sich durchringen.
Dies kommt daher, weil eine kleine Personlichkeit nicht
imstande ist, die grofien Ratsel zu durchschauen. Fur den
Grofteren stellt sich mit jeder Lebenserfahrung ein neues
Ratsel ein; es modifiziert auf einer neuen Grundlage die
Anschauung, die neu gestaltet werden mufi. Diese Sache
hat Goethe bis zu seinem Lebensende durchgemacht und
auch Schiller ging es so. Gerade Schiller hat es ausgespro-
chen, dafi er im Grunde nur einen kleinen Umkreis des
eigenen Werdens kannte, aber sein Geist arbeitete fort-
wahrend an einer Vertiefung, einer Harmonisierung dieses
seines Begriffs- und Lebenserfahrungsvorrats. Geradezu
charakteristisch ist, wie Schiller Gesprache fiihrte. Darin
war er ein Gegenpol von Herder, und ein gewisses Licht
fallt auf Schiller durch diese Gegeniiberstellung.
Wenn Herder in Gesellschaft von Leuten war, die sich
dafur interessierten, entwickelte er seine Anschauungen;
selten wurde ein Einwand gemacht; er stand so fest, so klar,
dafi er im dialektischen Gesprach nicht hatte eine Frage
weiter bringen wollen. Ganz anders war es bei Schiller; bei
ihm wurde jedes Gesprach lebendig: er nahm jeden Ein-
wand auf, jedes Thema wurde angeschlagen, und dadurch
brachte er das Gesprach auf alle moglichen Seitenpfade, al-
les wurde von alien Seiten beleuchtet. Im Gesprach driickt
sich am schonsten aus - in dem Leben, welches Schiller im
personlichen Verkehr umflofi - , wie seine Anschauungen
im ewigen Flusse waren. Wir haben hier dasselbe Streben
nach Wahrheit, das Lessing in den Worten zum Ausdruck
brachte: «Wenn Gott vor mir stiinde, in der einen Hand die
voile Wahrheit, in der andern das Streben nach der Wahr-
heit, so wiirde ich ihn bitten: Herr, gib mir das Streben
nach der Wahrheit, denn die voile Wahrheit ist wohl nur
fur Gott allein da.»
So sehen wir, wie Schiller durch alle Perioden seines Le-
bens hindurch in einem fortwahrenden Streben nach hohe-
rer Weltanschauung begriffen ist; wie er, als er zur Profes-
sur nach Jena ging, genotigt war, seine Ideen lebendig zu
machen; wie er rang, die grofien Krafte, die in der Welt
wirkend sind, zu erfassen und in lebendigem Vortrage
fruchtbar zu machen.
Die geschichtsphilosophischen kleineren Aufsatze zeigen
uns, wie er mit diesen Ideen rang. Aufier dem schon er-
wahnten Vortrag: «Was heifit und zu welchem Ende stu-
diert man Universalgeschichte?» - versuchte er die Bedeu-
tung eines solchen Gesetzgebers wie Moses zu charakteri-
sieren. Dann behandelt er die Zeit der Kreuzziige; und es
gibt vielleicht nichts Schoneres und Interessanteres als die
Art, in der Schiller die Besitz- und Lehnsverhaltnisse des
Mittelalters schildert. Die grofien Freiheitskampfe der Nie-
derlande werden so erfalk, dafi man daran lernen kann, wie
die Geschichtsentwickelung innerlich vor sich geht. Dann
die Geschichte des Dreifiigjahrigen Kriegs, in der ihn schon
vor allem die Figur des Wallenstein fesselt, die ihm den
Menschen mit dem Gesetz des Willens in sich selbst zeigt,
fest in seiner Person, aber mit kleinlicher Ehrsucht behaf-
tet, schwankend in seinen Zielen, und, voll von unklaren
Begriffen, iiber Sterndeutung griibelnd. Spater versucht er
dichterisch diese Figur zu entratseln. Doch vorher sucht
Schiller sich noch zu klaren durch philosophische Studien
in Kants Werken. Nicht unvorbereitet trat Schiller auch als
Philosoph an den Kantianismus heran. Es war damals et-
was in ihm, das nur durch die Anlehnung an Kant heraus-
kommen konnte,
Man mufi diesen Punkt in Schillers Wesen tief fassen, um
seine grofie Personlichkeit recht verstehen zu konnen. Es
gibt eine Reihe von Briefen, «Philosophische Briefe» zwi-
schen Julius und Rafael: die Philosophic, die er da entwik-
kelt, ist etwas, was ihm eingeboren ist. Das Weltbild, das er
sich gebildet hat aus seiner tiefen Personlichkeit heraus,
stellt der dar, welcher Julius heilk, wahrend wir uns in Ra-
fael einen Mann charakterisiert denken miissen, wie seinen
Freund Korner, der zu einer gewissen Abgeschlossenheit
gekommen ist, wenn auch nicht in so tiefer Weise. Denn
im Leben erscheint der Geringere oft als der Klugere, Uber-
geordnete, gegemiber dem Hoherstrebenden, Ringenden.
Der Ringende, der aber hier noch in Disharmonien unbe-
friedigt lebt, entwirft in der «Theosophie des Julius» sein
Weltbild etwa in folgender Weise: «Alles in der Welt ent-
stammt einem geistigen Urgrunde. Auch der Mensch ist zu-
nachst hervorgegangen aus diesem Urgrund; er ist ein Zu-
sammenflufi aller Krafte der Welt. Er wirkt wie ein Aus-
zug, wie eine Vereinigung alles dessen, was in der Natur
ausgebreitet ist. Alles Dasein aufier ihm ist nur Hierogly-
phe einer Kraft, die ihm ahnlich ist. Im Bilde des Schmet-
terlings, der sich aus der Raupe neu verjiingt in die Luft er-
hebt, haben wir ein Bild der menschlichen Unsterblichkeit.
Nur, wenn wir uns erheben konnten zu dem Ideal, das uns
eingepflanzt ist, konnten wir zur Befriedigung gelangen.»
Er nennt dieses Weltbild «Theosophie des Julius». Die Welt
ist ein Gedanke Gottes; alles lebt nur in der unendlichen
Liebe Gottes; alles in mir und aufter mir ist nur eine Hiero-
glyphe des hochsten Wesens. Wie Goethe in seinem Prosa-
hymnus an die Natur es ausgedriickt hatte, dafi der Mensch
ungefragt und ungewarnt in den Kreislauf des Lebens
durch die Natur gestellt sei, dafi sie selbst in ihm rede und
handle, so kommt Schiller in gewisser Weise in dieser
Theosophie des Julius zu einem ahnlichen Standpunkt.
Aber er fiihlt sich zunachst unbefriedigt: nur ein Gott
konnte von einem solchen Standpunkt aus die Welt be-
trachten, meint er, Kann denn wirklich die Menschenseele,
die so klein und beschrankt ist, mit einem solchen Bilde
der Welt leben?
Aus dem Kantianismus hat Schiller nun zunachst ein
neues Weltbild gewonnen, das bis zur Mitte der neunziger
Jahre vorhalt. Das Weltratsel ist ihm zum Menschenratsel
geworden; das Problem der Freiheit ist es zunachst, das
ihn beschaftigt. Die Frage tritt vor seinen Geist: Wie kann
der Mensch seine Vollkommenheit erlangen?
Am reinsten und schonsten tritt uns hier Schillers Welt-
anschauung in den «Asthetischen Briefen» entgegen: Auf
der einen Seite ist der Mensch seiner niederen Natur, seinen
Trieben unterworfen; die Natur ist hier Notwendigkeit in
den Sinnendingen, die auf ihn einsturmen. Auf der anderen
Seite liegt im Denken des Menschen die geistige Notwen-
digkeit; da ist die Logik, der er sich unterwerfen mufi. Er ist
Sklave der Naturnotwendigkeit und zugleich Sklave der
Vernunftnotwendigkeit. Kant antwortet auf diesen Wider-
spruch mit einer Herabdriickung der Naturnotwendigkeit
gegeniiber der geistigen Notwendigkeit. Schiller erfaftte in
ganzer Tiefe die Kluft zwischen Natur- und Vernunftnot-
wendigkeit. Er sah hier ein Problem, das iiber alle mensch-
lichen Verhaltnisse sich ausbreitet. Die Gesetze, die die
Menschen regieren, sind teils hergenommen aus der Natur-
notwendigkeit, aus den dynamischen Kraften, die in den
Menschen wirken; teils aus der moralischen Ordnung,
die sie in sich tragen. Disharmonie, Unterdriickung muB
daraus folgen. So haben wir den dynamischen Staat und
den moralischen Staat; beide wirken als eine eiserne Not-
wendigkeit.
Derjenige Mensch nur kann sich frei nennen, der sich die
ehernen Gesetze der Vernunft und Logik so zu eigen ge-
macht hat, daft er ihnen ohne Zwang folgt, der so weit sein
sittliches Gefuhl gelautert hat, daft er gar nicht anders
kann, als das Reine wollen, weil seine Neigungen sich hin-
auforganisiert haben zum geistigen Leben. Der Mensch, der
die Vernunftgesetze heruntergeholt hat in die Triebe und
Neigungen der Seele, und die menschlichen Leidenschaften
heraufgeholt zur Erkenntnis der moralischen Ordnung,
der wird die dynamischen Gesetze so beherrschen, daft
Harmonie entsteht zwischen seinen Trieben und der Ver-
nunft. Schiller nennt die Stimmung, in der der Mensch sich
befindet, der seine Triebe so gereinigt hat, die asthetische
Stimmung, und den Staat, in dem solche Menschen wirken,
die asthetische Gesellschaft. Der Mensch mufi verwirk-
lichen, was ihm als seine hochste Wiirde erscheint.
In der Theosophie des Julius hatte Schiller ein ideales
Weltbild aufgestellt. Eine Erziehung zu dem Ideal ist es,
was Schiller vom Menschen und von der menschlichen Ge-
sellschaft verlangt. Entwickelung ist es, was Schiller den
Menschen vorhalt.
Das driickt sich aus in dem Gedichte: «Der Spaziergang».
Nicht als etwas Erreichtes erscheint ihm die Harmonie der
Welt, sondern als ein Entwickelungsziel. Schon erscheint
ihm die ewige Harmonie der Natur, aber als etwas, was
auch der Mensch in sich erstreben sollte. Es mufi das Ideal
des Menschen werden, dafi ein Zustand herbeigefuhrt wer-
de, wo die Menschen in solcher Harmonie dahinleben, wie
sie in der Natur vorbildlich sich uns zeigt. Was Schiller frii-
her angestrebt hatte als Inhalt der Erkenntnis, wurde ihm
jetzt sittlich-asthetisches Ideal. Jetzt, unter dem Einflufi
Goethes, wurde er wieder zum Dichter: so glaubte er am
besten zeigen zu konnen, wie der Geist des Menschen in
Entwickelung begriffen ist, wie die verschiedenen Krafte in
ihm zusammenwirken, wie er von den Tiefen zu den
Hohen strebt.
In einer ganz bedeutsamen Weise hat er im «Wallenstein»
sein ureigenes Problem dichterisch hingestellt. Schwer ist
es ihm geworden, die Menschennatur darzustellen, schwe-
rer wie kleineren Naturen. Nicht aus abstrakten Ideen her-
aus hat Schiller seine Gestalten geschaffen und dann erst
gleichsam zu seinem Gedankenskelett das Fleisch gesucht,
wie man vielfach behauptet hat. So war es nicht bei seinen
Gestalten, so war es vor allem nicht beim «Wallenstein».
Schiller ging aus von einer innerlich musikalischen Stim-
mung, wie er es nannte, nicht von Ideen. Gleichsam in Me-
lodien ergoft sich in sein Inneres der Strom der im Men-
schen verwickelten Krafte, die sich losten in Harmonie
oder untergingen in Disharmonie. Dann suchte er die Ge-
danken, die Charaktere, die einzelnen Stimmungen. So
standen ihm vor Augen die kontrastierenden Seelenkrafte
Wallensteins, die diesen mit Notwendigkeit zu einer gro-
fien Katastrophe fuhren. - Man kann leider diese Stim-
mung nicht anders als mit gedanklichen Mitteln wiederge-
ben. - Es gibt eine auf sich selbst gebaute Personlichkeit,
die tragisch zugrunde geht. Tragisch in wahrem Sinne aber
wirkt sie nur, wenn sie an sich selbst scheitert. Was Hebbel
als notwendige Voraussetzung des Tragischen fordert, «dafi
es so hat kommen mussen», daft nichts tragisch sein konne,
was auch in anderer Weise hatte getan werden konnen;
wie intuit iv ist diese Ansicht von Schiller erfafit worden,
obgleich er sie nocht nicht ausspricht!
Aber Schiller steht unter dem Einflusse noch einer an-
dern tragischen Idee, die sich nicht auflosen lalk, die vor al-
lem in der Person des Wallenstein selbst zum Ausdruck
kommt. Es ist das Bewufitsein, dafi in das Menschenleben
etwas Hoheres hineinspielt, das in diesem Rahmen nicht zu
losen ist. Erst am Ende der Welt, wenn die Menschen zur
Vollkommenheit gelangt sein werden, wird der Blick des
Menschen so sein Schicksal uberschauen konnen. Bis dahin
werden immer Irrtumer sein mussen, etwas Unlosbares,
fur das Wallenstein in den Sternen eine Losung sucht, das
etwas Imponderables im eigenen Herzen ist. Fest vorherbe-
stimmt glaubt Wallenstein in den Sternen sein Geschick zu
lesen und mufi nun sehen, wie Octavio ihn, entgegen dem
Sternenorakel, betriigt. Doch die Freiheit des Menschen
bleibt das Hochste; eine innere Notwendigkeit lalk ihn in
den Sternen die Losung suchen: er steht vor einem neuen
Ratsel, die Sterne haben ihm gelogen. Doch nein, die Sterne
konnen nicht liigen: Der Mensch, der gegen die heiligsten
Gesetze des Gefiihls und Herzens verstofk, er bringt die
Harmonie der Sterne in Unordnung. Es kann keine Ord-
nung in der Natur geben, die den Gesetzen des menschli-
chen Geistes widerspricht. Wer in dieser Weise den Cha-
rakter Wallensteins betrachtet, wird Schillers eigene Person
in tiefer Bedeutung durch die Person Wallensteins hin-
durchblicken sehen.
Ins Auge schauen wollte Schiller dem Widerspruch der
Welt und zeigen, wie man mit diesem Widerspruch lebt. Es
mufi eine Wahrheit in der Welt sein, sagt er sich, und diese
hat er gesucht, wie er es schon in dem Briefe des Julius tut.
Der Widerspruch liegt in den einzelnen Erscheinungen.
Schiller kommt hier zu der Erkenntnis dessen, was die
alten Inder und andere Weise als Illusion erkannten. In
der Wahrheit wollte er leben, und er betrachtete die Kunst
als ein Tor, durch welches der Mensch wandeln mufi, um
ins Morgenrot der Schonheit und Freiheit zu gelangen. In
dem Gedichte «Die Kiinstler» fordert er es geradezu von
den Kunstlern, sich hinzustellen auf den Weltenplan und
mitzuschaffen an der Verwirklichung des Ideals. So ruft
er ihnen zu: «Der Menschheit Wiirde ist in eure Hand
gegeben. Bewahret sie!»
Funfter Vortrag, 18. Februar 1905
Schiller, das griechische Drama und Nietzsche
Es ist die Zeit, in der Schiller den «Wallenstein» geschrie-
ben hat, fur ihn eine Zeit des Ubergangs, eine Zeit der Lau-
terung gewesen, in der er versuchte aufzusteigen aus seiner
fruheren Weltanschauung zu der Erfassung dessen, was er
das rein Kunstlerische nannte. Wir haben gesehen, wie
Schiller versuchte, im Schonen, Kiinstlerischen etwas zu se-
hen, was die menschlichen Seelenkrafte zu erheben, in Har-
monie zu bringen vermag, so daft es das kiinstlerische
Schaffen ist, was dem Menschen die Freiheit gibt. So war
ihm, wie er an Goethe gelegentiich des «Wilhelm Meister»
schrieb, der Kiinstler einzig der ganz wahre Mensch, und
der Philosoph nur eine Karikatur neben ihm. Es war dies
eine radikale Wendung, die wiedergab, was Schiller damals
empfunden hatte.
In «Fiesco», in «Kabale und Liebe», in «Don Carlos» sind
die Figuren so aufzufassen, daft ihm einige sympathisch, an-
dere antipathisch sind. Diese moralische Beurteilung, diese
moralische Wertung wollte er ablegen auf der Hohe seiner
Kiinstlerschaft. Jetzt wollte er den Verbrecher mit dersel-
ben Liebe und Sorgfalt wie den Helden behandeln; nicht
mehr sollte das Kunstwerk ankniipfen an etwas, was er
selber als Sympathie oder Antipathie empfand.
Als man gegen den «Wilhelm Meister» den Vorwurf er-
hob, daft mehr ere Figuren gegen das moralische Gefuhl
verstieften, schrieb er an Goethe etwa: «K6nnte (man)
Ihnen zeigen, daft das nicht Moralische aus Ihnen und nicht
aus den Figuren stammt, so konnte man Ihnen einen Vor-
wurf machen.» Ihm ist der Wilhelm Meister eine Schule der
Asthetik.
Schiller, der die menschliche Personlichkeit in ihrer
Autonomic geschaut hatte, versucht sich aufzuschwingen
zur Sonnenhohe echten Kiinstlertums. Daher ergibt sich
eine neue Art des Anteils des Kiinstlers an seinen Schopfun-
gen. Wir sehen sie schon im «Wallenstein». Nicht mehr
sollte er personlichen Anteil haben, nicht mehr wollte er
moralisch urteilen und werten, sondern nur als Kiinstler.
Es erinnert diese Auffassung an ein Gesprach Schillers
mit Goethe, in dem sie Betrachtungen liber Architektur an-
gestellt haben. In diesem hat Goethe ein tief bedeutendes
Wort gesprochen, das zunachst etwas paradox klingen
konnte. Goethe hat verlangt von einem schonen Gebaude,
dafi es nicht nur auf das Auge, sondern auch auf den, der
mit verbundenen Augen hindurchgefiihrt wiirde, einen
harmonischen Eindruck mache. Wenn alles Sinnliche aus-
geloscht ist, kann ein Hineinversetzen mit dem Geiste
moglich sein.
Nicht Zweckmafiigkeit: Idealitat des Geistes war, was
hier gefordert wurde. Paradox erscheint diese Forderung
auf den ersten Augenblick: sie war herausgeschaffen aus der
hohen Kunstanschauung Goethes und Schillers. Es bildete
sich um sie ein Kreis von Kiinstlern, die ahnlich urteilten.
So Wilhelm von Humboldu ein feiner Kenner der Kunst,
dessen asthetische Abhandhingen bedeutsam sind fiir das
geistige Milieu. Schiller wurde dadurch gefuhrt zu einer
Kollision mit seinen frixheren kiinstlerischen Anschauun-
gen und mit dem Kantianismus, der im Grunde das Uber-
sinnliche nur dort gelten lassen wollte, wo Moralisches in
Frage kommt. So aber kann kein Kunstler sehen; beim Zu-
ruckkehren zum Kiinstlerischen geniigt Schillern Kant
nicht mehr. Schillers Auffassung des tragischen Konflikts
war diejenige, die spater Hebbel formulierte, indem er sag-
te, nur das sei tragisch, was unabanderlich sei. So empfand
Schiller; so hatte er es im «Wallenstein» auszufuhren ver-
sucht, so wollte er das Tragische darstellen. In Shakespeares
«Richard sah er das Schicksal mit solcher Unabander-
lichkeit hereinbrechen. Doch schon hatte er eine Vorliebe
fiir das griechische Drama gefafk. Im Shakespeare-Dra-
ma steht die Person des Helden im Mittelpunkt; aus dem
Charakter des Helden ergibt sich die Notwendigkeit der
Entwickelung.
Ganz anders ist es im griechischen Drama. Dort ist alles
schon vorherbestimmt, alles fertig. Der Mensch wird hin-
eingestellt in eine hohere geistige Ordnung, aber zugleich,
weil er ein Sinnenwesen ist, wird er von ihr zermalmt.
Nicht der Charakter, die Personlichkeit, sondern das iiber-
menschliche Schicksal ist das Bestimmende. So sind die
Erinnyen der griechischen Tragodie urspriinglich nicht Ra-
chegottinnen, sondern bedeuten eigentlich das Dammern-
de, das, was sich nicht ganz auflosen lafit, was hineindam-
mert in des Menschen Schicksal. Bei der Ruckkehr zur
Kiinstlerschaft kam Schiller zu dieser Auffassung des Tragi-
schen. Wer das Tragische in solcher Weise empfinden will,
mufi das Personliche eliminieren, herauslosen aus dem nur
Menschlichen. Erst so wird man den « Wallenstein* recht
verstehen. Hinausgewachsen iiber die Personlichkeit,
schwebt etwas Uberpersonliches iiber Wallenstein. Daft
der Mensch einer hoheren Ordnung, einer hoheren geisti-
gen Welt angehort, das ist fur Schiller die Bedeutung der
Sterne, die des Menschen Schicksal lenken. Dort in den
Sternen soil Wallenstein sein Schicksal lesen.
Auf diese Uberpersonlichkeit deutet Carlyle hin, wenn er
in Wallensteins Lager in dem Charakter der einzelnen Per-
sonlichkeiten einen Parallelismus findet, der iiber sie hin-
aus zu den Personlichkeiten der Fiihrer hinspielt: so weist
der irische Dragoner, der dem Spiel des Kriegsgliicks ver-
traut, auf seinen Chef Buttler; der erste Kurassier, der die
edlere Seite des Kriegslebens darstellt, auf Max Piccolomi-
ni; der Trompeter in seiner unbedingten Ergebenheit auf
Terczky; wahrend der Wachtmeister, der die Ausspriiche
seines Feldherrn pedantisch zitiert, als eine Karikatur des
Wallenstein erscheint.
So sehen wir hier eine grofie Gesetzmafiigkeit, die iiber
das bloft Personliche hinausgeht. Die ganze Komposition
des Gedichtes beweist den Standpunkt, den Schiller er-
klommen zu haben glaubte. Wir haben erstens das Lager,
wo Wallenstein gar nicht auftritt, zweitens die Piccolomi-
ni, wo Wallenstein eigentlich gar nicht eingreift, er erfahrt,
was geschehen ist, durch Max Piccolomini, und von seiner
Frau hort er, was am Wiener Hofe vor sich geht. Er lafit es
geschehen, dafi seine Generale sich verbinden, das beriihm-
te Dokument unterzeichnen. Um ihm herum spielt die
Handhing sich ab. So wird auch der Gedanke des Verrats
nur spielend von ihm gefafit, der sich dann seiner Seele be-
machtigt. Drittens Wallensteins Tod. Jetzt ist Wallenstein
in die Ereignisse gedrangt durch die eigenen Gedanken, die
ein objektives Leben angenommen haben, hineingedrangt
in ein iiberpersonliches Schicksal. Eine monumentale Spra-
che kennzeichnet diese Situation. Hineingestellt ist er in
eine eherne Notwendigkeit; das Personliche, das mit den
grofien Linien nichts Besonderes zu tun hat, ist in den
Winkel gedrangt. Wohl findet es auch erschiitternde Tone,
wie in dem Gesprach mit Max Piccolomini.
Wallenstein (hat den Blick schweigend auf ihn geheftet und nahert sich
ihm jetzt):
Max, bleibe bei mir. - Geh nicht von mir, Max!
Sieh, als man dich im Prag'schen Winterlager
Ins Zelt mir brachte, einen zarten Knaben,
Des deutschen Winters ungewohnt, die Hand
War dir erstarrt an der gewichtigen Fahne,
Du wolltest mannlich sie nicht lassen, damals nahm ich
Dich auf, bedeckte dich mit meinem Mantel,
Ich selbst war deine Warterin, nicht schamt' ich
Der kleinen Dienste mich, ich pflegte deiner
Mit weiblich sorgender Geschaftigkeit,
Bis du, von mir erwarmt, an meinem Herzen
Das junge Leben wieder freudig fuhltest.
Wann hab* ich seitdem meinen Sinn verandert?
Ich habe viele Tausend reich gemacht,
Mit Landereien sie beschenkt, belohnt
Mit Ehrenstellen - dich nab' ich geliebt,
Mein Herz, mich selber nab' ich dir gegeben.
Sie alle waren Fremdlinge, du warst
Das Kind des Hauses - Max, du kannst mich nicht
verlassen!
Es kann nicht sein, ich mag's und will's nicht glauben,
Dafi mich der Max verlassen kann.
Aber es greift nicht eigentlich in die Handlung ein. Das
grofie Tragische und das Personliche auseinanderzuhalten,
wie hier geschieht, darzustellen, wie Wallenstein gar nicht
anders kann als zur Tat zu schreiten, nachdem er die Ge-
danken hat frei urn sich her spielen lassen, das ist das Grofie
in diesem Drama Schillers. Wie aus der Freiheit eine Art
Sonne der Notwendigkeit wird, zeigt er uns hier. In dieser
ganzen Gedankenrichtung liegen Gegenwartsbegriffe, die
nur angefacht zu werden brauchen, um fruchtbar zu
werden.
In derselben Art ist auch das nachste Drama «Maria
Stuart» gedacht. Es ist im Grande anfangs schon alles ge-
schehen, und nichts vollzieht sich als nur das, was langst
vorbereitet ist. Nur der Charakter, das innere Leben ent-
rollt sich vor uns, und dies innere Leben wirkt wieder als
Notwendigkeit.
In den spateren Dramen hat Schiller versucht, das Schick-
salsmafiige immer mehr auszugestalten. So wird in der
«Jungfrau von Orleans» etwas Uberpersonliches zum Aus-
druck gebracht, in den Visionen, wo ihr Damonisches ent-
gegentritt, das sie zu ihrer Sendung beruft und sich ihr ent-
gegenstellt, als sie dem Gebot untreu geworden ist, bis sie
es durch Bufie versohnt.
In der «Braut von Messina» versucht er geradezu der
griechischen Tragodie wieder Eingang ins moderne Leben
zu verschaffen. Er driickt hier das Uberpersonliche durch
Einfiihrung des Chores aus. Was wollte Schiller mit dem
Chor? Er blickte zuriick auf den Ursprung der Tragodie,
die entstanden ist aus der Religion. In dem Urdrama wurde
gezeigt, wie Dionysos, der leidende Gott, in der Mensch-
heit wieder erlost wird. - Spatere Forschungen haben zu
dieser Wahrheit gefiihrt. - Als das griechische Mysterien-
drama verweltlicht wurde, entstanden die ersten Anfange
der dramatischen Kunst. So tritt uns bei Aschylos noch ein
Anklang an das entgegen, aus dem die Kunst hervorgegan-
gen war, an die Mysterienkulte, in denen das Weltendrama
der Weltenerlosung dargestellt wurde. Edouard Schure hat
diese Eleusinischen Mysterien in seinen «Sanctuaires
d'Orient» dargestellt, eine erste Art religios-kunstlerischer
Losung des Weltenratsels. Die weltumspannenden Hand-
lungen dieses Urdramas finden in der Sprache nicht das ge-
eignete Instrument; diese ist der Ausdruck der personlichen
Beziehungen. Als das Drama zum Wort uberging, behan-
delte es die mehr personlichen Beziehungen, so bei So-
phokles, bei Euripides. Vom Typischen war man zur Dar-
stellung des Personlichen gekommen. Das alte Drama ver-
wendete daher eine uberpersonliche Sprache, etwas was der
Musik angeahnelt war. Sie ging von dem Chor aus, der die
mimisch dargestellte Handlung begleitete. So hat sich aus
dem musikalischen Drama das spatere Wortdrama entwik-
kelt. Friedrich Nietzsche hat diesen Gedanken weiter ausge-
fuhrt in seiner Schrift «Die Geburt der Tragodie aus dem
Geiste der Musik». Ihm ist das Wortdrama eine Art von
Dekadenzwerk. Daher seine Verehrung fiir Wagner, der
eine neue religiose Kunst schaffen wollte, herausgeboren
aus der mythischen Welt. Richard Wagner begeisterte sich
nicht fur das Personliche, sondern fiir das Uberpersonliche.
Er nimmt daher zur Grundlage seiner Dramen nicht histo-
rische, sondern mythische Handlungen, und da, wo es gilt
Uberpersonliches darzustellen, verwendet er nicht die ge-
wohnliche Sprache, sondern die musikalisch gehobene.
Schiller hat das, was man spater erforschte, vorausge-
fiihlt, und in diesem Sinne die griechische Tragodie entwik-
kelt. Er wollte ein lyrisches Element einfuhren, um, wie er
es in der Vorrede erwahnt, durch die Stimmung die Kunst
auf eine besondere Hohe zu heben. So ist, was in dem Wag-
ner- und Nietzschekreis sich in radikaler Form abgespielt
hat, schon bei Schiller vorhanden; nur wird es dort nicht in
so abgeklarter Weise behandelt, wie es von ihm geschieht.
Es lebt schon in Schiller der grofte Gedanke, die Mensch-
heit wieder zu dem Quell zu fuhren, dem das Geistige ent-
sprungen ist, die Kunst zuriickzufuhren auf den heimi-
schen Urgrund, aus dem die Religion, Kunst und Wissen-
schaft hervorgegangen sind. Es konnte ihm die Schonheit
das Morgenrot der Wahrhek sein. Auch heute noch wer-
den wir in Schiller finden, was uns hinweist auf das Beste,
was wir fur die Gegenwart und Zukunft erhoffen. So kann
Schiller heute als ein Prophet einer besseren Zukunft uns
vorangehen.
Sechster Vortrag, 25. Februar 1905
Schillers spdtere Dramen
Wir haben gesehen, wie Schiller bei jedem seiner spateren
Dramen immer von neuem versucht hat, das Problem des
Dramatischen zu losen. Es hat etwas Erhebendes, zu sehen,
wie Schiller nach jedem neuen groften Erfolge - und es
waren aufierordentliche Erfolge, Anerkennungen der Be-
sten seiner Zeit, wenn es auch an Anfeindungen nicht fehl-
te -, es hat etwas besonders Erhebendes, zu sehen, sagte
ich, wie er versucht, mit jedem neuen Drama eine hohere
Etappe zu erklimmen.
Alle seine spateren Dramen, «Tell», die «Braut von Mes-
sina», die «Jungfrau von Orleans*, «Demetrius», sie sind
lauter Versuche, dem Problem des Dramatischen und Tra-
gischen in einer neuen Form beizukommen. Niemals hatte
er sich zufrieden gegeben in dem Glauben, die Psychologie
ausgeschopft zu haben. In der «Maria Stuart» haben wir ihn
das Problem des Schicksals behandeln sehen, eine vollende-
te Situation schaffend, in der nur die Charaktere sich abrol-
len. Noch tiefer stieg er in der «Jungfrau von Orleans» hin-
unter in die Menschenseele. Er wufke einen tiefen Griff zu
tun in die Menschheitspsychologie, das Problem in der Art
begriindend, wie Hebbel es dargestellt hat, als er sagte, dafi
das Tragische auf etwas sich beziehen mufi, das in einer ge-
wissen Weise irrationell ist. So haben wir in der «Jungfrau»
das Hineinspielen von dunklen Seelenkraften: sie ist eine
Art von Somnambule, steht unter dem Einflusse dessen,
was man damonisch nennen kann, wird dadurch weiterge-
tragen. Hoch iiber dem Menschlichen soil sie stehen, nur
dadurch, dafi sie Jungfrau ist, hat sie das Recht, wie ein
Wiirgeengel durch die Reihen der Feinde zu gehen, im
Dienste des Vaterlandes. In der «Braut von Messina» ver-
sucht Schiller das Drama hoher zu fassen dadurch, dafi er
einen Griff in das Urdrama tut. Auf jenes Urdrama griff er
zuriick, das noch dem Aschylos voranging, das nicht nur
Kunst war, sondern ein integrierender Bestandteil der die
Religion, die Wissenschaft und die Kunst umfassenden
Wahrheit: auf jenes Dionysosdrama, das den leidenden,
sterbenden, auferstehenden Gott auf die Biihne brachte, als
Reprasentanten der ganzen Menschheit. Die Handlung
trug da nicht den Charakter dessen, was man heute Dich-
tung nennt. Das Weltendrama sollte vorgefiihrt werden,
die Wahrheit in schoner, kiinstlerischer Form. Erhebung,
religiose Erbauung sollte es dem Menschen bringen. So ent-
hielt fur den Zuschauer das Mysteriendrama zugleich, was
spater sich getrennt als Religion, Kunst und Philosophie
entwickelte.
Dieser Gedankengang, den Friedrich Nietzsche in seiner
Schrift «Die Geburt der Tragodie aus dem Geiste der Mu-
sik» entwickelt, in der er das Urdrama als das hohere hin-
stellt, diese Grundidee lebte schon in Schiller. Schillers
Idee, das Schone dadurch in hohere Spharen zu heben, daft
er das musikalische Element wieder einfuhrte, wurde von
Wagner in groftem Stil wieder aufgenommen und fand in
dem Musikdrama monumentalen Ausdruck. Wagner griff
zum Mythos und w'ahlte die Musik, um nicht in der tagli-
chen, sondern in gehobener Sprache das Bedeutende auszu-
drucken. Die Richtung, welche die Kunst im Wagnerkreis
genommen hat, wurde von Schiller intendiert. In seiner
kurzen Einleitung zur «Braut von Messina» findet er dafiir
einen so plastischen wie pragnanten Ausdruck. Freiheit des
Gemiits in dem lebendigen Spiel aller seiner Krafte soil die
rechte Kunst verschaffen. Daraus erkennen wir, was in
Schiller lebte. Wir haben gesehen, wie Schillers Geist sich
an Goethe hinaufrankte. Er selbst nannte Goethes Geist
den intuitiven, seinen eigenen den symbolisierenden. Es ist
dies ein bedeutsamer Ausspruch.
Schiller dachte im Grunde genommen die Menschen im-
mer als Reprasentanten der Gattung, er dachte sie in einer
Art Symphonic Wir sehen bei ihm das Drama aus einer
musikalischen Stimmung herauswachsen: daraus ergibt sich
diese Symphonie von Menschencharakteren, von handeln-
den und leidenden Charakteren. Das bewirkte, dafi er notig
hatte, die einzelnen Ztige zu Symbolen grower Menschener-
fahrung zu machen. Dadurch ist Schiller der Dichter des
Idealismus geworden: er hat durch die Erfahrung die Ideale
heruntergeholt, um sie im Charakter zu gestalten. Im Mit-
telpunkt stand ihm das Problem des menschlichen Ich, die
Frage: wie wirkt der Mensch innerhalb seiner Umgebung?
In der «Braut von Messina» hat er in einer neuen Form
die griechische Schicksalstragodie geben wollen. Es mufi et-
was in der Menschenseele sein, welches bewirkt, dafi der
Mensch nicht in verstandesmafiiger Art seine Entschlusse
ausfuhrt - er wiirde sonst kliiger handeln - , etwas Dunk-
les mufi in ihm leben, was dem Damon des Sokrates ahn-
lich ist. Das mufi aus der geistigen Welt in ihn hineinwir-
ken. Dieses mit dem Verstande nicht zu Erfassende lafit
Schiller in die Tragodie hineinspielen. In der Art, wie er das
tut, zeigt sich Schiller als ganz moderner Charakter. Von
zwei Traumen geht bei ihm die Handlung aus: Der Fiirst
von Messina traumt von einer Flamme, die zwei Lorbeer-
baume verzehrt, Dieser Traum wird ihm von einem arabi-
schen Sterndeuter dahin ausgelegt, dafi die Tochter, die ihm
geboren ist, seinen Sohnen Unheil bringen wiirde, und er
gibt Befehl, sie zu toten. Zugleich aber hat die Fiirstin ge-
traumt von einem Kinde, dem Adler und Lowe sich fried-
lich anschmiegen. Auch ihr wird der Traum gedeutet: ein
christlicher Monch verheifit ihr, dafi die Tochter die beiden
streitenden Briider in Liebe zu sich vereinen werde. Da
rettet sie das Kind.
So ist das Dunkle, Unbestimmte, in den Ausgangspunkt
der Handlung hineingelegt. Sehr fein erscheint, dafi der er-
ste Traum von einem Araber, der zweite von einem Chri-
sten gedeutet wird; Schiller aber entscheidet sich fur kei-
nen. Hebt man alles, was mystisch, traumhaft ist, hinweg,
so bleibt nur der Kampf der Briider, und diese rationelle
Handlung bleibt noch immer dramatisch. Das Geistvolle
und ganz besonders Kiinstlerische ist, dafi jedes Element et-
was Ganzes ist; auch ohne das Mystische ist die Handlung
eine ganze. Es ist von Schiller in dieser Richtung mit Fein-
heit und Kunst etwas in dieses Drama gelegt, das iiber das
menschliche Bewufksein hinausgeht. So war er zu noch
hoherer Beantwortung seiner Frage gekommen.
An derselben Menschheitspsychologie arbeitet er im
«Tell». Ich will das Drama nicht analysieren, nur zeigen,
was Schiller dem 19. Jahrhundert war und was er uns noch
sein wird. Nicht umsonst stellt Schiller den «Tell» heraus
aus dem iibrigen Gefiige des Dramas:
Doch was ihr tut, lafk mich aus euerm Rat.
Ich mag nicht lange priifen oder wahlen!
Bediirft ihr meiner zu bestimmter Tat,
Dann ruft den Tell, es soli an mir nicht fehlen.
Nicht wie die anderen unter dem Eindruck der Freiheits-
idee handelt er, sondern aus rein personlichem Gefuhl,
dem gekrankten Vaterempfinden. Zwei Linien lafit Schiller
zusammenlaufen, etwas, was Tell allein angeht, und das,
was das schweizerische Volk empfindet.
Schiller wollte zeigen, wie beim Menschen nicht alles so
gradlinig sich abspielt. Wir konnen gleiches bei Hebbels
«Judith» wiederfinden, wo die Not des Vaterlandes zusam-
menfallt mit dem gekrankten Weibempfinden; der Dichter
braucht etwas, was unmittelbar herauswachst aus der
menschlichen Brust. Nicht das blofi Moralische, nicht das
blofi Sinnliche will Schiller, sondern das Moralische soli
herabsteigen und zur personlichen Leidenschaft werden.
Der Mensch wird nur dadurch frei, dafi er sein Personliches
in der Art zu verrichten vermag, dafi es mit dem allgemei-
nen zusammentrifft. So arbeitete Schiller Stuck fur Stuck
an dem Ausbau seiner Psychologie, so sehen wir seinen
Idealismus in einer fortwahrenden Klarung. Das ist der
Zauber, der in Schillers Dramen lebt. Er hat seine tief-
griindigen, asthetischen Schriften nicht umsonst verfafit,
in diese Probleme sich nicht umsonst versenkt.
Alles, was im 19. Jahrhundert iiber Asthetik geschrieben
worden ist von Vischer 3 Hartmann, Fechner und so weiter,
so bedeutend und treffend vieles ist, wir sehen bei alien das
Schone aus dem Menschen herausverlegt. Schiller aber hat
immer studiert, was in der Seele des Menschen vorgeht, wie
das Schone auf die Menschenseele wirkt. Darum beriihrt
uns, was er sagt, so traulich, so heimisch, darum konnen
immer wieder Schillers Prosaschriften mit Entziicken gele-
sen werden. Es ware eine wiirdige Schillerfeier, wenn diese
Schriften weit verbreitet und gelesen wiirden, sie konnten
weitgehend beitragen zur Vertiefung des menschlichen
Geistes in kunstlerischer und moralischer Beziehung. Eine
padagogische Ausbeute miifite aus Schillers asthetischen
Briefen gezogen werden; es wiirde in unser ganzes Unter-
richtswesen dadurch ein neuer Zug kommen.
Wer Schillers Dramen verstehen will, mufi die feine Bil-
dungsluft aus seinen asthetischen Schriften hervorholen.
Wie Schiller in immer tiefere Schachte des Menschenher-
zens hineingraben wollte, wird der sehen, der sich mit dem
leider nicht vollendeten «Demetrius» beschaftigt. Ein Dra-
ma hatte der «Demetrius» werden konnen, wie es erschut-
ternder und gewaltiger kaum hatte ein Shakespearesches
sein konnen. Viele Versuche sind unternommen worden,
den «Demetrius» zu vollenden, doch der Grofte der Aufga-
be war niemand gewachsen. Der durchaus tragische Kon-
flikt, bei reichster Handlung, beispielsweise der polnische
Reichstag, ist - und das ist das Bedeutende - ganz in das
Ich verlegt. Wir konnen nicht sagen, dafi unser Sinnen,
Empfinden und Fiihlen unser Ich ist. Wir sind, was wir
sind, weil das Denken und Fiihlen der Umwelt zu uns her-
eindringt. Dieser Demetrius ist so aufgewachsen, dafi er
selbst nicht weifl, was sein Ich ist. Es findet sich bei ihm,
bei einer bedeutungsvollen Tat, fur die er hingerichtet wer-
den soil, ein Kleinod. Es scheint sich herauszustellen, dafi
ihm die Anwartschaft auf den Zarenthron gebuhrt. Alles
trifft zusammen, er kann nicht anders glauben, als dafi er
der echte russische Thronerbe sei. So wird er hineingetrie-
ben in eine bestimmte Konfiguration seines Ich. Faden, die
von auften gesponnen werden, treiben ihn weiter. Die Be-
wegung ist siegreich; Demetrius aber entwickelt sich zum
Zarencharakter. Jetzt, wo das Ich zusammenstimmt mit
der Welt um ihn her, erfahrt er, daft er im Irrtum war: er ist
nicht der echte Thronerbe. Er ist nicht mehr derjenige, als
der er sich selbst gefunden hat. Er steht der Mutter gegen-
iiber: sie verehrt ihn, aber die Stimme der Natur ist so stark
in ihr, daft sie ihn als Sohn nicht anerkennen kann. Er je-
doch ist selbst zu dem geworden, was er vorstellte. Er kann
es nicht mehr von sich werfen, aber die Voraussetzungen
dieses Ich fallen von ihm ab. Dies ist ein unendlich tragi-
scher Konflikt, ihn konnen wir glauben. Alles ist auf die
Spitze der Personlichkeit gestellt, einer Personlichkeit, die
mit unendlicher Kunst gezeichnet ist, der wir glauben, dafi
sie «nicht liber Sklaven herrschen wolle».
Auch das Aufiere war mit all der Kunst gefiigt, zu der nur
Schiller imstande war. So wird in Sapieha, dem Opponen-
ten des Demetrius, vorahnend der Charakter des Deme-
trius angezeigt. Auch hier wird die Symmetrie angestrebt,
die im Wallenstein erreicht ist. Das Drama wurde nicht
vollendet; der Tod trat dazwischen. So erhalt der Tod
Schillers etwas Tragisches; alle die Hoffnungen, die auf
Schiller gesetzt wurden, sie kamen in den Briefen und Au-
fierungen seiner Zeitgenossen zum Ausdruck. Tief erschut-
tert von dem Verlust dessen, von dem man noch so vieles
erwartete, klingt es uns aus den Briefen der Besten entge-
gen, wie bei Wilhelm von Humboldt:
«Er wurde der Welt in der vollendetsten Reife seiner
geistigen Kraft entrissen, und hatte noch Unendliches
leisten konnen. Sein Ziel war so gesteckt, dafi er nie an
einen Endpunkt gelangen konnte, und die immer fort-
schreitende Tatigkeit seines Geistes hatte keinen Stillstand
besorgen lassen; noch sehr lange hatte er die Freude, das
Entziicken, ja, wie er es in einem Briefe bei Gelegenheit des
Plans zu einer Idylle so unnachahmlich beschreibt, die
Seligkeit des dichterischen Schaffens geniefien konnen. »
Das ist der Ton, der den Tod Schillers erst zum Tragi-
schen erhebt, denn im gewohnlichen Verlauf der Dinge hat
der Tod nicht jenes Irrationelle. Aus dieser Stimmung her-
aus fand Goethe fur den toten Freund in dem «Epilog zu
Schillers Glocke» die Worte:
Und hinter ihm in wesenlosem Scheine
Lag, was uns alle bandigt, das Gemeine.
Diesen grofien idealistischen Zug, den konnen wir fort-
stromen sehen im 19. Jahrhundert. Man wurde sich be-
wulk, dafi Schillers Geist erhebend sei, um fortan in alien
Kampfen seinem Volke Trost und Vorbild zu sein.
Das Fortwirkende von Schillers Idealismus in der deut-
schen Geistessubstanz sprach K. Gutzkow in seiner Rede
zur Schillerfeier in der Harmonie in Dresden am 10. No-
vember 1859 aus, in den treffenden Worten:
«Das ist das Geheimnis unserer Liebe zu Schiller: Die Er-
hebung unserer Herzen! Der Mut zur Tat! Der treue Bei-
sta.nd, den die Nation in all ihren Lagen bei ihrem Liebling
findet! Mut unci Freudigkeit weckt, was uns an Schiller
erinnert. So lieblich, so reich, so tief anheimelnd wie
Goethe uns anmutet, was in seinen Schopfungen an deut-
sche Art und Sitte erinnert, es ist wie Efeu, der sich trau-
ernd traumerisch an das Vergangene schmiegt. Aber bei
Schiller ist alles Zukunft, Fahnenwinken oder Lorbeer.
Deshalb, deshalb feiern wir das hundertjahrige Gedachtnis
seines Namens so klingend und weithinschallend, wie das
Schlagen an einen ehernen Schild. Hoch der Dichter der
Tat, ein Hort des deutschen Vaterlandes.»
Siebenter Vortrag, 4. Marz 1905
Schillers Wirkungen im 19. Jahrhundert
Ich mochte heute noch sprechen liber die Art der Wirkung,
die Schiller auf das 19. Jahrhundert gehabt hat, um dann
iiberzugehen auf die Bedeutung Schillers fur die Gegen-
wart, und auf das, was Schiller fur die noch folgende Zu-
kunft sein kann. Im Schlufivortrage will ich dann ein Ge-
samtbild Schillers geben. Wer Schillers Verhaltnis zum 19.
Jahrhundert schildern will, kann sich unmoglich auf Ein-
zelheiten einlassen, deshalb wollen wir uns nicht mit ein-
zelnen Begebenheiten besonders aufhalten, wenn sie nicht
besondere symptomatische Bedeutung haben. Es handelt
sich darum, zu zeigen, wie es sich mit dem ganzen Kultur-
leben des 19. Jahrhunderts verhalt, und welche Stellung
Schiller darin einnimmt.
Es ist im allgemeinen schwer zu sagen, wie grofi der Ein-
flufi Schillers auf die einzelnen Perioden ist; die Kanale las-
sen sich nicht im einzelnen verfolgen. Schillers Einflufi lafk
sich zum Teil vergleichen mit dem, welchen Herder im An-
fange des Jahrhunderts ausiibte, von dem Goethe zu Ecker-
mann sagte: «Wer liest noch Herders philosophische Wer-
ke? aber iiberall begegnet man Ideen, die er gesat.» Es ist
dies eine intensivere Wirkung als die mit dem Namen ver-
kmipfte. Auch mit Schiller ist dies der Fall. Sein Wirken
lafit sich nicht abtrennen von der Wirkung der grofien klas-
sischen Zeit. Eines aber lafit sich herausheben: diese Wir-
kung Schillers, die Anerkennung, von der das Nationalfest
am 10. November 1859 Kunde gibt, kam keineswegs so
leicht und widerspruchslos heraus. Schiller hat sich nicht so
leicht durchgerungen. Es hat viel geschehen mussen, um
namentlich in die Jugend hinein den Geist Schillers auf
ganz imponderable Art fHefien zu lassen. So hat das «Lied
von der Glocke» zunachst in den Kreisen der Romantiker
den heftigsten Widerspruch hervorgerufen. Caroline von
Schlegel, die Gattin August Wilhelms von Schlegel, hat es ein
spieftbiirgerliches philistroses Gedicht genannt.
Nicht nur in dem, was uns in den Xenien entgegentritt,
sondern im allgemeinen in den Kreisen derer, die man die
Romantiker nannte, finden wir lebhaften Widerspruch ge-
gen Schiller. Die Romantiker sahen in Goethes «Wilhelm
Meister» ihr Ideal und hatten Goethe, den treuen Freund,
der Schiller die Worte nachgerufen:
Weit hinter ihm im wesenlosen Scheine
Lag, was uns alle bandigt, das Gemeine . . .
auf den Schild gehoben auf Kosten Schillers. Was Schiller
verstand, das Moralische, Ethische so hoch zu erheben, war
ihnen etwas durchaus Unsympathisches. Harte Worte flos-
sen von seiten der Romantiker gegen Schiller, den spieft-
biirgerlichen Ethiker. Diejenigen, die heute in Schiller-
ehrung aufgewachsen sind, werden schwer Worte verste-
hen konnen, wie sie zum Beispiel Friedrich von Schlegel
iiber ihn fand in Besprechungen iiber Schiller und Goethe.
Er nennt seine Einbildungskraft «zerriittet». Da ist nichts
zu merken von dem, was alle Herzen zu Schiller zog. Un-
gefahr gegen Ende der zwanziger Jahre erschien der Brief-
wechsel Goethes und Schillers, jenes Denkmal, das Goethe
seinem Freunde und der Freundschaft setzte. Man kann
unendlich viel daraus lernen, und seine Bedeutung fur die
deutsche Kunstbetrachtung ist gar nicht zu bemessen.
Auch da verhielten sich die Romantiker durchaus ableh-
nend. Sie hatten bissigen Spott dafur. Wie schwer es war,
fur Schillers Ruhm festen Boden zu fassen, zeigt die Grofi-
mannssucht der Personlichkeiten, die Schiller am heftig-
sten Opposition machten. A. W. Schlegel, der verdienstvol-
le Ubersetzer Shakespeares, hat ein Sonett auf sich selbst
gedichtet, in dem sich ausspricht, wie er sein eigenes Ver-
haltnis zum deutschen Volke auffafke; er spricht da mit
einem Selbstgefuhl von seiner dichterischen Bedeutung, das
uns heute sonderbar anmutet. Es schliefit:
Wie ihn der Mund der Zukunft nennen werde
Ist unbekannt, doch dies Geschlecht erkannte
Ihn bei dem Namen August Wilhelm Schlegel.
Der Mann stellt nicht blofi eine Einzelerscheinung dar, er
stellt die romantische Theorie dar; ihn kann man nur ver-
stehen, wenn man begreift, was die romantische Schule
wollte. Die Romantiker wollten eine neue Kunst, eine Zu-
sammenfassung alles Kiinstlerischen. Es war ihre Theorie
eigentlich herausgewachsen aus dem, was Schiller in seinen
asthetischen Aufsatzen dargestellt hatte, aber sie war eine
karikierte Auffassung. Das Wort Schillers: «Der Mensch ist
nur da ganz Mensch, wo er spielt», wurde ihnen zu einer
Art Motto. So entstand die romantische Ironie, die alles zu
einem Spiele des Genies machte. Man hatte eine Auffas-
sung, als ob es der Willkiir des Menschen unterliege, ein
Genie zu sein. Wenn Schiller die Kunst ein Spiel nannte,
war es, weil er dem Spiel den ganzen vollen Ernst geben
wollte. In der Besiegung des Stoffes durch die Form liegt
das Kunstgeheimnis des Meisters, sagt Schiller, wahrend die
Romantiker die Form vernachlassigten und vom Stoffe
selbst verlangten, daft er kiinstlerisch wirke. Eine solche
Richtung war es, die ich nicht kritisieren, sondern charak-
terisieren will, welche Schiller grundsatzlich entgegen-
stand. Der Briefwechsel Goethes und Schillers wurde da-
her, wie gesagt, von ihnen aufgenommen als etwas, das sie
storte. Die darin besprochenen Kunstregeln fanden sie
hausbacken. A. W. von Schlegel schrieb unter dem Ein-
druck dieses Briefwechsels boshafte Epigramme. Unterein-
ander betrachteten sich die Romantiker mit der grofken
Bewunderung. Dies alles zeigt, wie in den ersten Jahrzehn-
ten Schillers Lebenswerk den heftigsten Widerspruch her-
vorrief. Andererseits war die Personlichkeit Schillers so ge-
waltig, daft auch aus diesen Kreisen ihm Anerkennung und
Bewunderung gezollt wurde. So schrieb Ludwig Tieck iiber
Schillers «Wallenstein» in verstandnisvoller und vereh-
rungsvoller Art.
Wir sehen, daft Schiller immer mehr seinen Einflufi sich
nach und nach erringt, dafi er sich einnistet in die Herzen
der Nation. So ist Theodor Korner zwar die bedeutendste,
aber nicht einzige Erscheinung, die ganz im Geiste Schillers
lebt, er, der auch den Heldentod stirbt, ganz erfullt von den
Idealen, die Schiller ihm eingepflanzt. Er schien dazu ge-
weiht durch die personliche Freundschaft, die seine Familie
mit Schiller verband. Eine herzliche Freundschaft war es,
die Korners Vater und Schiller verknupfte; er war der Pate
Theodor Korners, von ihm war die «Leier» gekauft, die
Theodor Korner iiberall begleitete. Schiller hat sich lang-
sam, aber ganz sicher in die Herzen der Jugend einge-
schlichen.
Wer die Entwickelung des Schriftwesens bei den sich
straubenden Romantikern verfolgt, begegnet dem Einflufi
Schillers selbst in den Wortformen, die er gepragt. Durch
Schiller hat sich herausgebildet, was man in der ersten Half-
te des 19. Jahrhunderts deutsche Bildung nennen kann: sie
ist ganz wie durch Imponderabilien geformt durch das, was
sich in das Gemut einpflanzte von Schiller aus. Das, was
von Herder und den anderen Klassikern ausging, ist durch
die Bilder und didaktischen Wendungen Schillers in die Na-
tion geflossen. Mochten auf der Hohe der asthetischen Bil-
dung sich einige auch strauben, immer mehr hat Schiller
sich eingeburgert. So wachst sein Einfluft fort und fort.
Und wie der hundertjahrige Geburtstag Schillers kommt,
da sind es die Besten, die ihn feiern, die Besten der Nation.
In einem Buch iiber Schiller sind die Reden gesammelt, die
damals gehalten wurden. Und es waren bedeutende Man-
ner, die jene Reden hielten: Jakob Grimm, Th. Vischer der
grofie Asthetiker, Karl Gutzkow, Ernst Curtius, Moriz
Carriere und viele andere. Der Same war aufgegangen, den
Schiller gesaet.
Und doch mufi man sagen, dafi die Sprache, die damals,
1859, gesprochen wurde, dem doch recht fremd gegenuber-
stand, was als etwas Neues in jener Zeit heraufkam. Die Be-
tonung des Ideals im Jahre 1859 stimmt seltsam zu dem,
was sonst in diesem Jahre ans Licht kam. Vier bedeutende
Erscheinungen sind es vor allem, auf die ich hier hinweisen
will: 1859 erschien Charles Darwins «Abstammung der Ar-
ten». Dann Fechners «Vorschule der Asthetik». Fechner
hat einen grofien Einflufi auf eine Stromung der Gegenwart
gewonnen: er ist ausgegangen von Hegel, der selbst Schiller
gegen die Romantiker in Schutz genommen hatte. Vischer,
der aus der Goethe-Schillerzeit stammte, der eine idealisti-
sche Asthetik vertrat, sieht sich in Widerspruch versetzt zu
dem, was er selbst bisher bekannt hatte; er sieht diese Rich-
tung abgelost durch Fechner. Es ist dies eine Asthetik von
unten, wahrend es friiher eine Asthetik von oben war, die
man vertrat. Von unten, aus kleinen Symptomen, wollte
man jetzt das Wesen des Schonen erkennen. Das dritte
Werk, welches Raumverhaltnisse behandelte, steht in
einem gewissen Gegensatz zu Schillers Art. Hatte sich doch
dieser in einem seiner Epigramme an die Astronomen so
gewendet:
«Schwatzet mir nicht so viel von Nebelflecken und
Sonnen.
Ist die Natur nur groft, weil sie zu zahlen euch gibt?
Euer Gegenstand ist der erhabendste freilich im Raume,
Aber, Freunde, im Raum wohnt das Erhabene nicht.»
Dieses dritte Werk war die von Kirchhoff und Bunsen ge-
fundene «Spektralanalyse». Durch sie konnte die Sonne in
ihren Bestandteilen erkannt werden, konnte eine Analyse
der fernsten Nebelflecken unternommen werden.
Das vierte Werk war: Karl Marx «Kritik der politischen
Okonomie». Es war ein sonderbarer Kontrast zwischen
dem, was man damals bei der Schillerfeier entwickelte und
dem, was jene Zeit wirklich heraufbrachte.
Es war ein eigentumlicher Standpunkt, den Schiller, und
unsere Klassiker iiberhaupt, zur Weltkultur einnahmen.
Man kann sich Raffael, Michelangelo nicht denken ohne
den Zusammenhang mit ihrer Zeit, aus der sie geboren wa-
ren, aus der heraus sie schufen. So ist die homerische Kunst
im innigen Zusammenhang mit dem, was in alien lebte.
Homer brauchte nur dem Form zu geben, was als Fiihlen
und Denken seine Zeitgenossen durchdrang. Ganz anders
war es bei unseren Klassikern. Homer, von wem dichtete
er? Von Griechen redete er zu Griechen. So waren noch
Dante, noch Michelangelo, ja auch noch Shakespeare ganz
hineingestellt in ihre Zeit. Anders war es bei unseren Klas-
sikern. Lessing begeisterte sich fur Winckelmann, aus sei-
nen Darlegungen bildete er sich seine Kunstanschauungen.
Auch ging Lessing zuriick auf Aristoteles. Schiller und
Goethe studierten mit Lessing in Glaubigkeit Aristoteles.
Daher kam ein so abgesondertes Schonheitsideal, eine so
vom Leben der Zeit abgesonderte Kunst, besonders im spa-
teren Lebensalter der Dichter. Denn die Jugenddramen
Schillers, «Die Rauber», «Kabale und Liebe» sind ja noch
verbunden mit dem eigenen Leben. Goethe hatte sich be-
sonders in Italien entwickelt. Die Kunst war Selbstzweck
geworden, abstrakt abgezogen vom wirklichen Leben.
Gleichgiiltig gegeniiber den Stoffen waren Goethe und
Schiller geworden. So sehen wir, dafi Schiller jetzt seine
Stoffe iiberall sucht in der Welt. Er hat sich herausgehoben
aus der ihn umgebenden Welt, hat sich auf eigene Fiifie ge-
stellt. Nichts charakterisiert Schillers EinflufS so, als da£ auf
ihn die Romantik folgt, die alles Fremdlandische assimi-
liert. Ubersetzungen aus alien Gebieten der Weltlkeratur
bilden ein Hauptverdienst der romantischen Schule.
Schillers Stellung zur Kunst bildet etwas, was auf sein
Verhaltnis zum 19. Jahrhundert entscheidend wirkt.
Achter Vortrag, 5. Marz 1905
Was kann die Gegenwart von Schiller lernen?
Man darf nicht verkennen, dafi das Verhaltnis des Publi-
kums in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts zu Schiller
ein ganz anderes werden mufke als in der ersten; schon
durch die Erscheinungen war das bedingt, die ich Ihnen an-
gedeutet habe. Schiller stand zur Wahrheit so, dafi er sagen
konnte: «Durch das Morgenrot des Schonen trittst du in
der Erkenntnis Land.» Ihm war die Wahrheit das Schone.
Das Kunstwerk sollte sein eine Gestaltung der Idee; der
Idee, von der man sich das Weltall durchflutet dachte. Es
war eine ideale Weltanschauung, eine feine, subtile, die nur
erfassen kann, wer sich zu subtilen, geistigen Hohen aufzu-
schwingen vermag. Die Grundlage fiir Schillers Verstand-
nis bedingt etwas, was bedeutende Anforderungen stellt.
Deshalb liegt in der zweiten Halfte des Jahrhunderts in
der Schiller- Verehrung etwas weniger Intensives; durch die
heraufkommende Naturwissenschaft war ein kiihleres Ver-
haltnis bedingt. Man sah nun das Wahre nur in dem, was
sinnlich ist. Das hat Schiller nie getan. Die Ideale Schillers
waren immer Wahrheit, aber Wahrheiten auf geistiger
Grundlage. Was dazumal den Leuten im Gefiihl safi, ist
heute nicht mehr greifbare Wirklichkeit. Die Grofie und
Weite des geistigen Horizonts war es, aus der Schiller her-
ausgewachsen ist: es ist die Welt Goethes, Lessings, Herders
und Winckelmanns. Als die aufiere Wirklichkeit drangte
mit ihren derberen Anforderungen, gab es zwischen dem
Schonen und Wahren keinen rechten Zusammenhang
mehr. Auf Grundlage der naturwissenschaftlichen Er-
kenntnisse konnte ein Ludwig Buchner eine rein materiali-
stische Weltanschauung konstruieren. Schiller aber ist
nicht fur ein materialistisches Zeitalter; es wird zur Phrase,
wenn man sich in einem solchen auf seine Anschauungen
beruft. So kam es, dafi Schiller etwas in den Hintergrund
trat. Goethe konnte fur die zweite Halfte des 19. Jahrhun-
derts noch etwas sein, weil sich in ihm das Kiinstlerische
abtrennen lafit von der Weltanschauung. Selbst bei Her-
man Grimm tont alles aus in einen Panegyrikus auf
Goethe, den Kunstler. Zwar fur den, der sich ganz genau
mit Goethe beschaftigt, ist es fraglos, daft es auch bei ihm
nicht angangig ist, ihn von seiner Weltanschauung zu tren-
nen. Immerhin ist bei Goethe eine rein asthetische Betrach-
tung moglich; bei Schiller ist ein solcher Standpunkt nicht
moglich. Heute wird die Kunst betrachtet als etwas, was
sich mit dem Gebiete der Phantasie beschaftigt. Darin liegt
schon eine Ablehnung der Weltanschauung.
So hat sich eine Kluft gebildet zwischen dem Geiste der
Zeit, in der Schiller lebte, und dem der unsrigen, aus der
heraus es moglich war, daft ein neuer Schiller-Biograph,
Otto Brahm, der aus der 5c/?erer-Schule hervorgegangen ist,
sein Buch mit den Worten beginnen konnte: «Ich war in
meiner Jugend ein Schillerhasser.» Er hat sich erst nach und
nach durch Gelehrsamkeit, durch Erkenntnis, zu einer
Verehrung Schillers hindurchgerungen. Schiller hat gelehr-
te Biographen gefunden, aber das Fiihlen der Zeit ist schon
fremd geworden den eigentlich Schillerschen Aufgaben. Es
kann nicht verstehen, wie man das, was man heute Er-
kenntnis nennt, in Einklang bringen kann mit dem, was
Schiller vertritt. Wie schon gesagt, die Kunstler einer friihe-
ren Zeit, ein Raffael, ein Michelangelo, sie sind herausge-
wachsen aus dem Leben ihrer Epoche. So war es nicht
mehr nach Goethes Tode. Wir sehen, wie ein Kunstler, wie
Peter Cornelius, ganz aus dem Gedanken heraus schafft; er
stand nicht mehr in irgendeinem Zusammenhange mit der
geistigen Substanz seiner Zeit. Er fuhlte sich besonders in
Berlin immer fremd; hingezogen zu dem Katholizismus, in
dem er sein Kunstideal gegriindet glaubte, stand er dem
Leben seiner Zeit teilnahmslos gegeniiber.
So wird die Kluft zwischen Leben und Kunst immer gro-
wer. Wie fremd steht daher Schiller in dem Leben des 19.
Jahrhunderts. Wohl hat Jakob Minor dicke Bande iiber
Schillers Jugend geschrieben, aber alles weist darauf hin,
wie fremd geworden Schillers Anschauungen unserer Zeit
sind. Was man heute als wahr erkennt, ist aus der naturwis-
senschaftlichen Weltanschauung herausgewachsen. So ist
auch die Asthetik aus einer idealistischen in eine realisti-
sche Richtung hineingekommen. Dieser Umschwung war
ein so starker, daft sich Vischer nicht zu einer zweiten Auf-
lage seiner «Asthetik» entschlieften konnte, die in idealisti-
schem Sinne geschrieben war; jetzt war er irre geworden an
dem, was er bisher vertreten. So fremd waren fur fixhrende
Geister die Empfindungen der ersten Halfte des Jahrhun-
derts geworden, daft ein solcher Mann sich in dieser Weise
selbst kritisiert.
Nach dieser Entwickelung werden wir verstehen, wie
Schiller in unserer Gegenwart steht. So war es moglich, daft
ein Mann wie E. Du Bois-Reymond, der doch selbst ganz in
Schillers Diktion wurzelte, in einer Rede iiber Goethes
«Faust» sagen konnte, «Faust» sei eigentlich ein verfehltes
Werk, von Rechts wegen miisse Faust Gretchen heiraten,
bedeutende Erfindungen machen, und so ein niitzliches Da-
sein fiihren - und so weiter. Alles, was den Faust aus-
macht, verstand ein bedeutender Mann des 19. Jahrhun-
derts nicht mehr.
Diese Richtung war ausschlaggebend geworden. Keiner
wagt ihr zu widersprechen, niemand wagt das Recht des
Idealen zu betonen. Selbst die Kunst nennt sich realistisch.
Eine idealistische Deutung findet wenig Anklang bei dem
Publikum. Ehrlich sind diejenigen, die gestehen, da£ Schil-
ler ihnen nicht sympathisch ist. Daft das Schone eine Aus-
pragung des Wahren sei, gilt nicht mehr. Das Wahre wird
genannt, was mit Augen gesehen, mit Handen getastet wer-
den kann. Das Alltagliche wird das Wahre genannt. So war
es nicht fur Schiller; ihm lag das Wahre in den groften,
ideellen Gesetzen. Die Kunst war fur ihn die Wiedergabe
des im Wirklichen verborgenen Geistigen, nicht des Alltag-
lichen. Das Wahre, das Schiller suchte, wird heute weder
von der Wissenschaft noch von der Kunst anerkannt; nie-
mand versteht heute, was Schiller unter dem Wahren ver-
stand. Deshalb dieser Gegensatz. Man versteht heute unter
dem Wahren das, was Schiller das Sinnlich-Notdurftige
nannte. In der Harmonie zwischen dem Geistigen und dem
Sinnlich-Notwendigen sucht Schiller das Freiheitsideal.
Was man heute das Kiinstlerische nennt, kann man nim-
mermehr im Sinne Schillers das Kiinstlerische nennen.
Noch eine Kluft liegt zwischen den heutigen und Schillers
Anschauungen. Unsere Zeit hat nicht mehr den tiefen in-
tensiven Drang nach einem Eindringen in den inneren
Kern der Welt. Dieser tiefe Ernst, der wie ein Duft iiber
Schillers Anschauungen liegt, dieser tiefe Ernst ist nirgends
mehr vorhanden.
So versucht unsere Zeit, grofte Geister von so grundsatz-
Hcher Verschiedenheit wie Tolstoi und Nietzsche in ganz
oberflachlicher Weise nebeneinander zu stellen. Der Mate-
rialismus ist zur Weltanschauung geworden, er ist ein
Evangelium geworden, ein integrierender Bestandteil unse-
rer Zeit. Besonders die grofien Massen stehen auf rein mate-
rialistischer Grundlage, sie wollen keine andere Weltan-
schauung gelten lassen. Wahr gilt ihnen nur, was die Natur-
wissenschaft erlaubt, wirklich zu nennen. Zu welchen Vor-
kommnissen das fuhrt, dafiir eine kleine Episode. Es war
zum letztenmal, da eine idealistisch gefarbte, wenn auch
pessimistische Weltanschauung auf die Welt wirkte:
Eduard von Hartmanns «Philosophie des Unbewulken».
Die Schrift erfuhr zahlreiche Angriffe. So erschien auch
eine scharfe Kritik unter dem Titel: «Das Unbewufke vom
Standpunkte der Deszendenztheorie und des Darwinis-
mus.» Das Buch trug keinen Verfassernamen. Von seiten
der Naturwissenschafter wurde es als beste Widerlegung
der Schrift E. von Hartmanns bezeichnet. Bei der zweiten
Auflage nannte sich der Verfasser: er war E. von Hartmann
selbst. Er hatte zeigen wollen, daft es leicht ist, sich zu dem
materialistischen Standpunkt herunter zu schrauben, wenn
man einen hoheren erklommen hat. Die auf einem hoheren
Standpunkt stehen, konnen einen niedrigeren, die auf nie-
derem nicht den hoheren verstehen. Es ist durchaus so, dafi
derjenige, der auf idealistischem Standpunkte stent, ganz
bereit ist, in gewisser Weise den materialistischen anzuer-
kennen. Derjenige, der auf dem Standpunkt Schillers steht,
kann Biichner, kann die moderne Kunst in ihrer materiali-
stischen Anschauung beurteilen, nicht aber kann umge-
kehrt der Materialist den Idealisten durchschauen.
Schiller war ein Glaubiger des Ideals. Ein tiefer Spruch
von ihm lautet: «Welche Religion ich bekenne? Keine von
alien, die du mir nennst. - Und warum keine? - Aus Re-
ligion.*
Das ist das Grofte an ihm, daft sein asthetisches Bekennt-
nis zugleich sein religioses, dafi sein kiinstlerisches Schaffen
sein Kultus war. Da£ so sein Ideal in ihm lebte, das ist ein
Bestandteil seiner Grofie. Und so fragen wir nicht: «Kann
uns Schiller heute etwas sein?» Im Gegenteil, er mufi uns
wieder etwas werden, darum, weil wir verlernt haben, das
iiber das rein materielle Hinausgehende zu verstehen.
Man wird dann eine Kunst wieder verstehen, welche die
Geheimnisse des Daseins enthiillen will.
Aber auch ein neues Freiheitsideal werden wir durch ihn
verstehen lernen. Heute hort man viel von Freiheit reden,
frei von staatlichen, von okonomischen Fesseln wunseht
man zu sein. Schiller hat die Freiheit anders aufgefafit. Wie
wird der Mensch in sich selber frei? Wie wird er frei von
seinen niedrigen Begierden, frei von dem Zwange der
Logik und Vernunft? Schiller, der iiber den Staat und das
Leben in der Gesellschaft geschrieben hat, kommt da zu
einem neuen Ziele, zu einem Hinweis auf Zukunftsideale.
Wenn man in unserer Zeit mit Recht fordern will, dafi das
Individuum sich frei entfalten konne, mull man die Har-
monie im Sinne Schillers auffassen. Messen wir, was man
heute verlangt, an dem was Schiller gefordert hat. Zwei Er-
scheinungen wollen wir ins Auge fassen: Max Stirner und
Schiller. Was kann unahnlicher, entgegengesetzter erschei-
nen, als Stirners «Der Einzige und sein Eigentum» und
Schillers «Asthetische Briefe». In der Zeit, als Schillers Ein-
flufi in den Hintergrund trat, kam Stirners Einfluft herauf.
Stirner, der unberiicksichtigt geblieben war die ganze Zeit
hindurch, wurde in den neunziger Jahren neu entdeckt,
sein Werk bildete die Grundlage dessen, was als Individua-
lismus herumschwirrt. Diese Empfindung unserer Zeit hat
etwas Berechtigtes, muft aber, wie sie jetzt erscheint, als et-
was Ungeziigeltes erscheinen. In Schillers «Asthetischen
Briefen» wird die Forderung der Befreiung der menschli-
chen Personlichkeit fast noch radikaler erhoben. Weniger
spiefiburgerlich als Stirner hat Schiller dieses Ideal aufge-
stellt. Das Ideal des Zusammenwirkens der Menschen, die
innerlich frei geworden sind, tritt flir andere Menschen als
eine Mahnung auf. Gebote, Zwangsvorschriften, gibt es
nicht, wo Menschen so leben. Heute scheint man zu glau-
ben, es miisse alles in Unordnung geraten, wenn die Men-
schen nicht von Polizeimafiregeln eingeengt sind. Und
doch mufi man sich klar sein: Unzahliges in der Weltge-
schichte geht ohne Gesetze. Taglich kann man beobachten,
wie ganz von selbst in den belebtesten Straften die Men-
schen einander ausweichen, ohne dafi eine Vorschrift dar-
iiber besteht. Achtundneunzig Prozent unseres Lebens ge-
hen ohne Gesetze vor sich. Und es wird einst moglich sein,
ganz ohne Gesetze, ohne Zwang auszukommen. Dazu aber
mufi der Mensch innerlich frei geworden sein.
Ein Ideal von unermeftlicher Grofie ist es, das Schiller
vor uns hinstellt. Die Kunst soil den Menschen zur Freiheit
fiihren. Die Kunst, herausgewachsen aus der Kultursub-
stanz, soil zur grofien Welterzieherin werden. Nicht Pho-
tographien der aufieren Welt sollten die Kiinstler liefern:
sie sollten Boten sein einer hoheren geistigen Wirklichkeit.
Dann werden die Kiinstler wieder schaffen wie friiher, aus
dem Ideal heraus. Durch die Kunst hindurch zu einer
neuen Erfassung der Wirklichkeit wollte Schiller leiten;
er meinte es ernst damit.
Wenn unsere Zeit Schiller recht verstehen will, muU sie
zusammenfassen, was sie errungen hat an Erkenntnissen,
zu einem hoheren Idealismus, der sie emporhebt zu der
geistigen Wirklichkeit. Dann werden auch diejenigen kom-
men, die wieder aus der Tiefe ihres Herzens aus Schillers
Geiste heraus sprechen konnen.
Wenig niitzt es, zu Schillers Ehren die Theater zu offnen,
wenn die Leute, die darinnen sitzen, kein Verstandnis fur
Schiller haben. Erst wenn wir uns so zum Verstandnis
Schillers erheben, werden auch Leute da sein, die, wie Her-
man Grimm uber Goethe, so aus tiefstem Herzen liber
Schiller sprechen konnen.
Neunter Vortrag, 25. Marz 1905
Schiller und der Idealismus
(Asthetik und Moral)
Ich mochte heute in der Schlufistunde eine spezielle Frage
erledigen, die sich an den Vortrag liber Schillers Wirkung
auf die Gegenwart anreihen soli. Die Frage der deutschen
Asthetik kann uns hier interessieren, weil Schiller in enger
Verbindung steht mit der Begriindung der asthetischen
Wissenschaft. Asthetik ist Wissenschaft des Schonen.
Wir haben gesehen, wie Schiller in verschiedenen Perio-
den seines Lebens sich zum Schonen stellt. Schiller sah in
dem Schonen etwas, was einen ganz besonderen Kultur-
wert hat. Inwiefern damit etwas ganz Besonderes getan
war, zeigt uns die asthetische Wissenschaft, wie wir sie heu-
te haben, und die erst etwa hundertfiinfzig Jahre alt ist.
Freilich hat schon Aristoteles iiber Poetik geschrieben, aber
durch Jahrhunderte blieben die Anschauungen dariiber auf
demselben Standpunkt stehen. Wir wissen, dafi selbst Les-
sing haufig noch auf Aristoteles zuriickgriff. Erst im 18.
Jahrhundert, aus der tt^o^schen Philosophic, ging Baum-
garten hervor, der ein Buch iiber das Schone, «Asthetica»,
1750 schrieb. Er unterscheidet das Schone vom Wahren da-
durch, daft, wie er sagt, das Wahre eine klare Vorstellung
enthalt, wahrend das Schone unklare, verworrene Vorstel-
lungen verkorpert. Es war noch nicht lange vor Schiller,
dafi solche Gedanken auftauchen konnten. Nun haben wir
bei Kant selbst in der «Kritik der Urteilskraft» eine Art
Asthetik, aber bei ihm war alles nur Theorie; er hat nie
einen lebendigen Begriff erhalten von dem, was Schonheit
ist, er ist nicht iiber drei Meilen weit von seinem Geburts-
ort Konigsberg hinweggekommen, hat kein bedeutendes
Kunstwerk gesehen; hat also nur vom Standpunkte ab-
strakter Philosophic geschrieben. Schiller war es, der dies
Problem zuerst lebensvoll erfafke in seinem Werk «Asthe-
tische Briefe».
Wie hat das Problem damals gestanden? Goethe blickte
mit Wehmut auf Griechenland; so schaute auch Winckel-
mann sehnsiichtig in die Zeit zuriick, in der der Mensch das
Gottliche in seinen Kunstwerken nachbildete. Auch Schil-
ler litt in seiner zweiten Periode an dieser Sehnsucht. In
den «G6ttern Griechenlands» kommt dies zum Ausdruck.
Was ist es im Grunde anderes als ein religioser Zug, der der
griechischen Dramatik zugrunde lag? Ihr liegt das Myste-
rium zugrunde, das Geheimnis des Gottes, der Mensch
wird, der als Mensch leidet, stirbt und aufersteht. Man faft-
te als eine Lauterung des Menschen auf, was dabei durch die
Seele zog. Selbst durch Aristoteles' Poetik zieht noch ein
Hauch davon. Das Tragische sollte darin bestehen, wie Les-
sing sich ausdriickte, durch Vorfuhrung von Handlungen,
die Furcht und Mitleid erregen, die Reinigung von diesen
Leidenschaften zu erstreben. Es war schwer zu verstehen,
was damit gemeint sein sollte. Lessing selbst hat viel dar-
iiber nachgedacht. Im 19. Jahrhundert ist eine reiche Litera-
tur dariiber entstanden. Uber das Wort Katharsis sind gan-
ze Bibliotheken geschrieben worden. Es wurde deshalb
nicht verstanden, weil man nicht wufke, woraus es hervor-
gegangen ist.
In dem Drama des Aschylos erkennt man noch etwas von
dem Drama des Gottes. In der Mitte der Handlung steht
Dionysos als die grofie dramatische Figur; der ihn umge-
bende Chor begleitet die Handlung. So hat Edouard Schure
das Mysteriendrama neu erstehen lassen. Die dramatische
Kulthandlung hatte die ganz bestimmte Aufgabe, den
Menschen auf eine hohere Stufe des Daseins zu fuhren.
Man sagte, der Mensch ist mit Leidenschaften behaftet;
durch das niedere Leben gehort er ihnen an; er kann aber
dariiber hinauskommen, wenn das hohere, das in ihm lebt,
gelautert wird; er kann sich herausheben durch die An-
schauung des gottlichen Vorbildes. Diese Art der Darstel-
lung sollte die Menschen leichter dazu bringen, sich zu ver-
edeln, als dies durch Lehren erreicht wird. Denn wie Scho-
penhauer sagt: Moral laftt sich leicht predigen, aber es ist
schwer, Moral zu begriinden. - Es war eine spat ere Epo-
che der Menschheit, als die Anschauung des Sokmtes auf-
trat, dafi die Tugend lehrbar sei. Sie ist aber etwas, was im
Menschen lebt, was ihm natiirlich ist wie das Essen und
Trinken; er kann dazu gefiihrt werden, wenn das Gottliche
in ihm erweckt wird durch das Vorbild des leidenden Got-
tes. Diese Reinigung durch das gottliche Vorbild nennt
man die «Katharsis». So sollte Furcht und Mitleid hervor-
gerufen werden. Das gewohnliche Mitleid, das am Person-
lichen hangt, soil zum grofSen unpersonlichen Mitleid er-
hoben werden, wenn man den Gott leiden sieht fur die
Menschheit.
Dann wurde die dramatische Handlung vermenschlicht,
und im Mittelalter sehen wir, wie die Moral sich emanzi-
piert und selbstandig auftritt. So wird spater im Christen-
tum einseitig ausgebildet, was im Mysterium leibhaftig leb-
te. Der Grieche sah mit eigenen Augen den Gott, der auf-
stieg aus der Erniedrigung. Es wurde in den Mysterien die
Tugend nicht blofi gepredigt, sondern dem Menschen zur
Anschauung gebracht.
Dies den Menschen wieder zum Verstandnis zu bringen,
diese beiden Dinge miteinander wieder zu vereinen, war et-
was, was in Schiller ganz intensiv lebte. Der Nerv seiner
Dichtungen war die Sehnsucht, diese beiden zu versohnen:
Sinnlichkeit und Sittlichkeit. Die strenge Sittlichkeit ist
durch Kant so aufgefafk worden, daft die Pflicht hinwegge-
fuhrt hatte von allem, was als Neigung erschien. Schiller
forderte dagegen, dafi die Pflicht zur Neigung werde. So ge-
reinigt wissen wollte Schiller die Leidenschaft, daft sie selbst
als Pflicht erscheine. Deshalb verehrte er auch Goethe so,
indem er bei ihm eine vollkommene Vereinigung von Sinn-
lichkeit und SittHchkeit sah. Im Schonen suchte er diese
Vereinigung von Sinnlichem und Sittlichem. Denn weil
Schiller in besonderem Mafie eine deutsche Eigenschaft hat-
te, das asthetische Gewissen, wollte er, dafi die Kunst dazu
da sein sollte, um den Menschen zu hoherem Dasein zu er-
heben. In unserer klassischen Zeit lebte ein starkes Gefiihl
dafiir, dafi das Schone nicht zur Ausfullung mii&ger Stun-
den da sei, sondern dafi es die Briicke sei zwischen dem
Gottlichen und Sinnlichen. Und Schiller rang sich durch
dazu, daft er die Freiheit hier fand. Die Neigung wird nicht
mehr unterdriickt; er sagt, daft der Mensch noch niedrig
stehe, der gegen seine Neigungen tugendhaft sein miisse.
Nein, seine Neigungen miissen so ausgebildet sein, daft er
von selbst tugendhaft handle. Friiher, in der Schrift «Die
* *
Schaubiihne als moralische Anstalt» hat er noch etwas Ahn-
liches wie die herbe kantische Moral gepredigt.
In der Besiegung des Stoffes durch die Form liegt das Ge-
heimnis des Meisters. Was ist der Stoff der Dichtung iiber-
haupt? In welcher Auffassung liegt der rechte Standpunkt
zur Betrachtung des Schonen? - Solange ich mich interes-
siere fur ein einzelnes besonderes Gesicht, habe ich nicht
die wahre kiinstlerische Anschauung erworben; es ist noch
ein Am-Stoffe-Hangen da. - «Das <Was> bedenke, mehr be-
denke <wie>!» - Solange der Dichter noch zeigt, dafi er den
Bosewicht hafit, in der Art des personlichen Interesses,
hangt er noch am Stoff e, nicht an der Form, er ist noch
nicht zu der asthetischen Anschauung gekommen. Erst
dann ist er zu dieser Anschauung fortgeschritten, wenn der
Bosewicht so hingestellt ist, dafi die Naturordnung das
Strafgericht vollzieht, nicht der Dichter selbst. Dann voll-
zieht sich das Weltenkarma, dann wird die Weltgeschichte
zum Weltgericht. Der Dichter schaltet sich aus und be-
trachtet objektiv die Weltgeschichte. Damit vollzieht sich,
was schon Aristoteles ausspricht, dafi die Dichter wahrer
sind als die Geschichte. In der Geschichte kann man nicht
immer das ganze Geschehen iiberblicken; es ist ein Aus-
schnitt, der vor uns liegt, so dafi wir oft den Eindruck des
Ungerechten empfangen. Insofern ist daher das Kunstwerk
wahrer als die Geschichte.
Damit war geschaffen eine reine edle Auffassung der
Kunst; die Reinigung, Katharsis selbst, ist liber Sympathie
und Antipathie stehend. Mit reinem, beinah gottlichem
Gefuhl soli der Beschauer vor dem Kunstwerk stehen und
so vor sich sehen ein objektives Abbild der Welt, sich einen
Mikrokosmos schaffen. Der Dramatiker zeigt uns im en-
gen Rahmen, wie sich Schuld und Siihne verketten, stellt
im einzelnen dar, was Wahrheit ist, aber gibt dieser Wahr-
heit ein allgemein gultiges Geprage. Goethe gibt dem Aus-
druck, indem er das Schone eine Manifestation der Natur-
gesetze nennt, die ohne das Schone nie zum Ausdruck
gelangten.
Goethe und Schiller wollten einen Realismus finden,
aber einen idealistischen Realismus. Heute glaubt man,
durch genaue Abbildung der Natur den Realismus zu fin-
den. Schiller und Goethe wiirden gesagt haben: Das ist
nicht die ganze Wahrheit; die sinnliche Natur stellt nur
einen Teil dessen dar, was wahrnehmbar ist; es fehle das
Geistige darinnen; nur dann konne man sie als Wahrheit
gelten lassen, wenn man das ganze Naturtableau auf einmal
in ein Werk hineinbrachte; die sinnliche Natur sei aber
doch immer nur ein Ausschnitt des Wirklichen. - Weil sie
nach Wahrheit strebten, haben sie die unmittelbare Natur-
wahrheit nicht gelten lassen.
So bemtihen sich Schiller und Goethe, in ihrer Zeit den
Idealismus zu erwecken. Friiher war dieser Idealismus vor-
handen; in Dante finden wir dargestellt nicht die aufiere
Wirklichkeit, wie sie uns umgibt, sondern das, was sich in
der menschlichen Seele vollzieht. Spater wollte man das
Geistige veraufierlicht vor sich sehen. Goethe hat im
«Grofikophta» dargestellt, wie der, welcher den Geist ver-
materialisiert, Verirrungen ausgesetzt ist. Auch Schiller hat
sich mit der Materialisation des Spirituellen beschaftigt. In
der damaligen Zeit wurde nach dieser Richtung auch vieles
gesucht. Vieles von dem, was heute als Spiritismus auftritt,
beschaftigte damals weite Kreise. So entstand der tiefe
«Geisterseher», eine Auseinandersetzung mit diesen Stro-
mungen. Vor der Zeit, als er durch den Kantianismus und
das Kunstlerische sich zu hoheren Anschauungen durchge-
rungen hatte, schilderte Schiller die Gefahren, denen derje-
nige, der das Geistige in der aufieren Welt sucht, statt in
sich selbst, ausgesetzt ist. So entsteht der «Geisterseher».
Ein Fiirst, der seinem Glauben entfremdet ist und nicht
die Kraft besitzt, in seiner eigenen Seele das Geistige zu er-
wecken, wird durch eine seltsame Prophezeiung, die ihm
ein geheimnisvoller Fremder verkundet, und die bald dar-
auf in Erfiillung geht, in eine heftige Aufregung versetzt. Er
fallt in dieser Stimmung Gauklern in die Hande, die durch
geschkkte Ausnutzung gewisser Umstande ihn in die See-
lenverfassung versetzen, die fiir eine Geistererscheinung
empfanglich macht. Die Beschworung geht vor sich, aber
plotzlich tritt ein Fremder dazwischen, entlarvt den Be-
schworer, lafit aber selbst nun eine Erscheinung an die Stel-
le jener des Betriigers treten, die eine wichtige Mitteilung
an den Prinzen macht. Der Prinz wird von Zweifeln hin
und her geworfen, der Fremde ist derselbe, der ihm die
Prophezeiung machte; aber bald vermutet der Zweifler,
daft die beiden unter einer Decke steckten, da der erste Be-
schworer zwar verhaftet wird, aber bald verschwindet.
Neue, unerklarliche Vorfalle bringen ihn zu einem Streben
nach der Losung all des Geheimnisvollen; er gerat dabei
vollstandig in Abhangigkeit von einer geheimen Gesell-
schaft; er verliert aber alien sittlichen Halt. Der Roman ist
nicht vollendet worden, aber in erschiitternder Weise er-
scheint hier das Ringen eines Geistersuchers dargestellt; wir
sehen, wie die Sehnsucht nach dem Geistigen den Men-
schen herunterfiihrt, wenn er es im Aufieren sucht. Nicht
derjenige, der an dem Sinnlichen hangt, auch nicht in der
Weise, daft er verlangt, das Geistige als Sinnliches erschei-
nen zu sehen, kann zum Geistigen vordringen. Das Gei-
stige soil sich in der Seele des Menschen enthiillen.
Das ist das wahre Geheimnis des Geistigen. Darum sieht
es der Kiinstler zuerst als Schonheit. Das Schone dann, be-
siegt und durchdrungen vom Geiste, wird wirklich im
Kunstwerk. So ist das Schone das wiirdige Material des
Geistigen. Zunachst war fur Schiller das Schone das einzi-
ge, wodurch sich das Geistige offenbaren kann. Mit Weh-
mut blickte er zuriick auf die Griechenzeit, wo die Mog-
lichkeit zu einer anderen Erweckung des Geistigen vorhan-
den war. Der Mensch hatte sich zu dem Gott erhoben, in-
dem er ihn herabholte, ihn Mensch werden und sich durch
ihn erheben lielL Jetzt sollte der Mensch sich wieder zum
Gottlichen erheben durch Besiegung des Stofflichen. So hat
Schiller in seinen Dramen zu immer Hoherem gestrebt, bis
das Physische immer mehr von ihm abfiel, bis das: «Weit
hinter ihm in wesenlosem Scheine / lag, was uns alle ban-
digt, das Gemeine», das ihm Goethe nachrief, voile Wahr-
heit bei ihm geworden war. Nicht in verachtlichem, niede-
rem Sinn hat hier Goethe dieses Wort «gemein» gebraucht;
das allgemein Menschliche, die gewohnliche Art des Men-
schen ist hier gemeint, uber die sich Schiller erhoben hatte.
So hat Schiller als ein echter Geisterseher sich emporgeho-
ben zur Anschauung des Geistigen.
Er soil als ein Vorbild vor uns stehen. Nur das sollte der
Zweck dieser Vortrage sein, soweit dies in so wenigen Stun-
den moglich war, diese ringende Seele Schillers zu verfol-
gen, wie sie sich emporhebt zu immer erhohter geistiger
Anschauung, das Geistige zu erfassen suchend, um es einzu-
pragen in das Sinnliche. In diesem Ringen erkennt man
Schiller, indem sich bei ihm personlich wahrhaft Goethes
Wort erfullt:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der taglich sie erobern mufi.
So hat sich Schiller emporgerungen zum Meister der
asthetischen, geisterfullten Form.
Ill
ANHANG
Diskussionen und Vortrage Rudolf Steiners
im «Giordano Bruno-Bund fur einheitliche
Weltanschauung» im Jahre 1902
Referate von Mitgliedern des Giordano Bruno-Bundes
in der Zeitschrift «Der Freidenker»
«...Eine zweite Begriindung war der Giordano Bruno-Bund. Es
sollten sich in demselben solche Personlichkeiten zusammenfin-
den, die einer geistig-monistischen Weltanschauung sympathisch
gegeniiberstanden. Es kam dabei auf die Betonung dessen an, daft
es nicht zwei Weltprinzipien, Stoff und Geist, gebe, sondern dafi
der Geist als Einheitsprinzip alles Sein bilde.»
Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang»
DIE EINHEIT DER WELT
Berlin, im Marz 1902
Diskussion im «Giordano Bruno-Bund fur einheitliche
Weltanschauung» mit Votum Rudolf Steiners
Der Bruno-Bund hat den Zweck, einheitliche Weltanschauung zu
fordern. Diese gilt ihm nicht als eine endgiiltig vollbrachte
Leistung, sondern als eine Aufgabe, an deren Losung er forschend
und belehrend, organisierend und anregend mitzuwirken sucht.
Dabei kommt es ihm besonders darauf an, die verschiedenen
Standpunkte zur Verstandigung und womoglich zu einigem Aus-
gleich zu bringen. Auch insofern bemiiht er sich urn Einigung, als
er Naturwissenschaft, Philosophic, Kunst und Andacht harmo-
nisch zusammenschliefien mochte. Als eines der Mittel zu diesem
Zwecke betrachtet der Bund neben grofieren offentlichen Vortra-
gen auch die Diskussion iiber Fragen der Weltanschauung im en-
geren Kreis sowie die Veroffentlichung solcher Bundesverhand-
lungen durch den Druck.
Der erste Versuch, planmafiig iiber einheitliche Weltanschau-
ung zu verhandeln, fand im Marz 1902 statt. Zur Diskussion
stand das Thema: «Was bedeutet einheitliche Weltanschauung ih-
rem Begriffe und Werte nach?» Das einleitende Referat hatte der
neue Schriftfuhrer des Bundes, Herr Dr. Hermann Friedmann,
Ubernommen, wegen Erkrankung jedoch einstweilen nicht hal-
ten konnen. Fiir ihn war freundlichst Herr Wolfgang Kirchbach
eingesprungen, um seine eigenen Anschauungen improvisiert dar-
zulegen. Nachdem der Bundesvorsitzende Dr. Bruno Wille auf
den Zweck der Diskussionsabende hingewiesen hatte, sprach
Fraulein Maria Holgers das ergreifende Gedicht von Holderlin
«An die Natur». Alsdann nahm Wolfgang Kirchbach das Wort:
«Der Herr Vorsitzende hat soeben betont, es sei eine ebenso
schwierige als reizvolle und bedeutende Aufgabe, monistische
Weltanschauung zu begriinden und ihr nachzustreben. Deshalb
werde ich gleich heute bei unserer ersten Diskussion versuchen,
Ihnen die ganze Schwierigkeit des Problems darzustellen, vor
dem wir stehen. Dieser Hinweis auf die Schwierigkeit unserer
Aufgabe soil aber nur ein rein akademischer sein.
Formuliert ist der Satz, iiber den ich zu sprechen habe: Was be-
deutet uns, oder vielmehr mir, <einheitliche Weltanschauung> ih-
rem Begriffe und Werte nach? Ich will Ihnen in Kiirze das Pro-
blem, wie es mich beriihrt, vorfuhren. Fur diejenigen, denen es
noch unbekannt sein sollte, betone ich, dafi das Wort <einheitli-
che Weltanschauung> hier nur eine Ubersetzung des Wortes <mo-
nistisch> ist, welches die Verarbeitung aller Begriffs- und sonstigen
Erkenntnis zu einer Weltanschauung vom Einheits-Wesen, vom
Dasein der Welt in einer Einheit ausdriickt. Das Wort Einheits-
Weltanschauung wiirde den Sinn wohl treffender bezeichnen.
Wir konnen aber, wenn wir eine Einheits- Weltanschauung be-
griinden, uns auch die Frage nicht versagen nach dem Wert einer
solchen, nach den Gebieten, in denen sie von Wert sei und in die
sie zerfalle.
Auf dem Gebiete des <Kosmos>, wie man popularerweise die
Natur in ihrer Gesetzmafiigkeit nennt, die Einheit aller Erschei-
nungen zu suchen, wiirde die eine Seite eines einheitlichen For-
schens und Denkens sein. Die Naturwissenschaft, wie sie augen-
blicklich liegt, gibt aber demjenigen, der tiefer in sie eingedrungen
ist, zur Zeit noch kein Recht, objektiv von einer Einheit im Kos-
mos zu reden. Wir sind popularerweise gewohnt, dieses Weltgan-
ze, quantitativ dargestellt, als Materie und in Verbindung damit
den Begriff Kraft zu denken. Der Dualismus, der dieser Begriffs-
verbindung anhangt, hat zu Versuchen gefuhrt, ihn in eine Ein-
heit aufzulosen. Man sagte, Kraft ist eine Funktion, eine Aufie-
rung der Materie und hatte so eine gewisse Einheit gewonnen, in-
dem man sich die Materie als etwas Wesenhaft-Eines vorstellte.
Auf eine ganz andere Weise hat die tatsachliche Naturwissen-
schaft den Begriff Materie ausgebildet. Mit Hilfe ihrer analyti-
schen Methoden hat sie immer mehr Elemente aus dem umgeben-
den Kosmos herausgelost und hat so durch empirische Arbeit an
Stelle einer monistischen Materie etwa siebzig verschiedene Ele-
mente, das heifit Materien gefunden. So hat der Begriff <Materie>
nur noch den Wert einer sprachlichen Abstraktion wie der Be-
griff <Tier>. Es entspricht ihm kein reales Einzelwesen, sondern
die Einheit dieser siebzig Elemente ist vorderhand nur eine
Hypothese.
Dasselbe finden wir in betreff des Begriffs Kraft seit Robert
Mayers Entdeckung von der Einheit der Kraft und der Umwand-
lungsfahigkeit der Energie. Sie stehen vor dem ungeheuren Rat-
sel, daft die mechanische Kraft und vielleicht dieselbe Kraft, die
den Erdball und die Sonne in dauernde Beziehung setzt und die
Umdrehung der Gestirne bewirkt, daft vielleicht dieselbe Kraft,
umgesetzt und verwandelt, jene Erscheinungen darstellt, welche
uns zum Beispiel ein Gewitter vorfiihrt. Aber die Tatsache bleibt
bestehen, daft diese Erscheinung der Elektrizitat doch anders sich
auftert als etwa die Kraft, die einen Stein nach dem Mittelpunkt
der Erde treibt. So hat denn die Wissenschaft noch nicht darge-
legt, daft man eine Einheit der Natur in dem Sinne annehmen
musse, als seien die verschiedenen Energieformen eins. Die unter-
schiedlichen Phanomene sind eben noch nicht iiberbnickt; wir
stehen auch hier erst vor Hypothesen.
Dasselbe gilt von einer ganzen Reihe anderer Erscheinungen.
So weifi man zum Beispiel nicht, wo man den hoheren Lebensbe-
griff des Organischen von dem Begriff des Unorganischen abgren-
zen soil. Die gesamte Naturerklarung ist dariiber in einem lebhaf-
ten Streit begriffen.
Da wir bei dieser Seite der Weltanschauung ankniipfen miissen
an das Material, das uns die Naturwissenschaft liefert, miissen wir
somit wohl zugeben: Objektiv ist die Einheit des Universums
noch nicht als Tatsache nachgewiesen.
Wie aber steht es mit der anderen Frage, die bei unserer Ge-
samtfrage nach einer einheitlichen Weltanschauung zu behandeln
ist? Es ist die Frage: Wie verhalt sich unser eigenes, auf Einheit
ausgehendes Denken zu seinem Objekt, der Welt? Hier stehen
wir vor einem scheinbaren Dualismus. Wir sehen: da ist etwas
auften, und hier ist etwas, was dieses Auften in sich aufnimmt. Da
haben wir zunachst eine Zweiheit. Wir fragen nun aber: Wie weit
konnen und diirfen wir annehmen, daft die Funktionen unseres
Gehirns, die Aussageformen, Kategorien unseres Geistes eine
Einheit bilden mit der Welt? Die Tatsache, daft Sie alle Funktio-
nen Ihres Geistes auf eine Einheit beziehen, konnte allenfalls dar-
aus abgeleitet werden, daft Sie sie gemeinsam in Ihrem Korper lo-
kalisieren. Zunachst ist die Tatigkeit, die Sie vollbringen, wenn
Sie nach der Ursache forschen, die einen Stein dazu bringt, nach
der Erde zu fallen, eine ganz andere, als wenn Sie fragen: Ist es un-
ter den jetzt gegebenen Bedingungen moglich, daft dieser Fall ein-
tritt? Es konnte ja sein, daft die von den verschiedenen Geistes-
tatigkeken gelieferten Vorstellungen miteinander in Widerstreit
treten und somit schon in Ihrem Inneren keine Einheit bestande.
Eine weitere Frage ware, wie das einheklkhe Bild der Welt, das
Sie in sich tragen, iibereinstimmt mk der objektiven Wirklich-
keit. Wie weit wirken die Gesetze, die in meinem Geiste walten,
auch in der aufieren Welt? Wir werden dabei zunachst dualistisch
denken miissen. Diesen Dualismus in einen Monismus aufzulo-
sen, ist allerdings ein hochster Trieb im Denken selbst; aber die
Erkenntnistheorie stent hier vor einem grofien Problem. Die Be-
schaftigung mit ihm ist seit Kant Pflicht fur jeden, der sich mit
Fragen der Weltanschauung beschaftigt,
Wir haben also beim Aufbau einer einheitlichen Weltanschau-
ung zwei Operationen zu vollziehen, einmal auf empirischem
Wege die unendliche Vielheit der Welt bis in ihre kleinsten Diffe-
renzierungen zu verfolgen, und anderseits dabei immer unser
Denken in erkenntnistheoretischem Sinne zu einem Monismus,
zur Zusammenfassung jener Vielheit zur Einheit zu bilden.
Bei der Bearbeitung des Materials in dieser Richtung wiirden
uns bald nicht mindergewichtige Schwierigkeiten aufstofien auf
ethischem Gebiet. Es wiirde bald die Frage vor uns entstehen,
wieweit konnen wir das sittliche Leben im Menschen selbst und
die Vorgange im Kosmos unter dem Gesichtspunkte einheitlicher
sittlicher Gesetze beurteilen. Denn wir konnen keinen Vorgang
dieser Welt auf uns wirken lassen, ohne ihn zugleich ethisch zu
verarbeiten. Die Freude am Kosmos, die Betrachtung der Harmo-
nie in der unendlichen Vielheit ist zugleich eine sittliche Ausein-
andersetzung. Es wiirde sich also fragen: Konnen wir zu einem
Monismus im ethischen Denken selbst kommen und ihn mit der
ubrigen monistischen Betrachtung verbinden? - Damit tritt zu-
gleich die Frage an uns: Konnte unser sittliches Gefuhl nicht auch
durch eine anderweitige Betrachtung Befriedigung finderi? Wes-
halb halt zum Beispiel der kirchlich denkende Christ seine Lehre,
die nur einen Gott kennt, fur so etwas unendlich Hoheres gegen-
iiber dem Heidentum, das mehrere Gottheiten hat? Und wie ist
der Christ gleichwohl zu einem Dualismus, ja zur Annahme einer
noch grofieren Vielheit in der iibernatiirlichen Welt gekommen?
Ergaben die wissenschaftlichen Betrachtungen den Beweis fur
einen Dualismus, so miilken wir uns damit befriedigt erklaren.
Einen Monismus zu etablieren, nur um monistisch zu sein, ware
wertlos. Aber wir haben im Geiste ein Monon, ein Wesen der
Dinge selbst, nach dem wir den Wert aller unserer Anschauungen
messen konnen: das Wahre, die Wahrheit. Es gibt fiir jede einzel-
ne Wissenschaft, fiir jedes Erkennen nur die eine dauernde Bewer-
tung, dafi ihre Aussagen wahr sind, das heifit, mit den objektiven
Vorgangen iibereinstimmen. Auch fiir eine Weltanschauung
kann nur diese Wertung zutreffend sein. Nur wenn eine monisti-
sche Erklarungsweise in alien objektiven Verhaltnissen wie in un-
serem subjektiven Wirken, in alien Manifestationen der Verschie-
denartigkeit des Lebens sich als wahr bewahrte, ware sie wertvoll;
nichts anderes konnte ich als Kriterium des Wertes dieser Weltan-
schauung ansehen. Dieses Monon der Wahrheit, die nie unwahr
werden kann, ist bis jetzt die einzig erkennbare ewige Einheit, zu
der die objektiven Erscheinungen in ihrer Vielheit und Vergang-
lichkeit mit dem Geiste zusammen wirken. »
Nach diesen Worten Kirchbachs erhob sich Herr Dr.
Rudolf Steiner zu folgenden Ausfiihrungen:
«Ich mochte mich streng an die Frage halten: Was bedeu-
tet einheitliche Weltanschauung ihrem Begriffe und Werte
nach? Ich stehe dabei in geradem Gegensatz zu meinem
Herrn Vorredner. Wenn ich mir die Frage vorlege: Sind
wir vom Standpunkt unserer modernen Natur- und Geistes-
wissenschaft berechtigt, die Welt fur eine Einheit zu hal-
ten, so mufi ich sagen, wir sind es, wir sind jedenfalls in die
Notwendigkeit versetzt, danach zu suchen. Gegenuber der
Mannigfaltigkeit, in die uns ohne Zweifel die Spezialisie-
rung der Wissenschaften gefiihrt hat, frage ich: Worin ha-
ben wir die Einheit zu suchen? Von vornherein zu sagen,
dieses oder jenes musse als Einheit vorerst nachgewiesen
werden, erscheint mir als iibertriebene Forderung einer ex-
tremen Erkenntnistheorie. Fiir mich ist das Streben nach
einheitlicher Weltanschauung schon darin berechtigt, dafi
es einfach ein unausloschliches Bedurfnis des menschlichen
Geistes ist, das zu alien Zeiten vorhanden war, deutlicher
vielleicht in den vorchristlichen Zeiten, als es noch nicht
zuriickgedrangt war von den Dogmen und Anschauungen
der Kirche, gegen die anzukampfen vor allem die Pflicht
eines Bundes ist, der an Giordano Bruno ankmipfen will.
Indessen finde ich, dafi auch die Ergebnisse der Naturwis-
senschaften diesem Bedurfnisse entgegenkommen. Zwar
hat die Chemie siebzig Elemente gefunden und wird diese
Mannigfaltigkeit vielleicht noch vermehren; zugleich aber
etwas ganz Besonderes dazu: Zwischen diesen Elementen
hat sie zum Beispiel hinsichtlich des Atomgewichtes be-
stimmte Verhaltnisse gefunden, nach denen sich eine Skala
der Elemente aufbauen lalk, die zugleich eine Gliederung
dieser Elemente nach ihren akustischen, optischen und an-
deren physischen Eigenschaften ist. Man hat aus einem
Zwischenraum in dieser Skala auf fehlende Elemente ge-
schlossen, ihre Eigenschaften zum Teil vorhergesagt und
sie hinterher tatsachlich entdeckt. So stellen die phenome-
nal allerdings verschiedenen Elemente dennoch eine grofte
Einheit dar, die wir mit der Rechnung verfolgen konnen.
Allerdings ist der Chemiker gezwungen, die Einheit an-
derswo zu suchen als in dem brutalen Begriff einer wesens-
einheitlichen Materie, namlich in einem System gesetzma-
ftiger Beziehungen. Professor Ostwald hat sich auf einem
Naturforscherkongrefi in dieser Richtung ausgesprochen.
Auch ist neuerdings eine Zeitschrift gegriindet worden zur
Weiterbildung des veralteten Materialismus in diesem
neuen naturphilosophischen Sinne. So stehen wir denn vor
einem neuen Weltbild, das wir zwar noch nicht abschlie-
fkn konnen, zu dem uns aber eine Perspektive eroffnet ist,
und zwar eine Perspektive zur Einhek.
So steht es auch mit der Einheitlichkeit der Kraft. Dem
Phanomene nach werden wir Elektrizitat wohl niemals zu-
riickfuhren konnen auf reine Gravitation, aber in der ma-
thematischen Formel, nach der wir sie berechnen und um-
rechnen, haben wir etwas Reales, Grundlegendes; und so-
mit ist uns auch zur Einheit der Kraft eine Perspektive
eroffnet.
Ohne mich genau auf den Standpunkt von Goethes Me-
tamorphosenlehre stellen zu wollen, der auf organischem
Gebiete zum ersten Male ein Einheitsprinzip suchte, meine
ich doch, dafi auch sie einen bedeutenden Schritt zur ein-
heitlichen Weltanschauung darstellt. Hinzu kommt das
biogenetische Grundgesetz, wonach jedes Wesen bei sei-
nem embryonalen Bildungsgange die Formen der Wesens-
arten noch einmal durchlauft, von denen es abstammt.
Seitdem es vollends gelungen ist, organische Stoffe im
Laboratorium herzustellen, ist uns auch hier eine freie
Aussicht auf Einheit geboten.
Wenn man nicht die Einheit geradezu im Phanomenalen
verlangen will, so zeigt uns diese Perspektive, wo wir das
Monon zu suchen haben. Und immer deutlicher enthiillt
sich, was fur alle grofien Philosophen keinen Zweifel hatte:
Dafi das, was wir in der Aufienwelt erleben, sich als gleich-
bedeutend darstellt mit dem, was wir im Geiste erfahren.
Wenn wir von der aufieren zur inneren Erfahrung fort-
schreiten, werden wir ein einheitliches Weltbild zustande
bringen. Fur einen nach Einheit Suchenden sind die letzten
Jahrzehnte der Wissenschaft recht trostreich, denn aus
alien Gebieten stromen ihm Elemente zu, die ihm einheit-
liche Weltanschauung eroffnen.
Ihr Wert besteht darin, dafi sie einem geistigen Bediirfnis-
se geniigt, das ebenso notwendig wie Luft und Licht zum
Gliick eines Geistes gehort, der dieses Bediirfnis in sich aus-
bildet.»
Herr Kirchbach replizierte in folgendem Sinne: «Zu der Frage:
Wie kommen wir zu einheitlicher Weltanschauung und wie stel-
len wir sie uns vor? - hat Herr Dr. Steiner viele Anregungen ge-
geben, mit denen ich durchaus einverstanden bin. Doch kann
man in einzelnen Punkten streiten. So ist die vom Herrn Vorred-
ner erwahnte Lehre Goethes von der Metamorphose der Pflanzen
ein Beispiel dafur, wie selbst ein so grofier Geist glauben konnte,
eine Einheitssache gefunden zu haben in einem Punkt, der sich
spater als fraglich darstellte. Goethe glaubte, im Chlorophyllblatt
walte dasselbe morphologische Prinzip wie im Stengel, und er sah
das Prinzip der Blatter in der Gestalt der Blumenblatter und in
dem Pistille wiederkehren, so daft ihm alle Teile der Pflanze nur
Modifikationen eines und desselben morphologischen Gestal-
tungsprinzips waren. Dagegen ist es Tatsache, dafi bei der Rose
das Stengelblatt nur einen mittleren Kanal hat, wahrend das Blu-
tenblatt deren drei besitzt, also besteht doch ein fundamentaler
Unterschied im morphologischen Aufbau der Rose, ebenso wie
ein chemischer zugrunde liegt.
Die neuere Zellentheorie sucht ja auch die Einheit auf einem
ganz anderen Gebiete als in dieser Scheinmorphologie. Hier ist
die Zelle das Bildungsprinzip und bringt den Gesamtaufbau
durch die Summe aller Faktoren hervor, denen sie unterworfen
ist. Vielleicht wird es ahnlich gehen mit manchen Begriffen des
Darwinismus.
Ich habe das Beispiel herangezogen, um zu zeigen, wie schwie-
rig das Suchen einer Einheit selbst auf natiirlichem Gebiet ist,
weil wir erst die Phanomene richtig der blofien Anschauung nach
gruppieren lernen miissen, ehe wir auf ihre Wesens-Einheit durch
mathematische oder sonstige logische Vermittlung schliefien
d\irfen.»
Dr. Bruno Wille: «Sie haben soeben zwei Vertreter von Weltan-
schauungen gehort, die, wie ich meine, abgesehen von einzelnen
Differenzpunkten, in den Grundziigen doch iibereinstimmen. Es
ist zunachst auf gewisse Schwierigkeiten hingewiesen worden, die
der Ausbildung einer einheitlichen Weltanschauung scheinbar im
Wege stehen. Allerdings erleben wir die Natur zunachst als eine
Vielheit, als eine ungeheure Menge von verschiedenen Empfin-
dungen. Erst wenn wir diese Mannigfaltigkeit im Einhek suchen-
den Geiste vergleichen und die Unterschiede teils uberbriicken,
teils auflosen, konnen wir einer einheitlichen Weltanschauung
naherkommen.
Solche Einheit zu suchen ist in der Tat, wie Dr. Steiner sagt, ein
allgemein menschliches Bedurfnis; zunachst ein logisches Bediirf-
nis. Unser Erkenntnisapparat, der die Welt begreifen mochte, hat
die Tendenz, alles Vielfache zur Einheit zusammenzudenken. So
sehen wir an den Baumen unserer markischen Walder trotz aller
Verschiedenheit eine gewisse Gemeinsamkeit und schliefien sie
zum Beispiel in dem Begriffe <Kiefer> zu einer Einheit zusammen.
Die Kiefern wiederum ordnen wir mit den Birken, Eichen und
Espen, mit den Heidelbeeren, Farnen und Moosen zu einer noch
hoheren Einheit, zum Begriffe <Pflanze> zusammen. Vergleichen
wir eine Pflanze mit uns selbst, so ist hier wieder eine Einheit vor-
handen; wir haben es mit organischen Lebewesen zu tun. So ist
unser Denken bestandig auf der Suche nach ubergeordneten Zu-
sammenschliissen und Zusammenhangen. Hier entsteht nun frei-
lich die bedeutsame Frage der Erkenntnistheorie: Entspricht un-
serem Denken die von uns unabhangige Welt? Ist die Einheit der
Natur mehr als ein blofi subjektives, intellektuales Erlebnis? Die
Antwort ist hochst verwickelt. Heute begniige ich mich mit
einem einfachen <Ja>, indem ich noch bemerke: Ich suche den Mo-
nismus auch darin, dafi ich, anders wie Kant, Subjekt und Objekt,
Geist und Natur als eine untrennbare Einheit auffasse und wie die
mittelalterlichen <Realisten> im Begriffe eine wirkliche, nicht blofi
namentliche Identitat sehe.
Auch fur unser sittliches Streben kann der Zweifel iiber das sitt-
lich Wahre, das Rechte und Heilsame nur beseitigt werden, wenn
wir aus einer hochsten Einheit heraus die einzelnen sittlichen
Ideen ableiten konnen. Gabe es zwei oder mehrere Weltprinzi-
pien, die in absolutem Gegensatz standen, so wiirden sich auch
widerspruchsvolle Grundsatze fur unser sittliches Leben daraus
ableiten lassen; und iiberhaupt auf alien Gebieten unseres Lebens
gerieten wir in heillose Widersprikhe. Also unser ganzer Idealis-
mus weist uns auf den Monismus hin, auf das Suchen nach dem
ewig Einen.
Worin wir das Eine in der mannigfaltig erscheinenden Welt zu
suchen haben, dariiber gibt die Naturwissenschaft freilich noch
nicht klipp und klar Antwort; aber die grofiartig entfaltete Natur-
wissenschaft des vorigen Jahrhunderts war, wie Dr. Steiner sehr
richtig betonte, so fruchtbar auch fur die Sache der einheitlichen
Weltanschauung, dafi der monistische Philosoph nicht unterlas-
sen darf, den vollen Nutzen aus diesen Fruchten zu ziehen. Aller-
dings sollte ebensowenig der Naturforscher verachtlich auf die
jahrtausendalte Arbeit der Philosophic blicken, vielmehr die von
philosophischer Seite erhobenen Zweifel ernst nehmen und zu
beantworten suchen. Es freut mich, dafi Herr Dr. Steiner aner-
kannt hat, der alte Materialismus sei unhaltbar geworden. Diese
Einsicht ist eine Frucht der philosophischen Kritik. Und so geho-
ren Philosophic und Naturwissenschaft zusammen als Betrach-
tungsweisen, die einander erganzen.
Zur Erganzung der naturwissenschaftlichen Tatsachen, in de-
nen Herr Dr. Steiner mit Recht wichtige Momente des Monismus
erblickt, mochte ich noch auf folgende Seiten meiner einheitli-
chen Weltanschauung hinweisen. Ich mochte vor allem betonen,
dafi wir ein umfassendes Naturgesetz in samtlichen Weltvorgan-
gen und Erscheinungen vorfinden, fur das wir noch niemals eine
Ausnahme haben feststellen konnen: das Gesetz der Kausalitat.
Es ist eine Tatsache, dafi jeder Vorgang denknotwendig aus einem
anderen folgt, den wir die Ursache des folgenden nennen konnen.
Ich meine nun, Ursache und Wirkung bedeutet in dieser Verbin-
dung nichts als das, was wir Entwicklung nennen. Das Hervorge-
hen der Wirkung aus dem System ihrer Bedingungen konnen wir
namlich als die Fortentwicklung der Ursache auffassen. Das Ge-
setz der Kausalitat also durchzieht samtliche Weltvorgange, fur
die wir wiederum besondere Regeln, die speziellen Naturgesetze
feststellen konnen. Nach solchen <ewigen, ehernen, grofien Ge-
setzen> schliefit sich fur uns die Welt zur Einheit zusammen, im
Gegensatz zu der dualistischen Weltanschauung, die Wunder,
also Ausnahmen von den Naturgesetzen zugesteht, die sie ohne
<hohern Ratschlufi>, das heifit ohne Gestandnis der menschlichen
Unwissenheit, nicht plausibel machen kann.
Eine weitere Einheit der Welt finde ich in der Tatsache, dafi al-
les, was ich vom Universum kenne, ein Erlebnis ist, entweder ein
Erlebnis fur mich oder ein Erlebnis fur andere Wesen, sowie ein
Selbsterlebnis. Wenn man darunter nicht nur das Ideenerlebnis
versteht, womit man sich der idealistischen Anschauung nahern
wiirde, die eben nur die Idee als das Reale der Welt betrachtet, so
meine ich, konnen wir uns alle auf diesen Satz einigen; denn nie-
mand wiirde wohl nachweisen konnen, es gebe ein Dasein, das
nicht Erlebnis ware. In diesem Grundsatze meiner Weltanschau-
ung habe ich den Ausgleich bedeutender Gegensatze gewonnen,
die jedem einseitig materialistischen oder mechanistischen Monis-
mus bedenklich werden. So habe ich den Gegensatz von Materie
und Geist iiberwunden, die ich einige, indem ich alles Physische
als Erlebnis auffasse, freilich nicht etwa als blofies Phanomen fur
unsere Sinne, sondern als eine Art, in der sich das ewig Eine
erlebt. - Uberhaupt leugnet mein Monismus alle absoluten Ge-
gensatze. Der Tod bedeutet fur mich eine andere Seite des Lebens.
Das Entstehen des Organischen aus dem Unorganischen kann kh
mir nur vorstellen, wenn kein absoluter Gegensatz zwischen bei-
den Naturreichen besteht. Im sittlichen Leben betrachte ich das
Bose nur als eine unreife Form, eine niedere Stufe des Guten; also
kein absolut, nur ein relativ Boses lasse ich gelten. So ist auch der
Irrtum nur eine unreife Wahrheit, eine bestimmte Entwicklungs-
stufe auf dem Wege zur Erkenntnis.
Ich suche einheitliche Weltanschauung, wie Sie sehen, auch in
der Weise, dafi ich eine subjektive Einheit, eine Einheit zwischen
meinen verschiedenen geistigen Bestrebungen, meinen mannigfal-
tigen Erlebnissen und Personlichkeitskraften erstrebe. Uberwun-
den ist fur mich der Gegensatz zwischen Kopf und Herz, Gemiit
und Verstand, zwischen wahrer Religiositat und wissenschaft-
licher Erkenntnis, wie auch die Meinung, dafi die Kunst nur eine
Illusion, eine holde Tauschung sei, die der kiihlen Einsicht im
Wege stehe. So habe ich denn schon bei der Griindung unseres
Bundes betont, man solle bei der Pflege einheitlicher Weltan-
schauung den Menschen anleken, in seinem Innenleben die zer-
reifienden Feindseligkeiten zur Harmonie zu gestalten - zu einer
Versohnung; nicht freilich zu einer Versohnungsduselei, sondern
zur klaren Einheit seiner hochsten Geistesbetatigungen.»
Wolfgang Kirchbach: «Zum Beschlufi dieser Diskussion mochte
ich Sie bitten, die Unterhaltung, die zwischen den drei Herren ge-
fiihrt worden ist, zu betrachten als die Vorrede zu den Diskussio-
nen, die weiter folgen. Bei den bevorstehenden Unterredungen
werden wir vielleicht davon absehen, sie in dieser allgemeinen
Weise weiterzufiihren. Es sind Linien beschrieben worden, an de-
nen ein innerer Konsensus verfolgt werden kann. Wir wollen in
den nachsten Diskussionen konkrete Fragen herausnehmen. Alle
Redner sind ja darin einig, eine einheitliche Weltanschauung sei
ein unabweisbares Bediirfnis. So hatten wir denn hauptsachlich
nur die Aufgabe, festzustellen, wie weit diese Bestrebungen ge-
kommen sind, und hatten die Frage auf bestimmte Punkte zu be-
schranken. Ich mochte dariiber noch keine naheren Angaben
machen und so den Roman mit einem <Fortsetzung folgt> fur heu-
te beschliefien, damit Sie begierig sind: <Wie wird das weiter-
gehen?»>
WAHRHEIT UND WISSENSCHAFT
Berlin, 7. Mai 1902
Einleitendes Referat Rudolf Steiners:
«Vor welchem Forum kann uber <einheitliche Weltanschauung)
entschieden werden? - Versuch einer Antwort auf die Frage
nach <Wahrheit und Wissenschaft»>; anschliefiend Diskussion.
Dr. Rudolf Steiner, als Referent: Angeregt worden bin ich
zu unserer Fragestellung «Vor welchem Forum mufi ein-
heitliche Weltanschauung entschieden werden» einmal
durch die friiheren Diskussionen unseres Bundes, der ja
monistische Weltanschauung pflegen will, und auch durch
meine personliche Beteiligung an dem Streit um Haeckels
«Weltratsel». Hier im Bunde wurden oft die Fragen erwo-
gen: Was ist das Wesen einer einheitlichen Weltanschau-
ung, worin besteht ihr Wert, haben wir eigentlich das
Recht, von einer speziell monistischen zu sprechen? Es
wurde einmal betont, dafi wir nach dem heutigen Stand-
punkt der Wissenschaft kein Recht haben, von einer Ein-
heit in stofflicher Beziehung zu sprechen, und ein andermal
von Dr. Penzig ausgefuhrt, dafi beim Streben nach einem
einheitlichen, die ganze Natur und Geisteswelt umfassen-
den Weltbilde man gar nicht anders konne, als das objektiv
von der Einzelwissenschaft gegebene Bild falschend abzu-
runden, also den Tatsachen Gewalt anzutun. Ich habe
schon damals bemerkt, dafi von solchen vermeintlichen
Falschungen oft die grolken Fortschritte ausgegangen sind.
So war das Kopernikanische Weltsystem fur seine Zeit eine
«Falschung» der vorliegenden Tatsachen, wie die Lamarck-
Darwinsche Entwickelungstherorie nichts weiter ist. Wie
Tycbo de Brahe das fur seine Zeit einzig mogliche Weltbild
gab, so ist es dem Tatsachenfanatiker, der mit seinem Den-
ken nicht uber die objektiv gebotenen Tatsachen hinausge-
hen will, leicht, die «Falschungen» nachzuweisen, die die
Lamarck-Haeckelsche Entwickelungstheorie nach dem
heutigen Stande der Wissenschaft enthalt. Trotzdem glaube
ich, wird wie Kopernikus Haeckel Recht behalten. Ich bin
seinerzeit mit aller Entschiedenheit fur die viel umstritte-
nen «Weltratsel» eingetreten, weil ich die Konsequenz und
aufierste Kiihnheit bewunderte, mit der ein Geist von
einem einseitigen Standpunkte aus ein Weltbild entwirft
und «falscht». Obwohl meine philosophischen Grundan-
schauungen ihm nur entgegengesetzt sind in dem, was er
darin bekampft und ihm beistimmen in dem, was er Positi-
ves gibt. Zugleich wurde ich aber unter Heranziehung frii-
herer Schriften als ein Hauptgegner Haeckels bezekhnet,
eine Erfahrung, die mir symptomatisch scheint fur unsere
Zeit, insofern im Kopf eines anderen die Vorstellungswelt
des Autors ein ganz anderes Bild annimmt. Wir fuhren
eben mit unseren Begriffen, nach ihrer sonstigen Stellung
im Geistesleben, Vorstellungen ins Feld, die etwas anderes
besagen, als wir ausdriicken wollen.
Bei diesen Auseinandersetzungen uber Haeckel und in
den Diskussionen des Bundes ist mir eine Frage wieder le-
bendig geworden, die ich mir schon oft vorlegte: Wie ver-
halt sich Wahrheit zur Wissenschaft? Enthalt die Wissen-
schaft Wahrheit, enthalt sie irgendwelche Momente, die
zum Aufbau einer einheitlichen Weltanschauung fuhren
konnten? Haben wir das Recht, aus der Wissenschaft her-
aus eine einheitliche Weltanschauung oder iiberhaupt eine
Weltanschauung aufbauen zu wollen?
Bei dieser Frage, die schon Jahrhunderte beschaftigt hat,
die ihrer Losung naher waren als die Neuzeit, die sich den
Weg der Losung durch die sogenannte Erkenntnistheorie
verbaut hat, mufi man sich klar werden, vor welchem Fo-
rum tiberhaupt etwas ausgemacht werden kann in bezug
auf Wahrheit und Wissenschaft, in bezug auf Wahrheits-
gehalt der Wissenschaft.
Heutzutage haben wir nach der ganzen Entwickelung des
19. Jahrhunderts von der Wahrheit etwa die Vorstellung,
dafi sie mit der objektiv vorliegenden Wirklichkeit iiberein-
stimmen miisse. Wir befinden uns in einem intensiven Tat-
sachenfanatismus, der uns nicht gestattet, irgendeinen
Schritt uber die Registrierung hinauszugehen. Wenn Wahr-
heit nur eine begriffliche Wiederholung dessen ist, was
aufier uns vorhanden ist, so ist nach Empfindung derjeni-
gen, die heute nach Weltanschauung streben, diese auch
nichts anderes, als ein Gegenbild aufier uns vorhandener
Tatsachen, der aulkr uns in der Welt fertigen Wirklichkeit.
Wenn es gelange, von irgendeiner Ecke in moglichst gunsti-
ger Perspektive eine Photographie der Welt zu machen, so
ware das Ideal eines Weltbildes erreicht. Eine solche Welt-
anschauung aufzubauen ware aber tatsachlich uberfliissig,
ein blofter Luxus des Menschengeistes, wenn sie, wie die
Wissenschaft, nichts anderes sein soil als eine blofte Wieder-
holung, eine Art photographisches Gegenbild dessen, was
in der Welt vorgeht, was abgeschlossen vorliegt. Dafi der
Einzelne sich noch ein individuelles Gegenbild neben der
Wissenschaft bildet, ware vollkommen entbehrlich, fur den
ganzen Weltzusammenhang unendlich gleichgultig. Wenn
die Natur alles bis auf den Schlufipunkt fur uns besorgt und
ausgebildet hat, so gehort das nicht zur Wirklichkeit, was
der Menschengeist traumt und schafft. Fur diesen Stand-
punkt, der in grotesker Weise in der heutigen Wissenschaft
auch in Haeckels «Weltratsel» hervortritt, ist der Mensch
nichts anderes als ein blofies Staubkorn im Kosmos, das
sich blofi quantitativ unterscheidet von dem Wurm. Macht
er sich ein Weltbild, so lebt er ein Luxusleben, tut etwas,
was nicht das Geringste hinzubringt zur Weltentwicke-
lung. Vielmehr wird gefordert, daft er niemals etwas aus
dem eigenen Geiste Genommenes, was in der ubrigen Na-
tur nicht gefunden wird, zubringen diirfe, sondern nur re-
gistrieren, vergleichen, logisch verkniipfen.
Wir fragen: Stimmt dies Verfahren, bloft logisch der ob-
jektiven Natur gegeniiberzutreten, niemals etwas iiber den
derzeitigen Stand der Verhaltnisse Hinausgehendes hinzu-
zufugen, iiberein mit dem Gange der Wesenheiten der Na-
tur; liegt nicht vielleicht in der Entwickelungsrichtung der
Natur etwas, das uns zwingt, irgend etwas der Wirklichkeit
hinzuzufugen? Die Ant wort gibt die Natur uns selbst. Be-
sonders solle sie sie dem Entwickelungstheoretiker geben.
Gestatten Sie mir, um Ihnen dies in pragnanter Weise
darzulegen, die Annahme, die Natur befande sich in dem
Stadium ihrer Entwickelung, daft es nur Affen und keine
Menschen gegeben hatte, die Affen hatten nachgeforscht
iiber die Erscheinungen der Welt, sie hatten gefunden, was
unter ihnen liegt, und noch Affen dazu. Hatten sie sich auf
den empirischen Standpunkt gestellt, so hatten sie sich bei
der Erkenntnis beruhigt: die Welt schlieftt mit den Affen
ab. Sie hatten vielleicht eine Affenethik gegriindet auf
Grund der allgemeinen Affenempfindung, so daft hier zu
der Welt nichts Neues hinzugetan worden und sie auf ih-
rem Standpunkt stehen geblieben ware. Doch von unserem
Standpunkte der Erkenntnis wissen wir, daft im Entwicke-
lungsprinzip allerdings etwas vorhanden war, was iiber die
Affengattung hinausgeleitet hat, das, weil es ein produkti-
ves Prinzip war, weil es iiber dasjenige, was als abgeschlos-
sene Wirklichkeit vorlag, hinauswies, zur Menschenbil-
dung gefiihrt hat, etwas, das sich nicht auf das Tatsachliche
beschrankte, was, gleichsam als reale Phantasie, reale Intui-
tion in der Natur vorhanden, diese iiber ihre einzelnen Sta-
dien hinwegfuhrt und iiber die unmittelbare Gegenwart
hinaushebt.
Auch der Mensch als Produkt der Entwickelung, als We-
sen in der Natur, ist da, um der Entwickelung zu leben,
nicht blofl, um zuriickschauend sich ein Bild der Entwicke-
lung zu machen und sich als den Schlufipunkt der Reihe zu
betrachten. Eine Weltanschauung, die den Inhalt seines
ganzen Denkens und Tuns zusammenfassen will, wird des-
halb nicht blofS theoretisch-betrachtend, sondern auch
praktisch-postulierend sein mussen. Der Mensch soil also
nicht nur in irgendeiner Weise die Natur wiederholen, son-
dern sehen, ob nicht in ihm Krafte liegen, die iiber das un-
mittelbar Gegebene hinausfuhren. Er soli die Entwicke-
lung geistig, ideell lebendig in sich machen, soil die Krafte
suchen, die die Gattung weitertreiben, den Fortschritt her-
vorbringen, nicht blofi seine Geisteskrafte danach untersu-
chen, ob sie mit der Wirklichkeit ubereinstimmen. Die
Frage «K6nnen wir zum Ding an sich dringen, in das We-
sen der Welt hineinsehen» ist ein Unheil, ein Hemmnis fiir
den Menschen. Aber wenn er sich in die Entwickelung
stellt, eingreifend in die Natur, urn sie ein Stuck weiter-
zufuhren, kommt er zu einem Gefuhl seiner erhabenen
Aufgabe, seiner Stellung innerhalb der Welt.
Es sind tatsachlich Ansatze zur Bildung dieses iiberwis-
senschaftlichen Standpunktes vorhanden, der die Wissen-
schaft durchaus gelten laftt, aber sich iiber das erhebt, was
die Wissenschaft ihm als Gesetzmafiigkeit des logischen
Gedankens bietet. Maeterlinck ist zum Beispiel mit ahnli-
chen Anschauungen hervorgetreten in einem seiner neue-
ren Biicher, in dem er die Hochzeit der Bienen schildert.
Man fragt: Konnen wir von Wahrheit im Sinne wissen-
schaftlicher Wahrheit, von Ubereinstimmung mit der vor-
liegenden Wirklichkeit, die sich immer im materiellen
Kleinkram befindet, reden, wenn sie Inhalt einer Weltan-
schauung sein soli, oder fiihrt sie als Weltanschauungs-
wahrheit in ahnlicher Weise iiber die rein objektive Wahr-
heit hinaus, wie die dichterische Wahrheit nach Anschau-
ung derjenigen, die sie im Goetheschen Sinne auffassen,
iiber die unmittelbare naturalistische Wahrheit hinaus-
fuhrt?
Solche Ansatze sind in heutiger Zeit mehrfach zu finden
zum Entzucken derer, die die Wahrheit im lebendigen Le-
ben sehen, zum Greuel der Tatsachenfanatiker wie Tycho
de Brahe oder der Gegner Haeckels. Doch gehort sie nicht
vor deren Forum. Die Wahrheit, die befruchten will, wird
immer ein Suchen sein, wird immer das Bild der Tatsachen-
fanatiker «falschen» miissen; aber sie steht unendlich iiber
dieser, indem sie etwas Intuitives, Geistiges im Menschen
ausbildet, etwas Neues der Natur hinzufiigt, was nicht
ware ohne den Menschengeist. Dadurch erhalt das, was der
Mensch in seinen Traumen hegt, in seinem Geiste schafft,
mehr als die Bedeutung eines blofien Luxus, erhalt kosmi-
sche Wahrheit im Leben, als etwas, das der Mensch neu er-
zeugt hat. So steigt er auf dem Unterbau der Wissenschaft
empor zu produktiver Arbeit, die frei aus seiner Seele her-
vorquillt als Originalintuition. Anschliefiend an die hoch-
ste Stufe der Entwickelung hat er eine Aufgabe, die kein an-
deres Wesen der Welt hat, fiigt er etwas hinzu, was ohne
ihn ewig nicht vorhanden ware.
Mogen diese Anschauungen dem reinen Naturforscher
ein Greuel sein, ich hake es fur eine richtige Erkenntnis,
dafi der Mensch ein Recht hat, produktiv in seiner Weltan-
schauung zu sein, ein Gefuhl, das zu verschiedenen Zeiten
lebendig war, als uns noch nicht Tatsachenfanatismus und
Erkenntnistheorie Scheuklappen angelegt hatten, Zeiten,
die von vornherein von dem kosmischen Charakter dieser
Hinzufiigung iiberzeugt waren.
Lassen Sie mich schliefien mit den Worten des Angelus
Silesius, die die Erkenntnis der einzigartigen Bedeutung des
Menschengeistes in der Welt ausdriicken:
Ohn' mich konnt' Gott kein einzig Wurmlein schaffen;
Wiird' ich zu nichts, miifit' es im Nichts zerkrachen.
Schdfer, friiher Sprecher der freireligiosen und der humanisti-
schen Gemeinde zu Berlin, beanstandet den Ausdruck «Fal-
schung» fiir den Irrtum des Kopernikus. Wenn er anstatt einer
Ellipsen- eine Kreisbewegung annahm, so sei das eine mangelhafte
Anschauung, die wie viele ahnliche durch den fortschreitenden
Menschengeist geklart worden, wie es denn immer das Los des
Menschen sein werde, vor Unvollkommenheiten seiner Anschau-
ungen stehenbleiben zu miissen, die erst spater gelost werden.
Redner hatte das Thema heber gefafk gesehen: «Von welchem
Forum, welchem Gerichtshof kann geurteilt werden iiber eine
Weltanschauung, iiber Wahrheit und Unwahrheit, und damit
iiber ihr Recht und Unrecht?»
Dieses Forum kann nur die Personlichkeit, ihre Souveranitat
sein. Aus dieser Stellung fliefit dann das Gefiihl der Verantwort-
Hchkeit.
Dr. Stern: «Eine Grundlage, die von Wichtigkeit ist fiir unsere
Diskussion, lautet: Ist eine Weltanschauung, das heifit, eine allge-
meine philosophische Anschauung vom wahren Wesen der Welt
und alles Seienden iiberhaupt moglich? Diese Frage ist sehr ver-
schieden beantwortet worden. Wahrend es einerseits fiir unbe-
denklich gehalten wird, nach den gemachten Erfahrungen sich
ein dogmatisches Weltbild zu verschaffen, so ist eine andere Mei-
nung, zu der ich mich bekenne, der kritische Positivismus, der
von wissenschaftlicher Erkenntnis ausgehend zwar nicht bei der
einzelnen Tatsache stehenbleibt, es aber doch nicht fiir moglich
halt, ein Bild des letzten Sachverhaltes, ein wahres Bild des Kos-
mos zu gewinnen.
Um die dogmatische Methode zu rechtfertigen, wird auf den
metaphysischen Trieb hingewiesen, der unzweifelhaft im Men-
schen existiert, schon im Kinde, das das Spielzeug zerbricht, um
hinter den Kern der Sache zu kommen.
Bei der Bildung metaphysischer Systeme zur Befriedigung die-
ses Triebes haben sich aber zwei psychologische Fehler einge-
schJichen: die griechische Philosophic griff einseitig einen der ver-
schiedenen Teile des Weltalls heraus und machte ihn zum Sub-
jekt, dem wahren Wesen der Natur. So Thales das Wasser. In
neuerer Zeit ist man darauf verfallen, verschiedene psychologi-
sche Fahigkeiten der Menschennatur einzeln ins Auge zu fassen
und, phantastisch vergrofiert, der Natur als Wesenheit unterzu-
schieben. So macht Hegel die Vernunft zum Weltprinzip,
Schopenhauer den blinden Willen. Lotze nimmt ein umfassendes
Bewufttsein an, das alle Wechselwirkung vermittelt. So ist die
Philosophic gliicklich wieder da angelangt, wo sie ausging, im
Hylozoismus.
Ich hake es iiberhaupt fiir unmoglich, eine allgemeine, wahre
und richtige Weltanschauung zu finden, einmal wegen der sub-
jektiven Beschaffenheit des menschlichen Geistes, der alles und
jedes durch eine subjektive Brille sieht und nach Kant das Ding
an sich nie erkennen kann, anderseits aus dem objektiven Grun-
de, daft alle unsere Forschung nur einen so kleinen Teil des Welt-
alls umfaftt und es iiberhaupt unmoglich ist, daft jemals ein so
grofier Teil des Geschehens in den Kreis unserer Erfahrung tritt,
daft wir allgemein giiltige Schliisse auf die Gesamtwelt daraus
ziehen konnen.»
Benedikt Lachmann: «Dr. Steiner scheint mir einen Gegensatz
zwischen Mensch und Natur aufzustellen. Das Wesen des Men-
schen wie jeder anderen Existenzform laftt sich auflosen in ein
Spiel von Kraften, von Bewegung und Widerstand, die zwecklos
miteinander kampfen. Es kann sich fiir den Menschen nicht dar-
ura handeln, sich iiber diese Krafte zu erheben, sondern er mufi
suchen, so gut wie moglich mit ihnen sich auseinanderzusetzen.»
Wolfgang Kirchbach: «Dr. Steiner hat gesagt, es sei eine Gefahr,
ja eine Notwendigkeit des menschlichen Geistes, zu einer Fal-
schung zu gelangen, wenn er sich nicht begniigen will, ein einfa-
ches Abbild, einen Abklatsch der Wirklichkeit zu geben. Im Ge-
gensatz dazu glaubte Baco von Verulam, ein richtiges Weltbild
aufbauen zu konnen allein auf den perceptionibus sensuum, und
das Kopernikanische System verwarf er, weil es seiner Vorstel-
lung von den perceptiones widersprach.
Es kommt doch bei der Feststellung der Wahrheit auf die
Kenntnis an, die der Mensch iiberhaupt von seinen Kraften und
Vermogen hat, die ihm zur Beurteilung der Wirklichkeit gegeben
sind. Darunter gehort zum Beispiel auch die mathematische Beur-
teilung, die die Wahrnehmungen korrigiert. Von einer Falschung
kann man wohl nur in dem Sinne reden, dafi der Mensch einseitig
auf die eine oder andere Fahigkeit verzichtet. Es hat doch auch
Kopfe gegeben, die im Vollbesitz aller ihrer geistigen Fahigkeiten
in einer gewissen Reife, die wir Vernunft nennen, dachten. Wenn
Herr Schafer sagt, das Forum einer Weltanschauung sei die, Sou-
veranitat meiner Personlichkeit, so meinte er sicherlich, dafi die-
ses Forum der Gesamtbesitz der geistigen Krafte meiner Person-
lichkeit sei, und wir konnen uns auf den Namen Vernunft einigen.
Der Vernunftbegriff der Wahrheit fordert Ubereinstimmung
des Urteils mit der Wirklichkeit fur jedes Denken, in Wissen-
schaft wie Weltanschauung, verlangt nach Beobachtung, Wahr-
nehmung, Korrektur der Wahrnehmung, den Begriff, den Aus-
druck zu finden, der die grofite Summe der bekannten Tatsachen
nach dem jeweiligen Stande der Erkenntnis ausdruckt, die grofite
Zusammenstimmung unserer Urteile mit der Wirklichkeit aus-
druckt.
Dieser Weg allein macht Forschung und Phantasie produktiv,
schiitzt sich vor Irrtum, der von der Wirklichkeit widerlegt, in-
haltslos und unproduktiv ist. So allein ist es moglich, der Natur
etwas produktiv hinzuzufugen. Auch wenn der Dichter uns ein
Weltbild gibt, halten wir es fur besser, dafi er realistische Gestal-
ten schafft, in seinem Werke ein gesellschaftliches oder sonstiges
allgemeines Gesetz zu beobachten gibt. Sein Werk ist auch nur
das Abbild der Wirklichkeit, aber allein das Auffinden des wirkli-
chen innern Symbols ist eine eminent produktive Tatigkeit, wie
in der Wissenschaft das Auffinden des zusammenfassenden, in sei-
ner Anwendung fruchtbaren Oberbegriffs aus der Summe der
entgegenstehenden und einschrankenden Data.
Es bedarf allerdings einer produktiven Einbildungskraft, aber
diese ebenso eines Regulators der Vernunft, eine Einschrankung
der Phantasie durch die Wirklichkeit.
Diese Methode hat durch Schaffung neuer Organe etwas zur
Welt hinzugefiigt. Durch methodisch-verniinftige Betrachtung
hat Kant auf sittlichem Gebiet dem, was wir hier gemeinhin Na-
tur nennen, der Welt der Empfindung und Lustgefiihle, ein ganz
neues Moment hinzugesellt, das weit iiber die empirische Natur
hinausragt, den kategorischen Imperativ.»
Dr. Sterner: «Ich mufi gestehen, dafi die Angriffe das, was
ich heute gesprochen habe, gar nicht getroffen haben. Ich
habe nicht von einem Gegensatz zwischen Mensch und Na-
tur gesprochen. Ich habe mich vielmehr auf den konse-
quentesten Standpunkt der Entwickelungstheorie gestellt,
dafi ich alle Stufen der Natiirlichkeit, von den tiefsten bis
hinauf zu den hdchsten Regungen des Geistes, als einheit-
liche betrachte, die nur in verschiedenen Formen zum Vor-
schein kommen. Aber eine Amobe ist schliefilich kein
Mensch, und es handelt sich nicht darum, alle Unterschiede
zu verwischen. Wenn ich aber sage, in der Natur ist alles
nur Kraft, Widerstand, Bewegung, so erinnert das zu sehr
an den Satz: In der Nacht sind alle Katzen grau. Es ist nicht
so im Handumdrehen mit der Welt fertig zu werden. Erst
wenn ich die Dinge unterschieden habe, kann ich nach
einem einheitlichen, verbindenden Prinzip suchen. Im Sin-
ne des verbindenden Entwickelungsprinzips habe ich von
der Aufgabe des Menschen gesprochen als einer innerhalb
der Natur liegenden, durch die Entwickelungstatsachen
gegebenen.
Daft wir uns an die Wirklichkeit halten miissen, wenn
wir produktiv sein wollen, und an ihr unsere Phantasie
korrigieren, darin stimme ich vollkommen bei. Ich fiihrte
nur aus, daft die Bemuhungen, ein Weltbild zu geben, das
nur ein Abklatsch der Wirklichkeit ist, wie Buchner will,
diesen Anforderungen bisher nicht geniigten, und zum Bei-
spiel auch dieser gezwungen ist, den Tatsachen Gewalt an-
zutun. Man mufi hier nicht auf den Willen sehen, sondern
auf das Resultat. Man benimmt sich so, als wenn man ein
Bild des real Vorliegenden geben wolle, kann es aber nicht.
Mein Prinzip ist daher nicht ein theoretisches, sondern ein
praktisches Hinausgehen iiber die Wirklichkeit im Sinne,
wie ich sie im Entwickelungsprinzip sehe, wo Geschopfe
iiber ihre eigene Gattung hinausgehen. Diese Stellung des
Problems ist in der Diskussion gar nicht beriihrt worden.
Das Wort Falschung habe ich nicht im Sinne der Unvoll-
kommenheit einer Vorstelhmg gebraucht, die erst spater
geklart wird, sondern meinte, daft die Forscher immer um
des Systems willen zu bewufk falscher Darstellung gezwun-
gen werden, wenn sie eine umfassende Einheit suchen, und
habe deshalb gefragt, ob iiberhaupt das, was wir im hoch-
sten Sinne Wirklichkeit zu nennen berechtigt sind, sich mit
dem deckt, was der Naturforscher sich unter Wirklichkeit
denkt. Wenn Haeckel drei Stufen des embryonalen Entwik-
kelungsstandes mit demselben Klischee abdruckt, so ist er,
um den Beweis nach naturwissenschaftlicher Methode lie-
fern zu konnen, zu einer Falschung gezwungen. Ich meine
mit Ironie, dafi solche Falscher trotzdem Recht behalten,
wie Haeckel gegeniiber seinen Gegnern, die am rein Tat-
sachlichen der naturwissenschaftlichen Methode hangen,
denn sie sehen in intuitiver Weise hinaus iiber die Einzeltat-
sachen, nicht in phantastischer.
Wenn aber Herr Dr. Stern die Moglichkeit eines Weltbil-
des, einer Gesamtanschauung im Prinzip verwirft und da-
bei die Verschiedenheit der philosophischen Systeme zur
Unterstiitzung seiner Ansicht heranzieht, so ist das eine Fa-
ble convenue, die auf unvollstandigen Vorstellungen von
den einzelnen Systemen beruht. Die bedeutendsten Wahr-
heitsversuche, die gemacht worden sind, von der Vedanta-
philosophie durch die griechische bis zur deutschen, sind
Annaherungen an die Wahrheit in verschiedenen Graden.
Das Forum, vor dem die Berechtigung der einen oder der
anderen Anschauungsweise entschieden wird, kann allein
das Forum des Menschen, seine souverane Personlichkeit
sein, wie ich mit Dr. Schafer iibereinstimmend meine. Die-
ser Satz scheint mir ein wahrhaft reaier, der geflossen ist -
nicht aus theoretischen Spintisierereien, sondern aus der
Erfahrung von Mannern, die praktisch gewirkt haben.
Aber so wahr es ist, daiS die Personlichkeit das letzte Fo-
rum ist, so sicher ist es wahr, dafi dann die Personlichkeit
immerdar die Verantwortlichkeit dieser Stellung fiihlen
mufi und die Pflicht, sich stetig zu entwickeln, die Tiefen
der Personlichkeit auszubilden. Das Kind kann nicht eben-
so Forum sein wie der, der auf der Hohe der Erkenntnis
steht. Es entsteht daher die Frage; Wo liegt in uns Men-
schen das zu Entwickelnde, das Produktive? Was ent-
spricht in uns dem, das die Natur vorwartstreibt, die Affen
aus ihrer Gattung hinausgehen liefi und zum Menschen
machte?
Betrachte ich den Menschen als Entwickelungsprodukt,
so kann ich ihn allerdings als das hochste vorhandene Fo-
rum ansehen. Aber ich habe auch die Verpflichtung, das
hochste Menschliche in mir immer zum Dasein zu rufen
und habe in keinem Momente meines Lebens das Recht,
mich als Forum in voller und letzter Instanz anzuerken-
nen, wohl aber kann ich mich, als in der Entwickelung ste-
hend, der Erwartung hingeben, da£ mir in jedem Augen-
blick meines Daseins ein hoherer Punkt der Erkenntnis, als
ich jetzt habe, aufgehen kann. Die Fortentwickelung der
Personlichkeit hat sich auf der Wissenschaft aufzubauen,
aber auch daruber hinauszugehen, wie Kunst und Poesie es
tut, und so wenig Kunst und Poesie in blinde Phantasmen
hineinkommen, wird, wenn die Menschen am Entwicke-
lungsprinzip ihre Personlichkeit kontrollieren, wenn sie
auch noch so weit hinausgehen iiber die objektive Natur,
in den verschiedensten Menschen Ubereinstimmung ent-
stehen, wie die Ubereinstimmung philosophischer Systeme
aller Zeiten das zeigt.
In dieser souveranen Bedeutung der menschlichen Per-
sonlichkeit liegt die Losung der Frage: Inwiefern enthalt
die Wissenschaft Wahrheit? Kann sie allein zur Wahrheit
fuhren?
Die Welt, besonders fur die Wissenschaft, ist in mancher
Beziehung dualistisch gebaut. Die Entwickelung ist nur
moglich, indem die Natur zwiespaltig das Kunftige in ihr
vorbereitet hat. Als ein scheinbarer, fiir die Wissenschaft
zunachst nicht auflosbarer Gegensatz tritt die Natur dem
Menschen entgegen, als Kraft, Materie und so weiter.
Hier tritt nun die Bedeutung der menschlichen Person-
lichkeit ein. Vereinigend, monistisch, kann allein die Le-
benstatigkeit des Menschen sein. Sie besteht im Auflosen
dieser scheinbaren Gegensatze in eine hohere, produktiv
aus dem Menschen erzeugte Anschauung, im Leben der
Entwickelung, im Vereinen der Gegensatze, im lebendigen
Tun.
Deshalb ist die Frage nach Giiltigkeit der Weltanschau-
ung vor dem Forum des Lebens, nicht vor dem Forum der
Erkenntnis zu entscheiden.»
MONISMUS UND THEOSOPHIE
Berlin, 8. Oktober 1902
Vortrag Rudolf Steiners im Giordano Bruno-Bund
Herr Dr. Steiner betont zunachst, dafi ein im gewohnli-
chen Sinne lebenskluger Mann bei dem gegenwartigen
deutschen Geistesleben offentlich nicht iiber ein solches
Thema sprechen werde, weil kaum ein anderes geeigneter
sei, sich stark zu kompromittieren, und fahrt dann fort:
«Theosophie ist ein Name, der oft von Leuten in Anspruch
genommen wird, die in spiritistischen Zirkeln ihr Schicksal
erkunden wollen. Und trotzdem sogar der Geruch des
Schwindelhaften daran haftet, spreche ich iiber das Thema
in seiner Verbindung mit dem deutschen Geistesleben mit
vollem Bewufksein. Viel lieber war ich in meinem chemi-
schen Laboratorium als in irgendeinem spiritistischen Zir-
kel, und ich weifi, dafi man sich in solchen geradezu die
Hande beschmutzen kann, aber ich habe mir auch die Han-
de gewaschen und hoffe, daft es mir gelingen wird, das
Wort Theosophie fur eine ernste Weltanschauung Ihnen
nahezubringen. Klar mull es ausgesprochen werden, dafi
nur auf Grund der modernen Naturwissenschaft eine ern-
ste Weltanschauung gesucht werden kann, ich werde nie-
mals von dem Gedanken abweichen, daft nur in ihr ein
Heil gegeben ist. Die Naturwissenschaft erfullt die Kopfe
und Herzen aber noch immer auch mit ihrer rnaterialisti-
schen Weltanschauung, und wenn auch einzelne Schwar-
mer behaupten, wir seien langst iiber das Zeitalter der
Biichner und so weiter hinaus, wenn wir keine ideale Welt-
anschauung auf Grund der Naturwissenschaft konstruieren
konnen, so wird sich der Materialismus der fiinfziger Jahre
noch weiter die Welt erobern. So gut wie alle Naturfor-
scher der Gegenwart sind Materialisten, auch da, wo sie es
ablehnen.
Die Naturwissenschaft hat uns gezeigt, wie allmahlich die
Wesen entstanden und sich vervollkommneten, bis der
Mensch auftrat. Aber hier, nach Haeckel im 22. Gliede sei-
ner organischen Ahnenreihe, machte sie halt. David Fried-
rich Straufe hat es gepriesen, dafi die Naturwissenschaft uns
vom Wunder erlost hat, vom Wunder in dem Sinne, in
dem noch Linne im 18. Jahrhundert sagte: <So viel Arten
der Tiere und Pflanzen vom Schopfer nebeneinander ur-
sprunglich geschaffen sind, soviel Wunder gibt es.> Die Na-
turwissenschaft hat durch das Zauberwort <Entwicklung>
diese Wunder aufgelost, dieses Zauberwort hat das raum-
liche Nebeneinander in ein ubersichtlich gewordenes zeit-
liches Nacheinander verwandelt, aber das Wunder, das der
Mensch sich selbst ist, hat sie bisher nicht auflosen konnen.
Wir mussen versuchen, die Methode der Naturwissenschaft
auch auf das Nebeneinander anwenden zu konnen, das wir
im Hottentotten und im Genie vor uns sehen; wir mussen
gewissermafien die geistige Urzelle entdecken, welche beide
verbindet. Aber die hierzu erforderliche Methode der Na-
turwissenschaft wird wieder eine andere sein, wie die Na-
turwissenschaft stets ihre Methoden nach ihren Zwecken
modeln mufite. Der Geologe durfte nicht nur Mineralien
sammeln, um die Geschichte der Erde verstehen zu lernen,
Haeckel hatte sein biogenetisches Grundgesetz nicht gefun-
den, wenn er seine Tierleiber im Laboratorium mit chemi-
schen Reagenzien behandelt hatte, ebensowenig wird die
chemische Untersuchung des Gehirns dem Seelenforscher
Aufschlusse iiber das Seelenleben geben. Aber trotz der un-
geheuren Fortschritte der Naturwissenschaft war sie bisher
nicht imstande, diese Methode zu entdecken, und dadurch
ist eine so tiefe Kluft zwischen Naturwissenschaft und reli-
giosem Gefiihl entstanden, wie sie niemals grofier war. An-
ders in den alten Kulturen und deren Theologien. Da gibt
es diesen Zwiespalt nicht, Theologie ist nichts anderes als
der Ausdruck des jeweiligen wissenschaftlichen Denkens.
Was man als Weltanschauung darbot, das war so hehr und
grofi und gottlich, dafi es in Empfindung umgesetzte Reli-
gion war. Heute stehen wir aber vor der Tatsache, dafi
Theologie und Wissenschaft zwei vollig getrennte Dinge
sind, und in diesem Sinne sagt Adolf Harnack, man fiihle
sich wie erlost in dem Gedanken, dafi die Wissenschaft
niemals imstande sein werde, die religiosen Bediirfnisse zu
erfiillen. Und auf der anderen Seite sagt fiir die Naturwis-
senschaft zum Beispiel der Englander Ingersoll: <Wir sind
soweit, dafi fiir uns die Aufierungen des Geistes nur eine
naturwissenschaftliche Tatsache sind, unsere Gedanken
sind nichts anderes als eine Umsetzung der Nahrung, die
wir in unserem Organismus aufnehmen, die Schopfung des
Hamlet ist nichts anderes als der umgewandelte Nahrungs-
stoff, den Shakespeare zu sich nahm.>
Wie konnen wir da wieder den Einklang herstellen, der
fiir die alten Religionen, ja selbst noch fiir das friihe Mittel-
alter bestand? Mit dem heiligen Augustinus trat dieser
Zwiespalt allmahlich ein, der in dem Gegensatz von Schola-
stik und Galilei und so weiter zu den beiden grofien duali-
stischen Stromungen fiihrte. Die Wissenschaft war wie ein
Sohn, der aus der Fremde heimkehrt und vom Yater nicht
mehr verstanden werden kann, und der Protestantismus ist
nichts anderes als die Erklarung des Vaters, dafi er den
Sohn enterben will, und der Kantianismus ist der Ab-
schlufi, die letzte Phase dieses Prozesses!
Den ersten grofien Versuch, diesen Zwiespalt zu iiber-
winden, machten die deutschen idealistischen Philosophen
Fichte, Schelling und Hegel. Drei Jahre nach dem Tode He-
gels erschien von dem Sonne Fichtes ein Buch von der
menschlichen Selbsterkenntnis. Es handelt von dieser als
einer Aufgabe, die die Naturwissenschaft selbst gestellt hat.
L H. Fichte sagt etwa: Betrachten wir die Naturwesen, so se-
hen wir ihre ewigen Gesetze. Wenn wir aber die menschli-
che Seele selbst als einen Naturprozefi ansehen, so stehen
wir vor einem Erkenntnisumschwung. Die Gesetze der
Natur liegen aufterhalb unserer Personlichkeit in der Na-
turgrundlage, aus der wir hervorgegangen sind, aber in un-
serer Seele sehen wir nicht fertige Natur gesetze, sondern
wir sind selbst Naturgesetz. Da wird die Natur unsere eige-
ne Tat, da sind wir Entwicklung. Da erkennen wir nicht
blofi, da leben wir. Wir haben jetzt die Aufgabe, ewige
eherne Gesetze zu schaffen, nicht mehr, sie blofi zu erken-
nen. I. H. Fichte deutet dann an: in diesem Punkte lebt der
Mensch nicht nur in seiner Naturerkenntnis, in diesem
Punkte verwirklicht er und lebt er das Gottliche, das
Schopferische, an diesem Punkte geht die Philosophie in die
Theosophie uherl
Hier tritt uns der Begriff Theosophie im deutschen Gei-
stesleben entgegen. Wir sehen jetzt vielleicht schon eher,
dafi Theosophie nichts anderes ist als letzte Anforderung eines
wahren Monismus zwischen Naturerkenntnis und Selbster-
kenntnis. Das gibt uns eine Perspektive, die Gegensatze
zwischen Religion und Wissenschaft auszugleichen. Wir
wissen jetzt: es gibt keine andere gottliche Kraft, welche
den Wurm zum Menschen hinaufbefordert, wir wissen,
dafi wir selbst diese <gottliche Kraft> sind.
Man wird fragen: Was hat aber denn eine solche Erkennt-
nis iiberhaupt fur einen Zweck? Nun, so entgegne ich, was
hat das, was man gewohnlich Erkenntnis nennt, das einfa-
che Registrieren der Tatsachen fiir eine Bedeutung? Mit ihr
begniigen sich die, die ich kosmische Eckensteher nennen
mochte.
Wer in dieser Weise den Begriff Theosophie fafk, der
wird auch Feuerbach verstehen, der da sagt, der Mensch hat
Gott nach seinem Bilde geschaffen. Wir wollen es durchaus
zugeben, dafi der Gottesbegriff aus dem Menschenherzen
geboren ist, und Gott als Symbol eines inneren Ideals den
Menschen iiber den Menschen hinaus entwickeln kann.
So werden wir wiederum eine Gottesweishek gewinnen,
welche die Gottlichkeit der Natur aussprechen wird. Wir
leben heute wiederum in einer Zeit, die ein wichtiger Kno-
tenpunkt in der geistigen Entwickemng Europas werden
kann, wie es der war, in dem Kopemikus, Giordano Bruno
und Galilei lebten und die moderne Naturwissenschaft be-
griindeten. Aber diese hat es nicht verstanden, ihre Versoh-
nung zu feiern mit der Religion. Vor dieser Aufgabe stehen
wir, wir mussen sie erfiillen. Mogen diese Versuche noch so
mangelhaft sein, aber wir haben Stromungen im modernen
Geistesleben, welche darauf hinausgehen. Religionen wer-
den als solche zwar nicht gegriindet, religiose Genies in
dem Sinne, wie es wissenschaftliche und kunstlerische Ge-
nies gibt, gibt es daher nicht, wohl aber solche Personlich-
keiten, welche den Erkenntnisinhalt ihrer Zeit als religioses
Empfinden aussprechen. Ich kenne die grofien Mangel und
Fehler der theosophischen Bewegung durchaus. Duboc hat
die Theosophie eine weibliche Philosophic genannt. Das
konnen wir andern, indem wir sie im kritischen Deutsch-
land zu einer mannlichen machen.
Ich weifi, daft es kein Heil aufierhalb der Naturwissen-
schaft geben kann, aber wir mussen neue Methoden der
Seelenforschung auf naturwissenschaftlicher Grundlage fin-
den, um das zu konnen, was alle alten religiosen Anschau-
ungen vermochten: eine grofie Einheit zwischen religiosem
Bediirfnis und Wissenschaft herzustellen. Theosophie in
dem von mir gekennzeichneten Sinne hat an sich nichts zu
tun mit den oft damit zusammengeworfenen Berichten
iiber Tatsachen des Hypnotismus und Somnambulismus;
ja, man konnte diese ablehnen und doch ein Theosoph
sein, aber diese Erscheinungen des abnormen Seelenlebens
sind durchaus nicht abzulehnen, und in der besonders von
franzosischen und englischen Gelehrten unternommenen
naturwissenschaftlichen Auslegung dieser Tatsachen sehe
ich die ersten tastenden Versuche einer wirklichen Seelen-
forschung.»
Herr Dr. Steiner schlofi seinen programmatischen Vor-
trag mit dem Hinweis auf ein Bild des Belgiers Wiertz «Der
Mensch der Zukunft». Es stellt einen Riesen dar, der Kano-
nen und die sonstigen Attribute der Kultur unserer Zeit in
der Hand halt und sie lachelnd seinem Weibe und seinen
Kindern zeigt; sie sind vor seiner Grofte pygmaenhaft
zusammengeschrumpft. Es wird unsere Aufgabe sein, dafi
wir vor dem Zukunftsmenschen nicht so pygmaenhaft er-
scheinen.
Berlin, 15. Oktober 1902
Diskussion mit Voten Rudolf Steiners
Zuerst erstattete O. Lehmann-Rufibuldt zur Orientierung ein
Referat iiber den Vortrag Dr. R. Steiners und fiigte hinzu, es ware
sein personlicher Wunsch gewesen, dafi nicht blofi die 250 bis 300
Horer des Vortrags zugegen gewesen waren, sondern die 2000 bis
3000 Personen, die das geistig-offentliche Leben in Deutschland
ausmachen. Dr. Steiners Aufforderung, die Theosophie, wenn sie
nach Duboc eine weibliche Philosophic sei, im kritischen
Deutschland zu einer mannlichen zu machen, miifite dick unter-
strichen werden, so dafi es im Druck allein eine Seite einnehmen
wiirde, denn es lage in der theosophischen Bewegung sicher auch
keine geringe Gefahr. Der Referent erkannte es an, dafi unsere
geistige Kultur trotz Elektrizitat und Feinmechanik roh zu nen-
nen sei gegeniiber der Harmonie, die in den grofien Kulturen des
Altertums zwischen Wissenschaft und religioser Welt bestand,
aber, so fiigte er nachdriicklich hinzu, wir wollen deshalb an uns
nicht verzweifeln. Die orfenbare Uberlegenheit unserer Intelli-
genz, wie sie sich eben im Maschinenzeitalter aufiere, konnte uns
eine Biirgschaft dessen sein, dafi wir vertiefen und ausbauen wer-
den, was die Kultur des Altertums erst in der Ahnung, wenn auch
in grofiartigster Weise besafi. Hierzu zitierte der Referent aus
dem Rassenwerk des Grafen Gobineau einen Passus uber die
geistige Veranlagung des Ariers, der sich durchaus auch auf die
Volker der atlantischen Welt, also auf Westeuropa und Nordame-
rika, anwenden lasse:
«Der Arier ist also den iibrigen Menschen hauptsachlich in dem
Mafie seiner Intelligenz und seiner Energie iiberlegen, und dank
diesen beiden Anlagen ist es ihm, wenn es ihm gelingt, seine Lei-
denschaften und seine materiellen Bediirfnisse zu besiegen, eben-
falls vergonnt, zu einer unendlich viel hoheren Moralitat zu ge-
langen, wiewohl man im gewohnlichen Lauf der Dinge bei ihm
ebenso viele tadelnswerte Handlungen riigen kann, als bei den In-
dividuen minderer Rassen.» Der Referent schlofi mit der Bemer-
kung, dafi nach seiner Voraussicht sich aus dem verlasterten Hyp-
notismus und Somnambulismus die Wissenschaft einer erweiter-
ten und verfeinerten Psychologie entwickeln werde, die uns fur
die Seelenerkenntnis soviel bedeuten wiirde, wie es die Astrono-
mie und Chemie fur die Naturerkenntnis bedeuten, trotzdem
sich diese Wissenschaften aus Astrologie und Alchimie entwickelt
hatten.
In der Diskussion bemangelt zunachst Nicolai, daft nicht ausge-
fiihrt sei, was denn die Theosophie eigentlich wolle und konne.
Dr. Steiner entgegnete, sein Vortrag habe nur den Zu-
sammenhang zwischen dem Monismus und der Weltan-
schauung hervorheben wollen, die schon in den Tagen der
Vedantaphilosophie Indiens sich in modernen Gleisen be-
wegte. Darin bestande der seit dem 4. Jahrhundert im Chri-
stentum einsetzende Dualismus, dafi er wohl fiir die Er-
kenntnis der Erscheinungswelt das Auge und die Sinne gel-
ten lasse, aber fiir die Erkenntnis iiber unser Woher und
Wohin nicht ebenfalls die Mittel unserer Erkenntnis zulas-
se, sondern uns auf den Glauben, auf die Offenbarungen
alter Biicher und Propheten verweise. Der Monismus ver-
heifk aber eine Erkenntnisentwickelung, ebenso wie er fiir
die Lebewesen eine Artentwickelung habe feststellen kon-
nen. In den Schriften der Vedantaphilosophie existiere ein
Gesprach, worin ein Jiinger den Lehrer fragt: Was ge-
schieht, wenn ich sterbe?... Der Lehrer erwidert: Das
Feste und Fliissige deines Leibes wird wieder zum Festen
und Fliissigen, denn der Mensch ist wie ein Stein und Tier,
auch die Aufierungen deines Denkens und Handelns losen
sich auf in deiner Umgebung, aber es bleibt iibrig die «Ent-
wicklung», der Grund dessen, was deine Personlichkeit
gebildet hat. - So monistisch im Keime denke schon die
Vedantaphilosophie. Was im Tier nur im Unbewufken
lebe, namlich der Drang zur Entfaltung seiner Personlich-
keit, miisse im Menschen ins vollste Bewufitsein treten und
im Bewufksem als Ideal aufgehen.
Fritz Sanger poiemisierte gegen Dr. Steiner. Die Theosophen
gaben stets vor, die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft
schon voraus besessen zu haben und noch zu besitzen, aber Pro-
ben solcher Uberlegenheit hatten sie noch nie gegeben. Er be-
fiirchte, dafi eine solche Bewegung nur zu sehr geeignet sei, die
Resultate der modernen Naturwissenschaft wieder zu untergra-
ben; trotz ruhigster Beobachtung habe er im Spiritismus nur den
Ausdruck des Blodsinnes finden konnen, die Tatsache des Hyp-
notismus miisse er jedoch anerkennen.
Nachdem noch Kohn in warmen eindringlichen Worten fiir
Herrn Dr. Steiner eingetreten war, bemerkte O. Lehmann-Rufl-
buldt, dafi die Ausfiihrungen Herrn Sangers typisch waren fiir die
Vertreter der sogenannten Naturwissenschaft aller Zeiten. Vor
funfzehn Jahren hatte mit ihr Sanger noch die von Krafft-Ebing
unter anderem demonstrierte Tatsache fiir Unsinn erklart, dafi
ein einem Hypnotisierten aufgelegtes Lindenblatt wie ein gliihen-
des Stuck Eisen eine Brandwunde zieht, wenn der Hypnotisierte
es fiir ein solches ansehen soli; ebenso wie vor hundert Jahren die
franzosischen Materialisten es fur Humbug erklarten, dafi Me-
teorsteine aus dem Weltenraum auf die Erde fallen konnen.
Dr. Steiner wandte sich sodann noch einmal energisch ge-
gen die Verwechslung von Theosophie und Spiritismus.
Wenn Herr Sanger solchen Theosophen begegnet sei, die
dazu Veranlassung geben, so moge er sich an diese halten,
er, Dr. Steiner, lehne das entschieden ab. Er halte es fiir un-
moralisch im philosophischen Geiste, wenn man durch die
Manifestationen sogenannter Geister Belehrungen iiber
Schicksal und Menschennatur erlangen wolle, das ware gro-
ber Materialismus. Er lege auch keinen besonderen Wert
auf den Namen Theosophie. Vor allem sei ihm bedeutsam
die hohe Ethik der Theosophie in seinem Sinne, die zum
Beispiel in der Padagogik zu den ernstesten Konsequenzen
fiihre. Welche Perspektive fur das Gemiit des Erziehers,
wenn er sich bewufit sei, dafi er im Kinde einen Keim der
Gottlichkeit zu entfalten habe! *
. *Unser Berichterstatter, Herr Otto Lehmann-Rufibuldt, der
zweite Vorsitzende des Bruno-Bundes, hat das Bedurfnis, dem Be-
richte hier beizufiigen, dafi er auch diesen Vortrag neben so vielen
anderen bedeutsamen Erscheinungen im Geistesleben als eine
Keimzelle neuer Edelkultur ansehe. «Zeiten grofier Umwalzung
kommen ja nicht wie ein mystisches Etwas iiber uns; wenn wir sie
schaffen, so sind sie da. Die <theosophische> Bewegung ware mir
mit einem Programm, wie es Dr. Steiner formuliert, willkom-
men. Hoffen wir, dafi frisch einsetzende Lebenskrafte der Verjiin-
gung vor allem lebendigere, dichterisch ziindende Worte schaffen
konnen; was sollen uns alle <ismen>! Jedenfalls ist der goldene
Weizen einer echten Theosophie leider verschiittet worden unter
soviel Spreu der Nachplapperei indischer Vokabeln, dafi der
philosophische Held hochwillkommen sein soli, der ihn in eine
neue Scheuer, das heifit unter neuem Namen, sammeln kann.»
HINWEISE
Im Jahr 1897 ubersiedelte Rudolf Steiner von Weimar nach Berlin und
iibernahm dort die Herausgabe und Redaktion des «Magazins fur Litera-
tur» und der «Dramaturgischen Blatter», Organ des deutschen Biihnen-
vereins. (Die Aufsatze aus dieser Zeit sind enthalten in den Banden
«Gesammelte Aufsatze» der GA Bibl.-Nr. 29, 30, 31, 32.) Neben dieser
Tatigkeit hielt er in den folgenden Jahren zahllose Vortrage in verschie-
densten Zusammenhangen, wovon jedoch so gut wie keine Nachschrif-
ten vorhanden sind. Nur von Rudolf Steiners Vortragstatigkeit innerhalb
der «Arbeiterbildungsschule» und der «Freien Hochschule» in Berlin
liegen einige wenige Nachschriften vor, die in diesem Band 51 der GA
zusammengefafit sind.
Turn ersten Teil
In den Jahren 1899 bis 1904 unterrichtete Rudolf Steiner an der Arbei-
terbildungsschule in Berlin, einer Griindung des Sozialdemokraten Wil-
helm Liebknecht. Im 28. Kapitel von «Mein Lebensgang», GA Bibl.-Nr.
28, hat Rudolf Steiner iiber diese Epoche seines Lebens berichtet. Siehe
auch das Biichlein «Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirksam-
keit an der Arbeiterbildungsschule» von Johanna Mtkke und A. A. Ru-
dolph, Neuauflage Basel 1979, das ein lebendiges Bild von Rudolf Steiners
Tatigkeit in diesen Zusammenhangen gibt.
Textunterlagen zu den Vortragen an der Arbeiterbildungsschule
Welt- und Lebensanschauungen von den dltesten Zeiten bis zur Gegen-
wart: Die kurze Zusammenfassung des Inhaltes von zehn Vortragen ist
von Rudolf Steiner selbst verfafk.
William Shakespeare: Notizen von Johanna Miicke. Johanna Miicke,
1864-1949, gehorte der sozialistischen gewerkschaftlichen Bewegung
und dem Vorstand der Arbeiterbildungsschule in Berlin an. Sie wurde
1903 Mitglied der Theosophischen Gesellschaft und war von 1908 bis
1935 Geschaftsfuhrerin des von Marie Steiner-von Sivers begriindeten
Philosophisch-Anthroposophischen Verlages in Berlin, spater Dornach.
Die Nachschrift von Johanna Miicke ist nach handschriftlichen Notizen
von ihr ausgearbeitet, da sie nicht stenographieren konnte.
Uber romiscbe Geschichte: Dieser Vortrag ist der einzige des vorliegen-
den Bandes, der mitstenographiert wurde, und zwar von Franz Seiler,
1868 - 1959, Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, dem ersten Steno-
graphen von Rudolf Steiners friihen Mitgliedervortragen. In Franz Sellers
Stenogrammheft ist das Vortragsdatum des 19. Juli 1904 angegeben. Ver-
mutlich handelt es sich um einen der letzten Vortrage des Kurses
«Geschichte der Urvolker und des Altertums bis zum Untergang der R6-
merherrschaft», die nach dem «Vortragswerk Rudolf Steiners» von Hans
Schmidt vom 5. April bis 14. Juni 1904 datiert sind. Eine Uberein-
stimmung mit einem dieser Daten liefi sich nicht feststellen. Aus Notizen
von Marie Steiner-von Sivers ist zu entnehmen, dafi am 26. Juli 1904 ein
weiterer Vortrag in der Arbeiterbildungsschule stattfand mit dem Thema
«Das Verhaltnis der germanischen Volker zum Christentum». Von den
iibrigen Vortragen dieses Kurses gibt es keinerlei Nachschrift.
Geschichte des Mittelalters his zu den grofien Erftndungen und Entdeckun-
gen (10 Vortrage): Die im Jahre 1936 erschienene 1. Auflage enthielt nur
acht Vortrage vom 18. Oktober bis 20. Dezember 1904. Die in dieser frii-
heren Veroffentlichung fehlenden zwei Vortrage werden von Hans
Schmidt im «Vortragswerk Rudolf Steiners» auf den 4. und 11. Oktober
1904 angesetzt. Abweichend hiervon sind diese beiden Vortrage im vor-
liegenden Bande als neunter und zehnter Vortrag abgedruckt mit den
Daten 28. und 29. Dezember 1904. Die Richtigkeit dieser Anordnung er-
gibt sich aus dem thematischen Zusammenhang.
Zum zweiten Teil
Im Herbst 1902 hatte Rudolf Steiner an der von Wilhelm Bolsche und
Bruno Wille gegriindeten Freien Hochschule in Berlin den Unterricht in
Geschichte ubernommen und hielt bis zum Dezember 1905 doit jeweils
wahrend des Wintersemesters Vortragskurse, unter anderem iiber folgen-
de Themen: «Deutsche Geschichte von der Volkerwanderung bis ins 12.
Jahrhundert», «Deutsche Geschichte von der Griindung der freien Stadte
bis zu den grofien Erfindungen und Entdeckungen im Beginne der Neu-
zeit», «Geschichte der Mathematik und Physik», «Vom Germanentum
zum Staatsbiirgertum» und «Deutsche Mystik und ihre Voraussetzun-
gen». Nur von einem Teil des zuletzt genannten Kurses liegen Nach-
schriften vor.
Textunterlagen zu den Vortragen an der Freien Hochschule
Platonische Mystik und Docta ignorantia: Notizen von Mathilde Scholl.
Mathilde Scholl, 1868-1941, war seit 1903 Mitglied des Vorstandes der
Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft und von 1905 bis
1914 Herausgeberin des Gesellschaftsorgans «Mitteilungen fur die Mit-
glieder der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft». Sie lei-
tete bis 1914 die anthroposophische Arbeit in Koln und lebte spater in
Dornach.
Schiller und unser Zeitalter (Neun Vortrage): Aufzeichnungen von Marie
Steiner-von Sivers und Johanna Mucke.
Zum dritten Teil
Der ^Giordano Bruno-Bund fur einheitliche Weltanscbauung» wurde im
Jahre 1900 von Dr. Bruno Wille, 1860-1928, und anderen Literaten des
Friedrichshagener Kreises begriindet. Wille war auch Leiter der Zeit-
schrift «Der Freidenker», in der die hier abgedruckten Referate erschie-
nen. Zur Tatigkeit Rudolf Steiners innerhalb des Giordano Bruno-Bun-
des siehe die ausfuhrliche Darstellung in der Schriftenreihe «Beitrage zur
Rudolf Steiner-Gesamtausgabe», Heft 79, Ostern 1983.
Als Einzelausgaben sind erschienen:
Welt- und Lebensanschauungen. Von den altesten Zeiten bis zur Ge-
genwart, Berlin 1901
Geschichte des Mittelalters bis zu den grofien Erfindungen und Ent-
deckungen. Acht Vortrage, vom 18. Oktober bis 20. Dezember 1904,
Dornach 1936
Schiller und unser Zeitalter. Zehn Vortrage, Januar bis Marz 1905,
1. Auflage Berlin 1905
Schiller und unser Zeitalter. Neun Vortrage, 21. Januar bis 25. Marz
1905, Dornach 1932
Folgende Vortrage wurden in Zeitschriften veroffentlicht:
Welt- und Lebensanschauungen von den altesten Zeiten bis zur Gegen-
wart. Zehn Vortrage 7. Januar bis 11. Marz 1901; «Gegenwart» 1958,
Hefte 10-12
William Shakespeare, 6. Mai 1902; Nachrichtenblatt 1945, Nr. 4
Geschichte des Mittelalters bis zu den grofien Erfindungen und Entdek-
kungen. Acht Vortrage 18. Oktober bis 20. Dezember 1904; Nachrich-
tenblatt 1934 Nrn. 47-50, 52, 1935 Nrn. 1,29, 30, 31, 32
Platonische Mystik und Docta ignorantia. 29. Oktober, 5. und 12. No-
vember 1904; Nachrichtenblatt 1947, Nrn. 32-35
Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in
den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die
Ubersicht am Schlufi des Bandes.
Zu Seite
17 Aristoteles, 384 - 322 v. Chr., «Alle Menschen verlangen von Natur
nach dem Wissen» in «Metaphysik», einleitende Satze zu Buch I.
Dante Alighieri, 1265-1321, in «La Divina Commedia».
Hegel (1770— 1831) «Das Denken macht die Seele...»: In «Enzyklo-
padie der philosophischen Wissenschaften* Vorrede S. XIX,
2. Aufl. Heidelberg 1827.
18 Angelus Silesius (1624 - 1677) . . . dafi die Rose einfach bluht, weil sie
bluht: in «Cherubinischer Wandersmann», wortlich: «Die Ros ist
ohn Warumb; sie bliihet, weil sie bliihet, Sie acht nicht ihrer
selbst, fragt nicht, ob man sie siehet.»
19 Tholes, 624-545 v. Chr.
Anaximander, 61 1 - 550 v. Chr.
20 Kant (1724-1804): «Was kann ich wissen?...»: Siehe «Kritik der
reinen Vernunft».
Goethe: «Kenne ich mein Verhdltnis 7.u mir selbst. . .»; Maximen und
Reflexionen 198.
21 A naximenes, 588 - 524 v. Chr.
Heraklit, 535-475 v. Chr.
22 Empedokles, 483 - 424 v. Chr.
Aristoteles erzdhlt uns von Empedokles: In «Metaphysik», Buch I.
23 Darwin stellt sich auch vor...: Charles Darwin (1809-1882) in
seinem Werk «Uber die Entstehung der Arten», 1859.
Anaxagoras, 500 - 430 v. Chr.
Perikles, um 500-429 v. Chr., Staatsmann in Athen.
Euripides, um 480-406 v. Chr., griechischer Tragodiendichter.
Themistokles, um 527-459 v. Chr., Athen. Staatsmann.
Demokrit, 460 - 370 v. Chr.
24 Parmenides, etwa 540 v. Chr. geboren.
26 Aristoteles erzdhlt von den Pythagordern: In «Metaphysik» Buch I
(frei wiedergegebenes Zitat).
28 Protagoras, 480 - 4 10 v. Chr.
Aristophanes, um 445 -um 385 v. Chr.
Gorgias, um 480-370 v. Chr., Sophist.
Prodicus von Keos, Sophist zur Zeit von Sokrates.
Sokrates, 469 - 399 v. Chr.
3 1 Cicero hat von Sokrates gesagt: Tusculanen 1 . Buch, 4. Kapitel.
Kyniker: Griechische Philosophen; Pflege der Tugend, Bedurfms-
losigkeit, Selbstbeherrschung.
Diogenes von Sinope, um 412-um 323 v. Chr.
32 Kyrenaiker: Griechische Philosophen, lehrten die Lebensfreude.
Megariker: Griechische Philosophen, lehrten die Tugend, iibten
das Denken.
Euklides von Megara, um 450 - 3 80 v. Chr.
33 Plato, 427-347 v. Chr.
34 Nach der Hinrichtung seines Lehrers (Sokrates): Im Jahre 399
v. Chr.
40 «Lieber ein Tageldhner im Lichte der Sonne... »: Homer, Achilleus
in «Odyssee» 11. Gesang, Vers 489-491.
41 Aristoteles. . . «Wer fur sich allein lehen will...»: Zitiert nach Vin-
cenz Knauer, Hauptprobleme der Philosophic, 32. Vorlesung,
Wien/Leipzigl892.
42 Thomas von Aquino, 1227 - 1274.
44 Epikur, 34 1 - 270 v. Chr.
T. Lucretius Cams, 96 - 55 v. Chr.
Pyrrho, 360-270 v. Chr.
45 Philo, 25 v. Chr. - 50 n. Chr.
Plotin, 205-270 n.Chr.
46 Augustinus (354-430): «Ich wurde dem Evangelium nicht glau-
ben...»: Contr. epist. Manich. 5, zitiert nach Willmann «Geschich-
te des Idealismus», Band 2, Abschnitt DC, Braunschweig 1896.
Im Christentum. . Vgl. zu diesem Abschnitt Rudolf Steiner
«Mein Lebensgang», Bibl.-Nr. 28, Kapitel 26: «In Widerspruch
mit den Darstellungen, die ich spater vom Christentum gegeben
habe, scheinen einzelne Behauptungen zu stehen, die ich damals
niedergeschrieben und in Vortragen ausgesprochen habe. Dabei
kommt das Folgende in Betracht. Ich hatte, wenn ich in dieser
Zeit das Wort «Christentum» schrieb, die Jenseitslehre im Sinne,
die in den christlichen Bekenntnissen wirkte. Aller Inhalt des reli-
giosen Erlebens verwies auf eine Geistwelt, die fiir den Menschen
in der Entfaltung seiner Geisteskrafte nicht zu erreichen sein soil.
Was Religion zu sagen habe, was sie als sittliche Gebote zu geben
habe, stammt aus Offenbarungen, die von aufien zum Menschen
kommen. Dagegen wendete sich meine Geistanschauung, die die
Geistwelt genau wie die sinnenfallige im Wahrnehmbaren am
Menschen und in der Natur erleben wollte. Dagegen wendete sich
auch mein ethischer Individualismus, der das sittliche Leben nicht
von auften durch Gebote gehalten, sondern aus der Entfaltung des
seelisch-geistigen Menschenwesens, in dem das Gottliche lebt, her-
vorgehen lassen wollte.
Was damals im Anschauen des Christentums in meiner Seele
vorging, war eine starke Priifung fiir mich. Die Zeit von meinem
Abschiede von der Weimarer Arbeit bis zu der Ausarbeitung mei-
nes Buches: <Das Christentum als mystische Tatsacho ist von die-
ser Priifung ausgefullt. Solche Priifungen sind die vom Schicksal
(Karma) gegebenen Widerstande, die die geistige Entwickelung zu
iiberwinden hat.»
48 Thomas von Aquino (1227-1274): «Wenn wir auch zweifeln. .
«De trinitate», Buch X, Kapitel 14, zitiert nach Willmann a.a.O.
49 Meister Eckhart, um 1260-1327.
Johannes Tauler, 1300-1361.
Heinrich Suso, 1295-1365.
Jakob Bohme, 1575-1624.
Paracelsus (1493-1541): «Der Arzt mufi durch der Natur Examen
gehen»: Opus Paramirum: «Nun ist der Artzt aufi der Artzney
und nit aufi sich selbst, darumb so mufi er durch der Natur
Examen gehn, welche Natur die Welt ist und all ihr Einfang.»
50/51 Martin Luther (1483-1546): «Dieser gottverfluchte Aristoteles»:
An Eck 1519; «Die Vernunft ist des Teufels Erzhure und Braut»:
Polem. dtsche. Schriften 1524/25, nach Ferd. Bahlow «Luthers
Stellung zur Philosophie», Berlin 1891.
51 Adolf von Harnack (1851-1930): «Die Wissenschaft vermag
nicht... «: In «Das Wesen des Christentums» 16. Vorlesung, 4.
Aufl. Leipzig 1901, S. 188, wortlich: «Die Religion, namlich die
Gottes- und Nachstenliebe, ist es, die dem Leben einen Sinn gibt,
die Wissenschaft vermag das nicht.»
A.a.O. S. 5: «Die christliche Religion ist etwas Hohes, Einfaches
und auf einen Punkt Bezogenes: Ewiges Leben mitten in der Zeit,
in der Kraft und und vor den Augen Gottes,»
51 Nikolaus Kopernikus, 1473 - 1543.
Johannes Kepler, 1571 - 1630.
Galilei (1564-1642): «Ibr habt es immer mit eurem Aristoteles...»:
Zitiert nach Laurenz Milliner «Die Bedeutung Galileis fur die
Philosophie», Inaugurationsrede gehalten am 8. November 1894,
Wien 1894.
52 Giordano Bruno, 1548 - 1600.
Rene Descartes (Cartesius), 1596-1650.
53 Gottfried Wilhelm von Leibniz, 1646 - 1716.
Christian von Wolff, 1679-1754.
54 John Locke, 1632 - 1704.
David Hume, 1711-1776.
57 EmilDu Bois-Reymond, 1818-1896, deutscher Naturforscher, in
seiner Rede «Uber die Grenzen des Naturerkennens» 1872.
58 Baruch de Spinoza, 1632 - 1677, niederlandischer Philosoph.
59 Johann Gottlieb Ficbte, 1762 - 18 14.
60 Friedrich Wilhelm Schelling, 1775 - 1854.
61 Deshalb hat Marx die Gesetze der okonomischen Entwickelung ge-
sucht da, wo sie allein zu finden sind: Diese Bemerkung bedeutet
nicht etwa ein Bekenntnis R. Steiners zum Marxismus. Vgl.
«Geisteswissenschaft und soziale Frage», drei Aufsatze aus den
Jahren 1905/1906, «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den
Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», GA
Bibl.-Nr. 23; sowie besonders in bezug auf Hegel und Marx «Die
soziale Frage als Bewufitseinsfrage» (Acht Vortrage, Dornach
1919),GABibl.-Nr. 189.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), iiber Gesetze: In
«Grundlinien der Philosophic des Rechts».
Charles Darwin, 1 809 - 1 882.
61 Ernst Haeckel, 1834- 1919.
62 Carl Vogt, 18 17 - 1895, Naturforscher.
Jacob Moleschott, 1822-1893, materialistischer Philosoph.
Ludwig Buchner, 1824 - 1899, Physiologe.
Ludwig Feuerbach (1804-1872): «Gott ist das offenbare Innere...»:
Zitat aus «Das Wesen des Christentums», Leipzig 1841.
63 Max Stimer, 1 806 - 1 856.
Arthur Schopenhauer, 1788 - 1860.
Eduard von Hartmann, 1842 - 1906.
64 hat schon Schiller ausgesprochen...: Brief Schillers an Goethe vom
23. August 1794, Jena, in «Briefwechsel zwischen Schiller und
Goethe in den Jahren 1794- 1805»; Stuttgart 1828.
in meinem Buche «Welt- und Lebensanschauungen im 19. Jahrhun-
dert»: In der Gesamtausgabe «Die Ratsel der Philosophic in ihrer
Geschichte als Umrifi dargestellt», GA Bibl.-Nr. 18.
66 Georg Brandes, 1 842 - 1927, danischer Schriftsteller .
August Wilhelm Schlegel, 1767-1845, und Ludwig Tieck,
1773 - 1853, Shakespeare-Ubersetzer.
Lord Francis Bacon von Verulam, 1561-1626, englischer Staats-
mann und Philosoph.
67 Eugen Reichel, 1853-1916, Schriftsteller, «Shakespeare-Littera-
tur», Stuttgart 1887. Eine Anzahl von Aufsatzen Reichels sind
erschienen in dem von Rudolf Steiner herausgegebenen «Magazin
fur Litteratur».
70 Christopher Marlowe, 1564—1593.
73 Kaiser Augustus, 65 v.Chr. bis 14 n.Chr.
74 derjenige Furst, der am meisten genannt wird: Kaiser Karl der
Grofie, 742-814, regierte seit 768 als Frankenkonig. Gekront
800 von Papst Leo III.
76 Wir haben die Ausbreitung Roms uber den Erdkreis beschrieben: In
den vorangehenden Vortragen in der Arbeiterbildungsschule, von
denen keine Nachschriften erhalten sind.
77 Prdtor: Hochster Richter im alten Rom.
77 Konsul: Hochster Beamter.
Qudstor: Finanzbeamter.
78 Tribun: Urspriinglich Vorsteher eines Wahlbezirks. Volkstribun:
Vertreter des Volkes mit Vetorecht gegen den Senat.
. . . Unterscbied. . . zwischen dem Begrijf «Eigentum» und dem Begriff
«Besitz»: «Besitz» als die tatsachliche Verfugungsgewalt im Gegen-
satz zum «Eigentum» als biirgerlich-rechtliche Macht tiber eine
Sache.
79 Marius, 156-86 v. Chr., romischer Feldherr und Staatsmann.
Gracchus: Name einer beruhmten Familie im alten Rom. Tiberius
Sempronius (Vater) sowie die Sohne Tiberius Sempronius und
Gajus Sempronius, lebten im 2. vorchristlichen Jahrhundert.
80 Octavius-Augustus, spater Kaiser Augustus.
8 1 Hadriariy Publius Aelius, 76 - 138 n. Chr., romischer Kaiser.
Caracalhty Marcus Aurelius Antoninus, 176-217 n.Chr., romi-
scher Kaiser ab 211.
84 Caligula, Gajus Julius Caesar Germanicus, 12-41 n. Chr., romi-
scher Kaiser ab 37.
Lucian, um 120-180 n.Chr., griechischer Satiriker.
85 Apollonius, romischer Philosoph, zum Christentum bekehrt,
184/85 als Martyrer enthauptet.
86 Lucretia: Tugendhafte Gattin des Lucius Tarquinius Collatinus.
Von Sextus Tarquinius entehrt, totete sie sich selbst, dies soli den
Sturz des Konigtums veranlafit haben.
87 Klemens von Alexandrien, um 150-215, christlicher Religions-
philosoph, Leiter der theologischen Schule in Alexandria.
Origenes, 185-254, griechischer Kirchenschriftsteller, bedeutend-
ster Lehrer der Gnosis.
88 Tertullian, um 160 bis nach 220, lateinischer Kirchenschriftsteller,
Hauptwerk «Apologetikum oder Verteidigung der christlichen
Religion und ihrer Anhanger».
«Die Menge aber der Gldubigen. . .»: Apostelgeschichte, Kap. 4,
32-37.
90 ...nach des Konstantin Vorgehen: Konstantin I., genannt «der
Grofie», um 285-337, romischer Kaiser, anerkannte das Christen-
tum als Staatsreligion durch das Edikt von Mailand im Jahre 313.
Konstantiner: Nachfolger des Konstantin I. ist sein Sohn Konstan-
tin II., Kaiser im westHchen romischen Reich von 337-340.
das nicdische Konzil: Durch das Konzil von Nicaa in Nordwest-
Anatolien (Tiirkei), von Konstantin I. einberufen im Jahre 325,
wurde die Glaubensformel der Wesenseinheit des Sohnes mit dem
Vater angenommen.
Arius in Alexandrien, lebte im 4. Jahrhundert, gest. 336. Lehrte,
daft Christus nicht selbst Gott ist, Sohn nicht gleich Vater.
Athanasius, um 295-373, Bischof von Alexandrien. Lehrte We-
sensgleichheit von Christus mit Gottvater. Schrift: «Orationes
contra Arianos».
Er tritt zum Christentum tiber, aher nicht zum athanasischen, son-
dern zum arianischen: Siehe zu dieser Frage: Jakob Burckhardt
«Die Zeit Konstantins des Grofien» im Kapitel «Konstantin und
die Kirche».
93 «Das Alte sturzt, es dndert sich die 2eit...»: Friedrich Schiller in
seinem Drama «Wilhelm Tell» 4. Aufzug, 2. Szene.
96 Goethe hat gesagt...: Spriiche in Prosa, Nr. 779. Wortlich: «Das
Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus,
den sie erregt.»
97 KonigAsoka: Auch Aschoka, 259 -226 v.Chr., indischer Maurja-
Konig.
Tacitus, um 55 - 120, romischer Geschichtsschreiber, u.a. «Germa-
nia».
99 Roland, Tristan, Parzival: Von Chrestien de Troyes, Gottfried
von Strafiburg, Wolfram von Eschenbach.
101 Kompafi: Soli von Marco Polo aus China nach Europa gebracht
worden sein, um 1300.
Schieflpuher: Bereits vor Chr. in China bekannt. In Europa er-
funden von Berthold Schwarz, Franziskaner, um 1300: Schwarz-
pulver.
Erfindung der Buchdruckerkunst: Durch Joh. Gutenberg, um
1400-1468.
102 Franz Palacky, 1798-1876, tschechischer Historiker und Politi-
ker, Panslawist.
hussitische Bewegung: Geht zuriick auf Joh. Hus (urn 1369-1415),
tschechischer Reformator, verbrannt 1415.
Marko Kraljevic = Marko der Konigssohn, Hauptheld der serbi-
schen und bulgarischen Volkspoesie.
103 John Wiclif, urn 1326-1386, englischer Reformator.
Kaiser Heinrich II. y 973 - 1024. 1146 heiliggesprochen.
Johann Militsch, tschech. Milec, Domherr und Archidiakon in
Prag. Vorlaufer des Joh. Hus. Ging 1374 zum Papst nach Avi-
gnon, um sich vom Verdacht der Ketzerei zu reinigen. Starb dort
im gleichen Jahr. Seine Schriften wurden verbrannt.
den Gedanken der Humanitdt, wie ihn Herder ausgesprochen hat:
Johann Gottfried Herder, 1744-1803, Theologe, Dichter und
Philosoph. Siehe seine Schrift «Briefe zur Beforderung der Hu-
manitat», 1793.
105 das Wort Hegels: Wortlich: «Die Weltgeschichte ist der Fortschritt
der Menschheit im Bewufitsein der Freiheit:» Siehe «Vorlesungen
iiber die Philosophic der Geschichte», 3. Aufl. Berlin 1848, Einlei-
tung S. 24.
107 Wie wir aus den Scholien zur Ilias erfahren: Die Angabe konnte
nicht nachgewiesen werden.
110 Ulfilas (Wulfila), um 310-383, Bischof der Westgoten, Arianer,
ubersetzte die Bibel ins Gotische.
111 Chlodwig, Name frank. Konige. Chlodwig L, 466-511, wurde
496 Christ.
120 Johannes Scotus Erigena, 810-877, bedeutender Denker des Friih-
mittelalters, lebte am Hofe Karls des Kahlen. Hauptwerk «Uber
die Einteilung der Natur».
121 Aquitanien: Alter Name fur Sudwest-Gallien, etwa heutige Pro-
vinz Guyenne im Siidwesten Frankreichs.
Attila, Konig der Hunnen von 434-453.
122 Schlacht auf den katalaunischen Feldern: Bei Troyes in der Cham-
pagne im Jahre 451.
Leo der Grofie, Papst von 440-461.
125 Nikolaus Kopernikus, 1473 - 1543.
Odoaker (433-493) germanischer Heerfuhrer, sturzte 476 das
westromische Reich und den letzten westrdmischen Kaiser, Romu-
lus Augustinus.
Justinian I., 482/3-565, seit 527 ostromischer Kaiser.
wie die Goten durch Kaiser Justinian aus Italien vertrieben werden:
Im Jahre 553.
126 wie die Langobarden von Norditalien Besitz ergreifen: Im Jahre 570.
129 Columban, urn 600, Missionar des iro-schottischen Christentums.
GalluSy um 555 bis um 645, irischer Missionar, Begriinder der
Monchsschule in St. Gallen.
Winfrid-BonifatiuSy um 672 - 754, christlicher Missionar in den
germanischen Landen.
130 ein frdnkisches Rechtsbuch: Das sogenannte «Salische Gesetz» (Lex
Salica), um 500 n.Chr. niedergeschrieben.
131 Mohammed: Um 570 - 632, Begriinder des Islam.
133 Wilhelm von Humboldt, 1767-1835, deutscher Staatsmann und
Philosoph, Sprachforscher.
aber bet den Arabern der wahre Aristoteles: Von den Schriften des
Aristoteles kamen die philosophischen Schriften direkt nch Eu-
ropa, wahrend die naturwissenschaftlichen zu den Arabern ge-
langten und iiber diese erst nach dem christlichen Europa kamen.
KarlMartell, um 688-741.
134 Walther von der Vogelweide, um 1170 bis um 1230, mittelhoch-
deutscher Dichter.
«Gar banglich bedachte ich mir. . .»: Aus «Der Wahlstreit»: Die drei
Dinge.
136 Kolonen: Personlich freie, aber (erblich) an ihren Landbesitz
gebundene Pachter in der rdmischen Kaiserzeit.
137 Pippin dem Kleinen: Pippin III., 714-768, Vater Karls des Grofien.
Childerich. . . abzusetzen: im Jahre 75 1/ 52.
Widukindy unterwarf sich im Jahre 785.
139 Herzog Tassilo } Herzog von 748 - 782.
141 Wolfram von Eschenbach, um 1170 bis nach 1220, bedeutendster
mittelhochdeutscher Dichter, «Parzival», <<Willehalm>>, «Titurel».
Hartmann von der Aue, um 1170 bis nach 1210, mittelhochdeut-
scher Dichter, «Erec», «Iwein», «Der arme Heinrich».
145 nach dem Worte Kegels: Siehe Hinweis zu Seite 61 .
149 Ludwig der Fromme, 778 - 840, seit 814 Kaiser, abgesetzt nach
der Schlacht auf dem Liigenfelde 833. Im Jahre 843 Teilung des
Reiches.
150 ...werden diese Wissenschafien gelehrt: Die sogenannten «sieben
freien Kiinste»: Grammatik, Logik, Dialektik, Arithmetik, Geo-
metric, Astronomie, Musik.
151 «Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen...»: Goethe, «Faust I»,
Nacht, 366-367.
152 Karl III, der Dicke, 839-888, Kaiser seit 881, 887 abgesetzt.
1 53 Arnulf von Kdrnten, um 850 - 899, Kaiser von 896 - 899.
155 Auf die Karolinger folgte. . .:
Karolinger bis
Konrad I. (Franke)
Sachsisches Haus:
Frankisches (Salisches) Haus:
911
911-
918
Heinrich I.
918-
936
Otto I.
936-
973
Otto n.
973-
983
Otto m.(983)
996-
1002
Heinrich It.
1002-
1024
Konrad II.
1024-
1039
Heinrich HI.
1039-
1056
Heinrich IV.
1056-
1106
Heinrich V.
1106-
1125.
156 Schlacht bei Lowen: flamisch Leuven , im Jahre 89 1 .
156/157 finnisch-ugrische Volkerschafien..., die Magyaren: In das Donau-
Theifi-Gebiet, um das Jahr 900.
159 Adalbert von Preufien, eigentlich Adalbert von Prag, Apostel der
Preufien, seit 982 Bischof von Prag, starb 997 den Martyrertod,
war befreundet mit Kaiser Otto DDE.
Cluny: War Ausgangspunkt der auf Befreiung der Kirche von der
Herrschaft des Kaisertums gerichteten Reformation.
160 Gregor VIL, Monch Hildebrand, Papst von 1073 - 1085.
160 Diese Gesinnung... ist von... Dante als gerecht anerkannt: In sei-
nem Buche «De Monarchia».
163 «Wa$ ihr den Geist der Zeiten heifit...»: Goethe «Faust I», Nacht,
577-579.
169 Konrad von Marburg, Beichtvater der heiligen Elisabeth von Thii-
ringen, papstlicher Inquisitor; wurde 1233 von Rittern erschlagen.
Albertus Magnus, 1193-1280, Dominikaner, scholastischer Philo-
soph, Doctor universalis.
Kaiser Friedrich Barbarossa, 1 125 - 1 190, Kaiser seit 1 1 55.
171 Johannes Tauler, um 1300-1361.
Heinrich Suso, 1295-1366, deutsche Mystiker.
«Theologia deutsch» Siehe Hinweis zu Seite 215.
175 Vineta (Wendenstadt): Wendischer Handelsplatz des Nordens auf
der Insel Wollin (Ostsee), im 10. und 11. Jahrhundert.
176 Tizian, um 1476 - 1576, italienischer Maler.
Kaspar Zollner, erfand 1498 die gezogenen Laufe fur Gewehre
(nach Reinhold Gunther, «Deutsche Kulturgeschichte», Leipzig
1902).
180 Im ersten richtigen Kreuzzug: 1096-1099 unter Gottfried von
Bouillon, gestorben 1100.
Rudolf von Schwaben, Gegenkonig zu Heinrich IV., wurde 1077
gekront.
Ghibellinen: Staufen-Anhanger.
Guelfen: Vertraten die papstlichen Interessen.
Bemhard von Clairvaux, 1090-1153, Abt, Kreuzzugsprediger.
Frieden von Konstanz: 1183.
182 Unter dem Staufenkaiser Friedrich II. (1215-1250) geschah derMon-
goleneinfall: Schlacht bei Liegnitz im Jahre 1241. Die Mongolen
siegten, zogen sich aber aus nicht leicht verstandlichen Griinden
zuriick.
183 Jacob von Molay, um 1250-1314, letzter Groftmeister des Temp-
lerordens.
183 Albert von Bremen: Albert von Buxhovden, urn 1165-1229,
Bischof und Griinder von Riga. Missionar der baltischen Lander.
1 84 Richard von Cornwall, 1209 - 1272.
Alfons von Castilien, 1226 - 1284, regierte 1252 - 82.
Rudolf von Habsburg, 1218 - 1291, Kaiser ab 1273.
Heinrich Jasomirgott, Markgraf und Herzog von Osterreich,
1114-1177.
186 Einfdlle der Turken: ab 1353.
Ottokar von Bohmen, 1230 - 1278.
Auf stand der Schweizer Eidgenossen und Bildung der Eidgenossen-
schaft. Bundesbrief 1291.
Albrechtl. von Osterreich, Kaiser von 1298-1308.
187 Adolf von Nassau, Kaiser von 1292 - 1298.
Heinrich VII. von Luxemburg, Kaiser von 1308-1313.
188 So wurde der Papst nach Avignon gefuhrt: Er residierte dort von
1309-1377.
Karl IV., Karl von Luxemburg: Regierte 1346-1378, Kaiser seit
1355.
189 Kaiser Sigismund, regierte von 1410 - 1437.
190 Konzil von Konstanz: 1414-1418.
Girolamo Savonarola, 1452-1498, Dominikaner in Florenz, Geg-
ner der Medici, sittlicher Prediger und Reformer, als Ketzer ver-
brannt.
Jean le Charlier de Gerson, 1363-1429, einer der gelehrtesten
Theologen des 15. Jahrhunderts.
19 1 Kaiser Friedrich III, 1415 - 1493, Kaiser seit 1452.
192 Armer Konrad: Bauernbund im Bauernaufstand 1514 in Wurttem-
berg, Anfiihrer Gotz von Berlichingen.
Bundschuh: Namen und Feldzeichen aufstandischer Bauernver-
bande, seit 1493.
193 Johannes Reuchlin, 1455 - 1522, deutscher Humanist.
Erasmus von Rotterdam, 1466-1536, Gelehrter und fuhrender
Humanist.
193 Bartolomeo Diaz, 1450 - 1500, Portugiese.
194 Vasco da Gama, 1469 - 1525, portugiesischer Seefahrer.
Christoph Kolumhus, 1451 - 1506.
199 Gnosis: Wesentlichste Erkenntnislehre der ersten christlichen
Jahrhunderte. Hauptvertreter Origenes und Klemens von Alex-
andrien. Siehe Hinweis zu Seite 87. Vgl. auch Rudolf Steiner
«Christus und die geistige Welt» (6 Vortrage, Leipzig 1913/14),
GA Bibl.-Nr. 149.
Dionysius Areopagita: Erster Bischof von Athen, von Paulus be-
kehrt, Martyrer. «Schriften» in zwei Banden, 1823.
201 Dies ist bei Aristoteles klar ausgefuhrt: In der «Metaphysik», Pader-
born 1951,KapitelXI.
209 Goethe sagt: «Denn solang du das nicht hast. . .»: In seinem Gedicht
«Selige Sehnsucht», 5. Strophe.
210 Johannes von Ruysbroek, 1293-1381, flamischer Mystiker, Prior
im Augustinerkloster Groenendaal. Werk «Die Zierde der geist-
lichen Hochzeit» 1350, deutsch 1923.
Nikolaus von Kites, 1401 - 1464, Philosoph und Kardinal.
2 1 1 Konzil von Basel: 1431- 1443.
«Bruder des gemeinsamen Lebens»: (Fratres communis vitae). Aus
der «Devotio moderna» im 14. Jahrhundert allmahlich sich ent-
wickelnde Form einer klosterlichen Gemeinschaft ohne bindende
Geliibde. Siehe auch Seite 192.
212 «De docta ignorantia»: Erschien im Jahre 1440.
Johannes Muller, 1801 - 1858, Physiologe, Anatom, Naturforscher.
Hermann von Helmholtz, 1821-1894, Mediziner und Natur-
forscher.
215 «Theologia deutsch». Ein Neudruck derselhen ist nach einer Hand-
schrift von 1497 durch Franz Pfeijfer besorgt worden: Siehe Georg
Baring «Bibliographie der Ausgaben der Theologia deutsch»
(1516-1961).
218 Karl Julius Schrder, 1825-1900, osterreichischer Literarhistoriker,
Professor fur Literatur an der Technischen Hochschule in Wien.
Siehe Rudolf Steiner «Mein Lebensgang», Seiten 54 - 58, Bibl.-Nr. 28.
219 Herman Grimm, 1828 - 1901, deutscher Kunst- und Lkerarhistori-
ker.
Henrik Ibsen, 1828-1906.
EmileZola, 1840-1902.
Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi, 1828 - 1910.
221 Julien Offray de Lamettrie, 1709-1751, franzosischer materialisti-
scher Philosoph. Hauptwerk: «L'homme-machine.»
Schon Goethe klagt. . .: In «Dichtung und Wahrheit», 11. Buch.
Paul H. D. Baron d'Holbach, 1723 - 1789, franzosischer atheisti-
scher Philosoph, gehorte zu den Pariser Enzyklopadisten. Haupt-
werk: «Systeme de la nature.*
Jean Jacques Rousseau, 1712-1778, franzosischer Kulturphilosoph
schweizerischer Herkunft.
223 Friedrich Gottlieb Klopstock, 1724-1803, Hauptwerk: «Messias».
224 Marquis Posa: Eine der Hauptgestalten in Schillers Drama «Don
Carlos».
225 In seinen «Briefen uber die dstbetiscbe Erziehung. . .»: Im 12./ 13. und
14/15. Brief.
230 « Wie alles sich zum Ganzen webt. . .»: «Faust I», Nacht, 447.
23 1 Wolffsche Pbilosopbie: Christian von Wolff, 1679 - 1754, Philosoph
und Mathematiker, Professor in Halle.
John Locke, 1632-1704, engl. Philosoph.
233 «Gerne dien' ich den Freunden...»: Schiller «Die Philosophen,
Gewissensskrupel».
236 Christian Gottfried Korner, 1756-1831, Freund Schillers. Spater
preufiischer Staatsminister.
238 «Nur durch das Morgenrot des Schdnen...»: Schiller in seinem
Gedicht «Die Kunstler».
239 Johann Kaspar Friedrich Manso, 1760-1826, in seiner Schrift
«Gegengeschenk an die Sudelkoche von Weimar und Jena. Poeti-
sche Epistel», Leipzig 1797.
241 Gotthold Ephraim Lessing, 1729 - 178 1.
241 «Wenn Gott vor mir stiinde...»: In «Theologische Schriften.» Les-
sings samtliche Schriften, herausgegeben von Karl Lachmann,
Leipzig 1897, Band 13, Seite 23 ff.
243 Prosahymnus an die Natur: In «Goethes Naturwissenschaftliche
Schriften>>, herausgegeben und kommentiert von Rudolf Steiner
in Kurschners ^Deutsche National-Litteratur» (1883-97), Nach-
druck Dornach 1975, GA Bibl.-Nr. la-e; Band 2, Seite 5-7.
246 Was Hebbel als notwendige Voraussetzung des Tragischen fordert:
Friedrich Hebbel (1813-1863) in «Vorwort zu <Maria Magda-
lena»>: «...denn das Tragische mufi als ein von vornherein mit
Notwendigkeit Bedingtes, als ein, wie der Tod, mit dem Leben
selbst Gesetztes und gar nicht zu Umgehendes auftreten.»
248 «Konnte (man) Ibnen zeigen, ...»: Brief Schillers an Goethe vom
1. Marz 1793.
Es erinnert diese Auffassung an ein Gesprach Schillers mit Goethe. . .:
Siehe Brief Schillers an Wilh. v. Humboldt am 9. November 1795
in «Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm von Humboldt*,
Stuttgart 1900.
249 Schillers Auffassung. . . die Hebbel spdter formulierte: Siehe Hinweis
zu Seite 246.
250 Thomas Carlyle, 1795-1881, englischer Historiker.
25 1 «Max> bleibe bei mir. . . »: «Wallensteins Tod», 3 . Aufzug, 1 8 . Auftritt.
253 Edouard Schure, 1841-1929. «Sanctuaires d'Orient» wurde von
Marie Steiner-von Sivers ins Deutsche ubersetzt unter dem Tkel
«Die Heiligtiimer des Orients*, Leipzig 1923.
Richard Wagner, 1813-1883.
258 «Doch was ihr tut...»: «Wilhelm Tell», 1. Aufzug, 3. Szene.
259 Friedrich Theodor Vischer, 1807- 1887.
Eduard von Hartmann, 1842-1906.
Gustav Theodor Fechner, 1801 - 1887.
259/260 «Demetrius»...«nicht uber Sklaven herrschen wollen»: Erster
Aufzug: Demetrius in Unterredung mit dem Konig. Wortlich:
«Ich will nicht herrschen uber Sklavenseelen.»
261 Wilhelm von Humboldt: «Er wurde der Welt. . .»: Aus dem Kapitel
«Vorerinnerung» zu «Briefwechsel zwischen Schiller und Wil-
helm von Humboldt», Stuttgart 1900.
261 Karl Gutzkow, 1811 - 1878.
263 Caroline von ScblegeL, 1763 - 1809, Gattin von August Wilhelm von
Schlegely 1767-1845, spater verheiratet mit Schelling.
264 Friedrich von Schlegel, 1772-1829, Bruder von August Wilhelm
von SchlegeL
264/265 Das Wort Scbillers: «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er
spielt»: in «Uber die asthetische Erziehung des Menschen», Fiinf-
zehnter Brief.
265 Ludwig Tieck, 1773-1853, Dichter der Romantik.
265 Theodor Kdmer> 1791 - 1813, Dichter, starb den Heldentod in den
Befreiungskriegen.
266 Korners Vater: Christian Gottfried Korner, 1756-1831, Schrift-
steller.
In einem Buck uber Schiller: «Schiller-Reden» gehalten von Jacob
Grimm, Ludwig Doederlein, Friedrich Theodor Vischer, August
Stoeber, Carl Grunert, Karl Gutzkow u.a. Ulm 1905.
Jakob Grimm, 1785-1863, Sprachwissenschafter.
Ernst Curtius, 1814- 1896, Archaologe und Historiker.
Moriz Carriere, 1817- 1895, philosophischer Schriftsteller.
270 Otto Brahm, 1856-1912, Literarhistoriker und Kritiker, Mitbe-
grunder der Freien Buhne in BerHn.
Scherer-Scbule: Wilhelm Scherer, 1841-1886, Germanist, Profes-
sor fur Literaturgeschichte in Berlin.
Peter von Cornelius, 1783-1867, deutscher Maler; Nibelungen-
kartons.
271 Jakob Minor, 1855 - 1912, Literarhistoriker.
273 « Welcbe Religion ich bekenneh: Schiller, Votivtafeln, Nr. 30 «Mein
Glaube».
276 Christian von Wolff, 1679-1754, Philosoph und Mathematiker,
Professor in Halle.
Alexander Gottlieb Baumgarten, 1714-1762, Philosoph.
Sokrates, um 470-399 v.Chr.
277 Ascbylos, um 525 bis um 455 v. Chr.
279 «Das <Was> bedenke...»: Goethe: Ausspruch des Homunculus in
«Faust» II, Laboratorium, 6992.
280 Goethe gibt dem Ausdruck, indem er das Scbone eine Manifestation
der Naturgesetze nennt: Maximen und Reflexionen 183.
282 «Weit hinter ihm in wesenlosem Scheine...*: Goethe, Epilog zu
Schillers «Glocke».
283 «Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben. . .»: «Faust» II, Palast
11575.
287 Wolfgang Kirchbach, 1857-1906, Schriftsteller, eine der leitenden
Personlichkeiten des Giordano Bruno-Bundes.
292 Wilhelm Ostwald, 1853 - 1932, deutscher Physiker, Chemiker und
Philosoph. Auf der Naturforscherversammlung in Liibeck 1895
hielt er eine Rede iiber «Die Uberwindung des Materialismus».
Siehe auch sein Werk «Vorlesungen iiber Naturphilosophie»,
1902.
. . . eine Zeitschrift gegrundet worden: «Annalen der Naturphiloso-
phie», herausgegeben von Professor Wilhelm Ostwald, 14 Bande,
1901-1921.
299 Tycho de Brake, 1546 - 1601, danischer Astronom.
302 Maurice Maeterlinck, 1862-1949, belgischer Schriftsteller; sein
Werk «Die Hochzeit der Bienen» erschien auf deutsch 1901 in
Jena.
304 Angelas Silesius (Johannes Scheffler), 1624-1677. «Obn > mich
kbnnf Gott...»: Wortlich: «Gott mag nicht ohne mich ein einzigs
Wiirmlein machen, Erhalt ich's nicht mit ihm, so mufi es stracks
zerkrachen», in «Der Cherubinische Wandersmann».
307 Ludwig Buchner, 1824-1899, materialistischer Philosoph, be-
kanntestes Werk «Kraft und Stoff» 1855.
311 Monismus und Theosophie: Uber diesen Vortrag schreibt Rudolf
Steiner an Wilhelm Hiibbe-Schleiden am 13. Oktober 1902 (vgl.
«Briefe Band II», Bibl,-Nr. 39):
«Es war mir iiberraschend, wieviel Interesse ich mit meinem Vor-
trag <Monismus und Theosophio (im Giordano-Bruno-Bund) ge-
funden habe. Wolfgang Kirchbach fiihrte am Abend des Vortrags
den Vorsitz, und auch er war im hochsten Mafte interessiert. Das
war ein Publikum, das daran gewohnt ist, auf Grundlage der
Haeckelschen Anschauungen iiber Monismus zu horen. Uber-
morgen wird eine offentliche Diskussion iiber meinen Vortrag
stattfinden. Im Verlauf des Vortrags habe ich auch Mrs. Besant
und ihre ganze Geistesart charakterisiert. Es wird jetzt eben alles
davon abhangen, ob wir imstande sind, so zu wirken, dafi man
uns durch den Anschlufi an die theosophische Bewegung nicht
kompromittiert findet. Ich wufite, was ich an dem Abend ris-
kierte. Aber wir haben ein starkes Entweder-Oder notig. Der
Graf Hoensbroech verliefi nach meinen ersten Satzen den Saal. Vor
den ubrigen mehr als dreihundert Menschen habe ich IV4 Stunden
unter - das darf ich wohl sagen - gespanntester Aufmerksamkeit
gesprochen.
Ich gebe mich gewifi keinen Illusionen hin, aber ich denke, die
anwesend waren, haben zum grofiten Teil das Bewufitsein davon-
getragen, dafi sie da vor etwas stehen, an dem sie nicht voriiberge-
hen durfen. Und dies Publikum des Giordano-Bruno-Bundes
kennt mich als einen Menschen, der in den Naturwissenschaften
wohl Bescheid weifi. - Auch an diesem Tage hatte ubrigens, wie
mir gesagt wird, [Franz] Hartmann seine Berliner Anhanger bei
Raatz am Plan-Ufer vereinigt. Von dem, was sich in Berlin Gros
der Theosophen nennt, war also nichts da.
Und ich kam den Leuten mit echt deutscher Theosophie. Der
mittlere Teil meines Vortrags war eine Interpretation des Satzes,
den I. H. Fichte 1833 in seinem Buche uber <Selbsterkenntnis>
geschrieben hat:
<Hat sich das Ewige selbst als der unendlich sich offenbarende
Geist gezeigt, so ist darin zugleich die hochste Vermittlung aller
Erkenntnisstufen und entgegengesetzten Standpunkte des Be-
wufitseins gewonnen. Die Philosophic ist Theosophie geworden.>
. . . Nun wollen wir sehen, was wird. . .».
312 nach Haeckel im 22. Gliede seiner organischen Ahnenreihe: «Natiir-
liche Sch6pfungsgeschichte» 2. Band, 2. Teil: Allgemeine Stam-
mesgeschichte, Tierische Ahnenreihe oder Vorfahrenkette des
Menschen; Berlin 1898 und «Uber den Stammbaum des
Menschengeschlechts», Vortrag in Jena 1865.
312 David Friedrich Strang 1808-1874, deutscher freigeistiger prote-
stantischer Theologe, . . . hat es gepriesen y dafl die Naturwissenschaft
uns vom Wunder erlost hat: in seinem Werk «Der alte und der neue
Glaube», Bonn 1881.
Carl von Linne t 1707- 1778, Botaniker, ...im 18. Jahrhundert sag-
te...: in «Genera plantarium» 8. Aufl. Vindo bonae 1791, Band I,
Seite IV.
313 Adolf von Harnack, 1851-1930, evang.-liberaler Kirchenhistori-
ker, «Das Wesen des Christentums», 4. Aufl. Leipzig 1901, S. Ulff.
Robert G. Ingersoll, «Moderne Gotterdammerung», deutsch von
Wolfgang Schaumburg, Leipzig o. J.
Galileo Galilei, 1564-1642.
314 ...erschien von dem Sdhne Fichtes ein Buch: Immanuel Hermann
Fichte, 1797-1879, Philosoph und Psychologe, «Grundzuge zum
Systeme der Philosophie» Erste Abteilung: Das Erkennen als
Selbsterkennen. Heidelberg 1833.
«Betrachten wir die Naturwesen. . .»: a.a.O. Seite 316 ff.
315 (Ludwig) Feuerbacb. . . der da sagt, der Mensch bat Gott nacb seinem
Bilde gescbaffen: In «Das Wesen der Religion», Leipzig 1851, S.
224, heifk es wortlich: «Denn nicht Gott schuf den Menschen
nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heifit, sondern der Mensch
schuf. . . Gott nach seinem Bilde.»
Duboc hat die Theosophie eine weibliche Philosophie genannt:
Charles Eduard Duboc, 1822-1910, Dichter und Schriftsteller, in
der Zeitschrift «2ukunft», Hg. Maximilian Harden, Jahrg. 1901,
1. Marzheft, Berlin.
316 Antoine Wiertz, 1806-1865, belgischer Maler, lebte in Briissel
(Wiertz-Museum).
Otto Lebmann-Rufibuldt, Schriftsteller, Geschaftsfiihrer und zeit-
weise 2. Vorsitzender des Giodano Bruno-Bundes.
318 In den Schriften der Vedantaphilosophie: Brihadaranyaka Upanis-
had 3,2,1 Iff.: «. . . <Yajnavalkya>, sprach Qaratkarava Artabhaga],
<wenn nun die Stimme des verstorbenen Menschen ins Feuer ein-
geht, sein Odem in den Wind, sein Auge in die Sonne, sein Geist
in den Mond, sein Gehor in die Himmelsgegenden, sein Leib in
die Erde, sein Selbst in den Raum, sein Korperhaar in die Pflan-
zen, sein Kopfhaar in die Baume, sein Blut und Same ins Wasser,
wo bleibt dann der Mensch?> <Reiche mir deine Hand, lieber Art-
abhaga^ sprach er. <Wir beide wollen darum allein wissen. Nicht
gehort unser Wissen vor die Leute.> Sie gingen beide hinaus und
unterredeten sich. Was sie besprachen, davon sprachen sie als von
dem Karman. Gut wird einer durch gute, schlecht durch bose Tat.
Darauf schwieg Jaratkarava Artabhaga.» Zitiert nach «Upanisha-
den», Diederichs Taschenbuchausgaben, 1964.
SACHWORT- UND NAMENREGISTER
Abdera 28
Abendmahl 144
Adalbert von Bremen 161,183
Adalbert von Preufien 159
Achilleus 40
Adel 128, 140, 150, 154, 164, 166,
174, 181, 184
Adolf von Nassau 187
Adrianopel 116
Agypten 34, 35, 131, 204, 214
Aonenlicht 214,215
Aschylos 253, 255, 277
Asthetik 259,267,271,276
Afrika 117, 193
Nordafrika 132
Agrigent 22
Alanen 110
Alarichl. 116
Albertus Magnus 169
Albrecht I. (Kaiser) 186
Albrecht von Osterreich 187
Alessandria 180
Alexander der Grofie 37, 133
Alexandria (Alexandrien) 45, 87
Alfons von Castilien 184
Amerika 96
Amiens, Peter von 166, 179
Ananda 214-216
Anaxagoras 23,27
Anaximander 19,21
Anaximenes 21
Angelus Silesius 18, 49, 208, 304
Angelsachsen (Volk) 129
Angelsachsen (Land) 133
«Annalen fur Philosophie» 239
Apollonius (von Tyana) 85
Aquino 42,48
Aquitanien 121
Araber 131-133, 142, 143, 159
Arianismus, Arius 90, 96, 110,
111,119, 130
Arier 107
Aristophanes 28
Aristoteles 17, 19, 21, 22, 26, 36-
42, 44, 50, 51, 53, 120, 133, 201,
202, 206, 268, 276, 277,280
Arithmetik 151, 152
Arius, Arianismus 90, 96, 110,
111, 119, 130
Arnulf von Karnten 153,156
Asen 108, 113
Asien 131,132
Asoka 97
Astronomic 151,152,211
Asura 108
Athanasius 90, 110, 111
Athen 23, 34, 35, 37, 43
Attila 121, 122
Audhumbla 108
Augustinus 46, 48, 52, 203, 313
Augustus 73, 86
Avignon 188
Awaren 139
Bacon, Francis von Verulam 66,
305
Barbarossa, Friedrich 169, 180,
181
Barnabas (Joses) 89
Basel, Konzil von 211
Bauernbiindnisse 192
Baumgarten, Alexander Gottlieb
276
«Asthetica» 276
Bayern(Volk) 139
Bayern (Land) 138, 139, 155
Beamte 82-84, 128, 142, 147, 150,
163, 173, 191
Bergen (Stadt) 175
Berlin 94,271,304
Bernhard von Clairvaux 180
Bibeliibersetzung 110, 116, 172
Bildung 85, 152, 164, 165
Bischof 156, 159, 164, 166, 173,
177
Bistum 156, 161, 187, 190
Blutsgemeinschaft 112
Bohme, Jakob 49
Bohmen (Land) 188,189
Bohmen, Ottokar von 186
Bonifatius, Winfried 129
Bouillon, Gottfried von 180,
182
Brahe, Tycho de 299, 303
Brahm,Otto 270
Brandenburg (Land) 106, 115,
188
Brandes, Georg 66
Bremen, Adalbert von 161, 183
Breslau 175
Britische Inseln 129
Briidergemeinden 103
Bruno, Giordano (s.a. Giordano-
Bruno-Bund) 52, 143, 212, 215,
227, 230, 292,315
Buchdruckerkunst 97, 101, 125,
192
Biichner, Ludwig 62, 269, 273,
307,311
Burger, Gottfried August 235
Bunsen, Robert Wilhelm 267
«Spektralanalyse» 267
Burgund (Land) 160
Burgunder(Volk) 115,121
Buttler (aus Schillers «Wallen-
stein») 250
Byzanz 116
Casaren 81,84,86,90,92
Caligula 84
Canossa 160, 161
Caracalla, Marcus Aurelius 81,
92
Carlyle, Thomas 250
Carriere, Moriz 266
Cartesius (Rene Descartes) 52,
53
Cams, T. Lucretius 44
«Uber die Natur» 44
Castilien, Alfons von 184
Chatten 106, 112
Chemie 97, 132, 143
Cherusker(Volk) 127
Childerich m. 137
China 162
Chinesen 113
Chit 214-216
Chlodwig 111, 162
Christentum 46, 51, 73-75, 83,
84, 87-92, 109-111, 117, 119,
120, 122, 123, 125, 129-132,
134, 144, 146, 148, 158, 162,
180-184, 189, 190, 193, 278,
317
Christus (s.a. Jesus) 46, 47, 49,
111, 130, 160, 165, 166, 182,
204, 207,210
Chrypff , Nikolaus, von Kues
s.u. Nikolaus von Kues
Cicero, Marcus Tullius 31
Clairvaux, Bernhard von 180
Clermont (Stadt) 179
Cluniazenser 159
Cluny 159, 160
Columban 129
Cornelius, Peter 270
Curtius, Ernst 266
Cusanus s. Nikolaus von Kues
Cypern 43,89
Cyrene 34
Danen 139,156
Dante, Alighieri 17,68,101,160,
170, 268
Darwin, Charles 23, 61, 266, 298
«Die Entstehung der
Arten» 61, 266
«Der Kampf urns Dasein» 23
Demokrit 23,24
Descartes, Rene 52, 53
Deutsche 103, 107, 129
Deutschland 66, 97, 107, 109,
125, 147, 150, 152, 154, 159,
166, 167, 169, 170, 171, 184,
211,222,225,238,315
Mitteldeutschland 175
Norddeutschland 175
Suddeutschland 99, 171, 174
Devas 108
Dialektik 150, 151
Diaz, Bartolomeo 193
Diogenes (von Sinope) 31
Dionysios Areopagita 199, 200
Dionysos 253,255,277
docta ignorantia, De 199-216
Dogma, Dogmatismus 83, 84, 89,
90, 94, 129, 132, 144, 165, 166,
183
Dogmenrecht 83
Doktor 151
Dominikaner 182, 188
Donau 106, 109, 114, 116, 145
Dorfgemeinschaft 112, 113, 147
Drama, griechisches 247, 249,
277
Dreifiigjahriger Krieg 242
Dresden 229,261
Dualismus 230-232, 234, 288-290,
318
Duboc, Julius 315,316
Du Bois-Reymond, Emil 57, 271
Eckermann, Joh. Peter 263
Eckhart, Meister 49, 151, 171,
199, 204, 207-209,212
Edda 107
Eigentum 112,113
Elbe 105,152
Eleusinische Mysterien 253
Elsafi 192
Empedokles 22,23,27,28
England 125, 133, 144
Entdeckungen, grofie 97, 124,
125, 162, 185, 193
Epikur, Epikureer 42, 44
Erasmus von Rotterdam 193
Erfindungen, grofie 97, 101, 124,
125, 162, 185
Erfurt 138, 175
Erinnyen 250
Essaer 97
Euklid 32-35
Euripides 23,253
Fechner, Gustav Theodor 259,
266, 267
«Vorschule der Asthetik» 266
Feuerbach, Ludwig 62, 315
Fichte, Immanuel Hermann 314
Fichte, Johann Gottlieb 59, 60,
172,314
Finnen(Volk) 156
Florenz 191
Franken (Volk) 110, 115, 117,
119-131, 133, 136-139, 146, 148,
150, 162
Franken (Land) 144, 155, 160
Frankfurter, «Der Frankfurter*
216
«Theologia deutsch» 215, 216
Frankreich 85, 86, 99, 116, 125,
152, 154, 167, 171, 188, 221, 238
Siidfrankreich 121, 177
Franziskaner 182
Freidenker, «Der Freidenker»
285-319
Freiheit, Freiheitsbewufitsein
104, 118, 145, 154, 169, 172, 173,
222, 274, 275
Friedmann, Dr. Hermann 287
Friedrich H. (Kaiser) 182
Friedrichm. (Kaiser) 191
Friedrich Barbarossa 169, 180,
181
Friesen 106, 112, 127
Fiirsten 147, 166, 185, 186, 188,
194
Galilei, Galileo 51, 313, 315
Gallien 115,117,118
Gallier 111
Gallus 129
Gama, Vasco de 194
Geist, s.a. Heiliger Geist 203
Geistige Hebammenkunst 30, 36
Gelassenheit 208
Geldwirtschaft 116, 131
Gemeineigentum 112, 135
Geometrie 151, 152
Gepiden 110, 122, 126
Germanen 75, 90-92, 98-100, 103-
107, 109, 111-117, 119, 121, 123,
125-127, 129, 133-135, 140, 147,
159, 183
Germanien 91,97
Gerson, Jean Charlier de 190
Geschichte 96
Geschichte des Mittelalters
94-105
Romische Geschichte 73-93
Ghibellinen 180
Giordano-Bruno-Bund fur ein-
heitliche Weltanschauung
285-319
Globe Theater 70
Gnosis 199,203,214
Gobineau, Jos. Arthur Graf von
317
Goethe 20, 59, 62, 64, 66, 96,
151, 209, 218, 219, 221, 225,
230, 232-240, 243, 245, 248,
249, 256, 261-265, 267-271, 275,
277,279-283,303
«Epilog zu Schillers Glocke»
261
«Egmont» 235
«Faust» 151, 230, 234, 238,
271
«Grofikophta» 281
«Hymnus an die Natur» 230
«Iphigenie» 235
Metamorphosenlehre 293, 294
Urpflanze 236
«Wilhelm Meister» 238, 239,
248, 263
«Xenien» 239,263
Georgias 28
Goten (s.a. Ostgoten, Westgo-
ten) 110, 111, 117-119, 121-123,
125, 126, 146
Gotik 177
Gottesfreund aus dem Oberland
209
Gottfried von Bouillon 180, 182
Gottfried von Strafiburg 171
Gracchen 100
Gracchus 79
Graf, s.a. Landgraf 139,147,149,
156
Grammatik 150
Gregor VDL 60, 164, 165, 180
Griechen 98, 99, 103, 104, 109,
202, 238, 268
Griechenland 29, 34, 82, 98, 100,
101, 103, 104, 106, 107, 133,
150, 193,277
Griechisches Drama 247, 249
Griechische Kultur 19, 41, 98,
146
Griechische Dramatik 277
Griechisches Mysteriendrama
253
Griechische Tragodie 253, 254,
257
Griechische Weltanschauung
17-45, 47, 52
Grimm, Herman 219, 270, 275
Grimm, Jakob 266
Grofigrundbesitz 118, 119, 127-
129, 136, 139, 142, 149, 154, 157
Grundbesitz 100, 126, 128, 136,
138, 140, 141, 144, 149, 155,
185
Guelfen 180
Gunther(Waltharilied) 121
Gutenberg, Johann Gensfleisch
zum 192
Gutzkow, Karl 261,266
Habsburg, Rudolf von 184, 186
Habsburger 184
Hadrian 81
Haeckel, Ernst 59, 61, 298, 299,
300, 303, 308, 312
«Weltratsel» 298-300
Hagen von Tronje (Waltharilied)
121
Hagenau(Elsafi) 192
Halys (Flufi, jetziger Name: Ki-
sil-Irmak) 19
Hamburg 175
Handel 140, 141, 157, 158, 173,
182
Handwerk, Handwerker 36, 140,
157, 158, 169
HannovonKoln 161
Hanse 175
Harnack, Adolf 51,64,313
«Wesen des Christentums» 51
Hartmann von der Aue 141
Hartmann, Eduard von 63, 259,
273
«Philosophie des Unbewufi-
ten» 273
«Das Unbewufite vom Stand-
punkte derDeszendenztheo-
rie und des Darwinismus»
273
Hatto von Mainz 153
Hausmeier 128
Hebammenkunst, geistige 30, 36
Hebbel, Friedrich 246, 249, 255,
258
«Judith» 258
Hegel, Georg Wilh. Friedr. 17,
60, 61, 105, 145, 267, 305, 314
Heidelberg 171
Heiliger Geist 203,204
Heiliges Romisches Reich 74
HeinrichL 155,157
HeinrichH. 103,155
Heinrichin. 155,161,163
Heinrich IV. 155, 160, 161, 164,
165, 180
Heinrich V. 155
Heinrich der Lowe 181
Heinrich von Luxemburg 187,
188
Heinrich der Stolze 181
Heliand 130, 165
Hellenen 98
Helmholtz, Herm. Ludw. Ferd. v.
212
Henosis 206
Heraklit 21,22,24,27
Herder, Joh. Gottfried von 103,
222, 229, 232-234, 241, 263, 266,
269
«Ideen zur Geschichte der Philo-
sophic der Menschheit» 229
Herkules 106
Herminonen 106
Heruler 116, 146
Herzoge 147, 155, 156, 158, 185,
186
Hildesheim 175
Holderlin, Friedrich 287
«AndieNatur» 287
Horige 140, 141, 156, 166, 169
Hohenstaufen (Stamm) 182,187
Holbach, Paul Heinrich Diet-
rich, Baron von 221
«Systeme de la nature* 221
Holgers, Maria 287
Hottentotten 312
Homer 85, 109, 268
Horus 204
Hufe 112,136
Humanismus 193
Humboldt, Wilhelm von 133,
249, 261
Hume, David 54, 55, 231
Hunnen 110, 116, 121, 122, 139
Hus, Johannes 189, 191
Hypnotismus 316,318,319
Ibsen, Henrik 219, 226
Idealismus 257, 261, 273, 275,
276, 281
Ilias 107
Immunitat 137, 138
Inder 106,109,247
Indien 97, 193, 194
Ingersoll, Robert G. 313
Ingwaonen 106
Hand 99, 119, 133, 144
Irmin 106
Isis 204
Island 107
Israel 141
Istwaonen 106
Italien 117, 125, 139, 153, 160,
167, 170, 171, 191, 193, 225, 268
Norditalien 126, 169, 175, 180
Siiditalien 35
Jacob von Molay 183
Jasomirgott, Heinrich 184
Jena 235,239,241
Jerusalem 180
Jesus (s.a. Christus) 51, 130
Johannes der Taufer 183
Johannes (1. Brief des J.) 46
Johanniterorden 182
Joses (Barnabas) 89
Juden 86, 108, 178
Judentum 45, 46, 86
Julius (aus Schillers «Philosophi-
sche Briefe» bzw. «Theosophie
des Julius») 242, 243, 245, 247
Justinian I. 125
Kant, Immanuel 20, 42, 54-57,
59, 221, 222, 229-234, 242-244,
249, 276, 279, 281, 290, 295, 313
«Kritik der praktischen Ver-
nunft» 230
«Kritik der reinen Verminft»
230
«Kritik der Urteilskraft» 276
Karl der Grofte 91, 110, 111,
122, 131, 135, 137-139, 141,
147-149, 154, 158, 165
Karl der Kahle 144,200
Karl HI. 152
Karl IV. 188
Karolinger 128, 137, 152, 153, 155
Karthago 117
Katalaunische Felder 121, 122
Kategorischer Imperativ 231, 232
Katharer 177, 179, 187
Katharsis 206,277,278,280
Katholische Kirche 76, 84, 92,
103, 130
Kelten 99, 107, 116, 119, 120, 129,
133, 148
Kepler, Johannes 51
Ketzer 169, 177, 179, 180, 187
Kirchbach, Wolfgang 287, 291,
293,297, 305
Kirchhoff, Gustav Robert 267
«Spektralanalyse» 267
Kisil-Armak(FlufiHalys) 19
Kition 43
Klazomena 23
Klemens von Alexandrien 87
Klopstock, Friedrich Gottl. 223
«Messias» 223
Kloster 36, 133, 138, 141, 142,
145, 150, 162, 164, 165, 191, 192
Kohn (Berlin) 318
Koln 161, 171, 174, 175, 192
Konigsberg 221,276
Konigtum 128, 136
Korner, Christian Gottfried 266
Korner, Karl Theodor 229, 236,
242, 265, 266
Kolonen 136
Kolumbus, Christoph 194
Kompaft 101
Konradl. 155
KonradH. 155
KonradHI. 180
Konrad von Marburg 169
KonstantinL 90
Konstantinopel 212
Konstanz, Konzil von 190
Konzil von Basel 211
Konzil von Konstanz 190
Konzil von Nicaa 90,111
Kopernikus, Nikolaus 26, 51, 97,
125, 143, 194, 210, 298, 299,
304, 306,315
Krafft-Ebing, Richard Freiherr
von 318
Krebs, Nikolaus von Kues
s. Nikolaus von Kues
Kreuzziige 159, 162, 164, 166,
167, 176, 180, 181, 182, 241
Kunst 254-256, 270, 272, 275,
280, 287
Kusaner, Der
S. Nikolaus von Kues
Kyffhauser 181, 182
Kyniker 31, 32
Kynosarges 32
Kyrenaiker (Volk) 32
Lachmann, Benedikt 305
Laertes 106
Lamarck, Jean Baptiste Pierre
Monetede 298,299
Lambert von Hersfeld 192
Lamettrie, Julien Offray de 221
Landgraf (s.a. Graf) 140
Lampsakus 23
Langobarden 106, 126, 130, 139,
146
Lateiner 109
Lechfeld 158
Lehmann-Rufibiildt, Otto 316,
318,319
Leibniz, Gottfried Wilhelm,
Freiherr von 53
Lengefeld, Charlotte von 236
LeoderGrofie 122
Lessing, Gotthold Ephraim 66,
241,268, 269, 276, 277
Linne, Karl von 312
Lippe(Flufi) 106,109
Locke, John 54,231
Logik 42,150,223,244
Logos 203,207,210
London 66, 70, 175
LotharL 149
Lothringen 160
Lotze, Rudolf Hermann 305
Lowen (flam. Leuven) 156
Lucian 84,85,87
«DerTraum» 84
Lucretia 86
Ludwig der Fromme 149
Ludwig das Kind 153
Liibeck 175
Liigenfeld 149
Luther Martin 50, 51, 56, 103,
172
Luxemburg, Heinrich von 187,
188
Lydier 19
Maeterlinck, Maurice 302
Magdeburg 175
Magister 151
Magyaren 156-158
Majordomus 128
Mannheim 226
Mannus 106, 113
Manso, Johann Kaspar Friedrich
239
Manu 106
Marburg 169
Marienburg (Schlofi) 183
Marhis, Gajus 79
Marko 102
Marlowe, Christoph 70
Martell,Karl 133, 137
Marx, Karl 61,267
«Kritik der politischen
Okonomie» 267
Materialismus 24, 94, 144, 168,
200, 220, 221, 227, 272, 273,
292, 312
Mathematik 26, 55, 58, 96, 132,
148, 199
Mathesis 199
Mauren 132, 133, 139, 142, 162,
167
Mayer, Robert 288
Mazedonien 37
Meder(Volk) 19
Medici (Mediceer) 191
Medizin 132, 143
Megara 34
Megariker 32
Meister Eckhart 49, 151, 171,
199, 204, 207-209, 212
Merowinger 120, 126, 128, 136,
137
Merseburg 138
Mesopotamien 132
Metaphysik 223
Michelangelo, Buonarroti 267,
268, 270
Militsch (Milicius/Militz/tsche-
chisch Milec), Johann 103
Minor, Jakob 271
Mithras 181, 182
Mittelalter, Geschichte 94-195
Mittelaiter, Weltanschauungen
46-57
Mitteldeutschland 175
Monche, Monchswesen 92, 119,
120, 129, 141-144, 148, 162,
169, 171, 182
Mohammed 131, 132
Molay, Jacob von 183
Moleschott, Jacob 62
Mongolen 96, 182, 186
Monismus 230, 232, 290, 295,
296, 297,311-319
Moor, Karl (aus Schillers «Die
Rauber* 227
Moral 276, 278
Morgenland 165, 167
Moses 241
Miicke, Johanna 95
MUller, Johannes 212
Mtinzen 141
Musik 151,152,256
Muspelheim 108
Mysterien, eleusinische 253
Mysteriendrama 256,277
griechisches 253
Mysterienkult 253
Mystik (Mystiker) 49, 50, 129,
142, 171, 176, 177, 199-216
Nassau, Adolf von 187
Naturalwirtschaft 116, 131
Naturwissenschaft 19, 57, 59, 61-
63, 148, 169, 269, 272, 287-289,
291, 292, 295, 296, 311-315,
318
Neue Weltanschauungen 57-65
Neumann-Hofer, Otto 68
Neuplatonismus 45
Neuzeit,Weltanschauungen 46-57
Nicaisches Konzil 90,111
Nicolai 317
Niederlande 211,242
Niederosterreich 184
Nietzsche, Friedrich 43, 247, 253,
254,256, 272
«Die Geburt der Tragodie aus
dem Geiste der Musik» 253,
256, 272
Niflheim 108
Nikolaus von Kues 210-216
«De docta ignorantia (Von der
gelehrten Unwissenheit)»
212, 214, 215
Nominalismus 168, 182
Nordafrika 86, 132
Norddeutschland 175
Norditalien 126, 169, 175, 180
Normannen 152, 153, 156
Oberland, Gottesfreund aus dem
209
Octavio (aus Schillers «Wallen-
stein») 246
Octavius 80
Oder 105
Odoaker 125
Odysseus 106
Osterreich, Albrecht von 187
Osterreich (Land) 139, 150, 153,
154, 161
Niederosterreich 184
Optimaten 79, 80
Orient 141, 159, 162, 176, 182,
193
Origines 87
Osiris 204
Ostgoten 110,116,117
Ostpreufien 183
Ostwald, Wilhelm 292
OttoL 155-157
OttoII. 155
Otto HI. 155,159
Ottokar von Bohmen 186
Paderborn 138
Palacky, Franz 102,103
Palastina 86,97, 108, 166, 182
Papierbereitung 162
Papst 74, 91, 130, 131, 137, 139,
153, 160, 161, 164, 180, 183,
188, 190
Paracelsus 49,212
Paris (Stadt) 151,152,190
Parmenides 24-26,29
«Uber die Natur» 25
Parzival 99
Passau 158
Paulsen, Friedrich 64
Paulus, Apostel 47, 199
Pelasger 98
Peloponnesischer Krieg 29
Penzig, Dr. Rudolf 298
Perikles 23
Perser 107-109
Persien 108,163
Peter von Amiens 166,179
Petrus 93
Pfaffe 151
Pfaffengasse (Rheingegend) 188
Pfalz 189
Pfeiffer, Franz 215
Phidias 85
Philipp von Mazedonien 37
Philo,Judaus 45
Philosophic 52, 57, 143, 223,
256, 287,314,315
Physik 27,96,97,223
Piccolomini, Max (aus Schillers
«Wallenstein») 250, 251
Pippin (Sohn Karls des Gr.) 149
Pippin der Kleine 137, 139
Plato (s. a. Neuplatonismus) 33-
38, 45, 120, 129, 146, 151, 199-
216
Pleroma 214-216
Plotin 45
Poitiers 133
Polen 161
Pontifex Maximus 73, 74, 87, 91
Portugal 193
Prag 103, 171, 189
Preuften(Land) 159,183
Ostpreufien 183
Westpreufien 183
Privateigentum 112, 113, 135
Prodicus 28
Proletariat 79,80
Protagoras von Abdera 28, 29
Protestantismus 313
Pseudo-Dionysius 200
Phyrrho 44
Pythagoras, Pythagoraer 26, 27,
35,214,215, 230
Rafael (aus Schillers «Philosophi~
scheBriefe») 242
Raffael,Santi 267,270
Rationalist 200
Realismus 168, 182, 280, 295
Recht, Rechtsprechung 127, 136,
139, 160, 179
Recht, Dogmenrecht 83
Recht, romisches 76, 78, 81, 83,
100
Reich (deutsches) 164
Reich (rom.) 74-77, 79, 86, 89-92,
97, 98, 103, 115, 116, 146, 163
Reichel, Eugen 67
Religion, religios 18, 46, 50, 51,
53, 56,62, 86-88, 107,111,113,
119, 131, 132, 165, 253-256,
273,313-315
Renaissance 68, 193
Reuchlin, Desiderius 193
Richard von Cornwall 184
Rhein 106, 109, 115, 145, 171,
174, 175, 188, 192
Richter, (Rechtsprechung) 128,
137
Ried(Ort) 158
Rittertum 79, 170
Romer 86, 98, 99, 104, 105, 109,
111, 115, 116, 146
Romisches Christentum 117
Romische Geschichte 73-93
Romische Kultur 84
Romisches Recht 76, 78, 81, 83
Romisches Reich 74-77, 79, 86,
89-92, 97, 98, 103, 115, 116,
146, 163
Romische Weltanschauung 75
Roland (Rolandsage) 99,102
Rom 73-77, 79, 80-83, 85-88, 100,
101, 107, 116, 117, 120, 122,
129, 130, 133, 144, 161, 165,
176, 180-182, 184, 190
Romanischer Baustil 177
Rotterdam, Erasmus von 193
Rousseau, Jean Baptiste 221, 222,
227
Rudolf von Habsburg 184, 186
Rudolf von Schwaben 180
Rufiland 96, 107, 125, 175
Ruysbroek, Johannes 210, 215
Sachsen (Volk) 110, 127, 130,
137, 138, 146, 148, 165
Sachsen (Land) 155, 161
Sanger, Fritz 318,319
Sapieha (aus Schillers «Deme-
trius» 260
Sarazenen 167
Sat 215,216
Savonarola, Girolamo 190
Schafer, Dr. (Berlin) 304, 306,
309
Schelling, Friedrich Wilhelm
Johannvon 60,314
Scherer, Wilhelm 270
Schieflpulver 101, 162, 176
Schiller 64,66,69,217-283
«Uber Anmut und Wiirde»
235
«Braut von Messina» 253,
255-257
«Briefe iiber die asthetische
Erziehung des Menschen»
225, 243,274,277
Brief an Goethe 64,233
«Demetrius» 255, 259, 260
«Don Carlos» 229, 232, 248
«Fiesco» 227,228,248
«Geisterseher» 281
«Gotter Griechenlands» 277
«Jungfrau von Orleans* 252,
255
«Kabale und Liebe» 227, 228,
248, 268
«Die Kiinstler» 247
«Lied von der Glocke» 261,
263
«Maria Stuart* 252, 255
Marquis von Posa (aus «Don
Carlos») 229,232
«Naive und sentimentale
Dichtung» 238
Octavio («Wallenstein») 246
«Philosophische Briefe» 242,
247
«DieRauber» 227,268
«Die Schaubuhne als eine mo-
ralische Anstalt betrachtet»
226, 279
«Der Spaziergang» 245
«Theosophie des Julius» 242,
243, 245
«Uber den Zusammenhang
der tierischen und geistigen
Natur des Menschen» 223
«Wallenstein» 239, 240, 242,
245-252,260, 265
«Was heifit und zu welchem
Ende studiert man Univer-
salgeschichte?» 236, 241
« Welches ist der Zusammen-
hang zwischen Materie und
Geist?» 223
«Wilhelm Tell* 255, 258
«Xenien» 239,263
Schlegel, August Wilhelm 66,
263-265
Schlegel, Caroline von 263
Schlegel, Friedrich von 264
Scholastik 49, 50, 53, 57, 142,
143, 168,211,313
Schopenhauer, Arthur 63, 278,
305
Schottland 119, 125
Schreiber (Vervielfaltiger) 151
Schreibinstitut 191
Schroer, Karl Julius 218, 219
Schure, Edouard 253,277
«Sanctuaires d'Orient» 253
Schwaben, Rudolf von 180
Schwaben (Land) 155,189
Schwarzes Meer 107,116
Schweizer Eidgenossen 186, 258
Schwertbriider 183
Scotus Erigena 120, 144, 200
«Uber die Einteilung der Na-
tur* 120,144
Seidenweberei 162
Semnonen 115
Sensualismus 231
Shakespeare 66^72, 249, 259, 264,
268,313
«Coriolan» 70
«Hamlet» 69-71
«HeinrichV.» 67
«Julius Casar* 70
«K6nigLear» 70
«Macbeth» 67,69-71
«Othelio» 69, 70
«Richardm.» 249
«Verlorene LiebesmUh» 70
«Wie es Euch gef allt» 70
Sigismund (Siegmund), Kaiser
189, 190
Siegfried (Nibelungenlied) 102
Sinope 31
Sizilien 35
Skandinavien 108
Skeptizismus 42,44
Slawen 99, 166, 183
Sokrates 28, 30-32, 34-36, 257,
278
Somnambulismus 316
Sophistik 28-30,43,83
Sophokles 253
Spanien 99, 115-117, 132, 133,
139, 167
Spektralanalyse 267
Spinoza, Baruch 57,58
Spiritismus 281,311,318,319
Stadte 101, 102, 123-125, 131,
133, 140, 143, 145, 153, 157,
158, 162, 164, 169, 170, 172-
179, 185-187, 189, 191, 192, 194
Stagira 36
Stamm, Stammesverwandtschaft
106, 109, 110, 112, 113, 119,
121, 123, 126, 127, 132, 136,
137, 147, 149, 152, 154, 155,
163
Steiner, Rudolf 94, 95, 291, 293,
294-296, 298, 305, 307, 311,
316-319
«Philosophie der Freiheit» 64
«Welt- und Lebensanschauun-
gen im 19. Jahrhundert» 64
Stern, Dr. Wilhelm 304, 308
Stirner, Max 63, 274
«Der Einzige und sein Eigen-
tum» 274
Stoizismus 42, 43
Strafiburg 171
Strafiburg, Gottfried von 171
Stratford 69, 70
Straufi, Friedrich 312
Suddeutschland 99, 171, 174
Sudfrankreich 121, 177
Siiditalien 35
Sueven 106
Suso, Heinrich 49, 171, 212, 215
Syrien 132
Tacitus 97, 105-107, 109, 113
«Germania» 97, 105
Tassilo 139
Tauler, Johannes 49, 171, 190,
204, 208, 209, 212
Tauschhandel 141
Tempelherren 182, 183
Terczky (aus Schillers «Wallen-
stein») 250
Tertullian 88
Thales 19, 21, 27, 305
Themistokles 23
Theologia deutsch 171, 215, 216
Theosophie 311-319
Thomas von Aquino 42, 48, 49
Thrakien 37
Thuringen 187
Thuringer 127, 147
Tieck, Ludwig 66, 265
Tizian, Vecellio 176
Tolstoi, Alexei, Graf 219, 226,
272
Totentanz 177
Tragodie 253, 254, 257
Tristan (Heldensage) 99
Tiirken 186, 193, 194
Tuisto 106, 113
Ugrier 156
Ulfila (Wulfila) 110, 116
Ungarn (Land) 158, 161, 188
Universitaten 171
Unwissenheit, Von der gelehr-
ten 212
Uppsala 110
Vandalen 116, 117, 119, 122
Vasallentum, Vasallenwesen 118,
127, 128, 155, 156
Veda 202
Vedantaweisheit 214, 215, 308,
317,318
Venedig 176, 193
Vineta 175
Vischer, Friedrich Theodor 259,
266, 267, 271
«Asthetik» 271
Volkerwanderung 98, 110, 117,
118, 123,135, 140, 146,162, 194
Vogt (Richter) 149
Vogt, Carl 62
Voltaire, Francois Marie Arouet
de 222
Wagner, Richard 253, 254, 256
Wahrheit 20, 25, 28, 30, 46, 48-
50, 52-55, 58, 59, 62, 89, 151,
255,269, 280, 291, 298-310
Waldenser 177, 187
Wallenstein, Herzog von Fried-
land 242, 246, 247
Walter von Habenicht 179
Walter von der Vogelweide 134
Walthari (Walther von Aquita-
nien, Waltharilied) 121
We 108
Weichsel 105
Weimar 232, 235, 239
Wenden 156
Weltanschauungen 17-65, 75, 220,
240, 269, 270, 272, 285-319
Weser 106, 152
Westgoten 110, 114, 116, 117,
119, 132
Westpreufien 183
Wiclif 103, 189, 191
Widukind 137
Wieland, Christoph Martin 222
Wien 171, 176
Wiertz, Anton Joseph 316
«Der Mensch der Zukunft» 316
Wili 108
Wille, Dr. Bruno 287, 294
Winckelmann, Johann Joachim
268, 269, 277
Winfried Bonifacius 129
Wissenschaft 18-20, 129, 131-133,
143, 146, 148, 150, 151, 162,
167-169, 172, 182, 220, 231,
254, 255, 291, 293, 298-310,
313,314,316
Wolff, Kaspar Friedrich 53, 54,
231, 276
Wolfram von Eschenbach 141, 171
Wotan 108, 113
Wulfila (Ulf ila) 110,116
Xenien 239, 263
Zeno von Kition 43
Zolibat 161, 165
Zollner, Kaspar 176
Zola, Emile 219
Zypern 43, 89
Ymir 108